Teil 2/ 14

Sir Mef

Mitglied
*

Eine eiskalte Woge schlug über ihm zusammen und seine Lungen krampften sich zusammen.
Fardin hatte den Stürz zwar überlebt, was er selber nicht so ganz glauben konnte, doch das kalte Wasser des Bergsees presste ihm unwiderruflich jeden Sauerstoff aus den Lungen.
Um ihn herum war schwarzes Wasser und er brauchte lange um sich zu orientieren, wo die Oberfläche war.
Schwer atmend brach er durch die Fluten und sah sich gehetzt um.
Bis jetzt schien ihn noch niemand bemerkt zu haben, doch es würde nicht lange dauern, bis die ersten Pfeile ins Wasser tauchten, dachte er.
Hinter ihm erhoben sich die Klippen der Schmelzöfen und vor ihm der See, von dem er wusste, dass er in einem mehrere hundert Fuß hohen Wasserfalls zu einer Klamm werden würde.
Wenn er nicht bald aus dem Wasser kommen würde, wären seine Glieder so steif, wie Eiszapfen.
Fardin versuchte in Bewegung zu bleiben, doch es fiel ihm immer schwerer sich zu bewegen, schon allein, weil die Wellen seine Bemühungen zu verhöhnen schienen.
Die ersten Bogenschützen waren bereits auf dem kleinen Wehrgang um die Schmelzöfen herum in Stellung gegangen und warteten nur auf einen Befehl.
Sie würden warten bis ich untergehe, oder erfriere, dachte Fardin.
Warum auch teure Pfeile im Wasser versenken, wenn die Natur es besser und gezielter machen konnte.
Der Kopfgeldjäger versuchte Abstand zwischen sich und die Klippen zu bringen, um der Reichweite der Bogenschützen auszuweichen und nicht von den Wellen gegen den rauen Stein gedrückt zu werden.
Ihm wurde immer kälter.
Die Sonne erhob sich gleißend hinter der Bergkette im Osten der Schmelzöfen.
Sie warf die kargen Bäume, die den Ausdünstungen der Öfen nicht gewachsen waren in ein unwirkliches Licht.
Tanzende Gespenster, vom Wind bewegt.
Hier knapp unterhalb der Baumgrenze dieser Bergkette, wuchsen nur noch die Gerippe der Kiefern, die wie mahnende Finder in den klaren Himmel wiesen.
Bald würde es trotz der zweitausend Höhenfuß wärmer werden, doch noch fehlte der Sonne die nötige Kraft und Wolkenfetzen zogen, wie Seidentücher über die Gipfel. Neben Fardin glitzerten die ersten Wellen im Morgenlicht, dann wurde die Sonne wieder von dem schwarzen Turm verborgen und das weiche Licht verschwand hinter der Silhouette.
Noch immer wurde nicht auf ihn geschossen, doch so dachte er, würde es auch nicht mehr lange dauern, bis er unterging.
Mit klammen Fingern fummelte er an seinem Umhang herum und tauchte ab.
Als er wieder an die Oberfläche kam, trieb er mit dem Gesicht im Wasser und wurde ein Spielball der Wellen.
Die Bogenschützen begannen nun doch zu schießen, aber verfehlten den treibenden Körper und kehrten nach scharfen Befehlen wieder zurück.


*

Langsam brachen schon die ersten Strahlen der Sonne über die Hügel und das Geschrei aus dem Talkessel, das vor Stunden begonnen und noch nicht enden wollte, hallte immer noch gespenstisch zu ihnen herüber.
Mef schälte sich langsam aus seiner Pferdedecke.
Der schwarze Rauch, der sich seinen Weg aus dem Kessel suchte verschwand am Himmel und verdunkelte ihn, als wolle das nächste Gewitter hereinbrechen.
„Glaubst du wirklich man kann sie so einfach ihrem Schicksal überlassen?“
Der Wozarn hatte ihr Gespräch von letzte Nacht wieder aufgegriffen, schon alleine aus dem Grund, weil Mef sich einfach abgewandt hatte und ihn mit seiner Frage allein ließ.
„Nein aber mitnehmen können wir sie auf gar keinen Fall!“
„Warum, sie kann für dich kochen und mir den Pelz bürsten!“
Er winkte ab.
„Jura du wirst albern, können wir nicht vernünftig darüber reden?“
Verzweifelt in seiner Situation hatte er den Wolf verletzt, was er damit am allerwenigsten bewirken wollte, doch er verstand ihn noch bevor Mef bewusst wurde, dass Jura seine Gedanken schon längst kannte.
„Sie wird uns keine Last sein!“
„Was macht dich da so sicher!“
Noch immer hatte er das Gefühl seine Worte wären schneidend und verletzend, doch entweder täuschte er sich, oder der Wozarn überging seine Schnittigkeit geflossen.
„Vertrau mir!“
Zu oft hatte er ihm vertrau und wurde dadurch belohnt, als dass er sich in ihm täuschen konnte.
„Wer erklärt es ihr gleich!“
Mef resignierte.
„Was erklären?“
Lis saß aufrecht an dem Baum und maß beide mit neugierigen Blicken.
Mef überlegte wie lange sie schon wach gewesen sein musste, wollte ihr diese peinlich Frage jedoch ersparen und sagte erst einmal gar nichts, bis Jura sich erhob und langsam zu ihr herüber schritt.
Noch immer die Angst in ihren Augen, jedoch war etwas Neues darin. Eine gewissen Neugierde etwas entdeckt zu haben, was vor ihr noch Niemand gesehen.
„Mein Kind hör mir zu...“
Seine Stimme wurde ruhig und sanft, wie als wolle er Jemanden zum Schlafen bringen.
„Es ist etwas Schreckliches passiert, doch man kann die Vergangenheit nicht mehr zurückholen. Wenn ich nur die richtigen Worte für das finden könnte, was dich tröstet, so glaube mir ich würde sie dir nennen, doch selber ich weiß nicht mehr als ich dir gesagt habe.“
Verständnislos blickte sie zu ihm empor.
Auch wenn sie in der Hocke, die Beine dicht an den Körper gezogen, an dem Baum lehnte, war der Wozarn doch fast um einen Kopf größer als sie.
Es erschreckte Jura, dass ihre Angst in den Augen verschwunden war und er fragte sich, wie es jetzt weiter gehen sollte.
„Was ist passiert? Und wo bin ich überhaupt?“
Ihre Stimme begann hysterisch zu werden und plötzlich, als hätte ich sie nur übersehen, war ihre Angst wieder da.
In ihrem Kopf arbeitete etwas, wo er wusste, dass ihr langsam die Bilder vom vorherigen Abend einfielen und sie immer weißer wurde.
„Die Zólkner waren hier“, flüsterte Mef.
Langsam nickte sie.
„Was sind sie?“
Der Wozarn trat langsam näher.
„Die Zólkner…“, begann er, wie ein Lehrer.
„Sie sind eine schon längst ausgestorben geglaubte Rasse, die sich erst dem Jahr 373 n. Ron wieder blicken ließen.
Man glaubte bis vor kurzem noch, dass sie vor dreihundert Jahren Mitbegründer dieses Landes waren, aber spurlos verschwunden sind.“
„Und jetzt sind sie wieder da?“ Lis hauchte nur.
„Jetzt sind sie wieder da“, nickte Jura.
„Und sie sind schlimmer als vorher. Auf ihrem Rücken ist ein roter Kamm gewachsen, der ihnen das Aussehen einer Echse gibt. Niemand weiß woher sie kommen, oder warum sie ausgerechnet jetzt so viel Leid über die Bevölkerung bringen.“
Mef wendete sich ab und fummelte an seinem Sattel herum, den er dem Pferd überwarf und festband.
„Aber warum unternimmt keiner was gegen sie?“
Lis war entsetzte.
„Kannst du dich an den letzten Hohen Rat erinnern?“
Lis nickte zaghaft.
Jura sah gegen die Sterne und schluckte.
„Im Jahre 469 n. Ron hatten die Zólkner einen besonderen Clan hervorgebracht, der grausam und unaufhaltsam war.
Sie nannten ihn den Sorum – Clan.“
„Er wurde als erstes in der Bergkette gesehen“, fügte Mef beiläufig hinzu.
Jura nickte.
„Nachdem diese Clan in der Stadt Zuyn der Rat der Hohen Herren und Weisen auslöschte, verfiel das Land wieder in seine alten Regierungsformen und jede Stadt war auf sich oder seinen Fürsten angewiesen.“

Unten aus dem Tal drangen immer mehr Schreie zu ihnen empor, doch Jura fuhr ruhig und bedacht vor.
„Bis jetzt haben es die Zólkner so geschickt angestellt, dass sie nur kleinere Dörfer überfielen, unter anderem auch jenes in dem Mef und ich mich damals aufhielten und nach langer Reise rast suchten.“
Die Schreie wurden lauter und Lis drehte unwillkürlich den Kopf.
Bevor die Farbe ganz aus ihrem Gesicht verschwinden konnte, sprang sie mit einem Satz hoch, was auch Jura nicht erwartet hatte und einige hastige Schritte zurück machte, bevor er sich ihr in den Weg stellte.
„Du solltest jetzt nicht zurückgehen
Nicht wieder in dein Dorf!“
Sie machte eine hastige Handbewegung und versuchte sich an dem Wozarn vorbei zudrücken.
„Doch ich muss wissen was passiert ist. Ich muss!“
Mef spannte sich
Er wusste, dass man sie nicht aufhalten konnte und ihr Sturkopf hatte gewonnen. Langsam begann Mef die Habseligkeiten, auf dem ganzen Boden, rings um unser Lager, verstreut, wieder einzusammeln, und starrte sie lange an.
„Du weißt, dass wir da unten kein schönes Bild erleben werden?“
Energisch nickte sie nur stumm mit dem Kopf, wobei ihr eine schwarze Haarsträhne ins Gesicht fiel.
Er bezweifelte, dass sie die Ausmaße wirklich erkennen konnte, und wusste noch bevor sie aus dem dichten Wald heraustraten und die Morgensonne begrüßten, dass schon der dunkle, quälende Rauch am Himmel ihr die Tränen in die Augen treiben würde.





*

Er hatte Recht. Noch bevor sie das Dorf auch nur erreichten schlug sie sich schon entsetzt die Hand vor den Mund, und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken.
Der kleine Weg hinunter kam ihnen entsetzlich lang vor, schon aus dem Grund, weil er einfach nicht enden wollte.
Von hier oben hatte man ein perfekten Überblick, dachte Mef sarkastisch.
Doch der Anblick weiter unten würde noch entsetzten werden.
„Glaubst du sie wird es verkraften?“
Jura war neben ihn getreten und hatte ein wenig Abstand zwischen sie und Lis geschaffen, um mit ihm zu reden, ohne dass sie es mitbekommen würde.
„Ich denke schon!“
Doch auch er war sich plötzlich nicht mehr sicher.
Er hatte schon viel Angst und Schmerz in den Augen der Menschen gesehen, wenn die Zólkner ein Dorf in einen Friedhof verwandelt haben, doch noch nie einen so großen, aus tiefstem Herzen kommenden und das machte ihm Angst.
Er verfluchte sein Alter, rechnete kurz nach und kam auf vierundneunzig.
Es hatte halt auch viele Nachteile so viel Leid verkraften zu müssen.
Sie beeilten sich Lis wieder einzuholen, weil Mef seine Gedanken wie Worte gehört hatte und ihm mit einem Blick zu verstehen gegeben hatte, dass man sie besser nicht alleine lassen sollten.
Zu oft haben beide schon Menschen gesehen, die sich selber das Messer an die Kehle gesetzt haben und ohne auch nur zu zögern einen tiefen Schnitt hinterließen.
Die Bitten von Verratenen und Verkauften, nach dem ersehnten Tod, den sie ihnen nicht geben konnten.
Oder auch wollten.
Die Kriegerehre gebot es.
Schon von mehreren Metern Entfernung konnte man den Geruch von verbranntem Holz, den stechenden Rauch und vor allem frisches Blut wahrnehmen.
Von den einzelnen Häusern war nicht mehr viel übrig geblieben, nur noch die verkohlten Balken, die wie mahnende Finger gegen den Himmel zeigten, und die zusammengefallenen Dächer, die sich schützend über das angerichtete Massaker legten.
Keine einzige Laiche war mehr zu sehen. Entweder hatten die Zólkner sie alle fort geschaffen oder es wurden nur Gefangene gemacht, die nie wieder zusehen waren.
Doch noch immer waren die Spuren von Kampf und Gewalt an den Balken, auf dem Boden und in den roten Pfützen zu sehen, die sich zwischen den Trümmern, die einmal Häuser gewesen sein müssten, verteilt hatten.
Die roten Pfützen erzählten Geschichten von gefallenen, grausam niedergemetzelten.
Abgetrennte Gliedmaßen berichteten von erbarmungsloser Neidertracht.
Mef warf, nach dem er sich die Lage der Situation kurz vorgestellt hatte und das grausame Bild aus seinem Kopf verdrängte, einen kurzen Blick zu Lis hinüber, die sich langsam, in einem Zustand, den man nicht beschreiben kann, der irgendwo zwischen Traum und Trance schwebe, zu Boden sinken ließ. Ihre Hand auf die verbrannte Erde legte und zu schluchzen begann.
Er fand nicht die richtigen Worte, mit denen er ihren Schmerz, der für ihn nicht zu verstehen wäre, zu lindern.
Doch nachdem sie einige Minuten einfach nur für sich weinte und den Kummer herausließ richtete sie sich wieder auf, und in ihrem Blick lag nicht mehr die Angst oder der noch nicht verarbeitete Trauer.
Es war Hass.
Zu oft hatte er diesen Blick schon bei Männern gesehen, die es bereut hätten, wäre ihnen noch Gelegenheit geblieben.
Hass lässt einen unkontrolliert werden, und Fehler begehen, die einem das Leben kosten können.
Hass lässt einen Krieger im Kampf versagen, das hatte er in den langen Jahren gelernt.
„Gehen wir!“
Ihre Stimme war hart und grob.
Es war die Stimme eines Menschen der zu hassen gelernt hatte, und er wusste, dass es nicht einfach werden würde, sie wieder davon zu befreien.
Ohne Worte drehte sie sich um, wendete sich der schmalen Straße zu, die aus dem Kessel hinaus führte, der jetzt nur noch ein Massengrab war, und ging los.
Mef wollte sie zurück halten, doch Jura machte nur eine kopfschüttelnde Bewegung und sie ließen das Mädchen ziehen.
„Wir können im Moment nichts machen. Lass sie einfach ein wenig mit sich und ihren Gedanken alleine. Sie wird sich schon fangen!“
Auch wenn er nicht wusste, ob der Wozarn in diesem Moment Recht behalten solle, so versuchte er ihm zu vertrauen und warf nur noch wenige misstrauische Blicke zwischen die Trümmer.
Mef konnte sich täuschen, doch etwas regte sich zwischen den schwarzen, verkohlten Balken direkt unterhalb des eingefallenen Kirchturms.
Es war eine Hand, die rettend nach Halt suchte und keinen fand.
Langsam, auch wenn er es nach diesem Massaker nicht mehr für möglich gehalten hatte, brach der schmale Oberkörper eines Mannes ende sechzig aus den Trümmern und suchte sich hilflos seinen Weg ans Sonnenlicht.
Sein Gesicht war nur noch ein matschiger Brei, seine Augen schrieen stumm und blickten glasig ins Leere
Mef gab dem Wozarn einen kurzen warnenden Blick sich zu verbergen und ging langsam auf den Mann zu, der immer noch versuchte sich aufzurichten, aber seine müden Knochen wollten ihn nicht mehr tragen.
Noch bevor er seine Verletzungen begutachten konnte, wusste der Krieger, dass er in den letzten Zügen war.
„Was ist hier geschehen?“
Und auch wenn er wusste, dass er nicht mehr in der Lage sein musste ihm zu antworte, versuchte er in die Hocke gehend wenige Antworten zu erhalten.
Er wurde für meine Hoffnung belohnt.
„Es waren... Zólkner...sie...kamen...“
Seine Stimme war schwach und zittrig, dennoch mit einem Halt, den man diesem alten Mann nicht zugetraut hätte.
„Sie... Wollten... Lis... Und... Sagten...“
Er brach ab, schloss für einen Moment die Augen und Mef befürchtete schon, dass er hinüber gegangen war, doch nach einigen Sekunden schlug er sie auf und sah ihn traurig an.
„Passt gut... Auf sie auf... Mein Herr...!“
Mit diesen Worten schloss er erneut die Augen und er wusste, dass seine kleine Lebensflamme erloschen war.
Trostlos legte er den Kopf des Toten Mannes wieder gegen das derbe Holz, an dem er sich aufgerichtet hatte und erhob sich.
„Was wollten sie von dem Mädchen?“
Jura war hinter ihn getreten, ohne dass er ihn kommen gehört hatte, doch er konnte ihm keine Antwort auf seine Frage geben.
Etwas fehlte noch in dem gewaltigen Puzzle, dass ihm das Bild was er zu lösen versuchte verzerrt.
„Ich weiß es nicht“, gestand Jura.
„Doch wir müssen sie mitnehmen. Hier wird sie nicht mehr sicher sein!“
Der Wozarn nickte nur stumm und sah noch einen Moment zu dem alten Mann hinüber, wendete sich dann aber wieder so rasch um, dass man meinen könnte sein Blick war nur flüchtig gewesen, und ging los.
„Wir sollten sie einholen und versuchen sie nie aus den Augen zu lassen. Sie muss etwas sehr wichtiges für die Zólkner sein, wenn sie dafür ein ganzes Dorf niederbrennen!“
Mef wusste er hatte Recht, doch etwas in ihm sträubte sich immer noch, sie mitzunehmen und vor allem auf sie aufzupassen.
Sie war keine Kriegerin, kannte sich überhaupt nicht aus und überhaupt, dachte er.
Sie fanden sie auf dem Grenzstein, beide Hände vors Gesicht geschlagen und leise weinen.
Mef sträubte sich ihr näher zu kommen, wühlte in seinem Kopf nach einer Möglichkeit sie anzureden, ohne ihr Schmerz und Angst zu bereiten, fand aber keine.
„Es wird Zeit ein neues Leben zu beginnen, Mef!“
Der junge Mann nickte und ließ sich ins Gras sinken und sah Lis lange an.
Er wusste nicht mehr wie lange es gedauert hatte, bis sie Beide bemerkte und noch weniger wusste er wie lange sie dennoch weiter geweint hatte.
Jura sagte später zu ihm, es sei ein gutes Zeichen, dass sie ihren Schmerz von der Seele nimmt, doch so ganz hatte er seine Zweifel damit nicht zufrieden gestellt und das wusste er auch.
Es waren nur wenige Stunden, die sie brauchten, um ihre Kleider, die Satteldecke und seine Waffe zu verstauen und Lis auf das Pferd zu heben, um diesen Ort zu verlassen.
Mef wusste nicht wann, doch irgendwann würde der Tag kommen an dem ihre Tränen versiegt waren und sie dem Schwur der Rache Nachdruck verleihen wollte.
Und genau vor diesem Tag hatte er Angst.
Ein offener Kampf gegen die Zólkner wäre unmöglich und sich gegen den Sorum – Clan zu erheben ein Kampf den man nicht gewinnen konnte.
Und auch wenn Lis es nicht wollte, sie würde sie ohnehin in Gefahr bringen schon aus dem Grund, dass der Clan sie sucht und er wird nicht eher Ruhe geben, bis er sie findet.
Er überlegte schon die ganze Zeit, wie sie sich von ihr trennen konnten, doch als ihm dieser Gedanke erst wirklich bewusst kam, erschreckte er sich vor sich selber.
Ein hilflos und vor allem noch in Gefahr schwebende Mädchen einfach so in der Wildnis auszusetzen war nicht einmal mehr menschlich.
Doch das Tier in ihm, das er Angst getauft hatte verlangte seinen Tribut.
Er versuchte sich einzureden, dass die letzten Begegnungen mit den Zólkner mehr als gut zu ihren Gunsten abgelaufen waren und dass er bei denn ganzen unzähligen Gefechten nur Schrammen und unbedeutende Kratzer abgefangen hatte, doch auch das schien ihn nicht zu beruhigen.
Es war schon fast Abend, als Jura ihn aus meinen Gedanken riss und unerwartet stehen blieb.
„Wir sollten die vor uns liegende Stadt meiden, es sind zu viele Leute. Ein Mann mit einer Frau und einem Wozarn erweckt nur unnötige Aufsehen.“
Noch völlig von seinen Gedanken benebelt nickte Mef nur stumm.
„Du und das Mädchen, ihr werdet in der Stadt nach einem Quartier suchen und ich werde hier bis Morgen auf euch warten.“
Mef musste erst wenige Minuten überlegen, bevor ihm auffiel worauf sein Freund hinaus wollte.
„So ein Blödsinn. Wir werden entweder alle hier übernachten, oder du wirst das erste Mal in deinem Leben mit in eine Stadt kommen.“
Der Wozarn legte den Kopf schief und musterte ihn.
„Sie werden dich erschlagen und mich gefangen nehmen, damit ich bei dem nächsten fahrenden Händler Männchen machen lernen kann? Nie in meinem armseligen Wolfsleben.
Da kriegst du mich nicht rein!“
Er wusste schon im voraus wie seine Antwort ausfallen würde, dafür kannte er den Wozarn zu gut, doch er genoss es ihn manchmal auf seine Schwächen hinzuweisen. Da er das bei ihm selber meist sehr gut kann, und allen Grund hat, dies öfter zu tun.
„Nun gut, dann wird die Dame dich als Kissen benutzen müssen!“
In den Augen des Wozarn erschien ein spitzer, böser Blick, doch nur für einen Moment funkelte er Mef an und erlosch dann wieder.
Doch in dem Blick den er von Lis aufschnappte erschien ein Blick voller Angst.
„Ich würde lieber...“ brach sie hervor.
„In deiner Nähe bleiben, wenn es dir nichts ausmacht!“
Jura versuchte beleidigt zu guckten, doch es erzielte nicht die gewollte Wirkung und ängstlich kroch sie noch ein Stück weiter zu ihm herüber.
„Wenn es euch lieber ist schlafe ich auf dem anderen Hügel hinter der Stadt!“ In Juras Stimme lag etwas, dass mich alarmierte.
„Blödsinn, du bleibst hier und Lis wird sich an dich gewöhnen müssen!“
Und auch wenn die Nacht kalt zu werden schien wagten sie es nicht ein Feuer anzuzünden, mit der Angst Gefahr zu laufen entdeckt zu werden.
Noch bevor der schwache Mond sich über dem Sternenhimmel zeigte, schlief Lis ein und kuschelte sich unter die warme Satteldecke, was Mef Gelegenheit gab sich noch einmal mit Jura zu unterhalten.
Zu viele Fragen brannten ihm auf der Seele, als dass er einfach die Augen zutun konnte, als wäre nichts gewesen.
„Was denkst du?“
Auch wenn der Wozarn ihn nicht ansah, wusste er, dass er mich gehört haben musste, wie Mef sich sanft aus der Decke gewickelt hatte und näher gekrochen war, ohne Lis zu wecken.
„Ich weiß es nicht!“
Er sah ihn lange an, als wolle er meine Gedanken lesen und legte langsam seinen Kopf auf die Vorderpfoten.
„Sie ist eine Gefahr für uns?“
„Naja eigentlich wollt ich es nicht so deutlich sagen!“
Jura nickte.
„Aber die Entscheidung liegt ganz bei dir. Ich muss dir recht geben, sie ist eine Gefahr, doch könntest du mit ihr dein Ziel erreichten.“
Jura suchte nach Worten.
„Hast du nicht schon dein ganzes Leben damit verbracht den Ort zu finden von dem die Zólkner ihre Operationen ausführen? Hast du nicht immer gehofft dem Treiben ein Ende zu bereiten?
Schon alleine wegen deiner Vergangenheit?“
Mef überlegte.
„Ja aber sie ist so unschuldig. Ich kann sie da doch nicht mit hineinziehen. Das klingt ja gerade so, als ob ich sie als Köder benutzen!“
„Nicht als Köder. Als Hilfe!“
Er versuchte zu überlegen was der Wozarn damit sagen wollte, doch Jura musste sein Stirnrunzeln als richtig gedeutet haben.
„Sie suchen sie. Etwas hat, oder ist sie, was ihnen sehr viel bedeutet. Versuche heraus zu finden was das sein könnte und du kannst mehr über die Zólkner lernen.“
Er machte eine kurze Pause bevor er sich leicht aufrichtete und weiter sprach.
„Du kannst dem Versteck näher kommen, denn ich glaube jede Hilfe kann uns nur recht sein!“
Er hatte Recht, aber wollte Mef diesen Weg vielleicht noch nicht gehen, oder ihn nie gehen.
„Jura. Wir haben uns darauf beschränkt immer nur wenige zur Strecke zu bringen uns zu verstecken, bis sich alles wieder gelegt hat und erneut zu geschlagen. Auf unsere Köpfe ist in ihren Reihen wahrscheinlich schon ein Lösegeld ausgesetzt, aber ich habe vor der Offensive... Wie soll ich es dir erkläre?“
„Angst?“
Jura hatte das Wort gefunden, und nicht die Scheu es auszusprechen.
Und für diese kleinen Denkanstöße war der stolze Krieger ihm jedes Mal dankbar.
Auf seine Frage konnte er jedoch nur betrübt den Kopf senken.
„Mef. Glaubst du im ernst, dass auch ein Wozarn nicht mal Angst haben kann?“
Lis drehte sich unruhig im Schlaf und stöhnte etwas, was beide nicht verstehen konnten.
„Sie hat Alpträume. Vielleicht sollten wir sie wecken!“
Jura schüttelte den Kopf und schlich sich leise zu ihr herüber.
So behutsam und zart, wie es ihm mit seiner Schnauze möglich war stieß er sie leicht in die Seite und drehte sie auf den Rücken.
Ihr leises Stöhnen verstummte und machte einem Lächeln auf ihrem Gesicht platz.
„Super“, stöhnte ich.
„Jetzt träumt sie von einem Wozarn der sie mitten in der Nacht fressen will und einem Kerl, den sie früher mal kannte, der sich in ein kämpfendes Monster verwandelt hat.“
Jura grinste und legte sich wieder nieder.
Auch Mef musste grinsen und war sich der Situation bewusst, dass er schon lange nicht mehr gegrinst hatte.
„Besser als wenn sie deine Alpträume teilt, oder?“
„Wenigstens einer der versucht mir zu helfen“, grinste er erneut.
Doch Jura wurde sofort wieder ernst.
„Und genau das mein ich. Sie hilft dir!“
Für einen Moment war es Still. Mef hörte nichts mehr, nur noch sein eigenes, schlagendes Herz und Juras letzten Worte.
„Und jetzt leg dich hin mein alter Freund. Gegen Mitternacht weck ich dich!“
Langsam kroch er wieder unter seine Decke und schlief sofort ein.
Als Jura ihn weckte und die Nacht zur Hälfte vorüber war, kam es ihm vor, als hätte er nur wenige Stunden geschlafen, versuchte sich zu strecken gab es schließlich auf, um den Schmerz in seinem Rücken nicht noch größer werden zu lassen, und bereitete sich seelisch auf die Nachtwache vor.
Er hatte jetzt sehr viel Zeit zum Nachdenken und diese Zeit würde er sich auch nehmen müssen, um eine Entscheidung zu fällen, wie es jetzt weiter gehen sollte.

Er stellte sich die Frage was er eigentlich machte.
Wieso ist das so?
Er suchte nach Antworten und Lösungen, doch er fand keine.
Zu viel hatte sich in seinem Kopf festgesetzt und zuviel wollte hinaus, doch er fand keinen Weg dazu.
Ziellos durch dunkle Straßen irrend, und nirgends das Licht zu suchen.
Suchte nach seinen Träumen.
Waren sie noch da?
Er wusste es nicht.
Vielleicht waren sie noch da, aber der Mut, diese Träume auch zu verwirklichen war nicht mehr da.
Irgendwo auf meinem langen Weg diese Träume zu Leben hatte er ihn verloren.
Wenn er nur wüsste wo ich ihn vergessen hatte.
Hatte ihn der Lebensmut verlassen?
Er glaubte es nicht.
Es war eher, schwere zu beschreiben und doch so klar vor ihm, dass er nur seine Hand ausstrecken bräuchte, doch fassen konnte er es nicht.
Lange streifte er durch seinen Kopf, zwischen den unzähligen Gedanken die sich hier schon so hoch getürmt hatten, als gäbe es für sie keinen anderen Platz.
Und Gefühle, die er noch nicht einmal selber erklären konnte, warteten, wie auf einem Schreibtisch darauf, bearbeitet zu werden.
„Doch mir fehlte die Zeit für diese ganze Arbeit.
Oder der Mut?“
Hatte er das wirklich gesagt, oder nur laut gedacht?
Er mahnte sich zur Vorsicht, nicht nur seine Zweifel auszudrücken sondern auch die Anderen zu wecken.
Er begann seinen Weg zurück zu verfolgen, mit der Hoffnung, genau das wieder zufinden, was ihm Licht schaffen sollte.
Genau das was ihm fehlte um es mit den ganzen verstaubten Gedanken, Träumen und Gefühlen aufzunehmen.
Und noch während er so überlegte wartete er nur darauf, dass er ein Ende sehen konnte, doch die Gedanken wurden mehr und die Gefühle häuften sich, bis er am Ende nicht mehr wusste welcher zu erst gekommen war.
Er fühlte das ein Ende nah war, wusste nur noch nicht wo.
Fühlte, dass er den Mut schon sehen konnte, wusste aber nicht wo ich hinschauen sollte.
Er sah seinen Planeten, der sich Leben nennt, seine Umlaufbahn verlassen und auf einen anderen zu zurasen.
Suchte nach einem Held der die Welt wieder retten konnte und das Schicksal verhindert, musste leider feststellen, dass dieser Held gerade an einer kleinen Krise leidet und sah sich selber durch die Sterne fliegen, doch er hatte seinen Orientierungssinn verloren und rettete den falschen Planeten, noch bevor ein weiterer Held kam, dessen Aufgabe er übernehmen musste, um ihn zu entlasten und wusste noch bevor er sich bedankte, dass er ihm nicht helfen wollte.
Überlegte zu lange wer in diesem Leben sein Feind war, wenn es zu bekämpfen gab, damit dies ein Ende nehmen konnte und machte eine grausame Entdeckung.
Der Feind war er selbst.
Sein eigener Kopf.
Und er sah den alten, selber schon verstaubten Verwalter seiner Gedanken und Gefühle, der nie im Leben eines davon heraus rücken würde mit der Angst, er könnte etwas zerstören.
Er könnte ihm etwas nehmen.
Seine Aufgabe, die nur darin bestand alle Gedanken und Träume zu sammeln, um sie vorzubereiten auf eine Bearbeitung.
Doch der Verwalter hatte seine Träume so lieb gewonnen, dass er sie nicht aufgeben wollte und so verlieh er sie nur noch, anstatt sie auszugeben, geschweige den zu verkaufen.
Mef hatte nicht den Mut, ihm seine Gedanken und Gefühle wegzunehmen, wollte diesem alten Verwalter, der ihn jeden Tag aufs neue kritisch musterte, nicht seine Lebensaufgabe nehmen.
Musste aber feststellen, dass er dadurch seine verlor.
Und ohne das er es merkte, lief es mir über den Weg.
Das Ende.
Und der lang verloren gegangene Mut, standen mit einem breiten Grinsen vor mir.
„Guten Tag mein alter Freund!
Hast du mich vermisst?“
Er packte den Mut beim Kragen und schlug ihm den alten Verwalter auf den Schreibtisch.
Begann das erste Gefühl mitzunehmen und zu bearbeiten.
Heute weiß er nicht mehr wie viele Gefühle, Träume und Gedanken er bearbeitet hatte.
Doch alle Gefühle, die sich in Tränen verwandelt hatten waren raus.
Lange sah ihn der alte, staubige Verwalter an, bevor er langsam seine Tasche packte, ihm das letzte Gefühl in die Hände drückte, sich mit einem kurzen Lächeln verabschiedete und nur noch eine Besen zurück ließ.
 



 
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