Ich arbeitete damals bei der Staatsanwaltschaft von Manhat-
tan in der Abteilung Sexualdelikte.
Eine junge Frau war von ihrem Freund missbraucht worden.
Ihr Name war Laura Bellini und sie studierte Jura an der Co-
lumbia Universität. Ich fuhr ins Krankenhaus, um mit ihr zu
sprechen. Ihre Eltern baten mich, damit zu warten, bis es ihr
besser ging, doch ich konnte sie umstimmen.
Sie sah schlimm aus. Ihr Gesicht war zerschlagen, die Augen
beinahe vollständig zugeschwollen, die Nase gebrochen, die
Lippen aufgeplatzt. Blutergüsse am ganzen Körper. Schnitt-
wunden an Brust und Bauch, an Händen und Armen, an den
Oberschenkeln. Sie konnte kaum sprechen, als sie mir erzähl-
te, was geschehen war.
Sie sagte, ihr Freund Adrian sei es gewesen. Er war extrem
eifersüchtig. Sie musste ihm über alles Rechenschaft ablegen.
Er gab ihr kein Geld, sondern sie musste ihn fragen, wenn sie
etwas haben wollte. Sie durfte nichts tun, was ihr gefiel, son-
dern musste ihm zur Verfügung stehen wann immer er wollte.
Er zwang sie zu Sex, wenn sie nicht wollte. Sie durfte keine
männlichen Freunde haben. Er verfolgte sie, um besonders
letzteres sicherzustellen.
Alles hat damit angefangen, dass er sie in der U-Bahn 'zu-
fällig' umgerannt hat. Er half ihr auf, entschuldigte sich, lud
sie zur 'Wiedergutmachung' zum Essen ein, ließ den Roman-
tiker raushängen und Peng !, hat es gefunkt. Als er sie hatte,
zeigte er dann sein wahres Gesicht.
Jedes Mal, wenn er sie geschlagen oder verprügelt hat, jam-
merte er ihr vor, wie Leid es ihm täte, dass er ihr nicht weh-
tun wolle, aber nicht anders könne. Sie hat die nie Hoffnung
aufgegeben, ihm helfen zu können. Sie brachte ihn dazu, eine
Therapie zu machen. Für ihn war das alles nur ein Witz. Die
Therapie hat auch 'geholfen'. Aber nur, weil er sich entschlos-
sen hatte, sich erstmal an die Regeln zu halten. Keine Verfol-
gung, kein Schreien und Schlagen, keine Verdächtigungen
mehr. Laura dachte wirklich, es sei vorbei.
An jenem Abend hat sie nur einen Fehler gemacht. Anstatt
nach einer Abendveranstaltung nach Hause zu kommen, wie
sie es ihm gesagt hatte, ist sie nach der Vorlesung zusammen
mit ein paar Kommilitoninnen in eine Bar in der Nähe der Uni
gegangen und hat mit ihnen etwas getrunken. Ihre beste Freun-
din Amy hatte Geburtstag und eine Runde ausgegeben. Gegen
halb zehn verließ sie die Bar und war eine Stunde später zu
Hause.
Adrian rastete aus. Er warf ihr vor, dass sie sich mit anderen
Männern herumtrieb, dass sie ihn nicht liebte, gar nicht schätz-
te, dass er wegen ihr sogar eine Therapie machte. Er nannte
sie eine Hure. Er hat sie zusammengeschlagen, stundenlang
vergewaltigt. Sie an den Haaren durch die Wohnung geschleift,
mit einem Steakmesser verletzt. Seine Nachbarn haben sie
schreien gehört. Sie haben erstmal nichts unternommen, weil
sie dachten, sie hätten Streit. Sie hatten oft welchen und das
ging sie nichts an. Als jedoch der Nachbar, dessen Wohnung
an Adrians Badezimmer grenzte, hörte, wie sich jemand ein-
schloss und sie weinte und kurz darauf, wie er sich gegen die
Tür warf und sie anfing zu schreien, hat er die Polizei gerufen.
Als die Beamten eintrafen, war Adrian voller Blutspritzer.
Überall in der Wohnung waren Blutspuren. Die Badezimmer-
tür war aufgebrochen. Sie lag nackt, blutend und halbtot mit-
ten im Wohnzimmer. Sie haben ihn sofort eingesackt und sie
ins Krankenhaus bringen lassen.
Als ich Adrian das erste Mal im Untersuchungsgefängnis auf
Rikers Island traf, bekam ich eine Gänsehaut. Er trug blaue
Sträflingskleidung und hatte dieses Raubtierlächeln drauf.
Ich befragte ihn zu Lauras Vorwürfen. Er hat nur gelacht. Die
kleine Schlampe hat nur bekommen, was sie verdient. Dann
hat er mir detailgetreu beschrieben, was er ihr angetan hat.
Drei Stunden lang. Er hat gekichert. Ich sei so blass. Ob ich
New Yorkerin sei ? Ja. Gebürtige ? Ja. Wie ich hieße ? Ita-
lienerin, wie ?, sagte er. Du hältst echt nichts aus, du kleine
Ithaker-Schlampe. Ja, so hat er mich genannt. Charmant,
nicht ? Dann hat er nach dem Beamten gerufen, der ihn in
seine Zelle zurückbringen sollte. Ich würde ihn langweilen.
Mir war so übel, dass ich beinahe auf den Tisch im Befra-
gungszimmer gekotzt hätte.
Vor Gericht habe ich ihn geröstet. Ich habe ihn wegen
mehrfacher und besonders schwerer Vergewaltigung,
versuchtem Mord, versuchtem Totschlag, häuslicher Ge-
walt und Freiheitsberaubung angeklagt.
Sein Veteidiger stellte ihn als Gutmenschen hin. Soziales
Engagement, erfolgreich im Beruf - er arbeitete bei der
Bank of America - noch nie Gewalt gegenüber Frauen,
bla bla bla.
Also habe ich zwei Zeuginnen aufgerufen, die es besser
wussten. Amy Wallace, Lauras beste Freundin, der sie
alles anvertraut hatte, nachdem Adrian festgenommen
worden war.
Und Laura selbst. Sie trug einen dunklen Rock und eine
kurzärmelige grüne Bluse. Die Haare hatte sie hochge-
steckt. Man sah deutlich die Schnittverletzungen, die Nar-
ben auf ihren Armen hinterlassen hatten. Die verheilenden
Bluergüsse an Extremitäten und Hals. Sie trug kein Make-
Up. Ihr Gesicht war noch leicht geschwollen, die Nase
schief. Sie verbarg nichts. Ein paar weibliche Geschworene
und sogar ein männlicher fingen an zu weinen, als sie sie
sahen.
Sie verurteilten ihn zu lebenslänglich. Als man ihn abführte,
um ihn zurück nach Rikers zu bringen, rastete er völlig aus.
Die propere Fassade fiel. Er tobte und schrie. Er nannte
uns drei verdammte Huren, die sein Leben zerstört hätten.
Er drohte, uns zu töten, sollte er je wieder rauskommen.
Ein Gerichtsdiener zog ihm mit seinem Schlagstock eins
über, dann trugen er und ein Kollege ihn aus den Saal. Es
war still im Saal. Man hätte eine Stecknadel fallen hören
können.
Nach ihrem Abschluss an der Columbia ist sie hierher ge-
zogen. Es tat ihr Leid wegen ihrer Eltern, aber sie wollte
nicht länger in New York bleiben. Adrian war ihr zu nah,
obwohl er hinter Gittern saß. Rikers war zu nah.
Anfang dieses Jahres, am 9. Januar, wurde Adrian wegen
guter Führung, einer 'erfolgreich' abgeschlossenen The-
rapie und Überbelegung aus dem Gefängnis entlassen. Ein
Wärter aus Rikers, Sam Hastings, hat seinen Freund, einen
Ermittler der Mordkommission von Manhattan namens
Cooper Craig angerufen, der den Fall verfolgt hatte. Ich
kenne beide von früher und beide haben mich angerufen
und vor Adrian gewarnt. Ich habe es Laura gesagt und ein
paar Tage später zeigte sie mir die 38er, die wir gestern ge-
funden haben...
Mitte Februar wurde eine junge Frau in ihrer Wohnung in
Manhattan in ihrer Badewanne ertränkt. Sie hatte Blutergüs-
se an den Fußknöcheln, die darauf schließen ließen, dass der
Täter sie dort gepackt und unter Wasser gezogen hatte. Sie
hatte Wasser in den Lungen. Der Gerichtsmediziner sagte,
dass sie unter Wasser gedrückt wurde, bis sie sich nicht mehr
wehrte. Dann hat er ihre Leiche so arrangiert, als sei sie ab-
gerutscht und so unter Wasser geraten. Hinterher hat er das
Bad gereinigt und aufgeräumt und ist gegangen. Ihr Mann
konnte ausgeschlossen werden. Er hat zur Tatzeit gearbeitet.
Zeugen haben das bestätigt. Coop bearbeitete den Fall und
hatte auch, nein besonders, Adrian in Verdacht, weil das
Opfer in der Badewanne Amy Wallace war. Der Täter hat
kaum Spuren hinterlassen und Adrian war nicht aufzufinden,
als Coop ihn befragen wollte... Alle weiteren Ermittlungen
führte zu nichts.
Rafael und ich saßen einfach da und starrten sie wortlos
an. Dann setzte sie noch eins drauf.
"Ich habe ihn gestern gesehen."
"Was ?", riefen wir beide.
"Er sah anders aus und ich war mir nicht sicher. Erinnerst
du dich, wie ich einen Moment an der Tür gewartet und
mich umgesehen habe ?"
"Da hast du ihn gesehen ?", fragte ich.
"Ich habe einen Mann gesehen, der so groß war wie er,
aber keine blonden Haare und braune Augen hatte wie
Adrian, sondern schwarze Haare und grüne Augen. Da-
rum war ich nicht sicher. Bevor wir uns getrennt und ich
zum Revier gefahren bin, habe ich ihn noch mal gesehen.
Ich sah ihn genauer an. Ich wusste es in dem Moment,
als er lächelte. Es hat mir die Haare gesträubt. Daran hab
ich ihn erkannt."
Rafael starrte vor sich hin, versuchte, diese Flut an Infor-
mationen zu verdauen.
"Wir brauchen mehr Informationen über Delaney", sagte
ich und schaute auf meine Uhr. Kurz vor halb zehn. Kurz
vor halb eins in New York. "Darf ich mal dein Telefon be-
nutzen ?"
Er schob es zu mir hinüber.
Ich wählte die Nummer in New York und wartete.
"Ich kenne diese Nummer", sagte Leigh. "Coop und ihr...
na klar." Sie schlug sich mit der flachen Hand gegen die
Stirn.
"Wir sind Cousins", sagte ich, dann meldete sich eine
männliche Stimme am anderen Ende.
"Craig."
"Hier auch Craig."
"Bist du bescheuert, Clark ? Wir waren schon im Bett !"
"Jilly dürfte es auch interessieren." Jillian Shane war An-
klägerin für Kapitalverbrechen bei der Staatsanwalt-
schaft von Manhattan und Coops Frau. Sie leitete die
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum Fall Amy Wal-
lace. "Und ja, mir geht's auch gut. Danke der Nachfrage."
"Was willst du ?"
"Ich will gar nichts. Aber ich habe etwas, dass euch ver-
loren gegangen ist und das ihr fieberhaft sucht."
"Von allen hunderttausend Cousins und Cousinen liebe
ich dich am meisten, aber im Moment gehst du mir ein-
fach nur auf die Nüsse. Okay, was ist das, was wir an-
geblich verloren haben, fieberhaft suchen und das du
hast ?"
"Adrian Delaney."
Schweigen.
"Ich hoffe sehr, dass du mich nicht verarschst. Das
könnte sich nämlich nachteilig auf deine Lebenserwar-
tung auswirken."
"Du bist ein echter Charmebolzen, weißt du das ?"
Dann erzählte ich ihm von dem Mord an Laura, fasste
ihre Verletzungen und die vorläufigen Ergebnisse der
Spurensicherung zusammen.
"Verdammt, das ist er. Leigh hat es euch gesagt, nicht ?
Er hat nicht zufällig seinen Namen in ihre Haut geritzt ?
Um euch die Arbeit zu erleichtern ?"
"Nein. Die Fingerabdrücke, das Blut und die Haare
sind wahrscheinlich Sackgassen. 0 positiv ist die zweit-
häufigste Blutgruppe in der Bevölkerung und die Finger-
abdrücke hätte er nicht hinterlassen, wenn er nicht a)
Ersttäter, b) sonst nirgendwo registriert wäre, was wir
wohl beides ausschließen können oder c) seine Straf-
taten wenn nicht in Kalifornien begangen hat."
"Hm", machte Coop. "Was ist dein Problem ?"
"Wir brauchen mehr Informationen. Zum Beispiel seine
Akte und die Prozessunterlagen von 1973. Bis jetzt
haben wir strenggenommen nur ein Opfer und eine MO-
Übereinstimmung mit einem Mann aus einem anderen
Bundesstaat, der nicht aufzufinden ist. Wir stochern hier
im Trüben. Laura war Staatsanwältin und irgendein Witz-
bold hat das den Medien gesteckt. Hier ist der Teufel los.
Das geht mir auf die Nüsse."
"Das mit den Prozess-Unterlagen dürfte nicht so einfach
sein, aber die Fallakte kann ich euch beschaffen. Ihr be-
kommt sie so bald wie möglich. So, und jetzt will ich
pennen. Gute Nacht." Er hängte auf.
"Er war nicht sonderlich erfreut, hm ?", fragte Rafael.
"Nein, aber er schickt uns die Fallakte und, wenn er's
auf die Schnelle hinkriegt, auch die Prozessunterlagen."
Ich sah Leigh an. "Sollen wir runtergehen und den an-
deren sagen, dass sie erst mal aufhören sollen, Lauras
Fälle zu durchsuchen ?"
Sie nickte nur.
Wir verabschiedeten uns von meinem Bruder und
fuhren in den Keller. Es herrschte große Freude, als
sie erfuhren, dass sie fürs Erste erlöst waren.
"Sag schon", drängte Jilly. "Was ist los ?"
"Adrian ist höchstwahrscheinlich in San Francisco. Er...
Laura Bellini ist tot, ermordet."
"Nein !", sagte sie, als könne das Wort es ungeschehen
machen.
"Jedenfalls stimmen ihre Verletzungen mit denen über-
ein, die er ihr damals während ihrer 'Beziehung' zuge-
fügt hat."
"Das verdammte Schwein ! Wenn sie ihn haben, will
ich ihn anklagen. Wegen Amy Wallace."
"San Francisco will ihn auch anklagen. Sie war dort
Staatsanwältin."
"Nein !"
"Doch."
"Was hat Clark gesagt ? Er will die Prozessakten ?
Die kann ich beschaffen."
"Ich will nicht wissen, wie du das machst, aber tu's.
Die Fallakte ist leicht. Ich werde mit dem Captain
reden und sie dann aus dem Archiv holen. Mein ehe-
maliger Partner leitet es. Eine Kugel im Rücken hat ihn
außendienstunfähig gemacht. Ed und ich sind sehr gut
befreundet, wenn du verstehst, was ich meine."
Sie legte den Kopf schief, überlegte. Dann rollte sie
sich auf ihn. "Ich hab eine Idee..."
Wir fuhren nach Hause. Es war halb elf. Lori und Chris
schliefen engumschlungen auf der Couch im Wohnzim-
mer. Ich ging an ihnen vorbei zum Wohnzimmerschrank
und holte den Whisky. Ich bin kein Alkoholiker, doch
das war und ist für mich der Abschluss des Tages. Ein
großer Bushmills Single Malt ohne alles.
"Dad ?"
"Ja."
Sie wand sich aus Chris' Umarmung und kam zu mir
herüber und küsste mich auf die Wange.
Chris war von ihrer Befreiungsaktion wach geworden
und begrüßte uns.
Meine Tochter gähnte.
"Was ist denn mit dir los ?"
"Es wurde etwas später gestern."
"Dann geh schlafen. Was ist mit dir, Chris ? Willst
du noch nach Hause fahren oder hier übernachten ?
Dann müsstest du aber mit dem Gästezimmer Vor-
lieb nehmen."
Aus dem Augenwinkel sah ich Lori die Augen ver-
drehen. Jetzt lässt er wieder den Vater raushängen.
"Das wäre nett. Ich bin zu müde zum Fahren. Aber
es ist eh egal, wo ich schlafe." Er klang seltsam ver-
bittert. "Gestern ist nichts passiert. Warum sollte es
heute anders sein ?"
Einen Moment lang hing das Gesagte in der Luft,
dann, als er merkte, was er da gesagt hatte, wurde
er rot. So deutlich hatte er wohl nicht werden wollen.
Was hat er damit gemeint ? Mir ging nicht so viel an-
deres durch den Kopf, dass ich einen Augenblick
brauchte, um es zu kapieren. Ins Kino gehen und
danach... noch was essen.
"Oh... Das ist, ähm... scheiße."
"Ja."
Ich trank den Whisky aus. Dann sahen wir noch nach
den Kindern und gingen schlafen.
tan in der Abteilung Sexualdelikte.
Eine junge Frau war von ihrem Freund missbraucht worden.
Ihr Name war Laura Bellini und sie studierte Jura an der Co-
lumbia Universität. Ich fuhr ins Krankenhaus, um mit ihr zu
sprechen. Ihre Eltern baten mich, damit zu warten, bis es ihr
besser ging, doch ich konnte sie umstimmen.
Sie sah schlimm aus. Ihr Gesicht war zerschlagen, die Augen
beinahe vollständig zugeschwollen, die Nase gebrochen, die
Lippen aufgeplatzt. Blutergüsse am ganzen Körper. Schnitt-
wunden an Brust und Bauch, an Händen und Armen, an den
Oberschenkeln. Sie konnte kaum sprechen, als sie mir erzähl-
te, was geschehen war.
Sie sagte, ihr Freund Adrian sei es gewesen. Er war extrem
eifersüchtig. Sie musste ihm über alles Rechenschaft ablegen.
Er gab ihr kein Geld, sondern sie musste ihn fragen, wenn sie
etwas haben wollte. Sie durfte nichts tun, was ihr gefiel, son-
dern musste ihm zur Verfügung stehen wann immer er wollte.
Er zwang sie zu Sex, wenn sie nicht wollte. Sie durfte keine
männlichen Freunde haben. Er verfolgte sie, um besonders
letzteres sicherzustellen.
Alles hat damit angefangen, dass er sie in der U-Bahn 'zu-
fällig' umgerannt hat. Er half ihr auf, entschuldigte sich, lud
sie zur 'Wiedergutmachung' zum Essen ein, ließ den Roman-
tiker raushängen und Peng !, hat es gefunkt. Als er sie hatte,
zeigte er dann sein wahres Gesicht.
Jedes Mal, wenn er sie geschlagen oder verprügelt hat, jam-
merte er ihr vor, wie Leid es ihm täte, dass er ihr nicht weh-
tun wolle, aber nicht anders könne. Sie hat die nie Hoffnung
aufgegeben, ihm helfen zu können. Sie brachte ihn dazu, eine
Therapie zu machen. Für ihn war das alles nur ein Witz. Die
Therapie hat auch 'geholfen'. Aber nur, weil er sich entschlos-
sen hatte, sich erstmal an die Regeln zu halten. Keine Verfol-
gung, kein Schreien und Schlagen, keine Verdächtigungen
mehr. Laura dachte wirklich, es sei vorbei.
An jenem Abend hat sie nur einen Fehler gemacht. Anstatt
nach einer Abendveranstaltung nach Hause zu kommen, wie
sie es ihm gesagt hatte, ist sie nach der Vorlesung zusammen
mit ein paar Kommilitoninnen in eine Bar in der Nähe der Uni
gegangen und hat mit ihnen etwas getrunken. Ihre beste Freun-
din Amy hatte Geburtstag und eine Runde ausgegeben. Gegen
halb zehn verließ sie die Bar und war eine Stunde später zu
Hause.
Adrian rastete aus. Er warf ihr vor, dass sie sich mit anderen
Männern herumtrieb, dass sie ihn nicht liebte, gar nicht schätz-
te, dass er wegen ihr sogar eine Therapie machte. Er nannte
sie eine Hure. Er hat sie zusammengeschlagen, stundenlang
vergewaltigt. Sie an den Haaren durch die Wohnung geschleift,
mit einem Steakmesser verletzt. Seine Nachbarn haben sie
schreien gehört. Sie haben erstmal nichts unternommen, weil
sie dachten, sie hätten Streit. Sie hatten oft welchen und das
ging sie nichts an. Als jedoch der Nachbar, dessen Wohnung
an Adrians Badezimmer grenzte, hörte, wie sich jemand ein-
schloss und sie weinte und kurz darauf, wie er sich gegen die
Tür warf und sie anfing zu schreien, hat er die Polizei gerufen.
Als die Beamten eintrafen, war Adrian voller Blutspritzer.
Überall in der Wohnung waren Blutspuren. Die Badezimmer-
tür war aufgebrochen. Sie lag nackt, blutend und halbtot mit-
ten im Wohnzimmer. Sie haben ihn sofort eingesackt und sie
ins Krankenhaus bringen lassen.
Als ich Adrian das erste Mal im Untersuchungsgefängnis auf
Rikers Island traf, bekam ich eine Gänsehaut. Er trug blaue
Sträflingskleidung und hatte dieses Raubtierlächeln drauf.
Ich befragte ihn zu Lauras Vorwürfen. Er hat nur gelacht. Die
kleine Schlampe hat nur bekommen, was sie verdient. Dann
hat er mir detailgetreu beschrieben, was er ihr angetan hat.
Drei Stunden lang. Er hat gekichert. Ich sei so blass. Ob ich
New Yorkerin sei ? Ja. Gebürtige ? Ja. Wie ich hieße ? Ita-
lienerin, wie ?, sagte er. Du hältst echt nichts aus, du kleine
Ithaker-Schlampe. Ja, so hat er mich genannt. Charmant,
nicht ? Dann hat er nach dem Beamten gerufen, der ihn in
seine Zelle zurückbringen sollte. Ich würde ihn langweilen.
Mir war so übel, dass ich beinahe auf den Tisch im Befra-
gungszimmer gekotzt hätte.
Vor Gericht habe ich ihn geröstet. Ich habe ihn wegen
mehrfacher und besonders schwerer Vergewaltigung,
versuchtem Mord, versuchtem Totschlag, häuslicher Ge-
walt und Freiheitsberaubung angeklagt.
Sein Veteidiger stellte ihn als Gutmenschen hin. Soziales
Engagement, erfolgreich im Beruf - er arbeitete bei der
Bank of America - noch nie Gewalt gegenüber Frauen,
bla bla bla.
Also habe ich zwei Zeuginnen aufgerufen, die es besser
wussten. Amy Wallace, Lauras beste Freundin, der sie
alles anvertraut hatte, nachdem Adrian festgenommen
worden war.
Und Laura selbst. Sie trug einen dunklen Rock und eine
kurzärmelige grüne Bluse. Die Haare hatte sie hochge-
steckt. Man sah deutlich die Schnittverletzungen, die Nar-
ben auf ihren Armen hinterlassen hatten. Die verheilenden
Bluergüsse an Extremitäten und Hals. Sie trug kein Make-
Up. Ihr Gesicht war noch leicht geschwollen, die Nase
schief. Sie verbarg nichts. Ein paar weibliche Geschworene
und sogar ein männlicher fingen an zu weinen, als sie sie
sahen.
Sie verurteilten ihn zu lebenslänglich. Als man ihn abführte,
um ihn zurück nach Rikers zu bringen, rastete er völlig aus.
Die propere Fassade fiel. Er tobte und schrie. Er nannte
uns drei verdammte Huren, die sein Leben zerstört hätten.
Er drohte, uns zu töten, sollte er je wieder rauskommen.
Ein Gerichtsdiener zog ihm mit seinem Schlagstock eins
über, dann trugen er und ein Kollege ihn aus den Saal. Es
war still im Saal. Man hätte eine Stecknadel fallen hören
können.
Nach ihrem Abschluss an der Columbia ist sie hierher ge-
zogen. Es tat ihr Leid wegen ihrer Eltern, aber sie wollte
nicht länger in New York bleiben. Adrian war ihr zu nah,
obwohl er hinter Gittern saß. Rikers war zu nah.
Anfang dieses Jahres, am 9. Januar, wurde Adrian wegen
guter Führung, einer 'erfolgreich' abgeschlossenen The-
rapie und Überbelegung aus dem Gefängnis entlassen. Ein
Wärter aus Rikers, Sam Hastings, hat seinen Freund, einen
Ermittler der Mordkommission von Manhattan namens
Cooper Craig angerufen, der den Fall verfolgt hatte. Ich
kenne beide von früher und beide haben mich angerufen
und vor Adrian gewarnt. Ich habe es Laura gesagt und ein
paar Tage später zeigte sie mir die 38er, die wir gestern ge-
funden haben...
Mitte Februar wurde eine junge Frau in ihrer Wohnung in
Manhattan in ihrer Badewanne ertränkt. Sie hatte Blutergüs-
se an den Fußknöcheln, die darauf schließen ließen, dass der
Täter sie dort gepackt und unter Wasser gezogen hatte. Sie
hatte Wasser in den Lungen. Der Gerichtsmediziner sagte,
dass sie unter Wasser gedrückt wurde, bis sie sich nicht mehr
wehrte. Dann hat er ihre Leiche so arrangiert, als sei sie ab-
gerutscht und so unter Wasser geraten. Hinterher hat er das
Bad gereinigt und aufgeräumt und ist gegangen. Ihr Mann
konnte ausgeschlossen werden. Er hat zur Tatzeit gearbeitet.
Zeugen haben das bestätigt. Coop bearbeitete den Fall und
hatte auch, nein besonders, Adrian in Verdacht, weil das
Opfer in der Badewanne Amy Wallace war. Der Täter hat
kaum Spuren hinterlassen und Adrian war nicht aufzufinden,
als Coop ihn befragen wollte... Alle weiteren Ermittlungen
führte zu nichts.
Rafael und ich saßen einfach da und starrten sie wortlos
an. Dann setzte sie noch eins drauf.
"Ich habe ihn gestern gesehen."
"Was ?", riefen wir beide.
"Er sah anders aus und ich war mir nicht sicher. Erinnerst
du dich, wie ich einen Moment an der Tür gewartet und
mich umgesehen habe ?"
"Da hast du ihn gesehen ?", fragte ich.
"Ich habe einen Mann gesehen, der so groß war wie er,
aber keine blonden Haare und braune Augen hatte wie
Adrian, sondern schwarze Haare und grüne Augen. Da-
rum war ich nicht sicher. Bevor wir uns getrennt und ich
zum Revier gefahren bin, habe ich ihn noch mal gesehen.
Ich sah ihn genauer an. Ich wusste es in dem Moment,
als er lächelte. Es hat mir die Haare gesträubt. Daran hab
ich ihn erkannt."
Rafael starrte vor sich hin, versuchte, diese Flut an Infor-
mationen zu verdauen.
"Wir brauchen mehr Informationen über Delaney", sagte
ich und schaute auf meine Uhr. Kurz vor halb zehn. Kurz
vor halb eins in New York. "Darf ich mal dein Telefon be-
nutzen ?"
Er schob es zu mir hinüber.
Ich wählte die Nummer in New York und wartete.
"Ich kenne diese Nummer", sagte Leigh. "Coop und ihr...
na klar." Sie schlug sich mit der flachen Hand gegen die
Stirn.
"Wir sind Cousins", sagte ich, dann meldete sich eine
männliche Stimme am anderen Ende.
"Craig."
"Hier auch Craig."
"Bist du bescheuert, Clark ? Wir waren schon im Bett !"
"Jilly dürfte es auch interessieren." Jillian Shane war An-
klägerin für Kapitalverbrechen bei der Staatsanwalt-
schaft von Manhattan und Coops Frau. Sie leitete die
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum Fall Amy Wal-
lace. "Und ja, mir geht's auch gut. Danke der Nachfrage."
"Was willst du ?"
"Ich will gar nichts. Aber ich habe etwas, dass euch ver-
loren gegangen ist und das ihr fieberhaft sucht."
"Von allen hunderttausend Cousins und Cousinen liebe
ich dich am meisten, aber im Moment gehst du mir ein-
fach nur auf die Nüsse. Okay, was ist das, was wir an-
geblich verloren haben, fieberhaft suchen und das du
hast ?"
"Adrian Delaney."
Schweigen.
"Ich hoffe sehr, dass du mich nicht verarschst. Das
könnte sich nämlich nachteilig auf deine Lebenserwar-
tung auswirken."
"Du bist ein echter Charmebolzen, weißt du das ?"
Dann erzählte ich ihm von dem Mord an Laura, fasste
ihre Verletzungen und die vorläufigen Ergebnisse der
Spurensicherung zusammen.
"Verdammt, das ist er. Leigh hat es euch gesagt, nicht ?
Er hat nicht zufällig seinen Namen in ihre Haut geritzt ?
Um euch die Arbeit zu erleichtern ?"
"Nein. Die Fingerabdrücke, das Blut und die Haare
sind wahrscheinlich Sackgassen. 0 positiv ist die zweit-
häufigste Blutgruppe in der Bevölkerung und die Finger-
abdrücke hätte er nicht hinterlassen, wenn er nicht a)
Ersttäter, b) sonst nirgendwo registriert wäre, was wir
wohl beides ausschließen können oder c) seine Straf-
taten wenn nicht in Kalifornien begangen hat."
"Hm", machte Coop. "Was ist dein Problem ?"
"Wir brauchen mehr Informationen. Zum Beispiel seine
Akte und die Prozessunterlagen von 1973. Bis jetzt
haben wir strenggenommen nur ein Opfer und eine MO-
Übereinstimmung mit einem Mann aus einem anderen
Bundesstaat, der nicht aufzufinden ist. Wir stochern hier
im Trüben. Laura war Staatsanwältin und irgendein Witz-
bold hat das den Medien gesteckt. Hier ist der Teufel los.
Das geht mir auf die Nüsse."
"Das mit den Prozess-Unterlagen dürfte nicht so einfach
sein, aber die Fallakte kann ich euch beschaffen. Ihr be-
kommt sie so bald wie möglich. So, und jetzt will ich
pennen. Gute Nacht." Er hängte auf.
"Er war nicht sonderlich erfreut, hm ?", fragte Rafael.
"Nein, aber er schickt uns die Fallakte und, wenn er's
auf die Schnelle hinkriegt, auch die Prozessunterlagen."
Ich sah Leigh an. "Sollen wir runtergehen und den an-
deren sagen, dass sie erst mal aufhören sollen, Lauras
Fälle zu durchsuchen ?"
Sie nickte nur.
Wir verabschiedeten uns von meinem Bruder und
fuhren in den Keller. Es herrschte große Freude, als
sie erfuhren, dass sie fürs Erste erlöst waren.
"Sag schon", drängte Jilly. "Was ist los ?"
"Adrian ist höchstwahrscheinlich in San Francisco. Er...
Laura Bellini ist tot, ermordet."
"Nein !", sagte sie, als könne das Wort es ungeschehen
machen.
"Jedenfalls stimmen ihre Verletzungen mit denen über-
ein, die er ihr damals während ihrer 'Beziehung' zuge-
fügt hat."
"Das verdammte Schwein ! Wenn sie ihn haben, will
ich ihn anklagen. Wegen Amy Wallace."
"San Francisco will ihn auch anklagen. Sie war dort
Staatsanwältin."
"Nein !"
"Doch."
"Was hat Clark gesagt ? Er will die Prozessakten ?
Die kann ich beschaffen."
"Ich will nicht wissen, wie du das machst, aber tu's.
Die Fallakte ist leicht. Ich werde mit dem Captain
reden und sie dann aus dem Archiv holen. Mein ehe-
maliger Partner leitet es. Eine Kugel im Rücken hat ihn
außendienstunfähig gemacht. Ed und ich sind sehr gut
befreundet, wenn du verstehst, was ich meine."
Sie legte den Kopf schief, überlegte. Dann rollte sie
sich auf ihn. "Ich hab eine Idee..."
Wir fuhren nach Hause. Es war halb elf. Lori und Chris
schliefen engumschlungen auf der Couch im Wohnzim-
mer. Ich ging an ihnen vorbei zum Wohnzimmerschrank
und holte den Whisky. Ich bin kein Alkoholiker, doch
das war und ist für mich der Abschluss des Tages. Ein
großer Bushmills Single Malt ohne alles.
"Dad ?"
"Ja."
Sie wand sich aus Chris' Umarmung und kam zu mir
herüber und küsste mich auf die Wange.
Chris war von ihrer Befreiungsaktion wach geworden
und begrüßte uns.
Meine Tochter gähnte.
"Was ist denn mit dir los ?"
"Es wurde etwas später gestern."
"Dann geh schlafen. Was ist mit dir, Chris ? Willst
du noch nach Hause fahren oder hier übernachten ?
Dann müsstest du aber mit dem Gästezimmer Vor-
lieb nehmen."
Aus dem Augenwinkel sah ich Lori die Augen ver-
drehen. Jetzt lässt er wieder den Vater raushängen.
"Das wäre nett. Ich bin zu müde zum Fahren. Aber
es ist eh egal, wo ich schlafe." Er klang seltsam ver-
bittert. "Gestern ist nichts passiert. Warum sollte es
heute anders sein ?"
Einen Moment lang hing das Gesagte in der Luft,
dann, als er merkte, was er da gesagt hatte, wurde
er rot. So deutlich hatte er wohl nicht werden wollen.
Was hat er damit gemeint ? Mir ging nicht so viel an-
deres durch den Kopf, dass ich einen Augenblick
brauchte, um es zu kapieren. Ins Kino gehen und
danach... noch was essen.
"Oh... Das ist, ähm... scheiße."
"Ja."
Ich trank den Whisky aus. Dann sahen wir noch nach
den Kindern und gingen schlafen.