Teil 10

losvu

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20.09 h

Lori und Chris saßen auf der Couch im Wohnzimmer der Craigs.
Kurz zuvor hatte sie ihre kleinen Geschwister ins Bett gebracht.
Er wirkte noch immer sehr verlegen und sah sie nicht direkt an.
Sie dachte an letzte Nacht.
Sie waren im Kino gewesen und waren danach zu ihm nach Hau-
se gefahren. Seine Eltern besuchten übers Wochenende Freunde
in Sacramento. Seine beiden älteren Schwestern waren ausgezo-
gen, die beiden jüngeren hatten bei Freundinnen übernachtet. Sie
hatten das Haus für sich gehabt. Sie hatten sich geküsst und ge-
streichelt und gegenseitig ausgezogen. Sie hatten nicht viel Zeit
verschwendet, waren beide bereit gewesen, bis sie das Kondom
aus der Handtasche geholt hatte.
"Es ist halt passiert, Chris. Bitte hör auf, dir Vorwürfe zu machen."
"Aber es ist einfach... peinlich."
"Du warst aufgeregt. Und ? Ich auch."
"Ja, aber deinem kleinen Freund ist nicht die Luft ausgegangen !"
Er blickte kurz auf seine fest verschränkten Finger. "Ich dachte
wirklich, ich sei bereit dafür..." Er zögerte. "Als ich anfing, mich
für Mädchen zu interessieren, begann ich meinem Dad Fragen zu
stellen. Was Mädchen gefällt, wie man bei ihnen ankommt... über
Sex. Meine Eltern erklärten mir, wie das läuft, woher Kinder wirk-
lich kommen. Dad sagte, wenn ich einmal eine Freundin hätte, müs-
se ich mir gut überlegen, ob ich wirklich mit ihr schlafen wolle. Ob
ich sie, wenigstens ein bisschen, lieben würde. Das erste Mal sei
etwas ganz besonderes und ich solle es mir nicht versauen, indem
ich es einfach mit der Nächstbesten tue..."
"Liebst du mich ?"
Nun sah er sie an. Erst sah sie die Unsicherheit in seinem Blick,
die ihre eigene widerspiegelte. Dann sah sie die Unsicherheit lang-
sam weichen. "Ja."
Sie merkte erst, dass sie die Luft angehalten hatte, als sie erleich-
tert aufatmete. "Ich dich auch."
Er lächelte sie an und ihr Herz schlug schneller. Was will er nur
von mir ?, fragte sie sich. Er kann jedes Mädchen in der ganzen
verdammten Schule haben. Warum ich ?
Es war ihr egal. Er liebte sie. Sie konnte es nicht fassen.

Zur gleichen Zeit...

Rafael und ich saßen in seinem Büro, als Leigh hereinkam und sich
auf einen Stuhl fallen ließ.
"Wo warst du ?", fragte ich.
"Bei der Spurensicherung. Sie haben erste Ergebnisse. Seger hat
Blut und Haare untersucht. Sie hat zwei Blutgruppen gefunden. A
negetiv von Laura und 0 positiv vom Täter. Die Haare aus dem
Abfluss ihrer Badewanne waren Kopf-, Körper- und Schamhaare,
allesamt dunkel gefärbt."
"Er hat sich danach gewaschen ?", fragte Rafe ungläubig.
"Er war voller Blut", sagte ich, "so konnte er nicht raus. Wenn ihn
jemand gesehen hätte... Das musste er einkalkulieren."
"Die originale Haarfarbe ist blond", fuhr sie fort.
"Er muss sie sehr gut gekannt haben", sagte ich. "Fast...intim."
"Wie kommst du darauf ?", fragte mein Bruder.
"Diese Tat konnte persönlicher gar nicht sein. Und ich wette mit
dir, er hat sie beobachtet. Er muss ihr wochenlang gefolgt sein,
um ihren Tagesablauf kennen zu lernen. Und dann vorgestern
Nacht..."
"... hat er sie sich geschnappt. Und das Verändern des Ausseh-
ens ?"
"Sie hätte ihn erkannt, wenn er sein Aussehen nicht verändert
hätte."
"Er hat es also geplant. Was meinst du, wie lang ? "
"Monate-, wenn nicht jahrelang. Er hatte eine Menge Zeit. Kein
gewaltsames Eindringen, keine Zeugen, äußerste physische und
psychische Grausamkeit. Gewalt gegen primäre und sekundäre
Geschlechtsorgane prä- und ante mortem. Sexueller Sadismus.
Ich könnte mir vorstellen, dass er mindestens einmal ihre Woh-
nungstür geknackt und sich in der Wohnung umgesehen hat. Da-
her wusste er auch, was für mögliche Waffen - Messer, etc. - sie
hatte und wie sie sie eventuell einsetzen würde... Und wie er sie
gegen sie verwenden könnte."
"Er muss sie furchtbar gehasst haben. Die Waffe...?"
"War ihre", sagte Leigh. "Cora hat einen Waffenschein in ihrer
Handtasche gefunden. Sie hat zweimal auf ihn geschossen und
ihn einmal getroffen. Deshalb war sein Blut in ihrer Wohnung."
"Sehr gut."
"Es war laut Cora ein Streifschuss."
"Das ist mir egal !"
Sie sah ihn mit großen Augen an.
"Entschuldige, ich... Ich wollte sie..."
"Ich weiß."
"Sie hat mir nicht gesagt, dass sie eine Waffe hat. Wie lang hatte
sie die schon ?"
"Seit Anfang des Jahres. 12. Januar." Bevor er weiter nachhaken
konnte, sprach sie weiter: "Archie ist noch mit den Fingerabdrük-
ken beschäftigt. Bis jetzt keine Treffer. Und Mike sagt, das Werk-
zeug, mit dem er die Türen geknackt hat, sei ein Dietrich, wie ihn
Schlüsseldienste verwenden."
"Welche Türen ?", fragte ich.
"Die Hintertür und die Tür, die durch den begehbaren Kleider-
schrank zu der Treppe zur Hintertür führt."
"Wer baut denn Fluchtwege durch begehbare Kleiderschränke ?"
Sie lächelte.
"Was ?"
"Nichts. Mike meint, dass sie den Raum als Kleiderschrank nutzt,
er aber nicht unbedingt dafür gebaut wurde. Es könnte mal ein
kleines Bad, eine Abstellkammer oder sogar eine Diele gewesen
sein."
Rafe stimmte zu. "Es gibt einen Zugang von der Straße zur Hinter-
tür. Ist vom Garten relativ gut verborgen. Habt ihr schon Leute
losgeschickt, um Schlüsseldienste zu befragen ?"
"Es ist zu spät heute. Morgen."
"Zwei Schüsse ?", fragte ich. "Die meisten Nachbarn erinnern
sich nur an eine 'Fehlzündung'."
"Befrag ein Dutzend Zeugen und du kriegst ein Dutzend ver-
schiedene Aussagen", sagte Leigh. "Viele könnten geschlafen
haben, von einem seltsamen Geräusch aufgewacht sein und
hätten es erst beschreiben können, wenn sie es nochmal gehört
hätten."
"Das klingt plausibel", meinte mein Bruder. "Jemand, der noch
nie einen Schuss gehört hat, braucht einen Vergleich, etwas,
das so ähnlich klingt und das er kennt. Wie eine Fehlzündung."
"Ich werde morgen nochmal ein paar Jungs und Mädels in
Schwarz zu den Nachbarn schicken", sagte ich.
"Warum bist du so angezogen ?", fragte Leigh meinen Bruder.
"Du schaust mich an, als sei ich nackt." Er trug Jeans, Turnschu-
he und ein Stanford-Sweatshirt. Seine Haare saßen nicht so ak-
kurat wie sonst und er hatte einen Bartschatten. Er sah aus wie
ein menschliches Wesen. Zum ersten Mal in siebenunddreißig
Jahren. "Joyce hat mir angeraten, etwas Abstand zu dieser Er-
mittlung zu nehmen."
Rafael war zu tief in die den Fall verwickelt, als dass er seine
Arbeit noch objektiv hätte erledigen können. Der Bezirksstaats-
anwalt James Joyce - kein Witz - wollte anscheinend nicht, dass
irgendetwas bzw. irgendjemand diesen Fall gefährdete. Immer-
hin war einer seiner juristischen Goldesel das Opfer. Laura hat-
te eine Verurteilungsrate von 95 % aufwärts gehabt. Irgendwie
hatte er spitzgekriegt, dass Rafe und Laura nicht mehr nur Kol-
legen gewesen waren.
"Wie lang ?"
"Bis der Fall geklärt ist. Also beeil dich."
"Willst du, dass wir ihn vergeigen, indem wir bei der Arbeit
schlampen ? Gibt es sonst noch etwas, was wir heute tun kön-
nen ?", fragte ich Leigh.
"Wir haben die Bürokratie, vorläufige Ergebnisse der Spuren-
sicherung, Autopsiebericht, Befragungen der Nachbarn und...
Was ist mit mit den entlassenen Sexualtätern ?"
"Trina und ich haben drei befragen können. Sie hatten ein Alibi.
David Powell hat in einem 24-Stunden-Supermarkt zwei Blocks
von seiner Wohnung entfernt bis kurz nach Mitternacht gearbei-
tet. Eine Überwachungskamera hat ihn aufgenommen. Die Bil-
der waren überraschend gut. Er war deutlich zu erkennen. Eine
schlaflose ältere Nachbarin hat ihn heimkommen sehen und ihn
anhand des Bildes aus seiner Akte identifiziert. Paul Barrett hat
einen Job in einer Bar, ein paar Querstraßen von seiner Woh-
nung entfernt. Der Laden war voll. Seine Kollegen und einige
Stammgäste sagten, er habe ein paar Pinkelpausen gemacht, sei
aber nicht weggegangen."
"Wie konnten sie da so sicher sein, wenn der Laden voll war ?",
fragte Leigh.
"Die Bar gehört seinem Cousin. Er wollte ihm eine zweite Chan-
ce geben. Seine Kollegen, besonders die weiblichen, haben dem
Braten nicht getraut und ihn im Auge behalten."
"Warum ?"
"Sie sagten übereinstimmend, irgendwas gefiele ihnen nicht an
ihm. Die Kellnerinnen sagten, er habe anzügliche Bemerkungen
über ihr Aussehen gemacht."
"Hatte sein Cousin einen Anlass, für ihn zu lügen ?"
"Nicht, nachdem Trina ihm gesteckt hatte, was passieren wür-
de, wenn er sie anscheißt. Behinderung der Justiz, Beihilfe zum
Mord und so weiter. Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht." Dann
erzählte ich ihnen von der Befragung der Huffs.
"Trina springt sehr... kreativ mit dem Gesetz um", sagte Rafael.
"Wie jemand anderes, den ich kenne. Sie sollte es besser wis-
sen."
"Du hast den Anwalt von Huff angerufen ?", fragte Leigh. "Rush
kann dich nicht ab, weil du ihn vor Gericht immer so abbürstest."
"Ich ihn auch nicht. Aber immer noch besser, als wenn wir die
Befragung ohne ihn durchgeführt und er hinterher rausgefunden
hätte, dass er ja eigentlich nachtragend ist. Wenn Huff Laura
umgebracht hätte, wäre das als Boomerang zurückgekommen
und hätte uns den Hals gebrochen. Duane und Merry haben
vier befragt. Vier solide Alibis. Das wär's im Moment. Was
meinst du, Kleine ? Gehen wir runter in die Katakomben und
graben ein bisschen ?"
Sie hörte gar nicht zu, sondern schaute meinen Bruder unschlüs-
sig an.
"Ich werde dir von Adrian erzählen", sagte sie schließlich.
Wir sahen sie an.
"Ich habe dein Rasierwasser gerochen, als ich heute mittag mit
Lauras Eltern gesprochen habe", sagte sie zu mir. Dann begann
sie zu sprechen.
 



 
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