Tag 4:
Karl hatte sich durch Beethovens Studienzeit gearbeitet und wollte sich gerade den Anfängen seiner Pianistenkarriere widmen, als er von einem Geräusch vom Fenster abgelenkt wurde - kratzen und ein Krächzen, was ganz bestimmt nichts Gutes heißen konnte. Für einen Moment blieb Karl noch vor seinem Computer sitzen, die Augen starr auf dem Monitor gerichtet.
Bittebittenicht.
Alle seine Stossgebete waren jedoch umsonst, denn als er sich umdrehte, sah er den beinahe schon bekannten Schatten eines Raben. Nicht nur eines, sondern seines Raben. Er hatte keine Ahnung woher er das wusste, aber es war ihm klar, sobald er ihn sah.
"Hau ab", sagte er.
Entweder hörte der Rabe ihn nicht, oder er ignorierte ihn (Karl war sich ziemlich sicher, dass es letzteres war), denn er kratzte und krächzte munter weiter. Wenn überhaupt, dann wurde er nur noch lauter und eindringlicher.
"Alles in Ordnung, Schatz?"
Karl verdrehte die Augen. Genau das, was er jetzt noch brauchte. "Ja." Hoffentlich würde das reichen. Trotzdem stand er auf und ging zum Fenster. Er wollte nicht auch noch das Risiko eingehen, das hier seiner Mutter erklären zu müssen.
Sobald er das Fenster geöffnet hatte, drängte sich der Rabe rein. "Hey! Verschwinde. Du hast hier nichts zu suchen!"
"Glaub mir, das habe ich sehr wohl. Tatsächlich bist du meine erste Priorität", erklärte der Vogel ihm bestimmt, während er sich auf Karls Monitor niederließ. "Und somit muss ich dir sagen, dass du vor ernsthaften Problemen stehst."
Karl sah den Raben für einen Moment sprachlos an. "Ich drehe durch, nicht?", fragte er dann, obwohl er gar nicht mal so sicher war an wen die Frage gerichtet war, denn mit Vögeln redete man gewöhnlich nicht. Zumindest antworteten sie nicht und man führte schon gar nicht lange Konversationen mit ihnen. "Natürlich. Ich rede mit Vögeln, sehe Dinge, die gar nicht da sind, denke über merkwürdige Sachen nach, und das alles ohne ersichtlichen Grund."
Der Rabe schüttelte seinen Kopf. "Nein, nicht ohne Grund. Und du wirst auch nicht wahnsinnig. Noch nicht, aber es könnte passieren, wenn du dagegen ankämpfst. Lass es einfach geschehen."
"Wovon redest du?" Karl sah den Raben verständnislos an.
"Das steht nicht in meiner Macht dir zu sagen. Aber du wirst es bald erkennen. Aber deswegen bin ich auch nicht hier", sagte der Rabe, gerade als unten ein Wagen auf den Hof fuhr und dort parkte.
Die Luft schien auf einmal viel dichter als vorher. Der Rabe flog vom Monitor zum Fenster und krächzte in einer Art vor sich hin, die sehr nach fluchen klang. "Wir haben keine Zeit mehr. Du wurdest gefunden."
"Von wem?"
Der Vogel schüttelte seinen Kopf. "Ich weiß es nicht genau, aber was immer passiert, zeig keine Angst. Sei einfach so wie immer. Bisher vermuten sie nur, wer du bist. So sollte es auch bleiben, zumindest bist du die Wahrheit erkennst."
"Und wer soll ich sein?"
"Das kann ich dir nicht sagen. Meine Aufgabe ist es nur ein Auge auf dich zu haben." Der Rabe flatterte nervös mit den Flügeln.
"Langsam habe ich die Nase ganz gewaltig voll. Entweder du--"
"Schatz, du hast Besuch", hörte er auf einmal die Stimme seiner Mutter -- viel zu dicht an seiner Türe.
"Verdammt", fluchte er leise. "Verschwinde." Aber bevor der Rabe irgendetwas machte, ging die Türe auch schon auf, und seine Mutter stand im Rahmen.
Nicht nur sie, sondern hinter ihr war Melanie, sowie noch jemand anders. Ihr Vater, erkannte Karl, als die versammelte Mannschaft in sein Zimmer trat. Karl hasste diese Einbrüche in seine Privatsphäre. "Hattest du den Fernseher an?", fragte seine Mutter. "Ich hab Stimmen gehört."
"Voice-Chat", sagte Karl geistesgegenwärtig und zeigte auf den Computer - auf dem noch immer der Rabe saß. Verdammt! Das würde die Sache wohl nicht einfacher machen. Seine Mutter hatte eine chronische Abneigung gegen alles gefiederte. Tatsächlich mochte sie auch keine Wölfe und keine Füchse. Bären standen bei ihr ebenfalls nicht sehr hoch auf der Liste. Karl hatte nie verstanden warum und sie hatte es ihm nie erklärt.
"Oh, du hast einen Raben als Haustier?", hörte er Melanie, die sich kurzerhand an ihrem Vater und seiner Mutter vorbei drängte und ins Zimmer trat.
"Karl!" hörte er seine Mutter, vorwurfsvoll, als sie Melanie ins Zimmer folgte. "Du weißt doch, dass ich--"
"Nicht wirklich. Er ist gerade erst hier rein geflogen."
"Sie müssen entschuldigen, Herr...?"
"Albert. Hagen Albert. Und es macht nichts. Wenn überhaupt, dann müssen wir uns entschuldigen. Immerhin sind wir hier einfach ohne Voranmeldung eingedrungen", erklärte er.
Die Luft schien noch dichter zu werden, als er Karls Mutter anlächelte. Das Atmen fiel Karl fast so schwer, wie damals in der Sauna. Es war kein angenehmes Gefühl, und er konnte es sich auch nicht erklären.
"So, du magst also Vögel? Kann ich gut verstehen. Als ich klein war, hat mich mein Vater immer mit auf die Jagd genommen. Wir haben noch so einige Trophäen zu Hause, auch Raben. Vielleicht kommst du uns mal besuchen, dann kann ich sie dir zeigen. Allerdings ist kein Exemplar so schön, wie dieses hier", sagte er, und ging auf den Vogel zu.
Der Rabe reagierte sofort. Er richtete sich zur vollen Größe auf und breitete seine Flügel aus. Es kam Karl so vor, als wäre er gerade noch gewachsen. So imposant hatte er ihn noch nicht gesehen. Ein Teil von ihm lächelte, auch wenn Karl nicht wusste wieso.
Und dann schien die Hölle loszubrechen. Im nächsten Augenblick flog der Rabe auf Hagen Albert zu und hackte nach ihm. Zur gleichen Zeit, schien sich Karls Zimmer um ihn herum aufzulösen. Die Wände wurden von Bäumen ersetzt, bis er sich auf einer Lichtung wieder fand, die von einem dichten Wald umgeben war.
Nicht nur er, sondern seine Mutter, Melanie und ihr Vater ebenfalls. Allerdings hatte Herr Albert hatte auf einmal ein Schwert in der Hand, dass er hoch über seinen Kopf schwang, während Melanie unbeteiligt von der Seitenlinie aus zusah, einen kleinen Fuchs an ihrer Seite. Seine Mutter war von einem Feuerkreis umgeben der sie von dem Rest abzuschotten schien. Zum Schutz, wie Karl erkannte, auch wenn er nicht wusste, woher das Wissen kam.
Der Boden der Lichtung selber schimmerte in einem seltsamen gelb-rot, und Karl brauchte einen Moment um zu erkennen, dass es nur teilweise von der untergehenden Sonne kam, und noch viel mehr von Blut, das den Boden tränkte und das vom Licht des Mondes, so wie der Sonne zugleich angestrahlt wurde.
"Langsam solltest du wissen, dass du die Zukunft nicht ändern kannst. Alles was du tust, ist nicht mehr als ein Aufschub. Die Zeit für den Wechsel ist da. Je schneller du das erkennst und akzeptierst, desto länger werden wir alle glücklich vor uns hin leben können. Solltest du dich dagegen auflehnen, wird dein Blut als nächstes den Boden tränken. Du bist zwar noch etwas jung, aber das alte Blut wird den Durst des Schlachtfeldes schon löschen", erklärte Herr Albert mit einem triumphierenden Lächeln.
Für einen Moment sah Karl ihn verwirrt an, aber dann passte auf einmal alles zusammen. Jedes Puzzelteil fügte sich zum Rest des Bildes, bis er jede Kleinigkeit genau erkannte, und es keine offenen Fragen mehr gab. Der Schleier der Unwissenheit hatte sich gehoben. Er wusste wer er war, was er war, und warum er war. Er wusste welche Rolle jeder von ihnen spielte und was wann passieren würde. Er kannte jedes noch so kleine Geheimnis des Universums.
Er war. In jeder Beziehung und Definition.
Langsam verzogen sich seine Gesichtszüge zu einem Lächeln, dass Alberts eigenes für einen Moment gefrieren ließ. "Und was wenn ich es nicht akzeptiere? Wenn ich entscheiden sollte, dass mir die Welt genauso gefällt wie sie ist? Immerhin ist es mein Erbe, und nicht deins."
Alberts Gesichtszüge verwandelten sich zu einer hässlichen Grimasse. "Dann wirst du nicht viel von deinem Erbe haben", sagte er, seine Stimme emotionslos. Und auf einmal spürte Karl das harte Metall des Schwertes gegen seinen Hals.
Er verspürte keine Panik, was vielleicht das ungewöhnlichste an der Situation war. Stattdessen schloss er die Augen und konzentrierte sich. In Gedanken durchlief er alle Stadien der Lehren, die er niemals hatte, ließ das Wissen über sich fließen, bevor er seine Energie in seiner Hand sammelte. Er umschloss die scharfe Schneide des Schwertes, bis er fühlte, wie sie sich in sein Fleisch bohrte und sein Blut sich mit dem kalten Metal vermischte, es wärmte.
Die Worte folgten automatisch, beinahe so, als wenn er sie schon tausende von malen gesprochen hatte. Er wiederholte sie bis das Metal in seiner Hand langsam nachgab, es weich und biegsam wurde, wie der blutgetränkte Erdboden unter ihnen.
Als er seine Augen wieder öffnete, sah Albert ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Wissen an, als wenn Karl ihm gerade das größte Geheimnis der Welt verraten hätte.
"Melanie hatte also Recht. Du bist derjenige", sagte er, als der Wald sich um sie herum auflöste, und schemenhafte Wände ihren Platz einnahmen.
Das stimmt, aber du wirst dich nicht erinnern. Keiner wird es. Es ist noch zu früh.
Die Stimme kam von irgendwo und war überall und nirgends zu gleich, beinahe wie der Wind, der durch das Fenster hineinwehte.
Karl fühlte wie im schwindelig wurde, und er schloss die Augen. Er öffnete sie erst wieder, als er seinen Namen hörte. "Karl, Karl. Alles in Ordnung? Geht es dir gut?"
Langsam wurde die Welt wieder klar und der dunkle Schleier verschwand von seinen Sinnen. Er blinzelte gegen das Licht und stöhnte, als er versuchte sich aufzusetzen. Jeder Muskel in seinem Körper schrie vor Schmerz und seine Muskeln schienen mit Blei gefüllt zu sein.
Als er endlich richtig saß, erkannte er, dass er sich auf seinem Bett befand. Seine Mutter legte ihm besorgt eine Hand auf die Stirn. "Du hast Fieber", erklärte sie dann. "Ich wusste, dass es noch zu früh war dich wieder in die Schule zu schicken nach deiner Grippe."
Karl schüttelte den Kopf. "Mir geht es gut", erklärte er und stand zum Beweiß auf.
Melanie und ihr Vater beobachteten sie von der Türe aus. Melanie sah neugierig aus, während ihr Vater ihn genauso blass und verwirrt ansah, wie Karl sich fühlte. "Wir sollten gehen", sagte Herr Albert dann, aber er klang bei weitem nicht mehr so selbstsicher, wie zuvor. "Beim nächsten Mal rufen wir vorher besser an", sagte er dann mit einem kleinen Kopfschütteln, als würde das seine Gedanken klären.
"Aber Papa!"
"Kein aber. Deine Mutter macht sich sicherlich schon Sorgen. Ihr seht euch ja morgen in der Schule."
"Ich bring sie noch zur Türe", sagte Karls Mutter.
Melanie nickte widerstrebend. "Wir sehen uns dann morgen", sagte sie zu Karl und folgte ihrem Vater.
Karl setzte sich wieder auf sein Bett und schloss für einen Augenblick erleichtert die Augen, als er endlich alleine war. Er war zu müde um auch nur darüber nachzudenken, was passiert sein könnte, oder wohin der Rabe verschwunden war.
-.-.-.-.-.-.-.-
Karl hatte sich durch Beethovens Studienzeit gearbeitet und wollte sich gerade den Anfängen seiner Pianistenkarriere widmen, als er von einem Geräusch vom Fenster abgelenkt wurde - kratzen und ein Krächzen, was ganz bestimmt nichts Gutes heißen konnte. Für einen Moment blieb Karl noch vor seinem Computer sitzen, die Augen starr auf dem Monitor gerichtet.
Bittebittenicht.
Alle seine Stossgebete waren jedoch umsonst, denn als er sich umdrehte, sah er den beinahe schon bekannten Schatten eines Raben. Nicht nur eines, sondern seines Raben. Er hatte keine Ahnung woher er das wusste, aber es war ihm klar, sobald er ihn sah.
"Hau ab", sagte er.
Entweder hörte der Rabe ihn nicht, oder er ignorierte ihn (Karl war sich ziemlich sicher, dass es letzteres war), denn er kratzte und krächzte munter weiter. Wenn überhaupt, dann wurde er nur noch lauter und eindringlicher.
"Alles in Ordnung, Schatz?"
Karl verdrehte die Augen. Genau das, was er jetzt noch brauchte. "Ja." Hoffentlich würde das reichen. Trotzdem stand er auf und ging zum Fenster. Er wollte nicht auch noch das Risiko eingehen, das hier seiner Mutter erklären zu müssen.
Sobald er das Fenster geöffnet hatte, drängte sich der Rabe rein. "Hey! Verschwinde. Du hast hier nichts zu suchen!"
"Glaub mir, das habe ich sehr wohl. Tatsächlich bist du meine erste Priorität", erklärte der Vogel ihm bestimmt, während er sich auf Karls Monitor niederließ. "Und somit muss ich dir sagen, dass du vor ernsthaften Problemen stehst."
Karl sah den Raben für einen Moment sprachlos an. "Ich drehe durch, nicht?", fragte er dann, obwohl er gar nicht mal so sicher war an wen die Frage gerichtet war, denn mit Vögeln redete man gewöhnlich nicht. Zumindest antworteten sie nicht und man führte schon gar nicht lange Konversationen mit ihnen. "Natürlich. Ich rede mit Vögeln, sehe Dinge, die gar nicht da sind, denke über merkwürdige Sachen nach, und das alles ohne ersichtlichen Grund."
Der Rabe schüttelte seinen Kopf. "Nein, nicht ohne Grund. Und du wirst auch nicht wahnsinnig. Noch nicht, aber es könnte passieren, wenn du dagegen ankämpfst. Lass es einfach geschehen."
"Wovon redest du?" Karl sah den Raben verständnislos an.
"Das steht nicht in meiner Macht dir zu sagen. Aber du wirst es bald erkennen. Aber deswegen bin ich auch nicht hier", sagte der Rabe, gerade als unten ein Wagen auf den Hof fuhr und dort parkte.
Die Luft schien auf einmal viel dichter als vorher. Der Rabe flog vom Monitor zum Fenster und krächzte in einer Art vor sich hin, die sehr nach fluchen klang. "Wir haben keine Zeit mehr. Du wurdest gefunden."
"Von wem?"
Der Vogel schüttelte seinen Kopf. "Ich weiß es nicht genau, aber was immer passiert, zeig keine Angst. Sei einfach so wie immer. Bisher vermuten sie nur, wer du bist. So sollte es auch bleiben, zumindest bist du die Wahrheit erkennst."
"Und wer soll ich sein?"
"Das kann ich dir nicht sagen. Meine Aufgabe ist es nur ein Auge auf dich zu haben." Der Rabe flatterte nervös mit den Flügeln.
"Langsam habe ich die Nase ganz gewaltig voll. Entweder du--"
"Schatz, du hast Besuch", hörte er auf einmal die Stimme seiner Mutter -- viel zu dicht an seiner Türe.
"Verdammt", fluchte er leise. "Verschwinde." Aber bevor der Rabe irgendetwas machte, ging die Türe auch schon auf, und seine Mutter stand im Rahmen.
Nicht nur sie, sondern hinter ihr war Melanie, sowie noch jemand anders. Ihr Vater, erkannte Karl, als die versammelte Mannschaft in sein Zimmer trat. Karl hasste diese Einbrüche in seine Privatsphäre. "Hattest du den Fernseher an?", fragte seine Mutter. "Ich hab Stimmen gehört."
"Voice-Chat", sagte Karl geistesgegenwärtig und zeigte auf den Computer - auf dem noch immer der Rabe saß. Verdammt! Das würde die Sache wohl nicht einfacher machen. Seine Mutter hatte eine chronische Abneigung gegen alles gefiederte. Tatsächlich mochte sie auch keine Wölfe und keine Füchse. Bären standen bei ihr ebenfalls nicht sehr hoch auf der Liste. Karl hatte nie verstanden warum und sie hatte es ihm nie erklärt.
"Oh, du hast einen Raben als Haustier?", hörte er Melanie, die sich kurzerhand an ihrem Vater und seiner Mutter vorbei drängte und ins Zimmer trat.
"Karl!" hörte er seine Mutter, vorwurfsvoll, als sie Melanie ins Zimmer folgte. "Du weißt doch, dass ich--"
"Nicht wirklich. Er ist gerade erst hier rein geflogen."
"Sie müssen entschuldigen, Herr...?"
"Albert. Hagen Albert. Und es macht nichts. Wenn überhaupt, dann müssen wir uns entschuldigen. Immerhin sind wir hier einfach ohne Voranmeldung eingedrungen", erklärte er.
Die Luft schien noch dichter zu werden, als er Karls Mutter anlächelte. Das Atmen fiel Karl fast so schwer, wie damals in der Sauna. Es war kein angenehmes Gefühl, und er konnte es sich auch nicht erklären.
"So, du magst also Vögel? Kann ich gut verstehen. Als ich klein war, hat mich mein Vater immer mit auf die Jagd genommen. Wir haben noch so einige Trophäen zu Hause, auch Raben. Vielleicht kommst du uns mal besuchen, dann kann ich sie dir zeigen. Allerdings ist kein Exemplar so schön, wie dieses hier", sagte er, und ging auf den Vogel zu.
Der Rabe reagierte sofort. Er richtete sich zur vollen Größe auf und breitete seine Flügel aus. Es kam Karl so vor, als wäre er gerade noch gewachsen. So imposant hatte er ihn noch nicht gesehen. Ein Teil von ihm lächelte, auch wenn Karl nicht wusste wieso.
Und dann schien die Hölle loszubrechen. Im nächsten Augenblick flog der Rabe auf Hagen Albert zu und hackte nach ihm. Zur gleichen Zeit, schien sich Karls Zimmer um ihn herum aufzulösen. Die Wände wurden von Bäumen ersetzt, bis er sich auf einer Lichtung wieder fand, die von einem dichten Wald umgeben war.
Nicht nur er, sondern seine Mutter, Melanie und ihr Vater ebenfalls. Allerdings hatte Herr Albert hatte auf einmal ein Schwert in der Hand, dass er hoch über seinen Kopf schwang, während Melanie unbeteiligt von der Seitenlinie aus zusah, einen kleinen Fuchs an ihrer Seite. Seine Mutter war von einem Feuerkreis umgeben der sie von dem Rest abzuschotten schien. Zum Schutz, wie Karl erkannte, auch wenn er nicht wusste, woher das Wissen kam.
Der Boden der Lichtung selber schimmerte in einem seltsamen gelb-rot, und Karl brauchte einen Moment um zu erkennen, dass es nur teilweise von der untergehenden Sonne kam, und noch viel mehr von Blut, das den Boden tränkte und das vom Licht des Mondes, so wie der Sonne zugleich angestrahlt wurde.
"Langsam solltest du wissen, dass du die Zukunft nicht ändern kannst. Alles was du tust, ist nicht mehr als ein Aufschub. Die Zeit für den Wechsel ist da. Je schneller du das erkennst und akzeptierst, desto länger werden wir alle glücklich vor uns hin leben können. Solltest du dich dagegen auflehnen, wird dein Blut als nächstes den Boden tränken. Du bist zwar noch etwas jung, aber das alte Blut wird den Durst des Schlachtfeldes schon löschen", erklärte Herr Albert mit einem triumphierenden Lächeln.
Für einen Moment sah Karl ihn verwirrt an, aber dann passte auf einmal alles zusammen. Jedes Puzzelteil fügte sich zum Rest des Bildes, bis er jede Kleinigkeit genau erkannte, und es keine offenen Fragen mehr gab. Der Schleier der Unwissenheit hatte sich gehoben. Er wusste wer er war, was er war, und warum er war. Er wusste welche Rolle jeder von ihnen spielte und was wann passieren würde. Er kannte jedes noch so kleine Geheimnis des Universums.
Er war. In jeder Beziehung und Definition.
Langsam verzogen sich seine Gesichtszüge zu einem Lächeln, dass Alberts eigenes für einen Moment gefrieren ließ. "Und was wenn ich es nicht akzeptiere? Wenn ich entscheiden sollte, dass mir die Welt genauso gefällt wie sie ist? Immerhin ist es mein Erbe, und nicht deins."
Alberts Gesichtszüge verwandelten sich zu einer hässlichen Grimasse. "Dann wirst du nicht viel von deinem Erbe haben", sagte er, seine Stimme emotionslos. Und auf einmal spürte Karl das harte Metall des Schwertes gegen seinen Hals.
Er verspürte keine Panik, was vielleicht das ungewöhnlichste an der Situation war. Stattdessen schloss er die Augen und konzentrierte sich. In Gedanken durchlief er alle Stadien der Lehren, die er niemals hatte, ließ das Wissen über sich fließen, bevor er seine Energie in seiner Hand sammelte. Er umschloss die scharfe Schneide des Schwertes, bis er fühlte, wie sie sich in sein Fleisch bohrte und sein Blut sich mit dem kalten Metal vermischte, es wärmte.
Die Worte folgten automatisch, beinahe so, als wenn er sie schon tausende von malen gesprochen hatte. Er wiederholte sie bis das Metal in seiner Hand langsam nachgab, es weich und biegsam wurde, wie der blutgetränkte Erdboden unter ihnen.
Als er seine Augen wieder öffnete, sah Albert ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Wissen an, als wenn Karl ihm gerade das größte Geheimnis der Welt verraten hätte.
"Melanie hatte also Recht. Du bist derjenige", sagte er, als der Wald sich um sie herum auflöste, und schemenhafte Wände ihren Platz einnahmen.
Das stimmt, aber du wirst dich nicht erinnern. Keiner wird es. Es ist noch zu früh.
Die Stimme kam von irgendwo und war überall und nirgends zu gleich, beinahe wie der Wind, der durch das Fenster hineinwehte.
Karl fühlte wie im schwindelig wurde, und er schloss die Augen. Er öffnete sie erst wieder, als er seinen Namen hörte. "Karl, Karl. Alles in Ordnung? Geht es dir gut?"
Langsam wurde die Welt wieder klar und der dunkle Schleier verschwand von seinen Sinnen. Er blinzelte gegen das Licht und stöhnte, als er versuchte sich aufzusetzen. Jeder Muskel in seinem Körper schrie vor Schmerz und seine Muskeln schienen mit Blei gefüllt zu sein.
Als er endlich richtig saß, erkannte er, dass er sich auf seinem Bett befand. Seine Mutter legte ihm besorgt eine Hand auf die Stirn. "Du hast Fieber", erklärte sie dann. "Ich wusste, dass es noch zu früh war dich wieder in die Schule zu schicken nach deiner Grippe."
Karl schüttelte den Kopf. "Mir geht es gut", erklärte er und stand zum Beweiß auf.
Melanie und ihr Vater beobachteten sie von der Türe aus. Melanie sah neugierig aus, während ihr Vater ihn genauso blass und verwirrt ansah, wie Karl sich fühlte. "Wir sollten gehen", sagte Herr Albert dann, aber er klang bei weitem nicht mehr so selbstsicher, wie zuvor. "Beim nächsten Mal rufen wir vorher besser an", sagte er dann mit einem kleinen Kopfschütteln, als würde das seine Gedanken klären.
"Aber Papa!"
"Kein aber. Deine Mutter macht sich sicherlich schon Sorgen. Ihr seht euch ja morgen in der Schule."
"Ich bring sie noch zur Türe", sagte Karls Mutter.
Melanie nickte widerstrebend. "Wir sehen uns dann morgen", sagte sie zu Karl und folgte ihrem Vater.
Karl setzte sich wieder auf sein Bett und schloss für einen Augenblick erleichtert die Augen, als er endlich alleine war. Er war zu müde um auch nur darüber nachzudenken, was passiert sein könnte, oder wohin der Rabe verschwunden war.
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