Termin beim Bestatter

Auf Friedhöfen ist er schon immer gern spazieren gegangen. Für ihn sind es Orte der Kontemplation, gestaltet nach Prinzipien einer harmonischen Ästhetik. Wer sich auf ihnen nur ergeht, für den rückt die Zweckbestimmung der Anlagen in den Hintergrund - doch nicht so weit, dass sie ganz aus dem Blick geriete. War da nicht noch etwas vorzubereiten? Er hatte seinen gesamten Lebensroman von Jugendzeiten her durch die wechselnden Schauplätze strukturiert, auf denen die vielen Akte und Zwischenakte abrollten, und nun wünschte er sich ein passendes Schlussbild: all das Vorangegangene versöhnend, seine Lebensmotive dort verklingen lassend …

Die Wahl des Friedhofs für die eigene Bestattung beschäftigte ihn jahrelang. Als er sich entschieden hatte, wollte er sichergehen und die spätere Abwicklung in professionelle Hände legen. Er rief ein großes Beerdigungsinstitut an und erschien zehn Minuten vor der Zeit zu dem vereinbarten Termin. Die Details des Vorsorgevertrages wurden in einem Raum ausgehandelt, dessen Gestaltung von Geschmack und Raffinesse zeugte. Die Dekoration changierte in der wohl beabsichtigten und auch erreichten Wirkung zwischen sanft befriedend und dezent vitalisierend. Sein Blick fing sich immer wieder an der Grisaille-Malerei auf der Wand gegenüber: War es der Torso eines Todesengels? Wie viel da angedeutet schien: Geist und Eros, das Mysterium unserer Existenz und ein Fluidum von Transzendenz. Er ermahnte sich selbst, der rätselhaft reizvollen Gestalt nicht so viel Aufmerksamkeit zu widmen.

Er wünschte ein Erdbegräbnis und nannte den Friedhof dafür. Die Bestatterin enttäuschte ihn: Ich war noch nie da, sagte sie, man kommt hier gar nicht aus dem Geschäft heraus. Dann wurden lauter praktische Fragen an ihn herangetragen, die er sich vorher leider nicht gestellt hatte, wie zum Beispiel nach Material und Form des Sarges, welcher Blumenschmuck sein letztes Möbelstück garnieren würde und ob er im Sarg eigene Kleidung bevorzuge? Er fühlte sogleich, dass seine insgesamt nachlässige Garderobe nicht zu dem, wie es hieß, mediterranen Gesteck passen würde: dann doch lieber ein neues Totenkleid vom Bestatter. Und dessen Farbe? Ein sehr helles Beige empfahl sich, er hatte es zunächst für Krankenhaus-Weiß gehalten.

Es irritierten ihn die rasch aufeinanderfolgenden Bilder von Särgen, die ihm gezeigt wurden. Ihre Form wies fast immer etwas mühsam gebändigt Pompöses auf, das ihm missfiel, gleich ob das Material Eiche oder Kiefer war. Ohne vollkommen überzeugt zu sein, ließ er ein Modell aus Linde eintragen – es wirkte weniger altväterisch, vielleicht doch ein wenig zeitlos freundlich.

Dann war alles besprochen und entschieden und alle Posten addiert - er unterschrieb den Vertrag. Am Ende des Tages ist der Gedanke an den schönen Friedhof verdrängt von der Vorstellung eines verschlossenen Sarges. Zeigen sich da bei ihm jetzt nicht gewisse klaustrophobische Tendenzen? Ja, gewiss, er wird dort nicht mehr herumgehen, sondern still daliegen und das Ende der Liegezeit abwarten. Und danach? Er hat erfahren, dass etwa noch aufzufindende Gebeine dann tiefer gelegt werden. Es wäre übertrieben, das eine neue Perspektive zu nennen – immerhin wird es eine Veränderung der Lage sein. Fortsetzung folgt, womöglich.
 

Ofterdingen

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Auch wenn der Vergleich völlig unangebracht sein mag: Mich erinnert dein Text an "Meine Ortschaft" von Peter Weiss, einen Bericht über einen Rundgang im KZ Auschwitz. Hier wie da geht es um Schreckliches, Schauriges, scheinbar emotionslos dargestellt, sachlich, kühl, und das einen gerade deshalb betroffen macht.
 

petrasmiles

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Lieber Arno,

der Gedanke des Lebenden sich gut gebettet wissen zu wollen, romantisierende Spaziergänge, Projektion eines Genusses, einer von ihm erdachten Ordnung über das Dasein hinaus.
Der Lebende als Akteur im Nichtleben.
Und dann die Realität.
Ein Sarg.
Das ist doch die gezwungenermaßen zurückgenommene Projektion, die das Ungehagen auslöst.
Es ist die brutale Erkenntnis des Nichts - was sogar besser ist, als das schaurig klaustrophobische vorgefühlte Nicht-Erleben.

Ich glaube, diese Gedanken machen sich die meisten Menschen nicht gern. Selbst, wenn sie den Tod an sich nicht fürchten, scheint jeder Gedanke an ihn eine Einladung zu sein. Frage mal, wer schon sein Testament gemacht hat.
Mein fast 80jähriger Schwiegervater nicht und mein Mann auch nicht. Er hat es entworfen und soll es nun handschriftlich niederschreiben... ich habe schon mein drittes geschrieben, angepasst an veränderte Lebensumstände. Es fing damit an, dass ich wollte, dass meine liebste Freundin meinen Lieblingsring bekommen sollte ... ist es dann weniger Ratio als selbstausdrückender Gestaltungswille?

Liebe Grüße
Petra
 
Danke, liebe Petra, für deine Ausführungen. Du hast die im Text enthaltene Wendung gut erfasst - nur dass ich als Agnostiker nicht vom Nichts sprechen würde, daher das "womöglich" als letztes (?) Wort dort. Das ist aber zugleich auch ein wenig sarkastisch gemeint, wie der Text insgesamt.

Testament? Hat der beschriebene Protagonist schon in mittleren Jahren notariell erstellt, auch aus materieller Fürsorge, und nie geändert.

Gute Nacht
Arno
 



 
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