Tagebuch von damals, 21. 12. 2021: Geschenke kaufen

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Früher gerne, heute nur widerwillig fahre ich in die Stadt zum Weihnachtsgeschenke kaufen.
Ich weiß, ich darf ja doch nirgendwo rein, wo es mehr zu kaufen gibt als Lebensmittel.
Wenngleich nun alle Läden wieder aufgesperrt haben, aber nicht für mich.
Muss man grad noch dankbar sein, wenn sie einen nicht verhungern lassen, soweit ist es schon.

Dass man die Ungeimpften jetzt sogar aus dem großen bunten Shopping-Universum ausschließt, hat schon nochmal eine eigene, ganz miese Qualität.
In einer Gesellschaft, die primär aufs Konsumieren ausgelegt ist - das kann man für sich beurteilen, wie man mag, ist aber Fakt – bedeutet Einkaufen eine gewisse Teilhabe und Zugehörigkeit. Ist jetzt auch futsch.
Ist schlimmer noch als der Ausschluss aus Kultur und Gastronomie und sonst was.
Die vielen lockenden Geschäfte nicht mehr betreten zu dürfen, das trifft mehr Menschen denn je, diese Strafe.
Mal was Hübsches geschnappt hat doch ein jeder gern, ob in der Edelboutique, beim Fair-Wear-Laden oder sei es nur Krimskrams vom Kik gewesen.
Zutritt ist jetzt verboten für alle, die sich, bislang völlig legal, gegen diese Impfung entschieden haben. Kein Fitzelchen Zugehörigkeit mehr.
Immer weiter wird der Ungeimpfte aus der Gesellschaft entfernt, gedrängt, gemobbt, getreten.

Erlebnisberichtet wurde mir, dass jetzt vor den Geschäften bullige Türsteher einen auf dicke Hose machen und deinen Impfausweis kontrollieren.
„Du kommst hier nicht rein“ – Örtlichkeiten, die eine solche Zutrittsbeschränkung ausleben, kennt man ja von woanders.
Was früher vor In-Clubs und Discos abgezogen wurde, weil man vielleicht die falschen Schuhe anhatte, baut sich jetzt allerdings vor jedem Schuhgeschäft auf und Schuhe kriegen ist ein Hindernisparcours geworden.
Hat man wohl das arbeitslose Personal der immer noch geschlossenen Nachtgastronomie hierher verpflanzt, um jetzt vorm Media Markt die Leute zu triezen.
Auch drinnen in den Läden wird der „grüne Pass“ abgescannt, ehe man kaufen darf.
Ein Verkaufspersonal und irgendwelche Schlägertypen dürfen jetzt also meinen Gesundheitsstatus abfragen.
Manche Shops, so erzählt man, würden nur stichprobenartig kontrollieren, andere gehen systematisch vor.

Was bleibt mir nun in der Stadt?
Gut, ich habe mehrere Drogerien zur Auswahl, in die ich immer noch hineindürfte. Supermärkte, Bioläden.
Allerdings noch ein anderes Schlupfloch habe ich im Sinn.
Dieser superedle Schoki-Shop, der handgeschöpfte Produkte feilbietet, den steuere ich an. Der müsste mir als Lebensmittelgeschäft, das er doch ist, ebenfalls Zutritt gewähren.
Und siehe da, er gewährt es.
Also wenigstens das.
Aber ich seh schon, sauteuer das Zeug.
Eine handtellergroße Schale mit bisschen Pralinen drin soll € 25 kosten. Ein kleiner Schoko-Schneemann mehr als zehn.
Zuviel, wie ich finde, und kaufe nichts.
Jedoch, das Geschäft geht gut. Die Kunden drängeln sich nur so.
Ob das alles Ungeimpfte sind, die anderswo nicht mehr kaufen dürfen?

Auch in der Drogerie gibt es ganz schönen Andrang.
Wie es in den anderen Läden ausschaut, die „2-G“ an der Tür veranschlagt haben, kann ich nicht sagen.
Kann ich nur von außerhalb beobachten.
Die Hinweise auf 2-G hängen vereinzelt und wie mir scheint recht dezent und klein gedruckt an den Eingängen.
Schmeckt ihnen sicher nicht, Kundschaft aussperren zu müssen, aber doch tun sie es.
Was drinnen wohl vor sich geht?
Man müsste Geimpfte ausschicken für einen Lagebericht.

Schon demütigend, das alles. Entwürdigend.
Noch nicht mal ein Buch kann ich mir holen.
Müsste ich erst meinen Mann fragen oder sonst einen Nächsten, der geimpft ist, schicken.
Wie entmündigt kommt man sich vor, und auch ganz praktisch tun sich Probleme auf.
Müsste ich ja jemanden schicken, der mir das Geschenk für meinen Mann holt, und meinen Mann, um das Geschenk für jemand anders zu beschaffen.
Da kommt mir prompt die Idee für einen neuen Geschäftszweig: Abgefeimte Geimpfte könnten sich vor den Shops aufstellen und als Dienstleister gegen Entgelt Besorgungen machen.

Das wär auch was für mich, eigentlich, weil Einkaufen kann ich gut.
Normal habe ich immer alle Geschenke besorgt, während mein Mann die Füße hochgelegt hat.
Hab ich ein gutes Gespür, womit man anderen eine Freude macht und was gefällt.
Geschenke besorgen hab ich gern gemacht, und gern hat man die Aufgabe an mich delegiert.

Ist heuer alles anders.
Jetzt lauf ich mir die Hacken ab, verzweifelt auf der Suche nach etwas Schenkbarem im grotesk beengten Kreis meiner Möglichkeiten.
Das frustriert, das macht wütend.
Nicht schön, der Gedanke, aber er stellt sich ein: Was soll ich anderen groß eine Freude machen, wenn man mir selbst nur Verdruss bereitet?
Ich merke, wie meine freizügige Geberlaune schwindet, nun, da man mir so gar nichts mehr gönnt.
Diese neue Engherzigkeit ist nichts, worauf ich stolz bin, aber ich will sie auch nicht verschweigen und ehrlich sein. Da ist sie nun mal.

In der Drogerie finde ich schließlich so Art Weihnachtshausschuh-Socken, die sind für meine Nichten und Neffen.
Kann man prima was reinstecken, Geld zum Beispiel.
Ist ihnen sowieso am liebsten und was sonst soll ich schenken? Selbstgebackenes?
Die erwarten sich mehr.
Sicher, ein paar Sachen hab ich online bestellt, aber viel wird es heuer nicht geben, nicht von mir.
Mir fällt auf, dass man jetzt endgültig nichts mehr kaufen kann ohne digitale Spuren zu hinterlassen: Entweder beim Bestellen im Internet oder beim analogen Einkauf mit „Green Pass“. Ist man nirgends mehr wirklich anonym.

Ich seh schon, mehr Geschenke finde ich heute nicht.
Gedemütigt mache ich mich auf den Weg nach Hause, während in der Stadt fröhlich weitergeshoppt wird.

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An der Haltestelle treffe ich zufällig eine Bekannte, die hab ich ja schon seit Jahren nicht mehr gesehen.
Die Begegnung wird noch interessant.
Erst drucksen wir zwei noch umständlich um die Höflichkeiten herum: Geht gut, ja, und dir?
Erkundigen uns nach den Kindern, ihres jünger als meins, aber dann sagt sie den bedeutungsschweren Satz, Gott sei Dank. Da weiß ich dann bescheid.
Wäre ja nicht einfach wegen eh schon wissen und dass viele Eltern so besorgt sind wegen Ansteckung der Kinder, weißt eh, sagt sie und ich meine, sie verdreht ein wenig die Augen.
Das war der Code, der das Eis bricht.
Jetzt kann ich mir denken, wo mein Gegenüber steht.
Jetzt kann auch ich mein Bauchweh zum Zeitgeschehen kundtun; mein Unwohlgefühl der fortschreitenden Überwachung wegen „grünem Pass“ und der Verselbständigung der Maßnahmen.
Mein Gegenüber gibt mir nachdrücklich recht und ist froh, dass ich das ausspreche.
Hier ist ein Mensch, der noch gesund empfindet, der mich versteht.
Wir verstehen uns.
Wie zwei Spione stehen wir an der zugigen Straßenecke und sprechen mit gesenkter Stimme als müssten wir Angst haben, dass einer mithorcht.
Ich sage ihr, wie entwürdigend es ist, wenn man nirgendwo reindarf, und jetzt weiß sie, ich bin eine Ungeimpfte.
Verständnisvolles Nicken.
Sie selbst geimpft, aber nur wegen Druck in der Arbeit, sagt sie.
Wir lachen miteinander, trotz der generellen Umstände, und was bin ich froh, einen normalen Menschen getroffen zu haben.
 



 
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