Streitwägen

Uwe Kessler

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Streitwägen
Es begab sich zur der Zeit, als Zackaria, ältester Sohn und Thronerbe, seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag beging. Just an diesem Tag hatte sein Vater ihm ein ganz besonderes Geschenk gemacht. Feuerrot, so stand er da, mit goldenen Verzierungen. Zerbrechlich wirkten die schmalen Räder, waren aber stabil genug um dem Straßenpflaster zu trotzen. Vorne auf dem Bug prangte ein geflügelter Löwe, das Wappen seiner Familie. Stolz und Zeichen seines Besitzers. Und zwei nicht minder stolze, schneeweiße Pferde standen davor um den Streitwagen den nötigen Antrieb zu verleihen. Lediglich der junge Mann, dem sein Vater einen brandneuen Ferrari vor die Türe stellt, dürfte die Freude Zackarias ermessen können.
Als Sohn des Herrschers war Zackaria ziemlich behütet aufgewachsen. Zwar bekam er sich vor Freude kaum ein, musste aber eingestehen, dass er dieses Gefährt nicht lenken konnte. Doch dem konnte Abhilfe geschaffen werden. Was man nicht kann, kann man schließlich lernen, und ein solches Gefährt konnte man ja auch zu zweit benutzen, auch wenn es etwas eng war. Und so musste Arn herhalten, um den Thronerben an seinem Geburtstag durch die Stadt zu kutschieren.
An Zackarias gierigem Blick konnte man erkennen, dass er schon viel zu lange nicht raus gekommen war, und auch Arn war froh, Frau und Arbeit wenigstens für eine Weile entkommen zu können. Zudem war es ein ausnehmend schöner Tag…
„Wohin fahren wir?“ wollte Zackaria wissen.
Eine Frage, über die sich Arn noch keine Gedanken gemacht hatte. Glücklicherweise hatte er doch recht schnell die richtige Eingebung „Wie wäre es mit der Rennbahn? Es ist noch am frühen Vormittag, die Rennen sind erst abends. Sicher gibt es da jemanden, der dir den Umgang mit deinem neuen Spielzeug beibringen kann“
Das mit dem „Spielzeug“ nahm Zackaria ihm ein wenig übel, aber von der Idee, den Streitwagen selbst manövrieren zu können war er höchst entzückt.
Zwar warf die Ankunft der beiden Lanista Darvorts Pläne ein wenig über den Haufen, aber natürlich war er zutiefst geehrt, dem Sohn des Kriegslords das Wagenlenken beizubringen. Wahrscheinlich wäre eine andere Reaktion auch schlecht für seine Gesundheit gewesen…
Darvort zeigte sich zunächst ein wenig beeindruckt, dass zumindest Arn den Streitwagen beherrschen konnte. Dieser Respekt verwandelte sich aber in blankes Entsetzen, als er erfuhr, dass Arn den Umgang mit Wägen bei dem Umgang mit Fuhrwerken erlernt hatte. Arn hatte sogar den Eindruck, Darvort hätte ihn nach seiner Beichte am liebsten mit vier Gespannen in Stücke gerissen…
Immerhin, unter Darvorts Kommando lernte Zackaria schnell. Und auf dem Heimweg hatte er die Zügel in den Händen. Lord Gorwean war ein wenig verschnupft, hatte er doch damit gerechnet, dass die Beiden nur eine „Runde um den Block“ drehen würden, doch er regte sich sehr schnell wieder ab, als Zackaria voller Begeisterung von seinem Vormittag erzählte. Auch gelernt hatte er etwas: So waren Streitwägen, die für die Rennen benutzt wurden nicht so stabil wie die zivil genutzten Varianten. Nach dem Rennen waren sie eh nicht mehr zu gebrauchen, da konnte man ruhig am Material sparen. Und er erzählte von der Eindringlichen Warnung Darvorts, mit dem Streitwagen ja vorsichtig umzugehen. Ein solches Gefährt konnte zu einer Waffe werden und war darum nicht in ungeübten oder gar zu sorglosen Händen zu geben.
Darvorts Warnung hätten sich besser auch andere Leute zu Herzen genommen. Denn es war ein altbekanntes Problem, dass es Menschen gab, die auf andere Personen auf der Straße nicht allzu viel Rücksicht nahmen. Und die gerne auch einmal eine Abkürzung durch ein Weizenfeld nahmen, ohne Rücksicht darauf, dass sie die Erträge des Gutes gefährdeten. Und um genau solch einen Fall ging es hier. Wochen nach Zackarias Geburtstag – die erste Ernte stand gerade bevor – häuften sich die Fälle, in denen leichtfertige Menschen zum Spaß die Getreidefelder in der Umgebung von Paragore verwüsteten. Die Sache war so arg, dass sie zunächst vor dem Stadtparlament landete, und dann bei Gorwean von Argaron. Und dieser beauftragte letztendlich Arn mit der Aufklärung der Angelegenheit.
„Entschuldigung Herr, ich weiß immer noch nicht, was wir hier sollen“ In Arns Amtsstube hatten sich die zehn Bogenschützen vor ihm aufgebaut, die er bei Kim angefordert hatte. Arn war noch immer mit so etwas wie Handarbeiten beschäftigt.
„Moment noch, ich werde es euch gleich erklären.“ Mit diesen Worten biss er eine Schnur ab, mit der er einen Ballen um eine Pfeilspitze gewickelt hatte. Demonstrativ hielt er den Bommelpfeil nach oben.
„Es geht mir darum, dass wir die Übeltäter markieren, die hier in der Umgebung die Getreidefelder verwüsten. Wie ihr sicher alle wisst, ist das Getreide die Grundlage unseres Lebens. Und leider respektieren dass nicht alle Menschen hier in der Stadt. Darum müssen wir dafür sorgen, dass die Übeltäter erwischt werden“
„Entschuldigt Herr, aber es gibt doch sicher einfachere Wege, diese Leute zu erwischen. An den Stadttoren müssen sie doch halten. Da kann man doch nachsehen, welcher Wagen Ähren an Achse oder Deichsel hat“
„Ausserdem sind das doch eh alles Kinder reicher Eltern“ warf Matthateus ein.
„Guter Einwand, doch die Sache hat einen Haken. Zunächst einmal können uns die Ähren nicht sagen, von welchem Feld sie gepflügt worden sind. Und Viele reiche Ehepaare haben Kinder. Und natürlich wollen sie nicht, dass wir ihren Nachwuchs hopp nehmen. Schließlich soll sich die Jugend doch entfalten können, nicht wahr? Ich werde euch jetzt in Gruppen aufteilen. Jede Gruppe bekommt einen Plan, bei welchem Feld sie sich auf der Lauer legen soll. Eure Bögen müsst ihr euch noch holen, diese speziell von mir hergestellten Pfeile bekommt ihr auch noch mit. Sobald sich ein Streitwagen euerem Standpunkt nähert, färbt ihr die Spitze ein und markiert den Wagen damit. So bald das passiert ist, ist euer Einsatz beendet. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass die Torwächter über diese Aktion bescheid wissen und bei den Streitwägen, die die Tore passieren zweimal hinschauen. Gut, alles was ihn noch braucht ist Proviant für die nächsten zwei Tage und ein paar Pferde, die euch zu eurem Einsatzort bringen, dann kann es losgehen“
„Ich hätte da noch eine Frage, Herr“ Warf Aries ein „Was ist, wenn die Verursacher nicht in der Stadt wohnen?“
„Sie wohnen in der Stadt“ entgegnete Arn „Außerhalb gibt es nur die Landgüter. Und deren Besitzer haben ihre Kinder zumindest so weit im Griff, dass diese nicht durch ihr eigenes Korn fahren. Und auch nicht durch das Korn ihrer Nachbarn. Sie würden sonst nämlich im Handumdrehen den schönsten Kleinkrieg vom Zaun brechen. Und es gibt nichts, was die Erträge so schnell schmälert wie ein solcher Kleinkrieg. Alles klar?“
Allerdings hatte Arn einen Fehler gemacht. Er hatte Aries und Matthateus zusammen in ein Team gesteckt. Gut, ausgerechnet die zwei Problemfälle, aber was soll’s…
Nachdem die Bogenschützen die Zitadelle verlassen hatte, machte sich auch Arn auf den Weg. Natürlich hätte er jemanden schicken können, der die Torwächter anwies, auf farbige Markierungen an den schnellen Wägen zu achten. Aber erstens nutzte er gerne jede Gelegenheit, um den Täglichen einerlei zu entkommen. Und zweitens plagte ihn die Neugier, ob sein Vorhaben auch von Erfolg gekrönt sein würde. Da Paragore eine menge Stadttore hatte, würde er in einem Wachhaus an einem der Stadttore übernachten. Was soll’s, es wäre ja nur für eine Nacht…
… und Arn wurde nicht enttäuscht. In den frühen Morgenstunden hielt direkt an seinem Stadttor Sirius Pergus, Sohn eines reichen Kaufmannes der Stadt. Er, sein Streitwagen sowie seine Pferde sahen aus, als wären sie von Masern überfallen worden. Großen, hässlichen und brutalen Masern. Er war über und über mit roten Farbklecksen übersäht und er erzählte aufgeregt, dass er von zwei Verrückten verfolgt worden wäre, die mit Farbpfeilen auf ihn geschossen hatten. Die Torwächter und auch alle umstehenden Passanten konnten sich ein Lachen nicht verkneifen. Arn war nicht zum lachen zumute. Rot, das war die Farbe, die für die Felder von Astegius Gut im Norden reserviert waren. Und ausgerechnet Aries und Matthateus hatten dort Wacht gehalten und offensichtlich ganze Arbeit geleistet. Kurz darauf erreichten die beiden Recken das Stadttor. „Da, dass sind sie, verhaftet sie!“ brüllte Sirius
„Ja, hier sind wir“ bestätigte Aries „Aber das ist doch kein Grund, uns zu verhaften“
Sirius war außer sich. Er brüllte aus vollem Halse, hielt jedem seine Farbflecke unter die Nase und verlangte lautstark Schadensersatz. Auch die Torwachen waren außer sich, allerdings vor lachen.
„Sirius, wenn ich nicht irre“ mischte sich Arn ein. „Wenn hier einer Schadensersatz leisten muss, dann seid Ihr das, oder zumindest Eure Familie. Und ich denke, Ihr dürft dankbar sein, wenn Ihr nicht mit den Kerkermeistern seiner Lordschaft Bekanntschaft macht. Die Familie Astegius dürfte nämlich nichtgerade erbaut darüber sein, dass Ihr ihren Weizen umgepflügt habt. Ich persönlich werde seiner Lordschaft über eure Tat unterrichten. Einer Strafe werdet Ihr also nicht entgehen“
Sirius bestieg sein Gefährt und rauschte so schnell es ging von dannen. Arn seufzte. Gut, so schnell würde der keine Abkürzung durch ein Feld mehr nehmen. Aber er hätte es besser wissen müssen. Mittlerweile waren noch andere der Bogenschützen am Stadttor eingetroffen. Arn musste erstaunt feststellen, dass seine Truppe schon vollzählig war. Also hatten sie ihre Munition schon verschossen. Und hoffentlich waren sie etwas sparsamer gewesen als Aries und Matthateus.
„Hört mal, ihr Zwei“ Matthateus und Aries kriegten sich vor Lachen kaum ein. „Ich dachte, ich habe mich klar ausgedrückt. Ihr solltet die Wägen nur markieren“
„Das haben wir doch auch gemacht“ stellte Matthateus nicht ganz unbefriedigt fest.
„Ihr habt ihn durch die Gegend gejagt. Es hätte sich jemand den Hals brechen können!“
„Ach was, so schlimm war es nicht“ warf Aries ein. „Wir wollten nur auf Nummer sicher gehen“
Und vom Pferd aus kann man einen Streitwagen besser verfolgen. Da bleibt man länger dran und kommt näher ran“
„Jedenfalls habe ich ihn öfter getroffen als du“ feixte Aries
„Oh nein,. Ich habe ihm mehr Punkte verpasst, als du“ Feixte Matthateus zurück. Werden die Beiden noch darüber stritten, wer Sirius die meisten Punkte verpasst hatte, sprach Arn mit den anderen Bogenschützen. Und so wurden Matthateus und Aries selber mit vielfarbigen Pfeilen beschossen und umdekoriert.
„So, jetzt könnt ihr eure Punkte zählen“ rief Arn missmutig. Und da ihr so voller Tatendrang seid, wird es euch wohl nichts ausmachen, bis zur Zitadelle zu laufen. Wenn ihr euch ranhaltet, seid ihr bis zum Mittag da“ Arn setzte sich auf Aries Pferd und nahm das andere am Zügel und ritt mit den anderen Soldaten zurück. Sicher, auch das konnte ein Fehler sein. Sicher würden die beiden unterwegs bei einigen Damen halt machen…
An der Zitadelle angekommen wartete die nächste Überraschung auf Arn. Auf einen der Plätze im Innenhof stand Zackarias Streitwagen – und auf den ersten Blick war er nicht wieder zu erkennen. Er war ein vollkommenes Wrack. Er sah so aus, als hätte er an mindestens einem duzend Wagenrennen teilgenommen und würde jeden Moment auseinander fallen. Darum standen einige Leute, offensichtlich erregte der schlechte Zustand des Gefährtes einiges an Aufmerksamkeit. In der Menge stand auch Lord Gorwean und einer seiner Stallmeister, der sich sehr darüber aufregte, dass man die Pferde noch nicht ausgespannt hatte. Die Tiere wirkten recht mitgenommen. Und Arn fiel noch etwas auf: Der blaue Klecks, der an der rechten Seite des Wagens prangte.
„Hier, das Zeichen bedeutet, dass er über die Felder des Gutes Nechto gerauscht ist“ seufzte Arn. „Ich verstehe das nicht. Zackaria war so stolz auf dieses Gespann. Ich kann nicht glauben, dass er das getan hat“
„Wer soll es denn sonst gewesen sein?“ mutmaßte der Stallmeister mit einem vorsichtigen Seitenblick auf Lord Gorwean, der allerdings still blieb.
„Wir leben hier schließlich nicht allein“ antwortete Arn, während er das Gespann nach einem weiteren Farbfleck absuchte. Die Soldaten waren zu zweit gewesen, und wenn sie nur etwas von dem Ergeiz von Matthateus und Aries hatten, dann hatte jeder seinen Pfeil auf das Ziel drapieren wollen. „Knapp tausend Soldaten leben hier, mit den Leuten von der Verwaltung und sämtlichen Dienern sind es sicher noch einmal so viele, die Zugriff auf das Gespann hatten“
„Und wie willst du rauskriegen, wer das war?“ murrte seine Lordschaft.
„Nun, ich denke, wir könnten mal einen Blick in die Waschküche werfen“ sagte Arn und schlenderte in die entsprechende Richtung.
„Da ist heute aber kein Betrieb, weil die Kessel gereinigt werden“ rief ihm einer er Umstehenden hinterher.
„Um so besser“ rief Arn zurück. Darauf hin setzte sich der ganze Tross in Bewegung in Richtung der Waschküche. Dort angekommen sahen sie einen verzweifelten Godewin, der verbissen versuchte, einen blauen Farbfleck aus seinem Hemd zu scheuern. Und das dürfte ihm nicht allzu leicht gefallen sein, denn die Farbe war mit Leim angemacht worden.
„Godewin!“
Als er den Ruf seines Vaters hörte, hielt er augenblicklich inne.
„Macht dass ihr gefälligst hinaus kommt“ brüllte seine Lordschaft, und augenblicklich drängte sich die Masse, die vor einem Augenblick in die Waschküche gequollen war wieder nach draußen. Lord Gorwean würde seinem zweitgeborenen Sohn den Kopf allein zurecht rücken. Zumindest heute. Und damit würde die Waschküche an diesem Tage zu einem Krisenherd werden. Wie gut dass sie an diesem Tage für die anderen geschlossen war.
So ganz war die Sache aber noch nicht verdaut. Lord Gorwean war heilfroh, dass nicht sein Erstgeborener der Übeltäter war. Nichts desto trotz hatte sein Zweitgeborener mit seinem Ausflug im Streitwagen seines Bruders die Familie sehr blamiert. Darum würde seine Strafe – eine Prügelstrafe wahrscheinlich – öffentlich vollstreckt werden. So zeigte sein Vater, dass es ihm mit der Vollstreckung der angedrohten Strafe ernst war. Sirius Pergus würde auch nicht um eine Strafe herumkommen, doch würde diese nicht öffentlich vollstreckt werden. Nichts desto trotz würde er noch lange an diesem Tag denken. Zackaria trauerte noch sehr lange seinem Streitwagen hinterher, es sollte eine ganze Weile vergehen, bis er einen neuen bekam. Immerhin hatte die ganze Geschichte auch etwas Gutes: Fünf Teams hatten sich auf die Lauer gelegt und in kürzester Zeit auch fünf Gespanne erwischt. Und dank Godewin und Sirius Pergus wurden Gorweans Jagdmethoden und die Rechtsprechung auf den Straßen eine ganze Weile ein viel beachtetes Thema. Die Getreidefelder jedenfalls hatten ihre wohl verdiente Ruhe. Und das für eine ganze Weile.
 

flammarion

Foren-Redakteur
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der leselupe. eine gute story hast du hier gepostet, allerdings möchte ich dir zu einem anderen titel raten. nicht alle fantasy storys können einfach nur fantasy heißen. sag mir bitte bescheid, welchen titel du gewählt hast, dann nehme ich die änderung vor.
lg
 



 
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