Tag 14

Kadira

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Tag 14:

Svenja strahlte ihn wieder auf diese besondere Art an, als Karl aus dem Haus trat, während Sven ihn mit einem ungeduldigem "Da bist du ja endlich", begrüßte. Es war schon merkwürdig, aber für alles was in den letzten Tagen passiert war, schien sich überraschend wenig geändert zu haben.

Seine Mutter hetzte ihn morgens weiter herum, in der Schule waren noch immer Peter, Martin und ihre Gang, und Klassenarbeiten mussten auch noch geschrieben werden. Er war immer noch Karl Martin, 13 Jahre alt und Schüler. Keiner interessierte sich für sein Blut, oder seine Bestimmung.

Karl war es so ganz recht. Er selber hatte noch genug Schwierigkeiten damit umzugehen, dass er nicht der war, der er immer geglaubt hatte zu sein, sondern dass in seinen Adern Blut floss, das älter als die Welt war, und den Preis, den er dafür zahlen sollte. Er, und die, die ihm folgten, wie die Zwillinge.

Er zuckte mit den Schultern, schmiss sich den Rucksack über seine Schulter, und schloss sich den beiden an.

"Alles klar?", fragte ihn Svenja.

"Abgesehen von einer Lateinarbeit, die mir nachher bevorsteht, sicher."

"Du weißt genau, was ich meine."

"Vielleicht", sagte Karl mit einem Grinsen und legte einen Schritt zu, so dass die beiden anderen sich beeilen mussten ihn einzuholen.

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Er hatte fast erwartet wieder von Melanie überfallen zu werden, als sie in die Pause gingen, aber sie sah ihn nur verwirrt an, als Karl sie passierte und machte keine Anstalten ihm zu folgen.

Karl fragte sich ob es daran lag, dass sie sich vielleicht doch erinnerte, oder ob es eine unterbewusste Alarmglocke war, die jetzt immer losschrillte sobald sie ihn sah (sie hatte immerhin einiges mitbekommen), oder aber ob es vielleicht an seinen beiden Begleitern lag.

Svenja hatte sich bei ihm eingehakt und aß friedlich ihr Pausenbrot, und Sven stand in einer Art ständigen Beschützermodus halt neben, halb vor Karl.

"Du solltest dich was entspannen", sagte Karl.

Svenja grinste. "Er ist so entspannt, wie du ihn wohl jemals sehen wirst."

Karl schüttelte seinen Kopf. "Du bist wie ein Wachhund auf der Lauer."

"Du vergisst, dass ich genau das bin. Ich bin eingeschworen dich zu beschützen. Wenn es sein muss auch mit meinem Leben."

"Ist ja alles gut und schön, und ich weiß es auch zu schätzen, aber ich glaube du übertreibst es etwas. Niemand wird mir hier was tun. Wenigstens keiner von denen, die wichtig sind. Melanie kann sich scheinbar wirklich an nichts mehr erinnern, und ihrem Vater wird es nicht anders gehen."

"Das kannst du nicht wissen", entgegnete Sven mit einer solchen Ernsthaftigkeit, dass Karl sich ein Lächeln verkneifen musste. Es gab keinen Grund den anderen zu beleidigen, nur weil er so sehr an seine Bestimmung glaubte. Sie alle hatten die ihrige, und Sven nahm seine halt verdammt ernst. "Sie tragen keine Warnschilder. Er könnte hier jeden rekrutieren."

Karl seufzte und legte seinen Kopf gegen die Metallsäule. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich hier niemand an mich ran trauen wird, noch nicht einmal unsere Leute, wenn sie denn hier wären. Ganz bestimmt nicht mit euch an meiner Seite."

"Man kann nie vorsichtig genug sein", entgegnete Sven bestimmt, aber er schien sich doch leicht zu entspannen. "Immerhin lastet das Weiterbestehen zweier Welten auf deiner Schulter. Wenn du stirbst, bedeutet es das Ende."

"Das streite ich ja auch gar nicht ab" -- jedenfalls nicht mehr nach allem was Karl erlebt hatte, und was Bertram ihm offenbart hatte -- "aber ich kann mich auch selber ganz gut wehren. So hilflos bin ich nicht."

"Nein, aber du musst dich immer noch erholen."

Karl erkannte, dass es hoffnungslos war, zumindest im Moment. Also nahm er sein Lateinbuch und schlug es wieder auf. "Ich gehe mal nicht davon aus, dass deine Aufgabe auch das Schreiben meiner Klassenarbeiten mit einbezieht?"

Sven zögerte für einen Augenblick. "Ich kann kein Latein, aber wenn du es befiehlst, dann--"

"Es war ein Witz, Sven. Ich glaube kaum dass der Lehman damit einverstanden wäre, wenn du gleich an meiner Stelle da sitzt."

Er grinste Sven an, der erst Karl, dann seine Schwester, entgeistert ansah, als diese in lautes Lachen ausbrach.

In diesem Augenblick kam Karl sein Leben beinahe normal vor. Fast so, als wäre er wirklich nur ein einfacher Schüler, der hier mit seinen Freunden herumalberte, und nicht die Person, die er tatsächlich war. Es war eine äußerst angenehme Illusion, eine, an die Karl sich gewöhnen könnte, was wiederum eine ganze andere Gefahr darstellte. Egal wie sehr er das Leben hier genoss, er durfte niemals vergessen. Und er wollte es auch nicht. Ganz sicher nicht mehr jetzt, da er endlich alles wusste.

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