Tag 22:
Auch am letzten Schultag gab es kein Lebenszeichen von Melanie. Als er die Gärtner in der Pause fragte, sagte sie nur, dass Melanie krank gemeldet sei. Irgendeine ansteckende Infektion.
"Ganz sicher", sagte Karl und hatte Mühe eine Grimasse zu verbergen. Offensichtlich gelang es ihm nicht ganz, denn die Gärtner sah ihn scharf an.
"Weißt du vielleicht irgendwas?"
Karl schüttelte den Kopf, was ja auch der Wahrheit entsprach. Irgendwie.
"Und was hast du jetzt vor?", fragte Sven ihn als sie den Korridor entlang gingen.
"Viel mehr als abwarten bleibt dir wohl jetzt nicht übrig, oder?"
Die Zwillinge hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie auf der Seite ihres Vaters und Munin standen was Melanie betraf. Nicht das es Karl besonders interessierte. Es hatte sich vielleicht viel verändert, aber sein Dickkopf nicht.
Bertram mochte vielleicht sein ältester Vertrauter sein, aber das hieß nicht, dass sie immer einer Meinung waren, und so sehr er die Raben in den letzten Wochen zu schätzen gelernt hatte, sie würden seine Entscheidungen niemals beeinflussen, jedenfalls nicht ohne triftige Beweise, auch nicht Munin und Hunin. Karl vertraute seinem Bauch, und so unsicher Karl vorher war, sagte ihm dieser jetzt ganz klar und deutlich, dass Melanie ihn brauchte.
"Oh, doch. Wir werden uns jetzt langsam hoch arbeiten", sagte er grimmig, als er Peter und Martin aus dem Fenster heraus am Schultor stehen sah. "Ihr könnt aber gerne hier bleiben. Ich schaff das schon alleine."
"Den Teufel werden wir tun", entgegneten Sven und Svenja wie aus einem Munde.
"Wenn du schon so was Dummes machen willst, kommen wir wenigstens mit."
"Ich hab euch schon mal gesagt, dass die beiden noch keine Gefahr sind, noch nicht mal Peter. Und ich kann auf mich selber aufpassen."
"Das mag ja sein. Und wir haben zwar geschworen dich mit unserem Leben zu beschützen, aber ich glaube mittlerweile sind wir auch so was wie Freunde geworden, oder?", fragte Sven ihn.
Karl sah die beiden für einen Augenblick nur wortlos an, bevor er langsam nickte. Es stimmte. Ohne dass es ihm bewusst geworden war, waren die beiden zu einem integralen Teil seines Lebens geworden.
"Gut, und Freunde sind wohl füreinander da, oder? Also werden wir dich auch begleiten."
~·~·~·~
"Was willst du?" Peter sah ihn herausfordernd an, aber das war nicht alles. Irgendetwas flackerte in seinem Blick. Es konnte Hass aber auch nur gesunde Vorsicht sein, Karl wusste es nicht, und es kümmerte ihn auch nicht sonderlich.
Martin ging direkt in eine Verteidigungsposition, bereit jeden Augenblick anzugreifen. Karl sah ihn nur kurz von der Seite an. "An deiner Stelle würde ich das nicht machen. Hast du schon vergessen, was beim letzten Mal passiert ist?"
"Ihr wollt kämpfen? Hier?", fragte Peter ungläubig. "Kommst du deswegen mit deinen Lakaien?"
Karl konnte fühlen, wie Sven und Svenja sich neben ihm anspannten. "Sie sind meine Freunde, und nein, wir wollen nicht kämpfen. Nicht wenn es sich vermeiden lässt. Ich hab nur eine Frage."
"Dann frag", sagte Peter ohne sich zu entspannen, legte aber Martin eine Hand auf die Schulter.
"Melanie. Wo ist sie?"
"Wohl zu Hause. Wo sollte sie sonst sein."
"Ich weiß, dass sie nicht zu Hause ist, also wo ist sie?", fragte Karl langsam, betont.
Peters Gesicht verlor Farbe. "Dann weißt du mehr als ich. Ich habe sie weder gesprochen noch gesehen. Aber was interessiert es dich? Du hast doch erst vor ein paar Tagen gesagt, dass sie dir nur auf die Nerven geht, oder?"
"Lass mein Interesse mal meine Sorge sein. Aber du bist doch so dick Freund mit ihrem Vater, hat er dir nichts gesagt?"
"Er hilft mir mit meinen Kräften, aber das war es auch schon. Familiengespräche fallen nicht darunter", sagte Peter bestimmt.
Karl nickte. "Na gut. Dann danke ich dir für deine Zeit", sagte er mit der gleichen übertriebenen Höfflichkeit, die auch Peter an den Tag gelegt hatte. Es war schon faszinierend, was die momentane Situation alles verändert hatte. Noch vor wenigen Wochen hätte Peter noch nicht mal darauf gewartet, dass Karl was initiiert, sondern wäre einfach auf ihn losgegangen.
"Ach ja, noch eine Sache. Du weißt bestimmt wo sie wohnen, oder? Dann frage ich doch direkt vor Ort und Stelle."
Peter zögerte für einen Moment, aber als er Karls Blick sah, sagte er schnell: "Blumenstrasse 45b."
"Danke", sagte Karl mit einem breiten Lächeln und drehte sich dann zu seinen beiden Begleitern um. "Lass uns gehen." Sven, der Martin noch immer scharf beobachtete, und Svenja, die sich auf Peter konzentrierte, nickten und wandten sich dann widerstrebend von den beiden ab.
"Warum hast du mich nicht machen lassen?", hörte Karl Martin, als sie sich entfernten. Er klang wie ein zu groß geratenes Baby.
~·~·~·~
Keine Stunde später standen sie vor dem Haus der Albrechts. Es war ein kleines, gepflegtes Einfamilienhaus, das genau in dieses Viertel reinpasste. In der Garage stand der Wagen, mit dem Herr Albrecht Melanie immer von der Schule abgeholt hatte.
"Na, wenigstens ist jemand zu Hause. Bist du dir auch sicher?", fragte Sven. Er und seine Schwester sahen ihn so an, als zweifelten sie an seinem Verstand, als Karl nickte.
"Das ist Feindesgebiet", warf Svenja noch ein.
Karl sah das weiße Gemäuer an. "Es ist ein Haus", sagte er dann. "Bewohnt von einem unserer Gegner. Aber wir sind zu dritt, und er ist alleine, was soll er machen? Außerdem will ich nichts von ihm, außer einer Antwort."
"Und du denkst die wird er dir einfach geben?"
"Wir werden sehen. Notfalls helfe ich einfach was nach."
"Und das alles für das Modepüppchen. Männer, sie sind so einfach gestrickt", sagte Svenja und verdrehte die Augen. Sven stieß sie mit dem Ellebogen in die Rippen.
"Es hat damit nichts zu tun", sagte Karl, nachdenklich. Nicht viel jedenfalls.
"Und womit dann?"
"Sie hat mich um Hilfe gebeten, und ich habe sie weggeschickt. Jetzt ist sie verschwunden. Brauche ich mehr Grund?", fragte er. Es war natürlich nur eine rhetorische Frage und die anderen sagten auch nichts. "Dann auf in die Höhle des Löwen."
~·~·~·~
Hagen Albrecht hatte leichte Ringe unter seinen Augen, als er die Tür öffnete. Für einen Augenblick schien er sprachlos zu sein, als er die drei ansah.
"Hi", unterbrach Karl die merkwürdige Stille endlich. "Wir haben gehört, dass Melanie krank ist und wollen sie besuchen."
"Du."
"Ich", stimmte Karl im zu. "Es ist doch immer schön, wenn man bei anderen einen so bleibenden Eindruck hinterlässt. Aber auch ich habe sie nicht vergessen, Herr Albrecht. Also, können wir Melanie besuchen?"
"Was soll der Mist?"
"Bitte?", fragte Karl.
"Tu doch nicht so. Wenn einer weiß, wo meine Tochter ist, bist du es wohl."
Karl sah ihn für einen Augenblick ehrlich verwirrt an, fing sich aber dann wieder. "Vielleicht sollten wir das drinnen weiter fortsetzen. Wir wollen doch nicht die Aufmerksamkeit ihrer Nachbarn auf uns ziehen, oder?"
"Es gibt nichts fortzusetzen", fauchte Albrecht ihn an, und versuchte ihnen die Türe vor der Nase zuzuschlagen.
"Ich denke schon. Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Hagen", sagte Karl und drückte die Türe mühelos mit nur minimalem Einsatz seiner Kraft auf. "Sehr freundlich von dir uns hereinzubitten", sagte er, als sie alle in dem kleinen, schwach beleuchteten Korridor standen.
Albrechts Augen funkelten vor Zorn. "Verschwinde hier. Sofort,"
"Oder du willst was tun? Die Polizei rufen? Unseren gemeinsamen Freund? Wir wissen beide, dass er nicht kommt nur weil du ihn rufst. Er kommt nur, wenn es ihm in den Kram passt, sonst nicht. Und wir wissen auch beide, dass du nichts gegen mich ausrichten kannst. Du spielst nicht in meiner Liga. Also, wo ist Melanie?", fragte Karl noch mal und ging langsam auf Albrecht zu.
"Das weißt du doch am besten, oder?"
"Wüsste ich es, wäre ich wohl nicht hier."
"Du lügst!"
Karl schloss für einen Augenblick seine Augen. Als er sie wieder öffnete, schienen sie zu brennen. Albrecht zog deutlich hörbar die Luft ein, als Karl ihn so gegen die Wand presste, dass er keinen Muskel mehr rühren konnte.
"Ich frage dich jetzt noch einmal, und diesmal solltest du mir lieber antworten, sonst ist das hier nur unser Vorspiel. Wo ist Melanie?"
"Ich hab keine Ahnung, du Bastard!" Karl lächelte kalt, als er fühlte, wie der andere Mann versuchte gegen Karls Kraft anzukommen. Es war natürlich vergeblich. Wie er Albrecht vorher gesagt hatte, er hatte keine Chance. Nicht mehr jetzt, wo Karl wieder wusste, wer er war.
"Lass es, Karl. Er weiß es wirklich nicht. Und wenn Melanie hier wäre, hätten wir sie sicherlich schon gesehen. Du bist ja nicht gerade leise", hörte er Svenja, die ihm eine Hand auf die Schulter legte, wie um ihn zu beruhigen. Karl schloss die Augen, konzentrierte sich wieder auf seine Kraft.
Als er sie wieder öffnete, lag Albrecht auf dem Boden, wie eine achtlos weggeworfene Puppe. Er bekrabbelte sich jedoch schnell und kam unsicher wieder auf die Beine.
"Was hast du mit ihr gemacht?", fragte Karl. "Sie wird wohl nicht einfach so verschwunden sein."
Albrecht lachte. "Die Frage sollte eher sein - was hast du ihr getan?"
"Komm, Karl. Es ist hoffnungslos", mischte Sven sich ein, bevor Karl etwas sagen konnte. "Wir finden sie schon."
"Halt dich bloß von meiner Tochter fern!" schrie Albrecht ihnen hinterher, gerade als Karl die Türe öffnete.
"Das sollte wohl die Entscheidung deiner Tochter sein, oder?", sagte Svenja sanft, bevor sie die Türe hinter ihnen schloss.
"Verdammt!" Karl trat wütend gegen die Mülltonne in dem kleinen Vorgarten. "Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Ich hätte ihr glauben sollen!"
"Beruhig dich jetzt erstmal wieder", versuchten ihn die Zwillinge zu beschwichtigen. "Wir finden sie schon. Und wenn wir sie nicht finden, dann die Raben. Sie sind überall."
Karl wusste dass sie Recht hatten, aber das machte die Situation nicht einfacher. Warten lag ihm nicht besonders gut.
-.-.-.-.-.-.-.-
Auch am letzten Schultag gab es kein Lebenszeichen von Melanie. Als er die Gärtner in der Pause fragte, sagte sie nur, dass Melanie krank gemeldet sei. Irgendeine ansteckende Infektion.
"Ganz sicher", sagte Karl und hatte Mühe eine Grimasse zu verbergen. Offensichtlich gelang es ihm nicht ganz, denn die Gärtner sah ihn scharf an.
"Weißt du vielleicht irgendwas?"
Karl schüttelte den Kopf, was ja auch der Wahrheit entsprach. Irgendwie.
"Und was hast du jetzt vor?", fragte Sven ihn als sie den Korridor entlang gingen.
"Viel mehr als abwarten bleibt dir wohl jetzt nicht übrig, oder?"
Die Zwillinge hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie auf der Seite ihres Vaters und Munin standen was Melanie betraf. Nicht das es Karl besonders interessierte. Es hatte sich vielleicht viel verändert, aber sein Dickkopf nicht.
Bertram mochte vielleicht sein ältester Vertrauter sein, aber das hieß nicht, dass sie immer einer Meinung waren, und so sehr er die Raben in den letzten Wochen zu schätzen gelernt hatte, sie würden seine Entscheidungen niemals beeinflussen, jedenfalls nicht ohne triftige Beweise, auch nicht Munin und Hunin. Karl vertraute seinem Bauch, und so unsicher Karl vorher war, sagte ihm dieser jetzt ganz klar und deutlich, dass Melanie ihn brauchte.
"Oh, doch. Wir werden uns jetzt langsam hoch arbeiten", sagte er grimmig, als er Peter und Martin aus dem Fenster heraus am Schultor stehen sah. "Ihr könnt aber gerne hier bleiben. Ich schaff das schon alleine."
"Den Teufel werden wir tun", entgegneten Sven und Svenja wie aus einem Munde.
"Wenn du schon so was Dummes machen willst, kommen wir wenigstens mit."
"Ich hab euch schon mal gesagt, dass die beiden noch keine Gefahr sind, noch nicht mal Peter. Und ich kann auf mich selber aufpassen."
"Das mag ja sein. Und wir haben zwar geschworen dich mit unserem Leben zu beschützen, aber ich glaube mittlerweile sind wir auch so was wie Freunde geworden, oder?", fragte Sven ihn.
Karl sah die beiden für einen Augenblick nur wortlos an, bevor er langsam nickte. Es stimmte. Ohne dass es ihm bewusst geworden war, waren die beiden zu einem integralen Teil seines Lebens geworden.
"Gut, und Freunde sind wohl füreinander da, oder? Also werden wir dich auch begleiten."
~·~·~·~
"Was willst du?" Peter sah ihn herausfordernd an, aber das war nicht alles. Irgendetwas flackerte in seinem Blick. Es konnte Hass aber auch nur gesunde Vorsicht sein, Karl wusste es nicht, und es kümmerte ihn auch nicht sonderlich.
Martin ging direkt in eine Verteidigungsposition, bereit jeden Augenblick anzugreifen. Karl sah ihn nur kurz von der Seite an. "An deiner Stelle würde ich das nicht machen. Hast du schon vergessen, was beim letzten Mal passiert ist?"
"Ihr wollt kämpfen? Hier?", fragte Peter ungläubig. "Kommst du deswegen mit deinen Lakaien?"
Karl konnte fühlen, wie Sven und Svenja sich neben ihm anspannten. "Sie sind meine Freunde, und nein, wir wollen nicht kämpfen. Nicht wenn es sich vermeiden lässt. Ich hab nur eine Frage."
"Dann frag", sagte Peter ohne sich zu entspannen, legte aber Martin eine Hand auf die Schulter.
"Melanie. Wo ist sie?"
"Wohl zu Hause. Wo sollte sie sonst sein."
"Ich weiß, dass sie nicht zu Hause ist, also wo ist sie?", fragte Karl langsam, betont.
Peters Gesicht verlor Farbe. "Dann weißt du mehr als ich. Ich habe sie weder gesprochen noch gesehen. Aber was interessiert es dich? Du hast doch erst vor ein paar Tagen gesagt, dass sie dir nur auf die Nerven geht, oder?"
"Lass mein Interesse mal meine Sorge sein. Aber du bist doch so dick Freund mit ihrem Vater, hat er dir nichts gesagt?"
"Er hilft mir mit meinen Kräften, aber das war es auch schon. Familiengespräche fallen nicht darunter", sagte Peter bestimmt.
Karl nickte. "Na gut. Dann danke ich dir für deine Zeit", sagte er mit der gleichen übertriebenen Höfflichkeit, die auch Peter an den Tag gelegt hatte. Es war schon faszinierend, was die momentane Situation alles verändert hatte. Noch vor wenigen Wochen hätte Peter noch nicht mal darauf gewartet, dass Karl was initiiert, sondern wäre einfach auf ihn losgegangen.
"Ach ja, noch eine Sache. Du weißt bestimmt wo sie wohnen, oder? Dann frage ich doch direkt vor Ort und Stelle."
Peter zögerte für einen Moment, aber als er Karls Blick sah, sagte er schnell: "Blumenstrasse 45b."
"Danke", sagte Karl mit einem breiten Lächeln und drehte sich dann zu seinen beiden Begleitern um. "Lass uns gehen." Sven, der Martin noch immer scharf beobachtete, und Svenja, die sich auf Peter konzentrierte, nickten und wandten sich dann widerstrebend von den beiden ab.
"Warum hast du mich nicht machen lassen?", hörte Karl Martin, als sie sich entfernten. Er klang wie ein zu groß geratenes Baby.
~·~·~·~
Keine Stunde später standen sie vor dem Haus der Albrechts. Es war ein kleines, gepflegtes Einfamilienhaus, das genau in dieses Viertel reinpasste. In der Garage stand der Wagen, mit dem Herr Albrecht Melanie immer von der Schule abgeholt hatte.
"Na, wenigstens ist jemand zu Hause. Bist du dir auch sicher?", fragte Sven. Er und seine Schwester sahen ihn so an, als zweifelten sie an seinem Verstand, als Karl nickte.
"Das ist Feindesgebiet", warf Svenja noch ein.
Karl sah das weiße Gemäuer an. "Es ist ein Haus", sagte er dann. "Bewohnt von einem unserer Gegner. Aber wir sind zu dritt, und er ist alleine, was soll er machen? Außerdem will ich nichts von ihm, außer einer Antwort."
"Und du denkst die wird er dir einfach geben?"
"Wir werden sehen. Notfalls helfe ich einfach was nach."
"Und das alles für das Modepüppchen. Männer, sie sind so einfach gestrickt", sagte Svenja und verdrehte die Augen. Sven stieß sie mit dem Ellebogen in die Rippen.
"Es hat damit nichts zu tun", sagte Karl, nachdenklich. Nicht viel jedenfalls.
"Und womit dann?"
"Sie hat mich um Hilfe gebeten, und ich habe sie weggeschickt. Jetzt ist sie verschwunden. Brauche ich mehr Grund?", fragte er. Es war natürlich nur eine rhetorische Frage und die anderen sagten auch nichts. "Dann auf in die Höhle des Löwen."
~·~·~·~
Hagen Albrecht hatte leichte Ringe unter seinen Augen, als er die Tür öffnete. Für einen Augenblick schien er sprachlos zu sein, als er die drei ansah.
"Hi", unterbrach Karl die merkwürdige Stille endlich. "Wir haben gehört, dass Melanie krank ist und wollen sie besuchen."
"Du."
"Ich", stimmte Karl im zu. "Es ist doch immer schön, wenn man bei anderen einen so bleibenden Eindruck hinterlässt. Aber auch ich habe sie nicht vergessen, Herr Albrecht. Also, können wir Melanie besuchen?"
"Was soll der Mist?"
"Bitte?", fragte Karl.
"Tu doch nicht so. Wenn einer weiß, wo meine Tochter ist, bist du es wohl."
Karl sah ihn für einen Augenblick ehrlich verwirrt an, fing sich aber dann wieder. "Vielleicht sollten wir das drinnen weiter fortsetzen. Wir wollen doch nicht die Aufmerksamkeit ihrer Nachbarn auf uns ziehen, oder?"
"Es gibt nichts fortzusetzen", fauchte Albrecht ihn an, und versuchte ihnen die Türe vor der Nase zuzuschlagen.
"Ich denke schon. Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Hagen", sagte Karl und drückte die Türe mühelos mit nur minimalem Einsatz seiner Kraft auf. "Sehr freundlich von dir uns hereinzubitten", sagte er, als sie alle in dem kleinen, schwach beleuchteten Korridor standen.
Albrechts Augen funkelten vor Zorn. "Verschwinde hier. Sofort,"
"Oder du willst was tun? Die Polizei rufen? Unseren gemeinsamen Freund? Wir wissen beide, dass er nicht kommt nur weil du ihn rufst. Er kommt nur, wenn es ihm in den Kram passt, sonst nicht. Und wir wissen auch beide, dass du nichts gegen mich ausrichten kannst. Du spielst nicht in meiner Liga. Also, wo ist Melanie?", fragte Karl noch mal und ging langsam auf Albrecht zu.
"Das weißt du doch am besten, oder?"
"Wüsste ich es, wäre ich wohl nicht hier."
"Du lügst!"
Karl schloss für einen Augenblick seine Augen. Als er sie wieder öffnete, schienen sie zu brennen. Albrecht zog deutlich hörbar die Luft ein, als Karl ihn so gegen die Wand presste, dass er keinen Muskel mehr rühren konnte.
"Ich frage dich jetzt noch einmal, und diesmal solltest du mir lieber antworten, sonst ist das hier nur unser Vorspiel. Wo ist Melanie?"
"Ich hab keine Ahnung, du Bastard!" Karl lächelte kalt, als er fühlte, wie der andere Mann versuchte gegen Karls Kraft anzukommen. Es war natürlich vergeblich. Wie er Albrecht vorher gesagt hatte, er hatte keine Chance. Nicht mehr jetzt, wo Karl wieder wusste, wer er war.
"Lass es, Karl. Er weiß es wirklich nicht. Und wenn Melanie hier wäre, hätten wir sie sicherlich schon gesehen. Du bist ja nicht gerade leise", hörte er Svenja, die ihm eine Hand auf die Schulter legte, wie um ihn zu beruhigen. Karl schloss die Augen, konzentrierte sich wieder auf seine Kraft.
Als er sie wieder öffnete, lag Albrecht auf dem Boden, wie eine achtlos weggeworfene Puppe. Er bekrabbelte sich jedoch schnell und kam unsicher wieder auf die Beine.
"Was hast du mit ihr gemacht?", fragte Karl. "Sie wird wohl nicht einfach so verschwunden sein."
Albrecht lachte. "Die Frage sollte eher sein - was hast du ihr getan?"
"Komm, Karl. Es ist hoffnungslos", mischte Sven sich ein, bevor Karl etwas sagen konnte. "Wir finden sie schon."
"Halt dich bloß von meiner Tochter fern!" schrie Albrecht ihnen hinterher, gerade als Karl die Türe öffnete.
"Das sollte wohl die Entscheidung deiner Tochter sein, oder?", sagte Svenja sanft, bevor sie die Türe hinter ihnen schloss.
"Verdammt!" Karl trat wütend gegen die Mülltonne in dem kleinen Vorgarten. "Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Ich hätte ihr glauben sollen!"
"Beruhig dich jetzt erstmal wieder", versuchten ihn die Zwillinge zu beschwichtigen. "Wir finden sie schon. Und wenn wir sie nicht finden, dann die Raben. Sie sind überall."
Karl wusste dass sie Recht hatten, aber das machte die Situation nicht einfacher. Warten lag ihm nicht besonders gut.
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