SanKun7
Mitglied
Das Ende
Firenzio.
Einst ein Ort voller Macht und Reichtum. Ein Stadtbild, geformt von Künstlern sämtlicher Gattungen. Wer durch die Strassen schlenderte oder die harmonisch ineinander übergehenden Bauten betrat, vor dem breitete sich die ganze Palette der dortigen Kultur aus. Freskos, Statuen und Brunnen aus Marmor erzählten Geschichten aus vergangenen Zeiten. Säulen, Pilaster und kunstvoll ausgearbeitete Ornamente zierten die Fassaden. Die Luft war erfüllt von den Aromen regionaler Weine und kulinarischer Köstlichkeiten. Köstlichkeiten, deren Duft besonders von intensiven Ölen und Kräutern geprägt war. Die Gesänge von Strassenmusikern waren das letzte Teil in diesem einzigartigen Mosaik einer Stadt. Firenzio: eine Pracht.
Doch der Krieg zerstörte diese Pracht. Er raubte der Stadt ihren Glanz und liess sie zu einem Nest voller Raben verkommen. Aasfresser kreisen nun über dem Netz aus Strassen und Gassen. Gierig starren sie herab. Ihre pechschwarzen Augen erblicken die Zerstörung und den Tod.
Firenzio galt als die letzte Bastion im Königreich Tosa. Sie war der Wall, an dem die Truppen von Maumar endlich zerbrechen sollten.
Zerbrochen war jedoch nur der Wall selbst. Drei Wochen hielt man dem Druck des kalten Nordens stand. Die anfangs unvorstellbare Niederlage wurde zur Realität. Sie war der tödliche Stich ins Herz für das Königreich Tosa und führte zu dessen endgültigem Niedergang.
Wie dem Reich erging es auch König Giovanni di Meci und seiner Familie. In den letzten Stunden des Krieges stürmten Soldaten Maumars den königlichen Palazzo. Grausam entrissen sie den Herrschern Tosas das Leben. Mit ihren Schwertern beendeten sie die fast dreihundert Jahre lange Regentschaft der Mecis. Doch das Blut der Mecis soll nicht ganz versiegt sein. Prinzessin Elena lebt. Ihr soll die Flucht gelungen sein.
Wie der Wind zieht dieses Gerücht durch das zerstörte Reich und erreicht jedermanns Ohren. Alle suchen nach der jungen Frau. Das einfache Volk der Belohnung wegen. Die Truppen von Maumar, um sie zu töten. Die Restanti Cavalieri, die letzten Ritter Tosas, um die Familie Meci zurück auf ihren Thron zu bringen.
Der erste Brief: Die Spuren des Krieges
Gentile Signor Bueri,
auf Ihr Geheiss hin sollte ich Söldner für unsere Truppe rekrutieren. Meine Kontakte nutzen, um Adelsmänner und deren Soldaten für unsere Sache zu gewinnen. Doch ich muss gestehen, gescheitert zu sein. Es liessen sich keine Verbündeten finden. Niemand glaubt an unsere Chancen in einem Vergeltungsfeldzug gegen Maumar.
Tatsächlich ist es so, dass die Restanti Cavalieri einen Verbündeten verlieren werden. Dabei handelt es sich um meine Wenigkeit. Ab sofort ziehe ich mich von allen Verantwortlichkeiten zurück, welche mir von Ihnen und den restlichen Genossen übertragen wurden. Dies tue ich nicht wegen meines Versagens. Der Grund für meinen Rückzug sind die schrecklichen Szenerien die ich während meiner Reise mitansehen musste. Überall sah ich die Spuren des Krieges. Wie einst der Schwarze Tod haben die Zerstörung und das Leid alles befallen.
Ich ritt durch Dörfer und Städte, verwüstet durch Kampf und Feuer. Hunger und sich ausbreitende Krankheiten trieben diese ehemals lebhaften und idyllischen Orte an den Rand der Auslöschung.
Ich ritt vorbei an offenen Feldern. Felder, auf denen entscheidende Schlachten geführt wurden. Barden würden diese grossen Schlachten in ihren Gesängen verewigen. Das Meer aus Leichen, da bin ich mir sicher, werden sie jedoch in keiner Strophe erwähnen.
Ich ritt vorbei an zahllosen Gräbern. An zu vielen Gräbern.
Nicht nur das Bild der Landschaft hatte sich unter dem brutalen
Eroberungszug Maumars gewandelt. Der Krieg hatte auch die Menschen verändert.
Die Leute wurden zu Dieben, obwohl sie keine sein wollten. Hunger und Verzweiflung trieben sie dazu. Weinend schrien Kinder nach ihren Eltern, nicht wissend, dass sie von da an allein sein würden. Überall floss Alkohol in zu grossen Mengen. Die Menschen versuchten so, ihre Seelenqualen zu ertränken. Nicht wenige wählten einen anderen Weg um diesem Albtraum zu entkommen. Sie banden dicke Stricke an kräftige Äste. Ich hörte das Weinen von Frauen, die unkontrollierter Männlichkeit zum Opfer fielen. Ich sah Menschen, die ihren Alltag plötzlich mit fehlenden Gliedmassen meistern mussten und Überlebende, deren Körper nur noch leere Hüllen waren.
Alle trauern den friedlichen Zeiten nach. Sie können nicht verstehen, warum diese Dunkelheit über ihr Leben hereingebrochen ist.
Ich aber weiss es. Das Volk leidet wegen unseres gierigen Strebens nach Macht. Wir haben den Krieg und so auch dieses Elend herauf beschworen. Ich möchte nicht der Grund sein, dass solch eine Hölle erneut herauf beschworen wird. Mein verehrter Signor Bueri, ich kann es nicht.
Cordiali saluti
Marco Leale
Der zweite Brief: Ich hatte einen Traum
Gentile Signor Bueri,
wenn Sie diese Worte lesen, werden meine Sachen gepackt und ich längst fort sein. Ich verlasse die Restanti Cavalieri. Diesen Brief hinterlasse ich, weil ich glaube, Ihnen eine Begründung schuldig zu sein. Den Grund für meinen Entschluss fand ich des Nachts in meinen Träumen. Lassen Sie mich Ihnen also von diesen Träumen erzählen. Hoffentlich können Sie am Ende dadurch meine Entscheidung nachvollziehen.
In einem dieser Träume war ich wieder ein kleiner Junge. Auf meinem Schoss lag eine Lyra. Ungeschickt stolperten meine Finger über die rauen Saiten des edlen Instruments. Der Klang war fehlerhaft doch die Freude die ich dabei in mir spürte, war endlos.
In einem anderen stand ich mit gesenktem Kopf hinter meinem Vater. Uns gegenüber hatte der grosse Cavaliere Corvo da Firenzio Platz genommen. Die beiden sprachen über meine Zukunft. Am Ende des Gesprächs reichten sich die Männer die Hände und ein paar Tage später musste ich mein vertrautes Heim und alle Freunde hinter mir lassen. Mein Leben als Knappe begann.
In einem weiteren durchlebte ich jene Zeit in Firenzio erneut. Noch einmal lernte ich den Umgang mit dem Schwert und erfuhr dabei am eigenen Leib den Schmerz, den es einem zufügen kann. Erneut ertrug ich die Schläge, die Beschimpfungen und die Züchtigungen meines Herrn. In diesen Jahren wuchs ich vom Kind zum Mann heran. Es war aber auch in diesen Jahren, dass meine Lippen das Lächeln verlernten.
Erst Jahre später fand ich wieder einen Grund zum Lächeln. Meine Träume führten mich zu jenem besonderen Moment zurück. Zu dem Moment, als ich Prinzessin Giulia di Meci traf.
Aufs Neue durfte ich sie kennenlernen. Ein weiteres Mal führte uns unsere Leidenschaft für die Musik zusammen. Noch einmal liebten wir uns heimlich in den Gärten des königlichen Palazzos.
Doch nichts währt ewig. Die Prinzessin entglitt meinen Armen. Der betörende Duft von Flieder und Stachelbeere wich jenem von Blut und dem beissenden Rauch zahlloser Flammen. Giulias lieblicher Gesang verklang allmählich. Stattdessen war zu hören, wie Stahl auf Stahl traf und wie Schmerzensschreie sich erhoben. Die beruhigende Wärme ihres Körpers verflüchtigte sich und die Kälte einer eisernen Rüstung umhüllte mich. Zuletzt verschwand ihr Gesicht und vor mir baute sich ein Schlachtfeld auf. Der Strom meiner Träume führte mich vom glücklichsten zum entsetzlichsten Moment meines Lebens. Erneut stand ich in der alles entscheidenden Schlacht um Firenzio. Männer in schwarzen Rüstungen rannten auf mich zu. Zitternd schwang ich mein Schwert und streckte jeden nieder, der sich mir entgegenstellte. Doch so oft ich dies auch tat, die Flut an Feinden brach nicht ab.
«Aufhören», wisperte ich immer wieder. «Es soll endlich aufhören.»
Der Streitkolben eines mächtigen Hünen erfüllte mir diesen Wunsch.
Er traf mich direkt am Kopf und beendete damit zum einen die Erinnerungen an den Krieg und zum anderen meine nächtlichen Träume.
Tage lang kaute ich auf all diesen Bildern herum. Ich versuchte, deren Bedeutung zu verstehen. Zu begreifen, warum sie so viel in mir auslösten. Nun glaube ich, so weit zu sein.
Ich fürchte und verabscheue den Kampf. Dies habe ich schon immer getan. Die Musik lässt mein Herz aufblühen. Sie ist es, die ich liebe. Sie und Prinzessin Giulia. Doch das Leben meiner Geliebten fand in der Schlacht um Firenzio ein abruptes Ende.
Kurz entfachten sich die Flammen der Rache in mir. Schnell verkam dieses Feuer jedoch wieder zur Glut und erlosch daraufhin gänzlich. Ich begriff, anderen das Leben zu entreissen, würde Giulia nicht zurückbringen. Die Musik aber lässt mich bei ihr sein.
Aus diesen Gründen werde ich von nun an eine Lyra anstelle eines Schwertes auf mir tragen. Ich lege meine Rüstung ab und verzichte somit bis ans Ende meiner Tage auf alle Privilegien, die mir der Ritterschlag gab.
Cordiali saluti
Cavaliere Alessandro Valoroso
Der dritte Brief: Für den Frieden
Gentile Signor Bueri,
wenn dieser Brief Sie erreicht, werde ich bereits tot sein.
Meine Hinrichtung soll noch an jenem Tag stattfinden, an dem ich diese Worte aufs Pergament bringe. Wie ich hörte, soll Ihr Drängen zu einem schnellen Entscheid in diesem Prozess beigetragen haben. Warum Sie mein Ende wollen, kann ich mir vorstellen. Doch sorgen Sie sich nicht. Ihr kleines Geheimnis werde ich mit ins Grab nehmen. In diesem Schreiben soll es um den Grund für meine Tat gehen. Den Grund, weshalb ich «Prinzessin Elena» vor aller Augen am Hofe von Tium getötet habe. Es war mein Wunsch nach Frieden, der mich dazu trieb. Um ihn zu erfüllen, brach ich mein Versprechen Ihnen gegenüber. Das Versprechen die junge Frau unter allen Umständen zu beschützen.
Wäre es zu der von Ihnen geplanten Vermählung zwischen «Elena» und dem Prinzen von Tium gekommen, wäre daraus ein mächtiges Bündnis hervorgegangen. Das Königreich Tium hätte sein Recht auf den Thron von Tosa geltend gemacht und zu den Waffen gerufen. Die zerstreuten Anhänger der Mecis wären diesem Ruf gefolgt und vereint hätten sie sich Maumars müden Truppen gestellt. Ihr Plan wäre aufgegangen, Signor Bueri. Sie hätten Ihre Rache bekommen.
Den hohen Preis dafür hätte aber das einfache Volk bezahlt. Erneut wären es in die grausame Natur eines Krieges verwickelt worden. Das konnte ich nicht zulassen und deshalb musste die junge Frau, mitsamt den Gerüchten um Prinzessin Elena di Meci, sterben.
Ich weiss, meine Worte sind ein einziger Widerspruch. Ich rede von Frieden, erzwinge ihn aber mit Gewalt. Dessen bin ich mir bewusst aber sehen Sie denn auch die Widersprüche in Ihrem eigenen Handeln? Ich empfinde sie als noch grösser als die meinen. Sie reden von Rache und behaupten, die Mecis würden es so wollen. Doch die Toten kennen kein Verlangen. Es sind die Lebenden, die Bedürfnisse verspüren. Das bedeutendste davon: Frieden.
Warum sollen wir ihnen diesen verwehren?
Mit Blut und Schweiss baut sich das Volk auf, was der Krieg ihm genommen hat. Hand in Hand mit der Natur heilt es langsam die Wunden der unzähligen Schlachten und Plünderungen. Wir haben kein Recht, diese Wunden wieder aufzureissen. So tief unsere eigenen auch sein mögen.
Signor Bueri, verstehen Sie mich nicht falsch, ich verstehe Ihren Wunsch nach Vergeltung. König Giovanni di Meci soll wie ein Bruder für Sie gewesen sein. Von klein auf haben Sie die Freuden und Leiden des Lebens geteilt. Sein Verlust hat Sie vermutlich in einen tiefen Graben geworfen. Einen Graben, von dem Sie glauben, nur durch Rache wieder entkommen zu können. Doch behaupte ich, dass dem nicht so ist. Hass und Rache sind wie ein Feuer, das seit Anbeginn auf der Welt lodert. Immer und immer wieder geben wir es weiter und erhalten dessen Flammen so am Leben. Flammen, die einen selbst komplett verzehren können. Flammen an denen unsere schöne Welt einst zerfallen wird.
Riflettete su queste parole
Cavaliere Franceso Saggio
Der Anfang
Eine Taube landet auf dem Ast einer Pinie.
Aufmerksam schaut sie zum jungen Mann, der im Schatten des Baumes sitzt und seine Laute stimmt. Prüfend streifen seine Finger über die gespannten Saiten. Er beginnt zu spielen.
Die ersten Klänge entströmen der Laute. Sie zaubern dem jungen Mann ein Lächeln ins Gesicht. Weiter tanzen seine geschickten Finger über das hölzerne Instrument und führen dieses frohe Lied fort. Der Mann versinkt immer mehr in seiner Musik.
Um ihn herum beginnen die Leute zu tanzen. Unter diesen Leuten ist auch eine junge Frau. Lächelnd wirbelt sie unter der sanften Führung ihres Gatten umher.
Einst suchte ein jeder nach ihr. Das Volk der Belohnung wegen, Maumars Truppen um sie zu töten und die Restanti Cavalieri, um sie zurück auf den Thron zu bringen. Doch sie wollte nicht gefunden werden. Sie wollte und war nicht mehr die Frau von damals. Ihr schwarzes Haar trägt sie kurz, ihre edle Garderobe ist jener des einfachen Volkes gewichen und ihre Wangen sind nicht von Rouge, sondern von Freude gerötet. Sie ist eine einfache Frau, die ein einfaches Leben führt. Sie hat verziehen und darin ihren Frieden gefunden
Firenzio.
Einst ein Ort voller Macht und Reichtum. Ein Stadtbild, geformt von Künstlern sämtlicher Gattungen. Wer durch die Strassen schlenderte oder die harmonisch ineinander übergehenden Bauten betrat, vor dem breitete sich die ganze Palette der dortigen Kultur aus. Freskos, Statuen und Brunnen aus Marmor erzählten Geschichten aus vergangenen Zeiten. Säulen, Pilaster und kunstvoll ausgearbeitete Ornamente zierten die Fassaden. Die Luft war erfüllt von den Aromen regionaler Weine und kulinarischer Köstlichkeiten. Köstlichkeiten, deren Duft besonders von intensiven Ölen und Kräutern geprägt war. Die Gesänge von Strassenmusikern waren das letzte Teil in diesem einzigartigen Mosaik einer Stadt. Firenzio: eine Pracht.
Doch der Krieg zerstörte diese Pracht. Er raubte der Stadt ihren Glanz und liess sie zu einem Nest voller Raben verkommen. Aasfresser kreisen nun über dem Netz aus Strassen und Gassen. Gierig starren sie herab. Ihre pechschwarzen Augen erblicken die Zerstörung und den Tod.
Firenzio galt als die letzte Bastion im Königreich Tosa. Sie war der Wall, an dem die Truppen von Maumar endlich zerbrechen sollten.
Zerbrochen war jedoch nur der Wall selbst. Drei Wochen hielt man dem Druck des kalten Nordens stand. Die anfangs unvorstellbare Niederlage wurde zur Realität. Sie war der tödliche Stich ins Herz für das Königreich Tosa und führte zu dessen endgültigem Niedergang.
Wie dem Reich erging es auch König Giovanni di Meci und seiner Familie. In den letzten Stunden des Krieges stürmten Soldaten Maumars den königlichen Palazzo. Grausam entrissen sie den Herrschern Tosas das Leben. Mit ihren Schwertern beendeten sie die fast dreihundert Jahre lange Regentschaft der Mecis. Doch das Blut der Mecis soll nicht ganz versiegt sein. Prinzessin Elena lebt. Ihr soll die Flucht gelungen sein.
Wie der Wind zieht dieses Gerücht durch das zerstörte Reich und erreicht jedermanns Ohren. Alle suchen nach der jungen Frau. Das einfache Volk der Belohnung wegen. Die Truppen von Maumar, um sie zu töten. Die Restanti Cavalieri, die letzten Ritter Tosas, um die Familie Meci zurück auf ihren Thron zu bringen.
Der erste Brief: Die Spuren des Krieges
Gentile Signor Bueri,
auf Ihr Geheiss hin sollte ich Söldner für unsere Truppe rekrutieren. Meine Kontakte nutzen, um Adelsmänner und deren Soldaten für unsere Sache zu gewinnen. Doch ich muss gestehen, gescheitert zu sein. Es liessen sich keine Verbündeten finden. Niemand glaubt an unsere Chancen in einem Vergeltungsfeldzug gegen Maumar.
Tatsächlich ist es so, dass die Restanti Cavalieri einen Verbündeten verlieren werden. Dabei handelt es sich um meine Wenigkeit. Ab sofort ziehe ich mich von allen Verantwortlichkeiten zurück, welche mir von Ihnen und den restlichen Genossen übertragen wurden. Dies tue ich nicht wegen meines Versagens. Der Grund für meinen Rückzug sind die schrecklichen Szenerien die ich während meiner Reise mitansehen musste. Überall sah ich die Spuren des Krieges. Wie einst der Schwarze Tod haben die Zerstörung und das Leid alles befallen.
Ich ritt durch Dörfer und Städte, verwüstet durch Kampf und Feuer. Hunger und sich ausbreitende Krankheiten trieben diese ehemals lebhaften und idyllischen Orte an den Rand der Auslöschung.
Ich ritt vorbei an offenen Feldern. Felder, auf denen entscheidende Schlachten geführt wurden. Barden würden diese grossen Schlachten in ihren Gesängen verewigen. Das Meer aus Leichen, da bin ich mir sicher, werden sie jedoch in keiner Strophe erwähnen.
Ich ritt vorbei an zahllosen Gräbern. An zu vielen Gräbern.
Nicht nur das Bild der Landschaft hatte sich unter dem brutalen
Eroberungszug Maumars gewandelt. Der Krieg hatte auch die Menschen verändert.
Die Leute wurden zu Dieben, obwohl sie keine sein wollten. Hunger und Verzweiflung trieben sie dazu. Weinend schrien Kinder nach ihren Eltern, nicht wissend, dass sie von da an allein sein würden. Überall floss Alkohol in zu grossen Mengen. Die Menschen versuchten so, ihre Seelenqualen zu ertränken. Nicht wenige wählten einen anderen Weg um diesem Albtraum zu entkommen. Sie banden dicke Stricke an kräftige Äste. Ich hörte das Weinen von Frauen, die unkontrollierter Männlichkeit zum Opfer fielen. Ich sah Menschen, die ihren Alltag plötzlich mit fehlenden Gliedmassen meistern mussten und Überlebende, deren Körper nur noch leere Hüllen waren.
Alle trauern den friedlichen Zeiten nach. Sie können nicht verstehen, warum diese Dunkelheit über ihr Leben hereingebrochen ist.
Ich aber weiss es. Das Volk leidet wegen unseres gierigen Strebens nach Macht. Wir haben den Krieg und so auch dieses Elend herauf beschworen. Ich möchte nicht der Grund sein, dass solch eine Hölle erneut herauf beschworen wird. Mein verehrter Signor Bueri, ich kann es nicht.
Cordiali saluti
Marco Leale
Der zweite Brief: Ich hatte einen Traum
Gentile Signor Bueri,
wenn Sie diese Worte lesen, werden meine Sachen gepackt und ich längst fort sein. Ich verlasse die Restanti Cavalieri. Diesen Brief hinterlasse ich, weil ich glaube, Ihnen eine Begründung schuldig zu sein. Den Grund für meinen Entschluss fand ich des Nachts in meinen Träumen. Lassen Sie mich Ihnen also von diesen Träumen erzählen. Hoffentlich können Sie am Ende dadurch meine Entscheidung nachvollziehen.
In einem dieser Träume war ich wieder ein kleiner Junge. Auf meinem Schoss lag eine Lyra. Ungeschickt stolperten meine Finger über die rauen Saiten des edlen Instruments. Der Klang war fehlerhaft doch die Freude die ich dabei in mir spürte, war endlos.
In einem anderen stand ich mit gesenktem Kopf hinter meinem Vater. Uns gegenüber hatte der grosse Cavaliere Corvo da Firenzio Platz genommen. Die beiden sprachen über meine Zukunft. Am Ende des Gesprächs reichten sich die Männer die Hände und ein paar Tage später musste ich mein vertrautes Heim und alle Freunde hinter mir lassen. Mein Leben als Knappe begann.
In einem weiteren durchlebte ich jene Zeit in Firenzio erneut. Noch einmal lernte ich den Umgang mit dem Schwert und erfuhr dabei am eigenen Leib den Schmerz, den es einem zufügen kann. Erneut ertrug ich die Schläge, die Beschimpfungen und die Züchtigungen meines Herrn. In diesen Jahren wuchs ich vom Kind zum Mann heran. Es war aber auch in diesen Jahren, dass meine Lippen das Lächeln verlernten.
Erst Jahre später fand ich wieder einen Grund zum Lächeln. Meine Träume führten mich zu jenem besonderen Moment zurück. Zu dem Moment, als ich Prinzessin Giulia di Meci traf.
Aufs Neue durfte ich sie kennenlernen. Ein weiteres Mal führte uns unsere Leidenschaft für die Musik zusammen. Noch einmal liebten wir uns heimlich in den Gärten des königlichen Palazzos.
Doch nichts währt ewig. Die Prinzessin entglitt meinen Armen. Der betörende Duft von Flieder und Stachelbeere wich jenem von Blut und dem beissenden Rauch zahlloser Flammen. Giulias lieblicher Gesang verklang allmählich. Stattdessen war zu hören, wie Stahl auf Stahl traf und wie Schmerzensschreie sich erhoben. Die beruhigende Wärme ihres Körpers verflüchtigte sich und die Kälte einer eisernen Rüstung umhüllte mich. Zuletzt verschwand ihr Gesicht und vor mir baute sich ein Schlachtfeld auf. Der Strom meiner Träume führte mich vom glücklichsten zum entsetzlichsten Moment meines Lebens. Erneut stand ich in der alles entscheidenden Schlacht um Firenzio. Männer in schwarzen Rüstungen rannten auf mich zu. Zitternd schwang ich mein Schwert und streckte jeden nieder, der sich mir entgegenstellte. Doch so oft ich dies auch tat, die Flut an Feinden brach nicht ab.
«Aufhören», wisperte ich immer wieder. «Es soll endlich aufhören.»
Der Streitkolben eines mächtigen Hünen erfüllte mir diesen Wunsch.
Er traf mich direkt am Kopf und beendete damit zum einen die Erinnerungen an den Krieg und zum anderen meine nächtlichen Träume.
Tage lang kaute ich auf all diesen Bildern herum. Ich versuchte, deren Bedeutung zu verstehen. Zu begreifen, warum sie so viel in mir auslösten. Nun glaube ich, so weit zu sein.
Ich fürchte und verabscheue den Kampf. Dies habe ich schon immer getan. Die Musik lässt mein Herz aufblühen. Sie ist es, die ich liebe. Sie und Prinzessin Giulia. Doch das Leben meiner Geliebten fand in der Schlacht um Firenzio ein abruptes Ende.
Kurz entfachten sich die Flammen der Rache in mir. Schnell verkam dieses Feuer jedoch wieder zur Glut und erlosch daraufhin gänzlich. Ich begriff, anderen das Leben zu entreissen, würde Giulia nicht zurückbringen. Die Musik aber lässt mich bei ihr sein.
Aus diesen Gründen werde ich von nun an eine Lyra anstelle eines Schwertes auf mir tragen. Ich lege meine Rüstung ab und verzichte somit bis ans Ende meiner Tage auf alle Privilegien, die mir der Ritterschlag gab.
Cordiali saluti
Cavaliere Alessandro Valoroso
Der dritte Brief: Für den Frieden
Gentile Signor Bueri,
wenn dieser Brief Sie erreicht, werde ich bereits tot sein.
Meine Hinrichtung soll noch an jenem Tag stattfinden, an dem ich diese Worte aufs Pergament bringe. Wie ich hörte, soll Ihr Drängen zu einem schnellen Entscheid in diesem Prozess beigetragen haben. Warum Sie mein Ende wollen, kann ich mir vorstellen. Doch sorgen Sie sich nicht. Ihr kleines Geheimnis werde ich mit ins Grab nehmen. In diesem Schreiben soll es um den Grund für meine Tat gehen. Den Grund, weshalb ich «Prinzessin Elena» vor aller Augen am Hofe von Tium getötet habe. Es war mein Wunsch nach Frieden, der mich dazu trieb. Um ihn zu erfüllen, brach ich mein Versprechen Ihnen gegenüber. Das Versprechen die junge Frau unter allen Umständen zu beschützen.
Wäre es zu der von Ihnen geplanten Vermählung zwischen «Elena» und dem Prinzen von Tium gekommen, wäre daraus ein mächtiges Bündnis hervorgegangen. Das Königreich Tium hätte sein Recht auf den Thron von Tosa geltend gemacht und zu den Waffen gerufen. Die zerstreuten Anhänger der Mecis wären diesem Ruf gefolgt und vereint hätten sie sich Maumars müden Truppen gestellt. Ihr Plan wäre aufgegangen, Signor Bueri. Sie hätten Ihre Rache bekommen.
Den hohen Preis dafür hätte aber das einfache Volk bezahlt. Erneut wären es in die grausame Natur eines Krieges verwickelt worden. Das konnte ich nicht zulassen und deshalb musste die junge Frau, mitsamt den Gerüchten um Prinzessin Elena di Meci, sterben.
Ich weiss, meine Worte sind ein einziger Widerspruch. Ich rede von Frieden, erzwinge ihn aber mit Gewalt. Dessen bin ich mir bewusst aber sehen Sie denn auch die Widersprüche in Ihrem eigenen Handeln? Ich empfinde sie als noch grösser als die meinen. Sie reden von Rache und behaupten, die Mecis würden es so wollen. Doch die Toten kennen kein Verlangen. Es sind die Lebenden, die Bedürfnisse verspüren. Das bedeutendste davon: Frieden.
Warum sollen wir ihnen diesen verwehren?
Mit Blut und Schweiss baut sich das Volk auf, was der Krieg ihm genommen hat. Hand in Hand mit der Natur heilt es langsam die Wunden der unzähligen Schlachten und Plünderungen. Wir haben kein Recht, diese Wunden wieder aufzureissen. So tief unsere eigenen auch sein mögen.
Signor Bueri, verstehen Sie mich nicht falsch, ich verstehe Ihren Wunsch nach Vergeltung. König Giovanni di Meci soll wie ein Bruder für Sie gewesen sein. Von klein auf haben Sie die Freuden und Leiden des Lebens geteilt. Sein Verlust hat Sie vermutlich in einen tiefen Graben geworfen. Einen Graben, von dem Sie glauben, nur durch Rache wieder entkommen zu können. Doch behaupte ich, dass dem nicht so ist. Hass und Rache sind wie ein Feuer, das seit Anbeginn auf der Welt lodert. Immer und immer wieder geben wir es weiter und erhalten dessen Flammen so am Leben. Flammen, die einen selbst komplett verzehren können. Flammen an denen unsere schöne Welt einst zerfallen wird.
Riflettete su queste parole
Cavaliere Franceso Saggio
Der Anfang
Eine Taube landet auf dem Ast einer Pinie.
Aufmerksam schaut sie zum jungen Mann, der im Schatten des Baumes sitzt und seine Laute stimmt. Prüfend streifen seine Finger über die gespannten Saiten. Er beginnt zu spielen.
Die ersten Klänge entströmen der Laute. Sie zaubern dem jungen Mann ein Lächeln ins Gesicht. Weiter tanzen seine geschickten Finger über das hölzerne Instrument und führen dieses frohe Lied fort. Der Mann versinkt immer mehr in seiner Musik.
Um ihn herum beginnen die Leute zu tanzen. Unter diesen Leuten ist auch eine junge Frau. Lächelnd wirbelt sie unter der sanften Führung ihres Gatten umher.
Einst suchte ein jeder nach ihr. Das Volk der Belohnung wegen, Maumars Truppen um sie zu töten und die Restanti Cavalieri, um sie zurück auf den Thron zu bringen. Doch sie wollte nicht gefunden werden. Sie wollte und war nicht mehr die Frau von damals. Ihr schwarzes Haar trägt sie kurz, ihre edle Garderobe ist jener des einfachen Volkes gewichen und ihre Wangen sind nicht von Rouge, sondern von Freude gerötet. Sie ist eine einfache Frau, die ein einfaches Leben führt. Sie hat verziehen und darin ihren Frieden gefunden
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