Tagebuchbriefgedichte II und III

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
II

"Schlaf gut!" will ich zur Nacht Dir sagen, aber wie?
Denn sieh: Verloren bin ich, finde mich nicht mehr!
Nachdem ich heute Dir ein neues Bild gemalt,
Versenkte ich mich tief in die Spiralgestalt,
Den Ammoniten, den ich da gewunden hab,
Und war gebannt und kam dann nicht mehr weg vom Bild

Es sog in seinen Schneckengang mich mit Gewalt
Hinein, ich kam nicht mehr hinaus. Da steck ich nun
Und vor dem Bild sitzt nur mein Körper staunend stumm
Und starrt mit großen Augen mich im Bild selbst an
Der Arme! Ich dagegen schwimm durchs Farbenmeer
Ultramarin - durch Seligkeit in Sofjas Schlaf


III

Nun hab ich mich entwunden Deinen Armen
Und Deinem Haar- und Kuß- und Traumgeflecht;
Bin aus dem Schlaf, bin aus dem Bild geschlüpft,
Koch uns nun Kaffee und ein Ei. Ists recht?
 
Hallo Mondnein,

da "baust" Du ein wirklich klasse Gedicht, um es mit dem letzten Satz zu zertreten...wie es ein Kind mit seiner Sandburg tut.

Du wirst dir dabei etwas gedacht haben, nur komme ich nicht dahinter...

Das wäre mir 9 Punkte wert gewesen, nun musst Du mit 7 leben ,-)

Gruß, A.D.
 
F

Fettauge

Gast
Ja, das muss ich schon sagen, Mondnein: Seltsame Dinge können einem beim Malen passieren. Du bist wahrscheinlich einer, der sich vor Ammoniten mit ihren Spiralgängen mächtig hüten muss, sonst tauchst du uns am Ende gar nicht mehr auf. Ja, man kann schon auf seltsame Ideen kommen, wenn man keine hat.

Liebe Grüße, Fettauge
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Auges Hoffnungen

Ja, A., Deine Hoffnungen werden sich eines Tages erfüllen. Vielleicht bekommst Du dann auch mal eine Idee, wenn auch nur eine seltsame.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Blick in andere Dimensionen

Liebe Dimension!
Es handelt sich um einen konkreten Brief, einen etwas frechen Morgengruß an eine Frau, die jene Nacht bei ihrem festen Freund verbrachte. Kaffee und Ei, Nachtverflechtung und "Frage" waren phantasiert.
Es handelt sich mitnichten um eine "gebaute" Konstruktion.

Offensichtlich liebst Du keine Scherze und kennst keine Stegreifgrüße. Aber sags lieber keinem ...
 
Vielen Dank für den Einblick!

Handwerklich gab und gibt es (zumindest aus meiner Sicht) sowieso nichts auszusetzen. Wortwahl, Rhythmus, Zeilenübergriffe...1a

und mir war schon klar, dass die letzte Zeile ihre Berechtigung hat und die Leistung davor kein Zufall sein konnte.

*** natürlich liebe ich Scherze, aber nur auf Kosten anderer...

Gruß,A.D.
 

Label

Mitglied
Hallo Mondnein

diese phantastische Reise in poetischen zarten Worten gesetzt, gefällt mir, genauso wie die Rückkehr samt fürsorglichen Umgang zwischen den beiden Persönlichkeitshälften.

lieber Gruß
Label
 
O

orlando

Gast
Hallo Hansz,
auch bei diesem Gedicht lohnt es sich, die Gemälde auf deiner Homepage anzuschauen. Denn das Schneckenmotiv, das verlangsamte Vorankommen, schmiegt sich vortrefflich in den Text.
Ultramarin ist mit Sicherheit die (einzige) Farbe, die in diesem Zusammenhang besungen werden "darf." Überhaupt die Farbe aller Farben.

Nebenbei freue ich mich, dass du dich hier durchzusetzen beginnst ... ;) Künstler sind in einem Literaturforum ja nicht wirklich fehl am Platze.

Herzliche Grüße
Heidrun
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Danke, A.D., und auch dankeschön, Label!
Der Kalauer mit den "Scherzen nur auf Kosten anderer", A.D., ist eine schöne Antwortpointe: understatement, Kurzkarikatur und ironischer Selbstwiderspruch, ich stimme lächelnd zu.
Zur Zeit (aber nicht vor einem Jahr, als dieses email-Briefchen rausging!) lese ich mit Vergnügen Ringelnatz, wo die Rißnarben, Laller und Schundsprüche nur so durch den Text klaffen und kläffen - - aber in diesem Morgengruß hier oben ists nur eine kleine nette Anzüglichkeit, wie man so etwas auch schon mal in persönlich gebundenen Gelegenheitsversen bei Mörike, Heine, Morgenstern und natürlich Kästner und Gernhardt findet - - aber das sind fruchtbare Meister, die nicht nur mal so ein kleines Kuckucksei zum Morgenkaffee kochen wie der (damals) unglücklich verliebte Hansz.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Danke, liebe Heidrun, Dir, Orlando!
Du entdeckst
ein immer neues Sub im Text:
"Schnecken"-Parlando

Siehst Du den Sprung im Bewußt-
sein vom Abend zur Nacht
und dann am Morgen, erwacht -
vom Schlaf - in die Tages-Lust?

Das ist mit drin
im Hinein und Hinaus
in und aus jenem Schneckenhaus:
bildbefangener, bildverlorener Sinn
 
D

Dnreb

Gast
unlautere Spielchen...

Hallo Mondnein,

ich schreib Dir jetzt auch mal was...
Das wird sich auf ein einziges Mal beschränken.

Mein "was" ist subjektiv, ist meine Empfindung, ist sogar mein Eigentum, wenn ich Deine Zeilen lese, wenn ich Deine Bilder schaue. Ich erhebe also ganz im Gegensatz zu Dir keinen Anspruch auf irgendeine merkwürdige Objektivität:

Deine Sprache, auch Deine gemalten Werke wirken auf mich sehr gekünstelt, gestelzt; eine Sprache und Malerei die Anspruch auf Bedeutung erhebt, doch im Grunde eher schlichte menschliche Themen behandelt.

"Nachdem ich heute Dir ein neues Bild gemalt"

"Versenkte ich mich tief in die Spiralgestalt"

Jedes Deiner gesetzten Wörter betont den exklusiven Anspruch des "ich". Doch in Wirklichkeit treffen wir auf einen ganz normalen und gut nachvollziehbaren Zustand einer empfindsamen Natur: Enttäuschung. Ein ehrlicher Lyriker nutzt diese Situation nicht für eine pathetische Großtat. Ich mag solche Verse nicht.

Deine Empfindungen könnten gewiss sehr viele Menschen nachvollziehen, aber Du selbst legst mit Freude Barrieren in den Weg, willst den Thron des unverstandenen Künstlers für Dich beanspruchen. Ich mag das schon wieder nicht.


Herzliche Grüße auch bei aller Kritik
von Bernd Sommer
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich fasse es nicht!

Dear Dnreb!
Wenn ich irgendwas beanspruchte, so wäre ich logischerweise der erste, der es wüßte, daß er es beansprucht. Da ich nichts davon weiß, ist es eine bösartige Unterstellung.
Angenommen, es gäbe irgendeine unbewußte Form von Beanspruchung, etwa durch biologische Triebe, Sehnsüchte oder Verhaltensgrundmuster, z.B. beim Säugling, der Milch "beansprucht" - ja, das könnte ich wohl nicht ausschließen, aber das meinst Du wohl kaum, es wäre auch ein wenig überdehnt, so ein "Anspruchs"-Begriff, und eine Unterstellung bliebe es noch immer.
Daß ich in einem Tagebuchgedicht, persönlich als Brief an eine geliebte Frau gerichtet, "ich" und "Du" sage, daß ich mit "Schlaf gut" und "Hans-Dein" grüße usw., das sind ja wohl Selbstverständlichkeiten, die man in der Unmittelbarkeit ihrer Formulierung wohl kaum als "gestelzt" bloßstellen kann. Offensichtlich liebst Du die unmittelbare, schlichte Briefsprache nicht. Und meine Redeweise. Ja, ich rede so, ich bin der einfache Sohn eines einfachen Schriftsetzers (der, als er noch arbeitete, kaum mehr als 1000 DM verdiente) und einer Flüchtlings-Bauerntochter, habe fünf Geschwister und noch drei Pflegebrüder. Ich stamme aus einfachsten Verhältnissen und kenne Armut und Prekariat aus eigener Erfahrung: komm, komm her, wirf mir meine Sprache vor, sag mir, ob es ein falscher Anspruch ist, sich selbst "ich" zu nennen, behaupte noch einmal, ich schreibe "gestelzt", komm, ... !
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo mondnein,

ich will und werde nicht darüber nachdenken wie privat dies gedicht ist.
da es nunmal hier veröffentlicht ist, ist es zu einem gegenstand
der betrachtung durch dritte geworden.

und ich finde mich in deinem stück sehr gut zurecht und sehr gut aufgehoben.

ja, ich halte dieses stück sprachlich für äußerst ausgefeilt. es hat einen wunderbar angenehmen schwebenden ton, ein sing sang im positivsten sinne.

auch bildlich halte ich dies stück für stringend.

ich halt es sehr einfach:
das stück zählt und dieses weiß mir zu gefallen.

das ammonitenbild ist stark...

lg
ralf
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ich freue mich

ein herzliches Dankeschön, Ralf!
Danke für den Hinweis gleich am Anfang, daß die Augen Dritter ein Gedicht ins Objektive stellen, auch wenn's ursprünglich privat gemeint war. Diese Art von Objektivität ist mir lieb und wichtig. Zwischen dem Minuspol jener Privatheit und dem Pluspol dieser Objektivität spannen sich hier (meine ich) zwei Felder: zum einen der Scherz, zum andern das Gesangliche, Liedhafte, das Du besonders hervorgehoben hast. Der Scherz - er liegt schon in der Clownerie mit der magischen Bildverlorenheit, und mit "Kaffee und ein Ei" wird er in gespielter Naivität aufgelöst - läßt einen subjektiven "Querschläger" gegen den edlen Lyrikton zu (was vor allem Andere Dimension bemerkt und bemängelt hat); und die iambische Metrik mit dem "schwebenden" Gesangston regt die ganz andere Subjektivität des Geschmacks und Gefühls an, was wiederum dnreb gegen den Strich ging. Ich sehe nun (oder postuliere nun) ein ganzes System von Feldlinien zwischen den beiden Polen, vergleichbar den Feilspänen um einen Magnet, und wenn die Verse wie Feilspäne in diesen Feldlinien strukturiert sind, dann hat es, denke ich, die richtige Objektivität: in Spannung zwischen den beiden "subjektiven" Polen des bildhaften Scherzes einerseits und der sanglichen Harmonie andererseits.
Noch einmal Danke!
 



 
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