Ein 100m-Läufer steht vor dem Startblock. Er atmet tief ein, schüttelt erst sein rechtes Bein aus, dann nochmal das linke Bein. Aus den Augenwinkeln blickt er zum Konkurrenten rechts neben ihm, dann zur Haupttribüne, auf der seine Freundin Platz genommen hat. Dann atmet er nochmal tief ein und fokussiert sich. Er geht in Gedanken den Start nochmal durch. Wie er im Startblock hockt, die Muskeln gespannt wie die Sehne eines Bogens. Auf das Startsignal des Kampfrichters hin wird er sich dann wie ein Geschoss auf die rote Tartanbahn katapultieren. Mit kurzen aber kraftvollen Schritten wird er bereits auf den ersten Metern seine Höchstgeschwindigkeit erreichen. Danach wird er die Geschwindigkeit bis zur Ziellinie halten und mit ausgebreiteten Armen das blaue Band durchlaufen, die Arme zur Siegerpose gehoben. Er denkt an den aufbrandenden Jubel. An den Stadionsprecher dessen Stimme sich beim Aussprechen seines Namens überschlägt. Die Luftküsse seiner Freundin. Er denkt an den Eintrag ins goldene Buch seines kleinen Luftkurortes und die Ehrung durch den Vorsitzenden seines Sportvereins. Dafür hatte er trainiert. Dafür hatte er seine Ausbildung abgebrochen und alles auf eine Karte gesetzt.
„Sag mal träumst du?“, hört er unvermittelt eine Stimme rufen. Der Läufer wendet seinen Blick zum Kampfrichter. Der schaut ihn ungläubig an, in der rechten Hand die noch rauchende Startpistole. Der Läufer richtet er seinen Blick zurück zur Laufbahn, auf der seine Konkurrenten bereits der Ziellinie entgegensprinten. Verdutzt starrt er den Läufern hinterher. Er spürt die Blicke des feixenden Publikums, den fassungslosen Ausdruck im Gesicht seiner Freundin. Dann senkt er den Kopf, dreht sich um und geht zurück in die Katakomben des Stadions, ahnend, dass fortan nichts mehr so sein wird, wie es war.