Sühne und Versöhnung

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In Bildern auf bröckelndem Kirchengemäuer
Sah ich, wie Sünder und Suchende gemeinsam
Gebeugt ihr Gebet gen Himmel sandten,
Doch der Heiligenschein der Madonna verblasste
Wie die Sonne im Nebel.

Dann schlief ich im undurchdringlichen Dunkel
Eines Tals, noch tiefer als Trübsal und Tränen,
Und der vierte Vorbote auf fahlem Pferd
Bat um mein Mitleid, weil er allein war,
Allein in der Nacht.

Wege in der Wüste und Wasser in der Wildnis
Verhiess der Prophet Jesaja, und auch,
Dass die Weisheit der Weisen verworfen wird,
Die Verständigen ihren Verstand verbergen,
Wenn die Gläubigen aufsteh'n.

Im Narrenspiel nuschelnder Nonnen und Mönche
Vernahm ich nichts Neues, doch der Teufel sagte,
Meine Seele sei sein nach dem siebten Siegel,
Gewogen und zu leicht befunden,
Nur Blendung und Schein.

In den Sternen erkennt das Auge des Betrachters
Die wahre Schönheit der Königin.
Kassiopeia und Kepheus im Kreis des Nordens,
So nah will ich sein, nahe bei Dir,
Im Morgengrau'n.
 
Zuletzt bearbeitet:

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das hat echt gute Ansätze, ist aber zu lang, wie ich finde. Ein bischen verdichten täte dem Text ganz gut.
Oder du verlegst das Schwergewicht deiner Texte auf Metaphern, die etwas zeigen, statt prosaisch zu erzählen. Aber in den Ansätzen echt gut. :)

L.G
Patrick
 
Danke Patrick, ich werde mir Deinen Kommentar auf jeden Fall zu Herzen nehmen. Das mit der Länge ist natürlich so eine Sache. Das hier sind 25 Verszeilen in fünf Strophen. Miltons "Paradise Lost" besteht aus über 10000 Verszeilen in zehn Büchern. Dantes "Divina Commedia" besteht aus 14233 Verszeilen in 99 Gesängen. Und Bob Dylan, der ja für sein Lyrik immerhin den Nobelpreis bekam, hat gerade einen Liedtext mit 189 Verszeilen veröffentlicht. Wo zieht man jetzt da die Grenze?
 

anbas

Mitglied
"Verdichten" muss nicht nur "kürzen" bedeuten. Zwar sind die Grenzen zu Prosa-Lyrik fließend, aber umgekehrt wird ein Text nicht unbedingt zur Lyrik, nur weil Zeilenumbrüche gesetzt werden.
In Deinem Text ist für meinen Geschmack der Prosa-Anteil schon sehr hoch, doch würde ich ihn gerade noch als Prosa-Lyrik "durchgehen" lassen ;).

Liebe Grüße

Andreas
 
Ja, da hast Du wohl recht, Andreas, beim Ungereimten kann es sehr schnell passieren, dass es nur Prosa mit Zeilenumbrüchen ist. Da bin ich schon sehr in der Gefahrenzone, ohne Zweifel. Andererseits muss ich mir selbst auch zugute halten, dass ich eine doch recht strenge Metrik einhalte. Dass kostet eine Menge Schweiss beim Schreiben! Es ist zugegebenrmassen keine der klassischen Metriken, aber trotzdem eine Metrik. Und speziell in diesem Fall habe ich noch die Alliteration mit ins Spiel gebracht. Ich weiss, dass auch da die Meinungen auseinandergehen. Aber für mich funktioniert das einfach. "Helplessly hoping her harlequin hovers nearby", oder "Wordlessly watching he waits by the window and wonders". Sei mal ehrlich, war das gut oder nicht?
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo WalksWithThe Bear,

ich bin ja auch einer derjeniger Lyriker, die eine höchstmögliche Verdichtung anstreben.
Seit Tagen komme ich jetzt immer wieder zu deinem Gedicht zurück und ich muss sagen, dass es für mich so passt.
Hättest du den Text ohne Zeilenumbrüche in die Kurzprosa geschrieben, hätte es sicher einige User gegeben, die gesagt hätten: Das ist zu lyrisch.
Für mich ist das Gedicht ein gelungener Versuch zwischen Lyrik und Prosa zu wandern.

Meine Lieblingsstrophe:

Im Narrenspiel nuschelnder Nonnen und Mönche
Vernahm ich nichts Neues, doch der Teufel sagte,
Meine Seele sei sein nach dem siebten Siegel,
Gewogen und zu leicht befunden,
Nur Blendung und Schein.
Liebe Grüße
Manfred
 
Danke Dir Manfred! Was Du sagst, ist so ziemlich das beste Kompliment, das ich mir für dieses Gedicht wünschen kann. Und die Strophe, die Du zitierst, ist für mich die wichtigste. Sie kam mir aber auch fast zu gewagt vor. Das Du die erwähnst, bedeutet mir sehr viel. Mir ist schon auch klar, dass zur wirklich guten Lyrik die Verdichtung gehört. Da hapert's bei mir ganz einfach. Umso mehr freut es mich, dass Du mir trotzdem so einen kleinen Nischenplatz in der Leselupe einräumst. Danke!
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo!

Ganz wichtig bei einem Gedicht: Es muss laut gelesen funktionieren.
Weil ich selbst Lesungen halte, rezitiere ich Gedichte hier immer laut und das funktioniert bei deinem Gedicht ganz ausgezeichnet.

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Natürlich ist das ein Gedicht, Walks,

ein klassisches, mit den alten Großmetaphern der Religion, insbesonders der christlichen.

Es beschränkt sich auf diese Metaphern, macht sie nicht fruchtbar fürs Leben, für die Existenz in ihrer frischen Neugeburt, dadurch ist es auch nicht wirklich christlich, bleibt in den Metaphern hängen. Aber eben das ist wahrscheinlich genau so gemeint, in der Sichtweise, die sich eben über die Bildbefangenheit religiöser Sprache beschweren will. Nur: Daß es manchen, vielen, oder einzelnen wie mir, nach Jahrzehnten des Dissenses ziemlich egal ist, ob da noch jemand in Bilderwelten gefangen ist, die schon innerhalb der Tradition fruchtbar aufgebrochen sind.

Fange ich bei der ersten Strophe an:
Es sind die beiden von Jesus Verglichenen, der demütige Sünder und der begnadete Pharisäer. Der alte Vergleich bricht ursprünglich die klare Gut-Böse-Polarität auf, indem der Gutmensch, der sich mit seiner Frömmigkeit in Gott geborgen fühlt, im Frömmigkeitswettlauf hinter den Sünder zurückfällt, der um die Gnade bittet, die er im Unterschied zu dem selbstverständlich Frommen noch nicht gefunden hat. Aber der Pharisäer fehlt, und der demütige Sünder eigentlich auch, denn es ist nur ein Bild auf einer zerfallenden Mauer.
Und dann ein einsames apokalyptisches Reiterlein, arg vermenschlicht, herausgefallen aus der surrealistischen Symbolsprache des Visionärs.
Und dann, oh Schreck, die Gläubigen. Wer auch immer das sein soll. Ist das überhaupt ein Jesajah-Begriff? Gläubige sind Untertanen von Dogmatikern. Jesajah aber beansprucht geistige Schau, poetische Erkenntnis, nicht Gläubigsein. Aber vielleicht ist genau das gemeint: Die "Gläubigen" erwachen zum Erkennen, Lernen und Lehren.
Drei voneinander isolierte Großmetaphern genügen nicht: Das siebte Siegel aus der Apokalypse, narrativ mit einem Teufelchen verknüpft, - fällt auch aus der surrealistischen Symbolik heraus, siehe oben. Und gleich noch das Menetekel, weil das ungelöste siebte Siegel nicht genügt hat. Und das Teufelchen. Und der Blendungundscheinvorwurf an Weißderhimmelwen.
Die letzte Strophe läßt die Metapherntrümmer liegen, jetzt darf die Himmelskönigin angehimmelt werden, deren naiver Heiligenschein oben wie im Nebel verblaßt ist.

Also zumindest den Jesajah finde ich frischer, lebendiger, ganz zu schweigen von den bestürzenden Wahnsinns-Bildern des Apokalyptikers. Wesentlich.

grusz, hansz
 
Ich weiss, dass es allgemein als unangemessen betrachtet wird, wenn ein Autor eine Interpretation seines eigenen Opus nachliefert. Aber nachdem Du schon so viel erkannt hast, Hansz, fühle ich mich doch bemüssigt, den Rest nachzuliefern. Ich hänge es mal an dem einen Punkt auf, wo Du mich nicht ganz richtig verstanden hast. Meine Absicht war nicht, mich über die Bildbefangenheit religiöser Sprache zu beschweren. Meine Absicht war, zu zeigen, dass die Bilder der Bibel und der religiöser Sprache allgemein immer wieder dazu benutzt werden können, wie die Faust aufs Auge, um ganz persönliche und zeitgenössiche Erlebnisse, Erfahrungen, und Ereignisse zu beschreiben. Das funktioniert so gut, dass ich mich oft frage, "Haben die vielleicht in Wirklichkeit gar nicht an Religion gedacht, sondern ganz einfach an Leute wie mich und an Ereignisse, die um mich herum passieren?" Ein gutes Beispiel ist die Jesaja-Strophe

Wege in der Wüste und Wasser in der Wildnis
Verhiess der Prophet Jesaja, und auch,
Dass die Weisheit der Weisen verworfen wird,
Die Verständigen ihren Verstand verbergen,
Wenn die Gläubigen erwachen.
Die ersten vier Zeilen sind gefährlich nah am Plagiat. Sagen wir mal, es sind Beinah-Zitate aus der Bibel, um ein bisschen Alliteration bereichert. Aber wie Du richtig erkannt hast, kommen die Gläubigen bei Jesaja überhaupt nicht vor. Genau da ist der Bruch. Da wird der Jesaja ganz plötzlich zum Zeitzeugen: wir erleben gerade, wie ein Welle von Irrationalität über uns hereinbricht, getragen von Leuten, die irgendwelchen Unsinn glauben, die alle Weisheit verwerfen, und vor deren totalitärem Anspruch so manch einer schon den Verstand verbirgt. Ist das nicht unglaublich, dass das so in der Bibel steht?

Wenn ich schon dabei bin, noch schnell ein paar Worte zu der Vierten-Reiter-Strophe. Hier geht's nicht um Ereignisse politischer Art, sondern um persönliches. Das tiefe Tal der Trübsal ist, natürlich, vielleicht fast zu trivial, die Depression. Und das bemerkenswerte ist für mich, dass die Bilder der biblische Apokalypse, die mir vom christlich-religösen Standpunkt her egal ist, so verdammt gut dieses Endzeit-Gefühl ausdrücken, diese Aussichtslosigkeit, die mit der Depression einhergeht.

Und noch ganz schnell ein Wort zu der Zeile

Gewogen und zu leicht befunden,
Nur Blendung und Schein.
Dazu sagst Du

Und der Blendungundscheinvorwurf an Weißderhimmelwen.
Zugegeben, diese Zeilen, und dann die Anspielung auf "die Schönheit im Auge des Betrachters" und der Übergang zur "wahren Schönheit der Königin", das ist enigmatisch, und zwar deswegen, weil es ganz extrem persönlich ist. Aber das muss mal erlaubt sein, finde ich.
 



 
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