Tag 6:
Da bei seiner Mutter weder vorgetäuschte Schwäche noch sein berühmter Hundeblick wirkten (obwohl sie dem ansonsten nie widerstehen konnte, verdammt!), fand Karl sich am nächsten morgen auf dem Weg zur Schule.
Allerdings schaffte er es mit genug Willenskraft und viel Trödelei erst wenige Minuten nach dem Klingeln einzutreffen, und betrat den Klassenraum erst zeitgleich mit der Gärtner, ihrer Klassenlehrerin.
Es war nicht so, dass er wirklich Angst vor Peter hatte, aber Karl war nicht in der Stimmung für irgendwelche Provokationen, noch weniger einer Konfrontation, ganz sicher nicht außerhalb der Schule. Peter war gestern angepisst genug gewesen, dass Karl es lieber auf nichts ankommen lassen wollte.
Und die Situation war ihm immer noch peinlich genug, selbst wenn kein anderer mehr daran denken würde. Aber soviel Glück hatte Karl natürlich nicht. Als er sich möglichst unbemerkt an der Fensterseite vorbeischlängelte um zu seinem Platz zu gelangen, hörte er ein "Da ist ja unser Götterjunge". Obwohl die Worte nur geflüstert waren, donnerten sie in Karls Ohren, und er fühlte, wie er rot wurde. Das war fast noch peinlicher, als das, was passiert war.
Aber auch nur fast.
"Wagners persönlicher Ausleger", erreichte ihn, als er die ersten Tische passiert hatte, gefolgt von einem "Der große Götterkenner", durchsetzt von "Da ist der Freak ja", als er endlich seinen Platz in der mittleren Reihe erreicht hatte und sich erleichtert auf seinen Stuhl fallen ließ.
Er gab vor nichts zu hören und verschwand erstmal unter den Tisch, halb in seinem Rucksack, bevor er sich unauffällig (so hoffte er zumindest) hinter einem Stapel Bücher versteckte, den er strategisch auf seinem Tisch platzierte.
"Hey." Melanie. Das war einer der weiteren Pluspunkte gewesen heute zu spät zu kommen. Als er endlich die Schule erreicht hatte, waren alle schon weg gewesen -- einschließlich ihr. Karl war es mehr als recht gewesen. Er war in keiner Stimmung sich wieder mit ihr auseinander zu setzen. Ihr plötzliches Interesse in ihm waren Karl einfach nicht geheurer. Und ihr Vater war es auch nicht.
So war es schon gut gewesen. Vielleicht sollte er diese Routine morgens beibehalten.
Er nickte ihr zu und schaffte sogar so etwas wie ein Halblächeln.
"Ich hab auf dich gewartet", flüsterte sie ihm zu.
"Hab verschlafen."
Karl bezweifelte, dass sie ihm glaubte. Es machte auch keinen Unterschied. Sie grinste. "Du bist ganz schön mutig. Ich glaub ich wäre nach dem Theater gestern heute gar nicht gekommen."
"Eher einfach nur wahnsinnig", sagte er und fügte in Gedanken hinzu, gepaart mit einer hartherzigen Mutter, aber er spürte eine gewisse Selbstzufriedenheit in sich, als Melanie ihn anlächelte.
"Seid ihr zwei dahinten endlich fertig?" donnerte die Gärtner durch den Raum. Für so eine kleine Person hatte sie ein erstaunliches Organ. Es gab in der Schule sogar ein Gerücht, dass ein Schüler sie vor ein paar Jahren mal angezeigt hatte, weil er wegen ihrem Geschrei taub geworden war. Karl hielt es nicht für ausgeschlossen.
Melanie und er nickten synchron.
"Gut, dann können wir ja fortfahren."
Glücklicherweise regnete es während der großen Pause, so dass sie nicht raus mussten. Karl vergrub sich in dem Kunstraum, nicht nur weil er so weit weg von Peter und seinen Freunden wie nur irgend möglich war, sondern auch, weil er es völlig verschwitzt hatte sein Bild zu machen.
'Malt wonach immer euch ist. Lasst eurer Fantasie freien Lauf'... so eine blöde Idee!
Karl war verführt in Richtung moderne Kunst zu gehen und einfach einen Eimer Farbe auf sein Blatt zu schütten. Rot vielleicht. Dann konnte er es Rot-Auf-Weißem-Papier nennen. Allerdings wäre Ullich davon wohl wenig begeistert. Er war wohl der einzige junge Kunstlehrer weit und breit, der die alten Schinken bevorzugte.
Da Karl und er eh schon auf ständigem Kriegsfuss standen, wegen Karls mangelndem Talent, war es leider nicht wirklich eine Lösung. Letztendlich nahm Karl einfach seine Stifte raus und malte drauf los. Was immer das Ergebnis war, er bezweifelte, dass es seine Kunstnote noch retten könnte. Ullich hatte schon vor einigen Wochen lautstark verkündet, dass er durchfallen würde, also würden auch Karls handelsübliche Strichmännchen reichen, entschied er und machte sich ans Werk.
"Denk bloß nicht, dass du mir auf Dauer aus dem Weg gehen kannst. Ich bekomm dich schon noch."
"Keine Frage", erklärte Karl und schaffte es sogar irgendwie Peter anzugrinsen.
Vielleicht hatte er doch irgendwo tief in sich einen suizidalen Wunsch, dachte er, als Peters Gesichtszüge sich noch weiter verfinsterten.
"Alles auf die Plätze", unterbrach die Gärtner ihren doch eher einseitigen Gedankenaustausch.
Karl ignorierte Peters anrempeln und setzte sich hin. Wenigstens hatte er das hinter sich. Nicht das es das letzte Mal war, aber für den Moment hatte er es überlebt.
Und lass ihn beim nächsten Mal ruhig kommen. Er wird sein blaues Wunder erleben, dachte Karl. Nur war er es nicht wirklich, und diese Gedanken ließen ihn für einen Moment erstarren. Was sollte das? Was war nur los mit ihm?
"Von heute an haben wir zwei neue Schüler. Sven und Svenja Bauer."
Erst da fiel Karl auf, dass hinter der Gärtner zwei weitere Gestalten aufgetaucht waren. Beide waren vielleicht etwas größer als Karl, hatten rot-blonde Haare, grüne Augen und Sommersprossen. Sie sahen sich so ähnlich, dass man sie leicht für Zwillinge halten konnte, auch wenn die Haare des Mädchens länger waren.
"Sie sind erst vor einigen Tagen in unsere Stadt gezogen, also helft ihnen, so das sie sich willkommen fühlen." Sie ließ ihre Augen für einen Moment über die Klasse schweifen, bis ihr Blick bei Karl hängen blieb. Er ging in Gedanken alles durch, was er in den letzten Tagen verbrochen haben könnte. Es gab Leute die einen Blick hatten, der einen einfach schuldig fühlen ließ, selbst wenn man nichts getan hatte. Die Gärtner hatte diese Kunst perfektioniert.
"Da ihr praktisch Nachbarn seid, setzt euch am besten zu Karl. Torsten und Susanna, würdet ihr bitte beide einen Platz aufrücken?" Karl atmete erleichtert aus, stutzte aber dann. Praktisch Nachbarn? Das hieß, die beiden waren vom Baiers Hof?
"Warum?" murrte Susanna, der scheinbar gar nicht danach war ihren Platz einfach aufzugeben. "Es gibt noch genug Platz da hinten."
"Mach es einfach", sagte die Gärtner in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und innerhalb von 3 Minuten war alles vorbei, und Karl hatte zwei neue Tischnachbarn.
"Svenja", stellte das Mädchen sich mit einem offenen Lächeln vor, bevor sie sich neben ihn setzte. "Schön dich endlich kennen zu lernen."
"Und nachdem wir das jetzt alles erledigt haben", sagte die Gärtner bevor Karl etwas erwidern konnte, "nimmt bitte eure Bücher raus. Die faszinierende Welt der Politik ruft."
Ein kollektives Stöhnen fuhr durch den Raum, als Ullich am Ende der Stunde mal wieder seine 'ich bin ein Arschloch und mir gefällt es' Persönlichkeit zur Schau stellte. Irgendwann letztes Jahr, hatten sie alle gemeinsam schon beschlossen, dass es einfach keine erträglichen Kunstlehrer gab. Alle hielten sich für was Besseres. Irgendeiner hatte es damals auf den Punkt gebracht - Kunstlehrer waren Künstler, die einfach nicht genug Talent hatten, und ihren Frust jetzt an Schülern ausließen.
Nach den letzten zwei Jahren mit Ullich konnte Karl dem nur zustimmen.
"Allerdings scheinen wir auch ein verkanntes Talent unter uns zu haben. Ist der Geist der Feiertage vielleicht in Form von Talent und Inspiration über dich gekommen, Karl?"
Karl erstarrte zu einer Salzsäure auf seinem Stuhl, als er auf einmal alle Augen auf sich gerichtet fühlte. Argwöhnisch sah er Ullich an. Die letzten Wochen hatte Karl es meist geschafft unter seinem Radar zu fliegen, was wohl damit zu tun hatte, dass Ullich ihn nach dem Fiasko mit dem Stillleben endlich als hoffnungslosen Fall abgeschrieben hatte. Karl konnte nicht sagen, dass es ihn sonderlich gestört hatte.
"Das ist es, was Kunst ausmacht. Seht ihr die lebendigen Farben und die sichere Strichführung?", fragte Ullich und hielt ein Bild hoch, das Karl völlig fremd war.
Für einem Moment lag Karl ein 'das ist nicht von mir' auf den Lippen, aber dann sah er seine Signatur und irgendwas in ihm schien sich daran zu erinnern, dass er es tatsächlich gemalt hatte. Da waren die drei verschiedenen grünen Kreidestifte, mit denen er das Gras zum Leben erweckt hatte, und das braun und das grau-blau, das den Steinen den genau richtigen geheimnisvollen Schimmer gab, und das brennende Rot, was den Himmel zum leuchten brachte.
Letztendlich zuckte Karl einfach nur mit den Schultern.
"Nicht so schüchtern. Du hast gerade deine Kunstnote gerettet, Karl. Dank dem Nikolaus. Bleib auf dem Niveau, und es besteht vielleicht tatsächlich noch eine Chance für dich."
Karl hatte keine Ahnung was Ullich ihm damit sagen wollte, denn er hatte keinerlei Absichten irgendetwas Künstlerisches zu machen, aber solange es seine Note rettete, sollte es ihm recht sein. Karl lächelte seinen Lehrer blank an, als dieser ihm sein Bild übergab.
Er nahm es und legte es vorsichtig auf den Tisch, untersuchte es. Es war merkwürdig. Es kam ihm vertraut vor, aber er konnte sich nicht wirklich daran erinnern, wie es entstanden war. Vor allem nicht in einer Pause...
"Das ist echt toll", sagte Melanie bewundernd. Sie stand so dicht hinter Karl, dass er ihren warmen Atem auf seinem Nacken fühlen konnte. "Wie hast du das gemacht?"
Karl zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Irgendwie--"
"Das liegt wohl an dem Motiv", kam ihm Sven unerwartet zur Hilfe. Seine Schwester nickte zustimmend.
"Mag sein. Ist trotzdem eine tolle Umsetzung. Ich denke nicht, dass ich es so hinbekommen hätte", sagte Melanie, nun scheinbar doch etwas verunsichert. Offensichtlich wusste sie nicht wirklich, was sie von den Zwillingen halten sollte, besonders nicht von Svenja, die sich direkt hinter Karl gestellt hatte, und ihm sogar eine Hand auf die Schulter legte. Es war eine vertrauliche Geste, aber Karl konnte nicht sagen, dass sie ihm unangenehm war, obwohl er Svenja gerade erst kennen gelernt hatte.
Als Karl endlich seinen Blick von dem Bild losreißen konnte und sich halb umdrehte, sah er, wie sich die drei intensiv anstarrten. In dem Blick der Zwillinge lag etwas Herausforderndes und Melanies Augen schienen zu brennen. Der Moment schien sich ewig zu ziehen, aber endlich wandte Melanie ihren Blick ab. Die schrille Klingel durchbrach die unerklärliche Spannung, die über ihrer kleinen Gruppe lag endgültig.
Melanie wartete am Schultor auf ihn und begleitete ihn hinaus, ausnahmsweise mal ohne etwas zu sagen, auch wenn Karl fühlen konnte, dass ihr etwas auf der Zunge lag. Bevor er jedoch fragen konnte, sagte sie einfach nur: "Mein Vater ist da. Ich sehe dich morgen. Und denk an unsere Verabredung am Donnerstag."
Für einen Augenblick lag eine Unsicherheit auf ihrem Gesicht, die er von Melanie gar nicht kannte, aber dann lächelte sie ihn an, bevor sie zu ihrem Vater ins Auto stieg.
Herr Hagen sah blass aus und würdigte Karl diesmal keines Blickes, als er den Motor startete und an ihm vorbei fuhr.
Karl schüttelte das Gefühl ab, dass irgendetwas ganz merkwürdiges vor sich ging, und wandte sich nach rechts, weg von der Hauptstrasse. Hinter sich hörte er schnelle Schritte. Aus den Augenwinkeln sah er die Zwillinge. Da Karl keine Lust hatte mit ihnen irgendwo hin zu gehen, tat er sein bestes sie zu ignorieren und legte einen Schritt zu.
-.-.-.-.-.-.-.-
Da bei seiner Mutter weder vorgetäuschte Schwäche noch sein berühmter Hundeblick wirkten (obwohl sie dem ansonsten nie widerstehen konnte, verdammt!), fand Karl sich am nächsten morgen auf dem Weg zur Schule.
Allerdings schaffte er es mit genug Willenskraft und viel Trödelei erst wenige Minuten nach dem Klingeln einzutreffen, und betrat den Klassenraum erst zeitgleich mit der Gärtner, ihrer Klassenlehrerin.
Es war nicht so, dass er wirklich Angst vor Peter hatte, aber Karl war nicht in der Stimmung für irgendwelche Provokationen, noch weniger einer Konfrontation, ganz sicher nicht außerhalb der Schule. Peter war gestern angepisst genug gewesen, dass Karl es lieber auf nichts ankommen lassen wollte.
Und die Situation war ihm immer noch peinlich genug, selbst wenn kein anderer mehr daran denken würde. Aber soviel Glück hatte Karl natürlich nicht. Als er sich möglichst unbemerkt an der Fensterseite vorbeischlängelte um zu seinem Platz zu gelangen, hörte er ein "Da ist ja unser Götterjunge". Obwohl die Worte nur geflüstert waren, donnerten sie in Karls Ohren, und er fühlte, wie er rot wurde. Das war fast noch peinlicher, als das, was passiert war.
Aber auch nur fast.
"Wagners persönlicher Ausleger", erreichte ihn, als er die ersten Tische passiert hatte, gefolgt von einem "Der große Götterkenner", durchsetzt von "Da ist der Freak ja", als er endlich seinen Platz in der mittleren Reihe erreicht hatte und sich erleichtert auf seinen Stuhl fallen ließ.
Er gab vor nichts zu hören und verschwand erstmal unter den Tisch, halb in seinem Rucksack, bevor er sich unauffällig (so hoffte er zumindest) hinter einem Stapel Bücher versteckte, den er strategisch auf seinem Tisch platzierte.
"Hey." Melanie. Das war einer der weiteren Pluspunkte gewesen heute zu spät zu kommen. Als er endlich die Schule erreicht hatte, waren alle schon weg gewesen -- einschließlich ihr. Karl war es mehr als recht gewesen. Er war in keiner Stimmung sich wieder mit ihr auseinander zu setzen. Ihr plötzliches Interesse in ihm waren Karl einfach nicht geheurer. Und ihr Vater war es auch nicht.
So war es schon gut gewesen. Vielleicht sollte er diese Routine morgens beibehalten.
Er nickte ihr zu und schaffte sogar so etwas wie ein Halblächeln.
"Ich hab auf dich gewartet", flüsterte sie ihm zu.
"Hab verschlafen."
Karl bezweifelte, dass sie ihm glaubte. Es machte auch keinen Unterschied. Sie grinste. "Du bist ganz schön mutig. Ich glaub ich wäre nach dem Theater gestern heute gar nicht gekommen."
"Eher einfach nur wahnsinnig", sagte er und fügte in Gedanken hinzu, gepaart mit einer hartherzigen Mutter, aber er spürte eine gewisse Selbstzufriedenheit in sich, als Melanie ihn anlächelte.
"Seid ihr zwei dahinten endlich fertig?" donnerte die Gärtner durch den Raum. Für so eine kleine Person hatte sie ein erstaunliches Organ. Es gab in der Schule sogar ein Gerücht, dass ein Schüler sie vor ein paar Jahren mal angezeigt hatte, weil er wegen ihrem Geschrei taub geworden war. Karl hielt es nicht für ausgeschlossen.
Melanie und er nickten synchron.
"Gut, dann können wir ja fortfahren."
~·~·~·~
Glücklicherweise regnete es während der großen Pause, so dass sie nicht raus mussten. Karl vergrub sich in dem Kunstraum, nicht nur weil er so weit weg von Peter und seinen Freunden wie nur irgend möglich war, sondern auch, weil er es völlig verschwitzt hatte sein Bild zu machen.
'Malt wonach immer euch ist. Lasst eurer Fantasie freien Lauf'... so eine blöde Idee!
Karl war verführt in Richtung moderne Kunst zu gehen und einfach einen Eimer Farbe auf sein Blatt zu schütten. Rot vielleicht. Dann konnte er es Rot-Auf-Weißem-Papier nennen. Allerdings wäre Ullich davon wohl wenig begeistert. Er war wohl der einzige junge Kunstlehrer weit und breit, der die alten Schinken bevorzugte.
Da Karl und er eh schon auf ständigem Kriegsfuss standen, wegen Karls mangelndem Talent, war es leider nicht wirklich eine Lösung. Letztendlich nahm Karl einfach seine Stifte raus und malte drauf los. Was immer das Ergebnis war, er bezweifelte, dass es seine Kunstnote noch retten könnte. Ullich hatte schon vor einigen Wochen lautstark verkündet, dass er durchfallen würde, also würden auch Karls handelsübliche Strichmännchen reichen, entschied er und machte sich ans Werk.
~·~·~·~
"Denk bloß nicht, dass du mir auf Dauer aus dem Weg gehen kannst. Ich bekomm dich schon noch."
"Keine Frage", erklärte Karl und schaffte es sogar irgendwie Peter anzugrinsen.
Vielleicht hatte er doch irgendwo tief in sich einen suizidalen Wunsch, dachte er, als Peters Gesichtszüge sich noch weiter verfinsterten.
"Alles auf die Plätze", unterbrach die Gärtner ihren doch eher einseitigen Gedankenaustausch.
Karl ignorierte Peters anrempeln und setzte sich hin. Wenigstens hatte er das hinter sich. Nicht das es das letzte Mal war, aber für den Moment hatte er es überlebt.
Und lass ihn beim nächsten Mal ruhig kommen. Er wird sein blaues Wunder erleben, dachte Karl. Nur war er es nicht wirklich, und diese Gedanken ließen ihn für einen Moment erstarren. Was sollte das? Was war nur los mit ihm?
"Von heute an haben wir zwei neue Schüler. Sven und Svenja Bauer."
Erst da fiel Karl auf, dass hinter der Gärtner zwei weitere Gestalten aufgetaucht waren. Beide waren vielleicht etwas größer als Karl, hatten rot-blonde Haare, grüne Augen und Sommersprossen. Sie sahen sich so ähnlich, dass man sie leicht für Zwillinge halten konnte, auch wenn die Haare des Mädchens länger waren.
"Sie sind erst vor einigen Tagen in unsere Stadt gezogen, also helft ihnen, so das sie sich willkommen fühlen." Sie ließ ihre Augen für einen Moment über die Klasse schweifen, bis ihr Blick bei Karl hängen blieb. Er ging in Gedanken alles durch, was er in den letzten Tagen verbrochen haben könnte. Es gab Leute die einen Blick hatten, der einen einfach schuldig fühlen ließ, selbst wenn man nichts getan hatte. Die Gärtner hatte diese Kunst perfektioniert.
"Da ihr praktisch Nachbarn seid, setzt euch am besten zu Karl. Torsten und Susanna, würdet ihr bitte beide einen Platz aufrücken?" Karl atmete erleichtert aus, stutzte aber dann. Praktisch Nachbarn? Das hieß, die beiden waren vom Baiers Hof?
"Warum?" murrte Susanna, der scheinbar gar nicht danach war ihren Platz einfach aufzugeben. "Es gibt noch genug Platz da hinten."
"Mach es einfach", sagte die Gärtner in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und innerhalb von 3 Minuten war alles vorbei, und Karl hatte zwei neue Tischnachbarn.
"Svenja", stellte das Mädchen sich mit einem offenen Lächeln vor, bevor sie sich neben ihn setzte. "Schön dich endlich kennen zu lernen."
"Und nachdem wir das jetzt alles erledigt haben", sagte die Gärtner bevor Karl etwas erwidern konnte, "nimmt bitte eure Bücher raus. Die faszinierende Welt der Politik ruft."
~·~·~·~
"So, eure Hausaufgaben... Es gab einiges Interessantes, aber die meisten von euch haben auf eine so absolut faszinierende Weise ihre Fantasielosigkeit zur Schau gestellt, dass mir einfach die Worte fehlen."Ein kollektives Stöhnen fuhr durch den Raum, als Ullich am Ende der Stunde mal wieder seine 'ich bin ein Arschloch und mir gefällt es' Persönlichkeit zur Schau stellte. Irgendwann letztes Jahr, hatten sie alle gemeinsam schon beschlossen, dass es einfach keine erträglichen Kunstlehrer gab. Alle hielten sich für was Besseres. Irgendeiner hatte es damals auf den Punkt gebracht - Kunstlehrer waren Künstler, die einfach nicht genug Talent hatten, und ihren Frust jetzt an Schülern ausließen.
Nach den letzten zwei Jahren mit Ullich konnte Karl dem nur zustimmen.
"Allerdings scheinen wir auch ein verkanntes Talent unter uns zu haben. Ist der Geist der Feiertage vielleicht in Form von Talent und Inspiration über dich gekommen, Karl?"
Karl erstarrte zu einer Salzsäure auf seinem Stuhl, als er auf einmal alle Augen auf sich gerichtet fühlte. Argwöhnisch sah er Ullich an. Die letzten Wochen hatte Karl es meist geschafft unter seinem Radar zu fliegen, was wohl damit zu tun hatte, dass Ullich ihn nach dem Fiasko mit dem Stillleben endlich als hoffnungslosen Fall abgeschrieben hatte. Karl konnte nicht sagen, dass es ihn sonderlich gestört hatte.
"Das ist es, was Kunst ausmacht. Seht ihr die lebendigen Farben und die sichere Strichführung?", fragte Ullich und hielt ein Bild hoch, das Karl völlig fremd war.
Für einem Moment lag Karl ein 'das ist nicht von mir' auf den Lippen, aber dann sah er seine Signatur und irgendwas in ihm schien sich daran zu erinnern, dass er es tatsächlich gemalt hatte. Da waren die drei verschiedenen grünen Kreidestifte, mit denen er das Gras zum Leben erweckt hatte, und das braun und das grau-blau, das den Steinen den genau richtigen geheimnisvollen Schimmer gab, und das brennende Rot, was den Himmel zum leuchten brachte.
Letztendlich zuckte Karl einfach nur mit den Schultern.
"Nicht so schüchtern. Du hast gerade deine Kunstnote gerettet, Karl. Dank dem Nikolaus. Bleib auf dem Niveau, und es besteht vielleicht tatsächlich noch eine Chance für dich."
Karl hatte keine Ahnung was Ullich ihm damit sagen wollte, denn er hatte keinerlei Absichten irgendetwas Künstlerisches zu machen, aber solange es seine Note rettete, sollte es ihm recht sein. Karl lächelte seinen Lehrer blank an, als dieser ihm sein Bild übergab.
Er nahm es und legte es vorsichtig auf den Tisch, untersuchte es. Es war merkwürdig. Es kam ihm vertraut vor, aber er konnte sich nicht wirklich daran erinnern, wie es entstanden war. Vor allem nicht in einer Pause...
"Das ist echt toll", sagte Melanie bewundernd. Sie stand so dicht hinter Karl, dass er ihren warmen Atem auf seinem Nacken fühlen konnte. "Wie hast du das gemacht?"
Karl zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Irgendwie--"
"Das liegt wohl an dem Motiv", kam ihm Sven unerwartet zur Hilfe. Seine Schwester nickte zustimmend.
"Mag sein. Ist trotzdem eine tolle Umsetzung. Ich denke nicht, dass ich es so hinbekommen hätte", sagte Melanie, nun scheinbar doch etwas verunsichert. Offensichtlich wusste sie nicht wirklich, was sie von den Zwillingen halten sollte, besonders nicht von Svenja, die sich direkt hinter Karl gestellt hatte, und ihm sogar eine Hand auf die Schulter legte. Es war eine vertrauliche Geste, aber Karl konnte nicht sagen, dass sie ihm unangenehm war, obwohl er Svenja gerade erst kennen gelernt hatte.
Als Karl endlich seinen Blick von dem Bild losreißen konnte und sich halb umdrehte, sah er, wie sich die drei intensiv anstarrten. In dem Blick der Zwillinge lag etwas Herausforderndes und Melanies Augen schienen zu brennen. Der Moment schien sich ewig zu ziehen, aber endlich wandte Melanie ihren Blick ab. Die schrille Klingel durchbrach die unerklärliche Spannung, die über ihrer kleinen Gruppe lag endgültig.
Melanie wartete am Schultor auf ihn und begleitete ihn hinaus, ausnahmsweise mal ohne etwas zu sagen, auch wenn Karl fühlen konnte, dass ihr etwas auf der Zunge lag. Bevor er jedoch fragen konnte, sagte sie einfach nur: "Mein Vater ist da. Ich sehe dich morgen. Und denk an unsere Verabredung am Donnerstag."
Für einen Augenblick lag eine Unsicherheit auf ihrem Gesicht, die er von Melanie gar nicht kannte, aber dann lächelte sie ihn an, bevor sie zu ihrem Vater ins Auto stieg.
Herr Hagen sah blass aus und würdigte Karl diesmal keines Blickes, als er den Motor startete und an ihm vorbei fuhr.
Karl schüttelte das Gefühl ab, dass irgendetwas ganz merkwürdiges vor sich ging, und wandte sich nach rechts, weg von der Hauptstrasse. Hinter sich hörte er schnelle Schritte. Aus den Augenwinkeln sah er die Zwillinge. Da Karl keine Lust hatte mit ihnen irgendwo hin zu gehen, tat er sein bestes sie zu ignorieren und legte einen Schritt zu.
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