Teil 7

losvu

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v16.31 h

Leigh und ich hatten uns gerade mit unseren Kollegen auf den
Weg zu unseren 36 Kandidaten machen wollen, als sich Lauras
Eltern bei der Staatsanwaltschaft anmeldeten.
"Ich werde hierbleiben", sagte sie.
"Warum ?", fragte ich überrascht. Es gab andere, die die Eltern
vom Tod ihrer Tochter unterrichten konnten. Rafael zum Bei-
spiel. Er war ihr Kollege gewesen, ihr bester Freund.
"Zumindest einer von den ermittelnden Beamten sollte anwe-
send sein."
Sie sah mich nicht an. Das irritierte mich. "Leigh, was ist los ?"
"Nichts", sagte sie und sah mich endlich an. Keine Rückmel-
dung. Ihr Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Dann ging
sie.
"Was war denn das ?", fragte Trina Delgado, unser Neuzu-
gang. Sie war 26, hatte mit 21 bei der Polizei angefangen und
studierte abends Jura. Sie stand kurz vor dem Abschluss.
Sie hatte ein rundes freundliches Gesicht, große dunkle Augen
und eine Stupsnase. Sie trug kaum Make-Up, wie Leigh.
"Sie ist nur ein bisschen angespannt. Was ist, Kleine ? Willst
du mich begleiten ?"
Ich hob einen Stapel von 18 Akten auf. Mit den anderen waren
Duane und Meredith schon losgezogen.
"Ich hab um halb acht einen Kurs in Strafrecht. Aber sonst...
Claro." Sie zog ihr Jacket über und schnappte sich ihre Hand-
tasche.

Im Aufzug drückte ich nicht den Knopf für das Erdgeschoss,
sondern für den zweiten Stock.
"Was machen wir hier ?", fragte Trina.
"Shhh...", machte ich und setzte den Aktenstapel ab.
Leigh und die Bellinis waren in Rafes Büro und sprachen mit-
einander.
"Nur fünf Minuten", flüsterte ich Trina zu. "Irgendwas stimmt
nicht mit ihr und ich will wissen, was."
Sie nickte.
"Es war Adrian, nicht wahr ?", fragte Mrs. Bellini gerade.
Leigh schwieg.
"Nach dem was Sie uns gesagt haben. Er war es."
Leigh hatte über die Autopsie geplaudert ? Interessant. Sie
wand sich auf dem Stuhl, den sie sich aus einem anderen
Raum hereingeholt hatte. "Die Möglichkeit besteht", sagte
sie schließlich.
Trina und ich wechselten einen Blick. "Wer ist der Kerl ?",
flüsterte Trina.
"Keine Ahnung."
"Ich wusste es in dem Moment, als er aus Rikers entlassen
wurde." Mrs. Bellini fing an zu weinen. "Er wollte sie töten.
Das hat er doch vor Gericht gesagt."
Aus dem Augenwinkel sah ich Rafael aus einem Büro etwas
den Gang hinunter kommen. Mit Gesten forderte ich ihn auf,
nicht in sein Büro zu gehen. Er runzelte die Stirn.
"Woher wussten Sie-"
"Adrian hat uns angerufen, um uns die frohe Botschaft zu
übermitteln", sagte Mr. Bellini verbittert.
Adrian ?, fragte Rafe lautlos und mit hochgezogenen Augen-
brauen. Trina und ich schüttelten die Köpfe und zuckten mit
den Schultern. Das ist uns auch neu.
"Und dann Amy... Es passt doch alles zusammen."
"Sie müssen aber berücksichtigen, dass Laura in den sieben
Jahren, in denen sie hier gearbeitet hat, an über 4500 Sexual-
delikten mitgearbeitet hat und etliche Verurteilungen erreicht
hat. Wir haben allein bei der ersten Durchsicht der Akten 36
Kandidaten ausgemacht, die frisch aus dem Gefängnis entlas-
sen sind und die wir der Tat verdächtigen."
"Was ist mit Adrian ?"
"Wir werden uns um Adrian kümmern", versprach Leigh.
"Wenn er es war, kriegen wir ihn."
Rafe nickte mir zu. Dann betrat er sein Büro, begrüßte
Scavo und die Bellinis. Er sprach ihnen sein Beileid aus.
Trina und ich fuhren ins Erdgeschoss, setzten uns in meinen
Wagen und machten uns an die Arbeit.
Ich würde wohl später ein klärendes Gespräch mit Leigh
führen müssen.

Adrian saß auf einer der Stufen, die zum Eingang des Justiz-
gebäudes führten. Er fragte sich, was Leigh wohl gerade mach-
te. Bestimmt hatte sie Lauras Eltern benachrichtigt und sprach
gerade mit ihnen. Irgendwo da oben in dem hässlichen Beton-
brocken. Sie hätten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt,
um zu ihrer Tochter zu kommen. Er hätte gern ihre Reaktion
gesehen. Aber es wäre schon verdammt dreist, einfach dort
reinzugehen und...
Und Leigh ?
Wusste sie es ? Wussten es ihre Kollegen ? Suchten sie
schon nach ihm ? Das würde interessant werden. Er sah nicht
mehr aus wie vor neun Jahren, als er nach Rikers gekommen
war und sein schickes Haus auf Long Island gegen eine 3 x
1,5 m große Zelle eingetauscht hatte. Er hatte jetzt schwarz-
gefärbte Haare und grüne Kontaktlinsen. Damals war er
blond gewesen und hatte braune Augen gehabt.
Er dachte an Leigh und Laura Bellini. Sie hatten ihn angeklagt.
Und Amy Wallace hatte gegen ihn ausgesagt. Sie hatten ihn
nach Rikers gebracht.
Die Nummer mit Amy und ihrer Badewanne war viel zu human
gewesen. Die Fußgelenke umfasst, sie unter Wasser gerissen,
ein paar Minuten gewartet und weg. Aber sie war tot. Nicht
weniger hatte er gewollt.
Dann vorgestern nacht Laura. Sie hatte sich gewehrt. Sie hatte
auf ihn geschossen. Sie hatte ihn gekratzt und gebissen und ge-
schlagen und verflucht. Das war nicht die Frau, die ihn nach
Rikers gebracht hatte. Er war beeindruckt von ihrem Durch-
haltevermögen gewesen. Sie hatte einfach nicht sterben wollen.
Er hatte sie ohne Reue getötet. Er spürte, wie sich in seiner
Hose etwas regte, als er daran dachte, wie er auf ihr Gesicht
masturbiert hatte, nachdem er sie zuvor vergewaltigt hatte.
Oder daran, wie er ihr den Hals durchgeschnitten hatte. Oder
an ihre eigene Pistole zwischen ihren Beinen. Eine hübsche
Geste, fand er.
Wenn er das mit Scavo machte, würde er sie vielleicht abfeu-
ern. Wenn sie noch lebte, das war ja wohl klar. Er grinste.
Oder er würde sie lebendig begraben. Als er das Grab seines
Großvaters auf dem Militärfriedhof im Presidio ein paar Tage
zuvor besucht hatte, hatte er ein frisch ausgehobenes Grab
gesehen. Da war ihm die Idee gekommen. Oder...
Er sah auf die Uhr. Dreiviertel fünf. Zeit, nach Hause zu Abbie
zu fahren und ihr die frohe Botschaft zu überbringen. Er hatte
einen Job in einer Filiale der Bank of America. Als Investment-
banker. Denselben Job hatte er in Manhattan gehabt, kurz be-
vor seine Ex ihn ins Gefängnis gebracht hatte...
Dumme Schlampe, warum hast du mich betrogen ? Wenn du
es nicht getan hättest, wäre diese ganze Scheiße nie passiert.
Hast du wirklich geglaubt, du kommst damit durch ? Und dass
du ans andere Ende des Kontinents gezogen bist... Hast du
wirklich geglaubt, dass ich dich nicht finden würde ?
Er ging die Treppe hoch, betrat das Gebäude und rief sich von
einem der dort angebrachten öffentlichen Telefone ein Taxi.
Er betrachtete die Marmortafel mit den Namen der toten
Polizisten. Scavo würde bald dazu gehören.

17.34 h

Leigh kam gerade von der Gerichtsmedizin, wo die Bellinis
sich von ihrer Tochter... verabschiedet hatten. Es war eine
tränenreiche Angelegenheit gewesen. Mrs. Bellini hatte sogar
mit einem Beruhingsmittel behandelt werden müssen, so sehr
hatte der Anblick ihrer Tochter sie aufgeregt. In diesem Mo-
ment hatte sich sie vorgenommen, Adrian zu kriegen und
wenn es das Letzte war, was sie im Leben täte. Selbst auf
die Gefahr hin, dass sie ihren geliebten Job dann an den
Nagel hängen konnte.
Doch da war noch etwas. Etwas, das durch ihren Kopf
spukte und das sie nicht zu fassen bekam. Sie dachte an den
gestrigen Abend. Wie im Zeitraffer erlebte sie ihre Ankunft
am Tatort.
Die Streifenwagen, Ambulanz, Spurensicherung, Nachbarn,
uniformierte Kollegen... Dann gingen sie zum Haus der She-
pards. Der Vorgarten, die Treppe, die Türschwelle... und
stop ! Sie hatte es gefühlt. Sie hatte gemerkt, dass er da war.
Sie hatte ihn zehn Jahre nicht gesehen und es sofort gemerkt.
Sie hatte sich umgedreht und die Gesichter betrachtet. Bei
einem war sie hängengeblieben.
Der Mann war etwa 1,85 m groß gewesen, muskulös und
hatte einen dunklen Anzug getragen. Dunkle Haare und grüne
Augen. Sie hatte gedacht, es könne nicht sein und war Clark
ins Haus gefolgt.
Als sie nach der Befragung der Shepards und der Tatortbe-
gehung wieder herausgekommen war, hatte der Mann immer
noch, zusammen mit Abbie DeMarco, Lauras Nachbarin ein
Stockwerk höher, an der Absperrung gestanden. Er war ih-
rem Blick gelassen begegnet. Die Gesichtszüge... Sie war
sich nicht sicher gewesen, bis... er gelächelt hatte. Ihr hatte
sich beinahe der Magen umgedreht. Sie hatte voller Un-
glauben den Kopf geschüttelt.
Das Lächeln hätte sie überall wieder erkannt. Sie hatte es
das erste Mal gesehen, als sie Adrians Fall gerade über-
nommen hatte und ins Untersuchungsgefängnis nach Rikers
Island gefahren war, um ihn zu befragen. In den folgenden
Wochen vor dem Prozess war sie noch mehrmals raus nach
Rikers gefahren und jedes Mal hatte sie sich stärker über-
winden müssen. Es war ein nicht einmal ein Lächeln, son-
dern das Zähnefletschen eines Raubtiers. Leigh erkannte
Raubtiere, wenn sie ihnen begegnete. Sie hatte selbst häss-
liche Wunden vom Zusammenleben mit einem davongetra-
gen. In einem weiteren früheren Leben...
Was sollte sie nun tun ? Eins war klar: Sie musste es zu-
mindest Clark sagen. Er war immerhin ihr Partner. Er wür-
de hochgehen wie eine Rakete. Sie kannte ihn. Doch es
vor ihm zu verheimlichen wäre noch schlimmer. Er würde
es sowieso irgendwie herausbekommen. Niemand konnte
etwas lang vor ihm verbergen, besonders nicht jemand,
den er so gut kannte wie sie. Doch Clark war unterwegs.
Mit wem ? Sie sah sich um. Trinas Schreibtisch war ver-
lassen. Sie war noch da gewesen und hatte Papierkram
erledigt, als Leigh zur Staatsanwaltschaft hinuntergefahren
war. Sie sah auf die Uhr über dem Aufzug. Dreiviertel
sechs. Sie beschloss, bei der Spurensicherung nachzufra-
gen, wie weit sie schon waren.
 



 
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