Tagebuch von damals, 04. 01. 2022: Mein zweiter G-Regelbruch

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Als ich die Regeln das erste Mal brach, galt noch 3-G, das heißt es ist schon ein paar Monate her.
Nach einer Wanderung machten wir damals Halt am Attersee.
Mit dem Europabad in Weißenbach hatte es bislang einen der letzten wirklich freien Zugänge zum See gegeben; jetzt hing auch hier so eine 3-G-Zugangsbeschränkung am Eingangstor.
Es war Anfang September und nicht unbedingt Badewetter, dementsprechend war auch kaum jemand vor Ort. Das Buffet war geschlossen und niemand hat den Einlass kontrolliert.
So wagte ich mich damals verbotenerweise einfach hinein, ohne einen Nachweis über geimpft, genesen oder getestet bei mir zu tragen.

An jenem Abend habe ich dazu notiert:
„…Nun mein Gesetzesbruch:
Ich betrete die Liegewiese ohne Testnachweis.
Zum Glück ist da niemand, der mich am Eintritt hindert.
Zack bin ich drin.
Vorsorglich nutze ich die Toilette sofort, für den Fall, dass man uns doch noch verjagt.
Später kommen noch ein Radfahrer und ein paar Jugendliche, die vom Steg ins kalte Wasser hüpfen und ein bisschen Leben reinbringen.
Als der Radfahrer so zielstrebig in unsere Richtung steuert, um nebenan an der Wasserlinie Platz zu nehmen, habe ich für einen Moment lang die Befürchtung, es wäre ein Aufseher, der uns nach unseren Ausweisen fragen wird.
Dabei wollte der Mann einfach nur baden und den Tag genießen wie wir…“

Mein zweiter Regelbruch ist schon ein bisschen anders.
So sind auch die Zeiten.
Jetzt gibt es schon gar kein Reintesten mehr.
Nur noch zwei „G“ sind übrig und gelten sogar schon für den „erweiterten Handel“, wie man neuerdings sagt, um alles, was über Nahrungserwerb hinausgeht, als unnötigen Luxus zu bezeichnen.

Heute schon vorsätzlich peile ich den großen Thalia auf der Landstraße an.
Mit Absicht und mit Hintergedanken nähere ich mich dem Zielobjekt.
Wie auf einer Kriegsmission halte ich zunächst nach feindlichen Kontrolltruppen Ausschau.
Bis an die straßenseitig aufgestellten Bücherständer kann ich mich gefahrlos heranpirschen und die Lage einschätzen. Ist kein Torwächter auszumachen.
Ich beobachte: Frau nähert sich, Schiebetür geht auf – und siehe da: Ungehindert übertritt eine Kundin die Verkaufsschwelle.
Das Spektakel wiederholt sich mehrmals, ohne dass ein Eintretender kontrolliert würde, also wage auch ich mich hinein.

Bin drin.
Ich weiß, ich dürfte hier nicht sein, aber hier bin ich.
Für den Fall, dass mich einer aufblättert, will ich ganz einfach abhauen, so ist der Plan. Ich weiß, ich kann schnell sein.
Im Innenraum hat sich eigentlich nicht viel verändert. Alles wie immer. Bücher, Klimbim und Geschenkpapier im Erdgeschoß.
Aber Mist, die Kalender sind oben im Zweiten.
Jetzt muss ich erst noch mit der Rolltreppe rauf, schon ziemlich weit weg von den Ausgängen.
Okay, das dürfte eine Flucht schon mal erschweren, aber muss ja.
Im zweiten Stock ist die Auswahl groß.
Einen schönen Wandkalender aussuchen will ich mir, das will gut überlegt sein. So einen Kalender muss ich immerhin ein ganzes Jahr lang täglich anschauen.
Online kaufen ist hier auch gar nicht so einfach. Die zwölf Monatsblätter sind auf den Verkaufsseiten im Internet nicht immer abgebildet, oft nur das Deckblatt. Das reicht nicht. Für so einen Kauf brauche ich ein bisschen mehr Infos.

Ich stöbere mich durchs Sortiment, wirklich reichhaltig.
Viele schöne Motive.
Ich stöbere mich so durch und fühle mich aber durchgehend unwohl.
Ein entspannter Aufenthalt ist das hier keineswegs.
Das trotzige Ignorieren einer Regel, die ich für grundsätzlich völlig falsch halte, es gelingt mir nur mäßig gut.
Dieses: „Ihr könnt mir gar nix mit euren Verboten, ich mach es einfach und tu so als wär alles wie immer“ – es funktioniert bei mir nicht.
Jeden Moment muss ich damit rechnen, dass einer auf mich zugeht und stichprobenartig grad bei mir mit Kontrolle anfängt.
Hier bin ich illegal.
Sobald im näheren Umkreis einer sagt: „Entschuldigen Sie bitte…“ zucke ich innerlich zusammen - auch wenn es sich dann nur als eine Kundenanfrage ans Verkaufspersonal entpuppt: „Entschuldigen Sie bitte, wo finde ich…?“
Ich jemanden anreden oder derart anfragen scheint mir undenkbar.
Unauffällig bleiben, unverdächtig, ganz ruhig. Ich tarne mich als Kunde.

Lang stöbere ich nicht.
Der erstbeste Kalender, der mich einigermaßen anlacht, der soll es sein.
„Birds 2022“ - das passt ja doch, wo ich für die Gefiederten so ein Herz habe.
Komm mir selber grad vor wie ein Vogel, der sich in einen recht seltsamen Käfig verirrt hat.
Zum Bezahlen am potentiellen Kontrollpunkt Kassa habe ich, ganz gefinkelt, einen geimpften Komplizen angeheuert.
Im Vorbeigehen drücke ich ihm den gewünschten Artikel verstohlen in die Hand und stehle mich selbst davon.
Mission erfolgreich.
Auf die Übergabe warte ich draußen.
 

John Wein

Mitglied
Im Rückblick irre! einfach nur irre! Staatliches Ermächtigen über das Leben! Ich bekomme immer noch so einen Hals!
LG, John
 
Aloha John!

Danke fürs Lesen.
Ich meine: Im Hinblick auf eine Zukunft, in der das mit dem Hetzen, Diffamieren und Ausgrenzen nicht mehr so leicht passiert, sollte man all das nicht einfach so vergessen, sondern ehrlich aufarbeiten.

Mit liebem Gruß,


Erdling
 



 
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