Tag 19

Kadira

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Tag 19:

Die Atmosphäre änderte sich schlagartig, als Karl die Hauptstrasse entlangging. Auch ohne sich umzudrehen, wusste er, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Es lag eine Schwere in der Luft, die es ihm schwer machte auch nur einen einzigen tiefen Atemzug zu nehmen.

Er unterdrückte ein Schaudern.

Als er sich umdrehte, sah er Peter und Martin aus dem Schatten der imposanten Kirche treten. Sie kamen geradewegs auf ihn zu. Verdammt! Karl hatte ernsthafte Zweifel, dass ihnen nach einer Runde Smalltalk war, oder auch nur, dass dies hier ein Zufall sein konnte. Im Gegensatz zu Karl, der gerade noch Medienkunde, sein Wahlfach, gehabt hatte, hatten die beiden schon seit einer Stunde aus.

"Nun sieh mal wer da ist", hörte er da auch schon Martin. Er klang für Karls Geschmack viel zu selbstzufrieden. "So ein Zufall aber auch."

"Irgendwie glaube ich das mit dem Zufall nicht ganz. Was wollt ihr?"

"So unhöflich? Begrüßt man so seine Freunde?"

"Und seit wann sind wir Freunde? Das Memo hab ich wohl nicht bekommen", sagte Karl und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

Er hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, was hier passierte. Und warum jetzt? In der letzten Woche hatte Karl die beiden kaum gesehen, und normalerweise hatten die beiden die Konzentrationsfähigkeit eines 3-jährigen Kindes, also konnte es auch nicht mehr wirklich wegen Peters Musikarbeit sein.

"Zu Schade. Wirklich. Denn wenn wir keine Freunde sind, sind wir offiziell Gegner."

"Hast du zu lange in der Sonne gelegen? Du redest nur Blödsinn." Das hoffte Karl wenigstens, denn ansonsten hatte Martin wohl wirklich den Verstand verloren, und Wahnsinnige seines Kalibers waren mit Sicherheit auch unberechenbar gefährlich. Er war schon in normalen Situationen unangenehm genug. "Was wollt ihr also von mir? Du und dein schweigsamer Begleiter?", fragte Karl entgegen seines besseren Wissens mit einem Nicken in Richtung Peter. Er wusste, dass er sich mit den beiden auf dünnem Eis befand, und dieses hatte auch schon mehr als nur einen Riss.

Vielleicht hatte er doch eine selbstmörderische Ader. Aber nein, es gab nicht viel, was die beiden im entgegenzusetzen hatten. Allerdings war ein gar nicht mal so kleiner Teil von ihm extrem neugierig, wie es jetzt weitergehen würde.

"Du hast eine ganz schön große Klappe bekommen. Hältst du das für angebracht unter den gegebenen Umständen? Immerhin bist du hier alleine mit uns. Keiner deiner Freunde ist da, um dir zu helfen", sagte Martin, lächelnd. "Noch nicht einmal die beiden Rotschöpfe."

"Du solltest das mit dem Lächeln lassen. Es ist gruselig."

Martin sah ihn für einen Augenblick fassungslos an. "Du hältst dich wirklich für was besseres, oder?"

"Nicht wirklich. Aber scheinbar bin ich es in deinen Augen, ansonsten wärst du vielleicht nicht so besessen von mir..."

"Du kleiner Sch--"

"Lass gut sein, Martin", sagte Peter, der Karl nachdenklich ansah.

"Außerdem kann ich mich sehr wohl alleine verteidigen. Meine Freunde bestehen nur darauf es für mich zu machen."

"Davon haben wir gehört. Erst gestern Abend", sagte Peter. "Kannst du dir unsere Überraschung vorstellen, als uns auf einmal zwei bis dato Fremde irgendwas über den Kampf um die Erde erzählt haben, und welche Rolle du spielst? Das du ihr Beschützer bist?"

Okay. Das war gar nicht gut. Tatsächlich war es noch viel weniger als gar nicht gut. Und jetzt, wo er danach suchte, konnte er es auch fühlen. Noch nicht stark oder auch nur ansatzweise ausgeprägt, aber da war Magie. Nicht von Martins Seite, jedenfalls nicht genug, dass Karl es fühlen konnte, sondern von Peter. Warum hatte er es nicht früher bemerkt? Wahrscheinlich weil er nie darauf geachtet hatte, beantwortete Karl sich die Frage selber. Ein weiterer dummer Fehler.

Nicht das er es jemals zugeben würde. Nicht solange er es vermeiden konnte. "Und von wem habt ihr euch dieses Schauermärchen aufbinden lassen? Melanie?" Er würde es ihr zu trauen, gerade nach ihrer letzten Begegnung. "Falls ja, hat sie euch ganz schön verarscht. Sie ist sauer auf mich, weil ich sie ignoriere."

"Nicht Melanie. Ihr Vater und noch so' n Typ", sagte Martin.

"Ihr Vater, hm? Vielleicht waren die Weihnachtsplätzchen ja schlecht und er hat Halluzinationen. Ich mein, Kampf um die Welt? Klingt doch etwas sehr abstrus, oder?"

"Dein Spielchen kannst du aufgeben. Wir wissen um was es geht und was auf dem Spiel steht. Wir wissen, dass ihr euch versammelt, genau wie wir. Und wir wissen, wer du bist."

"Ihr wisst gar nichts, ansonsten wärt ihr jetzt nicht hier." Karl sah die beiden mit gespielter Liebenswürdigkeit an. "Ihr seid Kanonenfutter für die anderen, nicht mehr. Und wenn ihr wüsstet wer ich wirklich bin, würdet ihr das auch erkennen. Außerdem geht es in dem Kampf um weit mehr als nur diese Welt. Es geht um zwei Welten und die Zukunft aller. Und ich bin nicht der Beschützer einer der beiden Welten, sondern der Bewahrer beider. Ich bin die Essenz von allem, und ihr habt ganz gewaltig in die Scheiße gegriffen. Aber da ich noch mehr als genug zu tun habe, gebe ich euch noch diese eine Chance euch umzudrehen und so weit und schnell weg zu rennen, wie ihr nur könnt. Und mich und meine Freunde nie wieder zu belästigen, natürlich. Haben wir eine Abmachung?", fragte er, seine Stimme sanft.

Er konnte Peters Antwort in dem kurzen Aufblitzen in seinen blauen Augen lesen und grinste breit. "Dachte ich mir doch", sagte er und er fühlte, wie die Kraft sich in ihm sammelte. "Beschwert euch aber nachher nicht, dass ich euch nicht gewarnt habe", sagte er während er schon das Kraftfeld aufbaute, was sie für diese Welt unsichtbar machen würde.

Niemals Unschuldige mit einbeziehen, wenn es sich vermeiden lässt. Er selber, nein, sein Vater, hatte diese Regel vor Ewigkeiten aufgestellt, und Karl konnte und wollte sie nicht brechen. Diese Menschen hier hatten nichts damit zu tun. Noch nicht, und mit etwas Glück würden sie es auch niemals.

Peter schnaubte leise. "Beschwer du dich nachher nicht, dass du dich uns nicht angeschlossen hast, wenn wir mit dir fertig sind."

"Oh ja, ich bin mir sicher, dass ich das noch sehr bereuen werde. Zeig doch mal, was du seit gestern Abend schon alles gelernt hast. Oder willst du mich etwas einfach verkloppen. Das ist ja eure Spezialität."

"Das werde ich machen", sagte Martin und kam auch schon mit ausladenden Schritten auf Karl zu, seine Hände zu Fäusten geballt. Karl erlaubte ihn so nahe, bis Martins Arme ihn fast erreichen konnten, bevor er seine Kraft losließ, voll und ganz auf Martin konzentriert. Der Junge stolperte rückwärts und sein Gesicht verlor jegliche Farbe, als er zu Boden ging, unfähig Karls Macht irgendetwas entgegenzusetzen.

Karl lächelte ihn emotionslos an. "Ihr solltet euch aus Sachen raushalten, denen ihr nicht gewachsen seid. Und ihr seid mir nicht gewachsen. Nicht jetzt und zu keiner anderen Zeit. Seht es als freundliche Warnung. Beim nächsten Mal lasse ich euch nicht einfach so davon kommen. Aber meldet euch vorher an, dann nehme ich mir extra Zeit für euch. Oder willst du auch noch eine Kostprobe", fragte er Peter und ließ dabei spielerisch die grüne Flamme in seiner Handfläche flackern.

Peter sah ihn noch einen Augenblick an, schüttelte aber dann den Kopf. "Nein, wir sind fertig. Mehr wollten wir nicht. Aber verlass dich darauf, dass wir uns nicht das letzte Mal hier gesehen haben. Und beim nächsten Mal sind wir besser vorbereitet."

"Ich mag es nicht, wenn man mir droht. Vor allem mag ich keine leeren Versprechungen. Frag Melanies Vater doch mal, wie es ihm bisher bei jedem unserer Zusammentreffen ergangen ist. Das öffnet dir vielleicht die Augen. Und denk auch mal darüber nach, gegen wen du angehen willst und wofür. Du spielst mit der Welt als Einsatz. Wenn du gewinnst, verlierst du alles. Wir alle werden das. Und wofür? Du verstehst gar nichts. Im großen Bild bist du nicht mehr als eine einfache Schachfigur. Sie werden dich benutzen und dann wegwerfen, aber-- "

"Halt deine Klappe!", fauchte Peter, und aus seinen Fingerspitzen schoss ein Schatten, der direkt auf Karl zuraste und sich um ihn wickelte.

Vielleicht war doch etwas mehr an Peter dran, als Karl ihm zugestanden hatte. Wenigstens bestand er nicht nur aus leeren Worten. Aber selbst so hatte er noch keine Kontrolle über seine Fähigkeiten, noch weniger als Karl am Anfang, denn der Schatten löste sich langsam wieder auf. Karl schloss seine Augen. Das Schattengewebe war noch zu schwach und fasrig, als das es ihm widerstehen konnte, und als er seine Augen wieder öffnete, sah er Peter, der erst ihn, dann seine Hände fassungslos ansah.

"Nicht schlecht. Mit etwas Training könntest du irgendwann ein interessanter Gegner werden. Aber ich hab keine Zeit mehr für eure Spielchen, also lass uns für heute aufhören." Er rief die Raben in Gedanken zu sich. Die meisten waren eh schon von seiner Präsenz angezogen worden, und so waren sie in wenigen Sekunden alle um sie herum versammelt.

Sie saßen in Baumkronen, auf Häusern, Laternen und Autodächern, und warteten auf seinen Befehl. Karl lächelte.

"Was sollen wir mit ihnen machen, Herr?" Das Tier sah aus wie Munin, trotzdem sah Karl gleich, dass er es nicht war. Es war sein Blick, der Karl voll und ganz unbekannt war.

"Wo--"

"Munin ist beschäftigt. Ich bin Hunin. Zu deinen Diensten. Sollen wir sie töten?"

Er sah wie Peters Augen sich weiteten, während von Martin, der immer noch im Einfluss von Karls Kraft stand, nur ein kleines Grunzen kam. "Natürlich nicht. Erschreckt sie nur ganz gewaltig", flüsterte Karl ihm zu.

"Ganz wie du willst, Herr."

Er sah noch wie Peter sich über Martin beugte, bevor eine undurchdringlich schwarze Wand aus Federn ihm die Sicht nahm. Er drehte sich um und setzte seinen Weg nach Hause fort. Es gab noch viel zu tun.

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