Sündhafte Sinnsuche

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Hera Klit

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Sündhafte Sinnsuche

Oft suchen wir unsere Erfüllung im religiösen Bereich. Das ganze Durcheinander in unserer von uns selbst als äußerst nebulös empfundenen Seele scheint nur einen wahren Ausweg zu kennen und der heißt: Gott. Es muss doch alles einen Sinn haben, unsere Existenz, unsere Umwelt, unser Schicksal. Das scheint uns plötzlich ausgemacht und so begeben wir uns auf die Suche nach Gleichgesinnten und Organisationen, die uns Halt, Stütze und Wegbegleiter sein können. Ich hatte diese Phasen freilich auch und ich hatte sie oft. Wie ich bereits berichtete, studierte ich ja sogar zeitweise Theologie. In der Zeit meines Theologiestudiums war ich so heilig und asexuell unterwegs, dass alles, was mir begegnete und war es auch nur eine harmlose, futtersuchende Taube, die zufällig vor meinen Füßen landete, ein Zeichen von Gott war, der mir den richtigen Weg weisen wollte.
Sex schien mir in dieser Zeit zu schmutzig, ich wollte ihn auf keinen Fall praktizieren, am besten gar nicht daran denken. Schlimm für meine jeweiligen Partnerinnen.

Mit fünfzehn hatte ich auch so eine Phase und zum Glück noch keine Partnerin, die unter meinen Marotten zu leiden hatte. Ich wusste, dass einer meiner Schulkameraden, der brave Gerhard Paul, wie seine Eltern und alle seine sonstigen Verwandten einer freireligiösen Gemeinschaft angehörte. Deswegen besuchte ich ihn immer öfter, um auch Zugang zu ihrem Erlösungsweg zu bekommen. Gerhard war drei Jahre älter als ich, mindestens einen Kopf größer und wahrscheinlich auch zwanzig Kilogramm schwerer. Er musste sich bereits täglich rasieren, während ich nicht einmal einen zarten Flaum um den Kinnwinkel hatte. Als ich beim ersten Mal in Gerhards Zimmer saß und sein Vater kurz hereinschaute, fragte dieser ganz zu Gerhards Belustigung und zu meinem Verdruss, ob Gerhard mir seine Freundin nicht vorstellen wolle. Warum meinten es mein Gott und mein Schicksal so hart mit mir und gestaltete mich so unvorteilhaft, dass ich nicht als richtiger Junge durchging? Das musste doch einen tieferen Sinn haben und wenn es nur den Sinn hatte, mich maximal leiden zu lassen.
Gerhards Eltern waren im Krieg aus Oberschlesien geflüchtet und hatten in unserem Dorf einen heruntergekommenen Bauernhof gekauft, den sie mehr schlecht als recht bewirtschafteten. Gerhards Vater arbeitete nebenbei noch bei der Müllabfuhr, weil die Einnahmen aus dem kleinen Hof die Familie nicht alleine ernähren konnten.
Diese Leute waren aber sehr gastfreundlich und herzlich. Oft war ich über Mittag bei ihnen und dann durfte ich an ihrem Mittagsmahl teilnehmen. Freilich nicht, ohne vorher ein intensives Gebet durchgestanden zu haben. Wenn ich sage intensiv, dann meine ich intensiv, denn bei uns zu Hause wurde gar nicht gebetet und in der Kirche, in die ich ja als Konfirmand gezwungen worden war, hatte eine solch intensive Art des Betens, wie bei den Pauls auch niemals stattgefunden. Sie beteten mit geschlossenen Augen, in tiefster Versenkung und jeder und jede die an die Reihe kam, ließ sich tiefschürfende, flehentliche Fürbitten aus dem Stehgreif einfallen, die oft mehrere Minuten dauerten. Auch ich wurde aufgefordert, dies zu tun und ich tat mein Bestes, um wenigstens annähernd an ihre Leistungen in Sachen Inbrunst und Selbstverleugnung heranzukommen. Es war offensichtlich, dass sie mir meine Mangelhaftigkeit auf diesem Gebiet nur verziehen, weil ich ein Neuling in echter Religiosität war, aber sie schienen eine geringe Chance zu sehen, mich zum wahren Glauben umzuerziehen, deswegen durfte ich bleiben.

Wenn ich dann mit Gerhard auf seinem Zimmer war, veranstalten wir Bibellesungen und Gerhard erläuterte mir den wahren Sinn der einzelnen Geschichten, der irgendwie nicht ganz dem entsprach, den der Pfarrer uns im Konfirmandenunterricht gelehrt hatte. Gerhards Gott war nicht so nachgiebig wie der Gott, den ich bisher kannte. Sein Gott forderte unbedingten Gehorsam und von Vergebung für alle möglichen Sünden konnte gar keine Rede sein.
Ich musste Gerhard all meine Verfehlungen meines bisherigen Lebens bis ins Detail schildern und er bewertete sie und überlegte sich Bußen für mich, um mir die Chance zu geben, mich zu reinigen und Abbitte zu leisten. Meistens konnte ich mich reinwaschen, indem ich einige wenige Stockhiebe entgegennahm, die mir Gerhard im Auftrag seines Gottes auf die ausgestreckten Hände erteilte.
Es geschah alles nur zu meinem Besten, wie er mir versicherte, denn ohne eine ordentliche Reinigung würde mir ihr Pastor niemals den Zugang zu ihrer freireligiösen Gemeinde gewähren und ohne dessen Segen könnte ich keinesfalls jemals Mitglied werden. Dann stünde es freilich um mein Seelenheil schlecht, denn der Segen, den die Amtskirche verlieh, würde niemals ausreichen, um ins Himmelreich hinein zu gelangen. Dies sei eine Lüge und eine Verschwörung, die von finsteren Mächten, welche die Amtskirche seit Jahrhunderten unterwandert hätten, in die Welt gesetzt worden seien. Auch dürfe ich Vater und Mutter nichts von dem allem, was hier geschah, je berichten, denn die seien doch zu den anderen zu rechnen, die das Himmelreich nicht erlangen würden. Gerhards Ausführungen schienen mir in allem stimmig und richtig und ich hatte doch auch schon lange gespürt, dass die Eltern und die Amtskirche nicht in der Lage waren, mein Seelenheil herzustellen.
Wie weit war ich denn gekommen mithilfe der Amtskirche? Ich war nicht einmal ein richtiger Junge und in mir drin sah es katastrophal aus. So viele widerstreitende Gefühle und Sehnsüchte, für die ich mich doch nichts als zu schämen hatte. Ein wahrer Gott würde doch so etwas nicht geduldet haben. All das war mir geschehen, weil ich bisher dem falschen Amtskirchengott mehr schlecht als recht gehuldigt hatte.

Ganz aus dem Häuschen war Gerhard und mit ihm wohl auch sein richtiger Gott, als ich ihm unter Tränen endlich gestand, eine Pornoheftchensammlung zu besitzen, die mir mein Freund Klaus gnädig überlassen hatte und die ich sorgsam versteckt hielt vor den Augen meiner besorgten Mutter, indem ich sie in einem alten Radioempfänger verwahrte.
Gerhard war außer sich. Er befahl mir sofort sämtliche Heftchen herbeizuschaffen, damit er sie im Einzelnen prüfen könne, um die nötigen Strafen für mich daraus ableiten zu können. Er gäbe sich nur deswegen dafür her, weil ich ihm etwas bedeute und weil er inständig hoffe, meine dermaßen verworfene Seele noch irgendwie retten zu können.
Es gelang mir, die Hefte unbemerkt aus meinem Elternhaus heraus und in Gerhards Elternhaus hinein in sein Jugendzimmer zu schmuggeln. Und dann prüfte Gerhard eingehend, während er mir befahl, mich in eine Zimmerecke auf die Knie mit dem Gesicht zur Wand zu begeben. Und Gerhard prüfte und prüfte. Ich hörte ihn brummeln und schimpfen und schnaufen. So etwas sei ihm sein Lebtag nicht untergekommen und so etwas sei der schmutzigste Schmutz, zu dem sich Menschen jemals hergeben könnten. Ein Mensch, der sich so etwas anschaue und auch noch Freude dabei empfinde, könne bei seinem Gott niemals Gnade erlangen.

Endlich war Gerhard mit der Prüfung der Beweismittel fertig. Draußen wurde es schon dunkel und in dem Zimmer lag jetzt eine bedrohliche Dämmerung, die den ernst der Situation dramatisierend untermalte. Ich hörte ihn sagen, er habe beschlossen, mir zunächst dreißig Stockschläge auf den blanken Hintern zu geben und mich dann vorerst nach Hause zu entlassen. Das Beweismaterial behielte er freilich hier, es müsse verhindert werden, dass ich mich noch mehr damit besudele.

Ich war mir meiner Schuld vollkommen bewusst und es tat mir leid, dass ich Gerhard in diese vertrackte Lage gebracht hatte, die ihn nun dazu zwang, Gewalt auszuüben, um aus mir eventuell noch einen rechten gläubigen Menschen zu machen, der es verdiente, in eine liebende Gemeinschaft Eingang zu finden. Meine ganze Schlechtigkeit musste selbstverständlich aus mir rausgeprügelt werden und diese schwere Aufgabe übernahm nun Gerhard mir zuliebe. Wie musste er mich lieben, dass er dies für mich zu tun bereit war.
Und ich fürchtete und liebte ihn, als er mich nun mit harten Händen packte, mir die Hose von meinem zarten Hintern herunterriss und mich über einen Stuhl warf, um mich in die richtige Strafposition zu bringen. Und er machte seine Sache so gut und absolut unnachgiebig. Jeden einzelnen der dreißig Schläge führte er mit seinem Stock mannhaft und dermaßen intensiv aus, dass ich ihn bei jedem Schlag mehr und mehr ins Herz schloss und mich ihm ergeben fühlte. Da war ein Mann, ja so konnte man ihn doch schon bezeichnen, der mich so sehr mochte, dass er mich bis aufs Blut züchtigte. Ich litt sehr unter den schmerzenden Schlägen, aber ich fühlte mich durch sie angenommen und geadelt. Wenn es mir doch schon so guttat, wenn er mir zugetan war, wie sehr würde es mir dann erst guttun, wenn sein Gott, in dessen Namen er mich züchtigte, mir zugetan sein würde? Und so war ich absolut glücklich und trotz schmerzenden Hinterns lief ich freudig nach Hause, als er mich entließ mit dem Auftrag, intensive Nachtgebete zu sprechen und um Vergebung zu bitten. Morgen Mittag dürfe ich wieder zu ihm kommen, er habe sich dann ein umfassendes Bild gemacht und könne mir weitere Stationen meines Bußweges eröffnen.

Ich sagte meinen Eltern, ich würde mich gleich ohne Abendessen hinlegen, denn ich sei etwas müde vom intensiven Spielen bei Gerhard. In Wirklichkeit konnte ich mich nicht mehr auf meinen malträtierten Hintern setzen. Dennoch betete ich in meinem Bett ganz intensiv um die Milde von Gerhards strafendem Gott.

Als ich am nächsten Tag an der Haustür der Pauls die Klingel betätigte, kam nach einiger Wartezeit Gerhards Vater heraus und überreichte mir mit steinerner Miene meine Heftchensammlung. Ich erfuhr, dass er Gerhard ordentlich verdroschen habe, weil er ihn bei unzüchtigen Handlungen über meinen Heftchen angetroffen habe. Er erteilte mir ein lebenslanges Hausverbot und schloss grußlos die Tür vor meiner verdutzten Nase. Somit war mir dieser Erlösungsweg verschlossen. Was sollte aus mir noch werden?
Ob dieses Erlebnis nachhaltig auf meine weitere Entwicklung eingewirkt hat, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, dass sie Ingredienzien enthielt, die bis heute mein Interesse wecken. Da bin ich schwach und sündig, ahnungslos, feminin und da ist ein Mann reifer, stärker mächtiger und dominant. Ein maskuliner Mann, dessen Interesse an mir durch meine devote, feminine Empfangsbereitschaft, Hingabe und Sündhaftigkeit gespeist wird und der sich genötigt sieht, mich nach allen Regeln der Kunst zu demütigen und herzunehmen. Immer wieder suchte ich in meinem Leben Situationen auf, die diesem Muster entsprachen. Ich musste es tun, egal ob irgendein von irgendjemand erfundener und zusammenfantasierter Gott dies gutheißen oder verdammen würde. Ich bin heute der Überzeugung, es gibt keinen Menschen, der jemals eine Wahrheit über das Göttliche empfangen hat, nicht Moses auf dem Sinai und nicht Paulus auf dem Weg nach Damaskus. Jesus, lass ich außen vor, denn den lieben wir alle, das haben wir mit der Muttermilch schon eingesogen. So haben wir zum Christentum erzogenen, natürlich alle eine Jesusbeißhemmung im Betriebssystem fest eingebaut. Selbst Nietzsche griff Jesus aus Ehrfurcht nicht an, wer bin ich, dass ich es täte?

Es gab nur Sucher und das, was sie fanden, war sicher nicht das, was die wahren Gründe ihrer inneren Zerrissenheit hätte erklären können. Ich glaube, keiner kam je näher an die Wahrheit über uns kleine Sünderlein heran als Nietzsche und Freud.
Wir sollten diese beiden immer wieder lesen, um von ihnen zu lernen, dass wir uns annehmen dürfen, so wie wir wurden, durch jeden einzelnen Baustein, der im Laufe unseres irdischen Daseins in unser Seelengebäude eingefügt wurde. Wir existieren als ich nur als eine Luftspiegelung dieses fragilen Bauwerks. Mehr und mehr scheint mir auch die Reinkarnation glaubhaft, sodass wir womöglich schon viel länger an unserem Bauwerk bauen, als wir es ahnen. Das würde auch gerade viele Geschlechtsirritationen erklären.
 
Du schreibst sehr flüssig, gekonnt und ansprechend, nimmst mich immer wieder mit.
Dein Stil hat was, kann was.
Direkt, aufrichtig, unverstellt - aber immer auch ein gewisser Spielraum für Überlegungen, die du nur andeutest.
Die philosophischen Zwischentöne gefallen mir hier besonders (war auch mal meine Studienrichtung).
Lese dich immer wieder gern.

Grüße von Erdling
 

Hera Klit

Mitglied
Du schreibst sehr flüssig, gekonnt und ansprechend, nimmst mich immer wieder mit.
Dein Stil hat was, kann was.
Direkt, aufrichtig, unverstellt - aber immer auch ein gewisser Spielraum für Überlegungen, die du nur andeutest.
Die philosophischen Zwischentöne gefallen mir hier besonders (war auch mal meine Studienrichtung).
Lese dich immer wieder gern.

Grüße von Erdling
Vielen Dank, lieber Erdling.

Liebe Grüße
Hera
 



 
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