Tag 8

Kadira

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Tag 8:

Karl blätterte teilnahmslos durch sein Lateinbuch. Ihm war langweilig. Sehr langweilig. Aber keine Zusicherung, dass es ihm wirklich wieder gut ging, noch irgendetwas anderes hatte geholfen. Seine Mutter wollte ihn heute partout nicht aus dem Haus lassen.

"Du bist mir gestern fast verglüht. Da gehst du mir heute nirgendwo hin", hatte sie ihm erklärt. Nicht nur einfach gesagt, sondern in diesem besonderen Ton, der einfach keinen Widerspruch erlaubte. Es war zum verzweifeln. Und Karl ging es gut. Tatsächlich konnte er sich noch nicht mal daran erinnern, dass er krank gewesen war. Ganz besonders nicht an Fieber.

Oder an irgendwas, aber das war wieder etwas ganz anderes.

Er war zwar gestern so k.o. gewesen, dass er direkt wieder eingeschlafen war nachdem sein "Besuch" weg war, aber er fühlte sich ganz und gar nicht krank. Trotzdem war seine Mutter unnachgiebig gewesen, was dazu führte, dass Karl sich den Tag mit langweiligen Filmen und seinen Schulbüchern um die Ohren geschlagen hatte.

Mit einem tiefen Seufzer stand er auf und ging zum Fenster. In der Ferne, konnte er die Kirchenglocke schlagen hören. Aber das war es auch schon. Um das Haus herum schien alles wie ausgestorben. Fast so, als würde nichts anderes außer ihrem Haus existieren.

Für einen Augenblick amüsierte er sich mit dem Gedanken, dass sie sich tatsächlich in einer Öde befanden -- oder vielleicht auf einem unbewohntem Planeten, oder einer post-apokalyptischen Welt -- in der nichts außer ihnen und ihr Haus existierte.

Die Vorstellung unterhielt ihn genauso lange, wie es dauerte zu realisieren, dass das genauso langweilig wie das hier sein würde. Wahrscheinlich noch viel mehr.

Dann doch schon lieber die Langeweile hier. Wenigstens war die irgendwann zu Ende. Mit etwas Glück.

Versuch es mal mit etwas Optimismus, hörte er die Stimme seiner Mutter in seinem Kopf. Karl schüttelte den Kopf. Er war optimistisch genug. Zumindest wenn er nicht hier fest saß. Und ganz besonders war er optimistisch wenn das Leben Sinn machte, was auf seines nicht mehr wirklich zutraf. Es war einfach merkwürdig. So viel schien sich in den letzten Tagen geändert zu haben, dass Karl sich fast wie ein anderer Mensch fühlte. Aber zur gleichen Zeit schien noch alles beim alten zu sein, und wenn man Karl gefragt hätte, hätte er keine einzelne einschneidende Veränderung aufzählen können.

-- abgesehen von sprechenden Raben, erinnerte ihn eine leise, innere Stimme.

Aber das war nicht etwas über das Karl nachdenken wollte. Außerdem hatte er das Vieh schon seit Tagen nicht mehr gesehen, was lang genug war um ihn daran zweifeln zu lassen, dass es überhaupt existierte. Wer weiß, vielleicht war der Vogel ja auch nur eine Nebenwirkung des Fiebers gewesen, was er ja -- nach seiner Mutter -- hatte. Woher sollte er überhaupt noch wissen, was wirklich war und was nicht?

Und das war das frustrierendste an der Sache. Karl wusste das da etwas war, aber nicht genau was, noch was Realität war und was Einbildung, oder was hier überhaupt passierte, was mit ihm passierte.

Er wusste nur, dass da etwas war, konnte es aber nicht greifen.

Situationen wie gestern Abend halfen da nicht wirklich, und von seiner Mutter bekam er keine Antworten. Schlimmer noch, Karl war sich ziemlich sicher, dass sie ihn anlog. Als er sie gestern gefragt hatte, was ihre Nachbarn hier gemacht hatten, und ob sie den Vater der Zwillinge kannte, hatte sie ihn nur gefragt, wie er denn auf die Idee käme. Als er sie daran erinnert hatte, dass er sie mit ihrem Vornamen angeredet hatte, meinte sie nur, dass er es sich eingebildet haben muss.

Er hatte es dabei belassen, als er merkte, dass er keine weiteren Antworten von ihr bekommen würde. Jedenfalls keine, die ihm irgendwie weiterhelfen würden.

Karl sah aus dem Fenster und hielt Ausschau nach etwas. Im ersten Augenblick war er sich selber nicht bewusst wonach, dann realisierte er, dass es der Rabe war. Er hatte nicht gedacht, dass er ihn vermissen würde. Eigentlich sollte er doch froh darüber sein, dass er ihn los war. Ein Problem weniger.

Aber wenn er da wäre, wäre es Karl vielleicht etwas weniger langweilig. Wenigstens hätte er dann jemand, über den er sich ärgern könnte, selbst wenn das Tier vielleicht doch nur eine Nebenwirkung seines Fiebers sein sollte...

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