TEXAS
Jeff schlenderte in das Rathaus, um zur Zeitungsredaktion zu gehen, als er aus dem Zimmer des Bürgermeisters eine laute Stimme hörte. Es war eine weibliche Stimme, die sehr aufgeregt klang und er blieb stehen. Nicht etwa, weil er neugierig war, sondern weil ihn der Dialekt der Frau faszinierte. Trotz ihrer Wut, die man deutlich hörte, klang ihre Stimme wie ein warmer Sommerregen und er lauschte. Dabei achtete er nicht auf die Worte und war deshalb völlig überrumpelt, als die Tür aufflog und eine junge Frau herausstürmte. Sie knallte die Tür hinter sich zu und wäre fast in Jeff hineingerannt, wenn der sie nicht am Ellenbogen festgehalten hätte.
„Nicht so stürmisch. Wo brennt es denn?“ Jeff grinste sie spitzbübisch an und sah auf die Frau hinunter. Sie war ziemlich klein, ging ihm gerade mal bis an die Schultern, aber sie sprühte vor Temperament.
„Dieser Mistkerl! Ich fasse es einfach nicht! Wie kann der mir so was antun?“ Sie wollte ihren Arm aus Jeffs Griff befreien, aber der hielt sie unbeirrt weiter fest.
„Mistkerl? Sie meinen doch wohl nicht etwa unseren allseits geschätzten Bürgermeister Higgins, oder?“
„Oh doch, genau den meine ich! Und jetzt lassen Sie mich bitte los, meine Tochter wartet im Auto auf mich.“
Jetzt wurde Jeff doch neugierig. Higgins sollte ein Mistkerl sein? Es gehörte schon einiges dazu, den beleibten gutmütigen Higgins aus der Ruhe zu bringen, aber diese junge Frau schien es geschafft zu haben. Jeff hatte noch nie gehört, dass jemand Higgins als Mistkerl bezeichnet hatte. Er wollte mehr darüber erfahren. Langsam zog er seine Hand weg und sah zu, wie sich die Frau umdrehte, ihre langen rotbraunen Locken nach hinten warf und mit schnellen Schritten auf den Ausgang zueilte. Jeff vergaß augenblicklich, warum er überhaupt in das Rathaus gekommen war und ging der Frau nach. Sie strebte auf einen Buick zu, der direkt vor dem Haus parkte. Ein kleines Mädchen saß auf dem Rücksitz und starrte aus dem Fenster. Das musste dann wohl die erwähnte Tochter sein. Bevor die Frau das Auto erreicht hatte, stieg das Mädchen aus und lief seiner Mutter entgegen.
„Mama, das hat so lange gedauert! Ich hab Durst und ich muss ganz dringend aufs Klo!“ Die Kleine sprang von einem Bein auf das andere. Dabei drückte sie einen kleinen Stoffhasen an sich, der schon ziemlich ramponiert aussah.
Die Frau beugte sich zu ihrer Tochter hinunter und strich ihr das wirre Haar aus der Stirn. Es war im Gegensatz zu ihrem eigenen Haar von einem sehr hellen Blond, das schon fast weiß wirkte. Jeff blieb stehen und konnte hören, wie die Frau auf das kleine Mädchen einsprach. „Es tut mir leid, Benji, das es so lange gedauert hat. Aber nun bin ich ja da und alles ist wieder gut. Hat Mister Schlapp gut auf dich aufgepasst?“ Damit zog sie den Stoffhasen am Ohr und die Kleine lächelte. „Klar, aber jetzt hat er auch Durst. Können wir irgendwo hin gehen?“
Die Frau stand wieder auf und sah sich suchend um. Dabei fiel ihr Blick auf Jeff, der ein Stück hinter ihr stand und sie ansah. Ihre Augen blitzten ihn nicht gerade freundlich an und sie nahm ihre Tochter an die Hand.
„Ich glaub, ich hab da hinten ein Restaurant gesehen. Was hältst du von einem schönen großen Milchshake?“
„Oh ja, klasse!“ Die Kleine hüpfte aufgeregt um ihre Mutter herum.
Jeff trat näher an die Frau heran.
„Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische. Aber das Restaurant, was Sie da gesehen haben, ist nicht gerade für seine Küche berühmt. Und einen Milchshake werden Sie da bestimmt nicht bekommen.“ Sein Lächeln vertiefte sich und er zwinkerte der Kleinen zu. Die Frau hob nur fragend eine Augenbraue und sagte keinen Ton.
„Ich mach Ihnen einen Vorschlag. Ein Stück die Straße runter ist ein McDonald. Da bekommen Sie bestimmt Ihren Milchshake. Kommen Sie, es ist nicht weit. Wir können zu Fuß gehen. Ich lade Sie ein!“ Jeff dachte sich nichts weiter dabei, als er seine Hand ausstreckte, um die Frau am Ellenbogen zu nehmen. Aber sie wehrte ihn heftig ab.
„Finger weg, Freundchen! Was bilden sich die Männer hier überhaupt ein? Ich bin durchaus in der Lage, allein zu gehen und ein Milchshake kann ich meiner Tochter auch noch kaufen! Sie brauchen uns nicht einzuladen!“ Empört drehte sie sich um, nahm das Kind an die Hand und ging mit ihm los.
Jeff schmunzelte, als er den beiden hinterher sah. Der Dame musste aber wirklich eine Laus über die Leber gelaufen sein. Er wollte ihr doch nur helfen. Dann zuckte er resigniert mit den Achseln und folgte ihnen.
Maggie und ihre Tochter hatten es sich an einem kleinen Tisch draußen gemütlich gemacht, als Jeff zu ihnen trat.
„Sie erlauben doch?“ Damit zog er einen Stuhl hervor, setzte sich und stellte seine Cola auf den Tisch.
„Und wenn ich es nicht erlaube? Stehen Sie dann wieder auf und gehen, oder was?“ Die Frau hatte sich immer noch nicht beruhigt. Was bildete der Kerl sich bloß ein? Nur weil er gut aussah und ein tolles Lächeln hatte, meinte er, jede Frau rumkriegen zu können. Aber nicht mit mir, schwor sich Maggie.
Jeff schüttelte den Kopf und grinste breit. „Nö, ich könnte es nicht verantworten, Sie hier ganz allein sitzen zu lassen. Es könnte ja schließlich ein wilder Bulle vorbeikommen und sie auf die Hörner nehmen“, scherzte er. Die Frau verzog keine Miene, aber ihre Tochter sah sich verängstigt um und drückte sich näher an ihre Mutter. Jeff tat seine Aussage sofort leid. Das hatte er nicht gewollt. Er wollte das Kind nicht erschrecken.
„Hab keine Angst, Süße. Der Bulle wird schon nicht kommen. Du hast doch deinen Mister Schlapp, der auf dich aufpasst und ich bin doch auch noch da!“ beruhigte er das Kind.
Benji schaute den Fremden einen Augenblick an und überlegte, ob sie dem großen Mann mit dem Cowboyhut trauen sollte. Dann entschied sie sich, es zu tun und grinste ihn an. Dabei kam ihre Zahnlücke voll zur Geltung und Jeff schmolz dahin. Die Kleine war einfach nur süß. Schade, dass sich ihre Mutter nicht so leicht von seinem Charme beeindrucken ließ.
Maggie hatte den Mann und ihre Tochter genau beobachtet. Als sie jetzt sah, wie Benji den Fremden anlächelte und ihm anscheinend nichts Böses zutraute, war sie gewillt, ihm noch eine Chance zu geben.
„Also, was wollen Sie von mir? Warum sind Sie mir aus dem Rathaus gefolgt?“ setzte sie an.
Jeff seufzte, sah der jungen Frau direkt in die wunderschönen grünen Augen und stob sich dann seinen Stetson etwas weiter in den Nacken.
„Ich hab Ihren Streit mit Higgins gehört und ich möchte gern wissen, was Sie von ihm wollten. Warum hat er Sie so geärgert? Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen.“
Maggie war todmüde. Sie war heute mehr als acht Stunden gefahren, nur um dann zu erfahren, dass ihr Weg völlig umsonst gewesen war. Sie musste unbedingt mit jemanden reden, sonst platzte ihr noch der Schädel. Also warum nicht mit diesem Kerl hier? Er schien ja zumindest kinderlieb zu sein.
„Higgins hat mir eine Stelle als Lehrerin angeboten. Wir kommen aus New Orleans. Allein heute bin ich über acht Stunden Auto gefahren, ich bin kaputt und wütend. Und da hat der verdammte Mistkerl die Frechheit mir zu sagen, dass die Stelle bereits vergeben ist! Ich hab doch wohl allen Grund verärgert zu sein, oder?“ Maggie rieb sich über die müden Augen.
„Sie meinen, Higgins hat sie unter falschen Voraussetzungen hierher kommen lassen? Die Stelle war gar nicht frei?“
„Oh doch, bis gestern war die Stelle noch frei. Wäre ich nur einen Tag früher gekommen, dann hätte ich sie bekommen. Aber dann ist gestern seine Nichte aufgetaucht, und schwups, hat er ihr die Stelle gegeben. So ist das eben, Pech gehabt, dann fahr mal schön die 2000 Kilometer wieder zurück.“ Maggie war außer sich und konnte sich nur schwer beruhigen. Wenn sie an den behäbigen Bürgermeister dachte, der seelenruhig in seinem Sessel gesessen hatte, die Hände über den Bauch gefaltet und ihr dann mitgeteilt hatte, dass sie ganz umsonst hier in Tinsdale/Texas war, dann ging ihr immer noch die nicht vorhandene Hutschnur hoch.
„Haben Sie keinen Vertrag mit Higgins gemacht, als er Ihnen die Stelle angeboten hat?“ wollte Jeff von ihr wissen.
„Nein, das hab ich nicht. Ich hab mich auf sein Wort verlassen. Dumm von mir, ich weiß. Glauben Sie mir, noch mal mach ich so einen Fehler nicht.“ Maggie stützte ihren Kopf auf die Hände und blickte völlig erledigt zu ihrer Tochter.
„Gibt es hier im Ort ein Hotel? Es sollte aber nicht zu teuer sein“, fragte sie dann.
Jeff schüttelte den Kopf. Ein Hotel gab es in Tinsdale wirklich nicht. Nur ein altes heruntergekommenes Motel und dahin würde er die Frau mit ihrer Tochter bestimmt nicht gehen lassen.
„Was haben Sie denn jetzt vor? Wollen Sie zurück nach New Orleans?“ wollte er wissen.
Maggie schüttelte den Kopf. „Nein, das hätte keinen Sinn. Ich hab unser Haus dort verkauft und ich will auch nicht dorthin zurück. Ich wird mir eben hier einen Job suchen müssen. Sie wissen nicht zufällig, ob irgendwo in der Nähe ein Lehrerposten frei ist?“
Jeff überlegte, runzelte die Stirn und lächelte dann fröhlich. „Nein, tut mir leid. Die Schule hier am Ort ist meilenweit die einzige. Und die Stelle ist ja schon weg. Aber wie wäre es denn, wenn Sie mit zu mir kommen würden?“
Die Frau starrte ihn fassungslos an. Der Kerl wollte, dass sie mit zu ihm kam? Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein.
Jeff sah, dass er schon wieder einen Fehler gemacht hatte. Heute war nicht sein Tag. Entschuldigend hob er beide Hände.
„Sorry, ich hab mich schlecht ausgedrückt. Ich suche eine Haushälterin. Eben wollte ich eine Anzeige aufgeben, aber wenn Sie die Stelle haben wollen, dann kann ich mir das jetzt sparen.“
Maggie schaute Jeff in die braunen Augen. Eine Stelle als Haushälterin? Das war nicht ganz das, was sie sich vorgestellt hatte. Immerhin war sie ausgebildete Lehrerin, aber musste auch an ihre Tochter denken. Sie hatte ihr Haus verkauft, aber das Geld war fast komplett für die Schulden draufgegangen. Das bisschen, was ihr jetzt noch blieb, würde nicht lange reichen. Sie brauchte unbedingt einen Job und es war egal, was es für einer war.
„Erzählen Sie mir mehr darüber“, entschied sie dann.
„Gern. Also, ich bin stolzer Besitzer einer Ranch.“ Jeff grinste jungenhaft. „Auch wenn manche behaupten, es ist nur ein Mäuseloch, sie gehört mir mit allem, was darauf wächst und gedeiht. Das Haus ist nicht besonders groß, aber es genügt. Die Arbeit auf der Ranch macht mir nichts aus, aber für den Haushalt hab ich kein Händchen. Bisher hab ich selbst gekocht, aber jetzt sind meine Leute in den Hungerstreit getreten. Wenn ich nicht bald für eine ordentliche Köchin und Haushälterin sorge, dann kündigen sie. Na, was halten Sie davon? Wollen Sie es mit uns versuchen? Acht Männer und keine einzige Frau? Würden Sie das aushalten?“ Jeff grinst ansteckend und Maggie konnte gar nicht anders, sie musste sein Lächeln erwidern. Kochen konnte sie, das hatte sie schließlich ihr Leben lang getan. Und ob sie nun für einen Mann und ein Kind kochte oder für acht gestandene Mannsbilder, machte auch keinen großen Unterschied. Allerdings gefiel es ihr nicht so besonders, dass sie die einzige Frau auf der Ranch sein sollte. Sie hatte einiges über die texanischen Männer gehört und wenn die alles so waren, wie dieses Prachtexemplar vor ihr, dann würde sie keine ruhige Minute haben. Und sie musste natürlich auch an Benji denken.
Jeff konnte richtig sehen, wie es in dem Kopf der Frau arbeitete. Sie grübelte und überlegte. Jeff war geduldig und wartete ab. Er war gespannt, wie ihre Entscheidung aussehen würde.
„Sie sagten, Sie hätten ein kleines Haus. Wie sieht es mit einer Wohnung für mich und Benji aus? Können wir in der Nähe wohnen?“
Jeff schüttelte abermals den Kopf.
„Nein, tut mir leid. Meine Farm ist von Tinsdale fast zwei Stunden Fahrt entfernt. Es würde keinen Sinn machen, wenn Sie sich hier im Ort eine Wohnung suchen würden. Aber so klein ist mein Haus nun auch wieder nicht. Ich kann Ihnen und Ihrer Tochter zwei Zimmer anbieten. Würde Ihnen das ausreichen? Die Miete könnten wir mit Ihrem Lohn verrechnen.“
Maggie überlegte immer noch. Wahrscheinlich wäre das wirklich die beste Lösung für sie. Sie könnte ein wenig zur Ruhe kommen und sich ein bisschen von dem Stress der unschönen Scheidung erholen Und auch Benji brauchte einen Platz, an dem sie sich erholen konnte. Jeff machte einen harmlosen Eindruck, obwohl sie seine etwas machohafte Art nicht sehr schätzte. Aber daran würde sie sich hier in Texas gewöhnen müssen. Die Männer hier waren dafür bekannt, dass sie nicht gerade zimperlich mit Frauen umgingen. Und wenn es ihr zu bunt wurde, konnte sie sich immer noch etwas anderes suchen.
„Ich heiße Maggie Ford. Meine Tochter Benji kennen Sie ja schon. Okay, ich werde mir die Ranch mal ansehen und wenn die Stelle mir zusagt, dann haben Sie eine neue Haushälterin.“ Maggie streckte Jeff die Hand entgegen. Er ergriff sie und drückte sanft zu. Es war eine kleine zarte Hand und Jeff wollte sie nicht verletzten.
Dann wandte er sich an die Kleine. „Magst du Kälber Benji? Hast du schon mal welche mit der Flasche gefüttert?“ Das Mädchen sah ihn mit großen Augen an. „Nein, haben Sie etwa Kälber? Und die darf ich füttern? Wirklich?“ hauchte sie leise.
„Ja, das darfst du. Das heißt, wenn deine Mutter es erlaubt.“ Jeff hielt immer noch Maggies Hand und hatte auch nicht die Absicht, sie so schnell wieder los zu lassen, wie ihr schien. Sie versuchte, ihm die Hand zu entziehen, aber er drückte nur etwas fester zu, während er mit Benji über die Tiere sprach, die er auf seiner Ranch hielt. Endlich schien er sich darauf zu besinnen, dass er immer noch Maggies Hand in seiner hielt und ließ sie langsam los.
„Ich heiße übrigens Jefferson Burton. Sie können Jeff zu mir sagen, Maggie. Und wenn Sie fertig sind, dann können wir uns langsam auf den Weg machen. Es wird bald dunkel und ich möchte nicht, dass Sie den Weg im Dunkeln fahren müssen.“ Jeff stand auf und begleitete Maggie und ihre Tochter zurück zu ihrem Auto. Sein Jeep war nicht weit davon geparkt. Er stieg ein und wartete, dass Maggie ihm folgte. Dann machte er sich pfeifend auf den Rückweg zu seiner Ranch. Wer hätte gedacht, dass er so leicht eine Haushälterin finden würde? Und dazu noch so eine reizende, wie Maggie. Anscheinend war heute doch sein Glückstag.
Die Fahrt dauerte wirklich fast zwei Stunden. Vor knapp einer Stunde waren sie von der Hauptstraße abgebogen und auf eine schmale Zufahrtsstraße gekommen. Ein Schild, mit der Aufschrift Appelwhite Farm kündigte an, dass sie sich jetzt anscheinend auf Jeffs Grund und Boden befanden. Maggie musste trotz ihrer Müdigkeit lächeln, als sie den Namen gelesen hatte. Appelwhite, wer hatte sich bloß diesen Namen für eine Rinderfarm ausgedacht? Sie war gespannt auf Jeffs Erklärung. Als sie jetzt endlich die Lichter der Farm vor sich aufblitzen sah, war Maggie unendlich erleichtert. Mehr hätte sie heute wirklich nicht mehr geschafft. Benji war zum Glück hinten auf dem Rücksitz eingeschlafen. Sie hielt immer noch ihren Mister Schlapp fest im Arm und schien ruhig zu schlafen.
Jeff hielt seinen Wagen direkt vor dem Ranchhaus an, stieg aus und trat zu Maggies Auto. Er öffnete ihr die Tür und half Maggie aus dem Auto. Dabei hielt er schon wieder ihre Hand fest. Aber diesmal schien es Maggie nichts auszumachen. Staunend sah sie auf das Haus. Sie wusste ja nicht, was Jeff unter klein verstand, aber dieses Haus war keinesfalls klein. Es war ein großzügiger lang gestreckter Holzbau mit einer Veranda, die sich die gesamte Vorderfront entlang zog. Maggie war beeindruckt. Dann musste sie schlucken. Wenn Jeff sie schon in Bezug auf sein Haus angeschwindelt hatte, was hatte er ihr dann noch alles vorenthalten? Sie kam sich so dumm vor, dass sie wieder mal auf die schönen Worte eines Mannes hereingefallen war. Wahrscheinlich brauchte Jeff überhaupt keine Haushälterin. Aber heute war es zu spät, um nach Tinsdale zurückzufahren. Sie musste die Nacht hier verbringen, ob es ihr nun gefiel oder nicht.
Jeff hatte ihre Reaktion auf sein Heim beobachtet. Für ihn war es wirklich ein kleines Haus. Wenn er da an sein Elternhaus dachte, dann kam ihm sein Haus winzig dagegen vor. Es würde locker dreimal in das Haus seines Vaters passen. Aber Maggie hatte sich unter „klein“ wahrscheinlich etwas anderes vorgestellt. Sie hatte dabei bestimmt an eine kleine Hütte im Wald gedacht. Jeff musste schmunzeln. Tja, die Häuser in New Orleans waren eben nicht mit denen in Texas zu vergleichen. Hier war eben alles eine Nummer größer.
Maggie befreite sich aus Jeffs Griff und öffnete die Tür für die Rücksitze. Sie wollte gerade Benji aus dem Auto heben, als Jeff ihr zuvor kam. Er legte seine Hände auf ihre Hüften und schob sie einfach ein Stück beiseite. Dann beugte er sich zu Benji hinein und hob ihre Tochter auf seine Arme.
„Nehmen Sie nur das mit, was Sie für heute Nacht brauchen. Die anderen Sachen holen wir morgen.“ Damit stieg er die drei Stufen zur Veranda hoch und öffnete die Eingangstür. Maggie sah ihm hinterher, wie er mit ihrer Tochter auf den Armen im Haus verschwand. Das wirkte so natürlich, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als Kinder durch die Gegend zu tragen. Schnell griff sie sich ihre Reisetasche. In ihr waren ihre Papiere und ihr restliches Geld. Außerdem hatte sie darin auch das Nötigste für eine Nacht gepackt, so dass sie die beiden großen Koffer heute wirklich nicht benötigte.
Jeff hatte sich im Flur umgedreht und wartete auf Maggie, damit sie ihm folgen konnte. Sie blieb unter der Tür stehen und sah sich in dem hell erleuchteten Flur um. Was sie sah, gefiel ihr gut. Der Holzfußboden war glatt, aber er hätte sicher eine gründliche Politur vertragen. An der Garderobe hingen einige Jacken und ein paar derbe Stiefel standen darunter. Jeff ging weiter und Maggie folgte ihm. Sie warf einen Blick in das Wohnzimmer. Es war sehr großzügig gehalten und strahlte einen rauen Charme aus. Die Möbel waren aus rustikalem Holz und die Teppiche dick. Aber alles machte einen etwas vernachlässigten Eindruck. Sie kamen an einigen geschlossenen Türen vorbei, bevor Jeff stehen blieb und eine weitere Tür aufdrückte.
„Willkommen in Ihrem neuen Reich. Ich hoffe, Sie und Benji fühlen sich hier wohl.“ Jeff trat an die Seite und ließ Maggie den Vortritt.
Maggie schaute sich in dem Zimmer um und es gefiel ihr auf Anhieb. Es war ziemlich groß. Außer einem Doppelbett bot es noch Platz für einen Kleiderschrank und eine Kommode sowie für einen wunderbar bequemen Schaukelstuhl vor dem Fenster. Alles war in einem hellen Holz gehalten. Der dunkle Fußboden bot dazu einen schönen Kontrast. Die Bilder an den Wänden zogen ihren Blick auf sich. Es handelte sich hierbei um Aquarelle, die die texanische Landschaft wiedergaben. Das Zimmer gefiel ihr wirklich, aber irgendwie hatte es einen weiblichen Touch. Es unterschied sich sehr von dem Wohnzimmer, an dem sie vorhin vorbeigekommen waren. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Jeff dieses Zimmer eingerichtet hatte.
Jeff legte Benji vorsichtig auf das Doppelbett, nahm ihr die Schuhe von den Füßen und zog die leichte Decke über sie. Als er sich wieder zu Maggie umdrehte, sah er, dass sie völlig erstarrt dastand. Jeff musste lachen, als er den Grund für ihre Starre bemerkte.
„Keine Angst, Maggie, das ist Tinkerbell. Die tut ihnen nichts. Sie möchte Sie nur kennen lernen.“ Jeff nahm den riesigen Schäferhund am Halsband und streckte dann seine Hand nach Maggie aus.
„Tinkerbell? Das ist aber nicht gerade ein passender Name für so ein Riesentier, finde ich.“ Maggie hatte sich schnell wieder beruhigt. Der Hund war sicherlich wirklich harmlos. Sie ließ es zu, dass er ihre Hand ausgiebig beschnupperte, dann wedelte Tinkerbell mit dem Schwanz und gab ein leises Wuff von sich.
„Na sehen Sie, jetzt kennt sie Sie und wird Ihnen nichts tun.“ Jeff führte den Hund zum Bett und zeigte dann ernst auf Benji. „Tinker, ich will, dass du auf die Kleine gut aufpasst. Bleib bei ihr und warte, bis Maggie wiederkommt.“ Als ob der Hund ihn verstanden hatte, legte er sich auf den Teppich vor das Bett und ließ Benji nicht aus den Augen.
„Kommen Sie, Maggie. Sie müssen doch bestimmt Hunger haben. Machen Sie sich keine Sorgen, Tinker wird uns warnen, wenn Benji aufwachen sollte.“ Wieder nahm er Maggie am Ellenbogen und führte sie über den langen Flur bis ans Ende. Die Zimmertür hatte er einen Spalt aufgelassen. Maggie konnte es leider nicht verhindern, dass ihr Magen knurrte. Sie hatte wirklich seid dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen und sie folgte Jeff willig. Aber an seine Art, sie bei jeder Gelegenheit zu berühren, musste sie sich noch gewöhnen. Der Druck seiner Hand auf ihrem Arm war ihr nicht unangenehm, aber sie war es einfach nicht gewohnt, von wildfremden Männern berührt zu werden.
Jetzt bemerkte sie auch, dass sämtliche Zimmer von dem langen Flur abgingen. Am Ende des Flures war die Küche. Sie nahm die gesamte Breite des Hauses ein. Als Jeff das Licht einschaltete, sah sich Maggie neugierig um. Nach Jeffs Erzählung hatte sie damit gerechnet, in eine chaotische Männerküche zu kommen, aber hier war eindeutig nichts chaotisch. Die Küche war praktisch und gut geplant, mit großen Arbeitsflächen und sie bemerkte auch, dass sämtliche elektrische Küchengeräte vorhanden waren, die sie sich nur vorstellen konnte. Ihre eigene Küche in New Orleans war längst nicht so gut ausgestattet gewesen.
Dann sah sie sich weiter um und bemerkte, dass auf dem großen Esstisch noch das Geschirr von heute früh stand und auch auf dem Herd standen noch schmutzige Bratpfannen. Na ja, so ein bisschen Chaos schien hier doch zu herrschen. Automatisch machte sich Maggie daran, das Geschirr vom Tisch zu räumen und in den Geschirrspüler zu stapeln. Jeff steckte unterdessen seinen Kopf in den Kühlschrank.
„Wie wäre es mit Sandwiches? Mögen Sie Roastbeef?“
„Ja gern. Soll ich Kaffee kochen?“
„Die Kaffeemaschine steht da hinten und der Kaffee müsste eigentlich auch da sein“, nuschelte Jeff, als er mit einer Platte aus dem Kühlschrank auftauchte. In seiner anderen Hand balancierte er ein Glas mit Mayonnaise. Er stellte alles auf dem Tisch ab und holte dann aus der Brotdose einen Leib dunkles Brot heraus.
Maggie hatte den Kaffee aufgesetzt und sah jetzt amüsiert zu, wie Jeff dicke krumme Scheiben von dem Brot absäbelte. Sie ging zu ihm und nahm ihm das Messer aus der Hand.
„Lassen Sie mich das besser machen, sonst bekommen wir noch eine Maulsperre.“ Routiniert schnitt sie das Brot und belegte es dann mit Stücken von dem kalten Braten. Jeff holte unterdessen Becher aus dem Schrank und bald saßen sie sich am Tisch gegenüber. Jeder mit einem Becher Kaffee und einem Sandwich vor sich. Jeff musste grinsen, als er sah, mit welchem Genuss Maggie von ihrem Brot abbiss. Sie schloss die Augen und kaute langsam. Ein völlig zufriedener Ausdruck lag über ihrem Gesicht und Jeff wurde es heiß, als er sah, wie ihre Zunge den letzten Krümel von den Lippen leckte.
Er war froh, dass er saß, sonst hätte er wohl Maggie in Verlegenheit gebracht. Aber sie war wirklich ein sehr verführerischer Anblick. Wenn sie schon ein Brot mit so viel Genuss verzehrte, wie würde sie dann aussehen, wenn sie neben ihm im Bett lag? Er erschrak selbst über sich, woher jetzt auf einmal diese Gedanken kamen. Okay, sie war eine hübsche Frau, aber eigentlich nicht sein Typ. Er mochte Frauen, die ein bisschen besser ausgestattet waren, als sie. Außerdem war sie seine Angestellte und er fing aus Prinzip nichts mit seinen Untergebenen an. Das brachte doch nur Ärger und den konnte er nicht gebrauchen.
Als Maggie ihren ersten Hunger gestillt hatte, sah sie sich noch einmal aufmerksam in der Küche um. Auch hier konnte man die weibliche Hand genau spüren.
„Wer hat diese Küche eingerichtet? Das waren doch nicht Sie, oder?“
Jeff wachte bei dieser Frage wieder aus seinen Träumen auf.
„Nein, das war ich wirklich nicht. Als ich die Ranch vor vier Jahren übernommen habe, hat meine Mutter die Küche und auch die beiden Räume eingerichtet, die Sie mit Ihrer Tochter bewohnen. Die beiden Räume hat sie für sich selbst hergerichtet, wenn sie mich mal besuchen kommt. Und da sie eine leidenschaftliche Köchin ist, hat sie sich auch um die Küche gekümmert.“
„Aber dann können Sie mir doch nicht ihre Zimmer geben. Was ist, wenn Ihre Mutter zu Besuch kommt?“ Maggie bekam einen Schreck.
„Nun machen Sie sich mal keine Gedanken. Meine Mutter war in den ganzen vier Jahren nur ein einziges Mal hier. Und ich denke nicht, dass sie uns bald mit einem Besuch beehren wird. Sie wohnt jetzt in Florida. Falls sie sich wirklich mal zu einem Besuch bei mir aufraffen sollte, dann kann sie immer noch im Hotel übernachten.“
Maggie konnte nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken. Jeff lachte, als er das sah.
„Na los Maggie, ab mit Ihnen ins Bett. Sonst fallen Sie mir noch vom Stuhl.“
Sie widersprach ihm nicht. Sie war wirklich sehr müde und der Kaffee hatte sie auch nicht belebt. Maggie stand auf und wollte das Geschirr wegräumen, aber Jeff hinderte sie daran.
„Lassen Sie das stehen, ich mach das schon. Und jetzt ab mit Ihnen und schlafen Sie gut. Wir sehen uns dann morgen.“ Er nahm Maggie bei den Schultern und drehte sie zur Tür. Dann gab er ihr einen kleinen Schubs und sah ihr nach, wie sie mit schlurfenden Schritten über den Flur zu ihrem Zimmer ging. Sie schlief wirklich fast im Stehen ein.
Maggie betrachtete ihre kleine Tochter. Benji hatte sich nicht gerührt. Sie drückte im Schlaf ihren Hasen an sich und lächelte leicht. Als die Tür geöffnet wurde, hatte Tinkerbell den Kopf gehoben, ließ ihn aber gleich darauf wieder auf die Pfoten sinken, als sie Maggie bemerkte. Sie klopfte ein paar Mal mit dem Schwanz auf den Boden, um Maggie zu begrüßen. Maggie hielt die Tür auf und rechnete damit, dass der Hund jetzt das Zimmer verlassen würde, aber Tinkerbell dachte nicht daran. Sie drückte sich noch fester auf den Boden und schloss dann die Augen. Sie schien wohl die Nacht bei ihnen verbringen zu wollen.
„Na gut, wie du willst, aber beschwer dich hinterher nicht, wenn du nicht mehr raus kommst.“ Dann musste sie über sich selbst lachen. Jetzt sprach sie schon mit einem Hund.
Maggie nahm aus ihrer Reisetasche ein übergroßes T-Shirt, das sie zum Schlafen trug und ging damit in das angrenzende Badezimmer. Jeff hatte ihr gesagt, dass es ihr und Benji allein zur Verfügung stand. Es war nicht besonders groß, aber mit einer Dusche ausgestattet und erfüllte durchaus seinen Zweck. Benjis Zimmer ging ebenfalls von dem Bad ab. Maggie ging hinüber und schaute sich in dem kleineren Zimmer um. Es standen ein schmales Einzelbett darin, ebenfalls ein Kleiderschrank und ein kleiner Schreibtisch. Alles in weiß gehalten. Auf dem Boden lagen bunte weiche Teppiche und fröhliche Bilder hingen an den Wänden. Benji würde sich hier sehr wohl fühlen.
Auf einmal traten Tränen in Maggies Augen. Sie hatte so viel Glück gehabt. Wahrscheinlich war es Schicksal, dass ihr gerade in dem Moment, als sie unbedingt Hilfe brauchte, Jeff über den Weg gelaufen war. Er bot ihr, ohne sie näher zu kennen, einen Job und ein Heim an. Dafür war sie ihm sehr dankbar und sie würde in ihrem neuen Job sehr gewissenhaft sein. Leise schloss sie die Tür wieder, nahm dann eine schnelle Dusche und wollte gerade in ihr T-Shirt schlüpfen, als es an der Tür klopfte.
„Maggie? Schlafen Sie schon?“ hörte sie Jeffs leise Stimme.
Zuerst wollte sie nicht antworten. Vielleicht würde er dann wieder gehen. Dann klopfte es aber noch einmal. „Maggie?“ Jetzt klang seine Stimme eindeutig besorgt.
„Ich schlafe noch nicht. Was ist denn?“ fragte Maggie zaghaft.
Jeff atmete auf. Er hatte das Licht unter der Tür gesehen und wollte sich vergewissern, dass alles mit Maggie und Benji in Ordnung war. Als sie nicht gleich geantwortet hatte, machte er sich Sorgen.
„Ich hab noch ein Sandwich für Benji gemacht. Vielleicht hat sie ja Hunger, wenn sie aufwacht. Ich stell den Teller hier vor die Tür, okay? Also dann, nochmals gute Nacht und schlafen Sie schön!“
Maggie wartete einen Augenblick, dann hörte sie ihn den Flur hinuntergehen und gleich darauf eine Tür quietschen. Vorsichtig öffnete sie ihre Zimmertür und schaute den Flug entlang. Aus einem Zimmer dem ihren schräg gegenüber fiel Licht. Ansonsten war es dunkel im Flur. Sie beugte sich zu dem Teller hinunter, den Jeff abgestellt hatte. Er hatte zwei Sandwiches gemacht. Eines war mit Roastbeef und eines mit Käse belegt. Sie musste lächeln, als sie sah, wie sorgfältig er sich bemüht hatte, das Brot nicht zu dick zu schneiden. Er war schon etwas ganz Besonders. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann Benjis Vater einmal so fürsorglich für seine Tochter gesorgt hatte. Seufzend nahm sie den Teller und trug ihn in das Zimmer.
Tinkerbell hatte den Kopf gehoben, als sie das Fleisch roch. Erwartungsvoll sah sie Maggie an, gab ein leises Wuff von sich und wedelte mit dem Schwanz.
„Na du hast wohl auch Hunger, was?“ Maggie nahm das Brot mit dem Fleisch und brach es in zwei Hälften, die sie vor dem Hund auf den Boden legte. Benji hätte sicherlich nichts dagegen. Sie aß nicht gern Fleisch und würde sich über das Käsesandwich mehr freuen. Dann sah sie grinsend zu, wie der große Hund das Brot mit zwei Happen verschlang. Mit schief gelegtem Kopf sah er dann zu Maggie auf.
„Nein, tut mir leid. Mehr bekommst du nicht. Der Rest ist für Benji.“ Tinkerbell schien damit zufrieden zu sein und döste wieder ein. Maggie löschte das Licht und krabbelte dann zu ihrer Tochter in das große Bett. Gähnend versank sie in den weichen Kissen und schlief sofort ein.
Jeff schlenderte in das Rathaus, um zur Zeitungsredaktion zu gehen, als er aus dem Zimmer des Bürgermeisters eine laute Stimme hörte. Es war eine weibliche Stimme, die sehr aufgeregt klang und er blieb stehen. Nicht etwa, weil er neugierig war, sondern weil ihn der Dialekt der Frau faszinierte. Trotz ihrer Wut, die man deutlich hörte, klang ihre Stimme wie ein warmer Sommerregen und er lauschte. Dabei achtete er nicht auf die Worte und war deshalb völlig überrumpelt, als die Tür aufflog und eine junge Frau herausstürmte. Sie knallte die Tür hinter sich zu und wäre fast in Jeff hineingerannt, wenn der sie nicht am Ellenbogen festgehalten hätte.
„Nicht so stürmisch. Wo brennt es denn?“ Jeff grinste sie spitzbübisch an und sah auf die Frau hinunter. Sie war ziemlich klein, ging ihm gerade mal bis an die Schultern, aber sie sprühte vor Temperament.
„Dieser Mistkerl! Ich fasse es einfach nicht! Wie kann der mir so was antun?“ Sie wollte ihren Arm aus Jeffs Griff befreien, aber der hielt sie unbeirrt weiter fest.
„Mistkerl? Sie meinen doch wohl nicht etwa unseren allseits geschätzten Bürgermeister Higgins, oder?“
„Oh doch, genau den meine ich! Und jetzt lassen Sie mich bitte los, meine Tochter wartet im Auto auf mich.“
Jetzt wurde Jeff doch neugierig. Higgins sollte ein Mistkerl sein? Es gehörte schon einiges dazu, den beleibten gutmütigen Higgins aus der Ruhe zu bringen, aber diese junge Frau schien es geschafft zu haben. Jeff hatte noch nie gehört, dass jemand Higgins als Mistkerl bezeichnet hatte. Er wollte mehr darüber erfahren. Langsam zog er seine Hand weg und sah zu, wie sich die Frau umdrehte, ihre langen rotbraunen Locken nach hinten warf und mit schnellen Schritten auf den Ausgang zueilte. Jeff vergaß augenblicklich, warum er überhaupt in das Rathaus gekommen war und ging der Frau nach. Sie strebte auf einen Buick zu, der direkt vor dem Haus parkte. Ein kleines Mädchen saß auf dem Rücksitz und starrte aus dem Fenster. Das musste dann wohl die erwähnte Tochter sein. Bevor die Frau das Auto erreicht hatte, stieg das Mädchen aus und lief seiner Mutter entgegen.
„Mama, das hat so lange gedauert! Ich hab Durst und ich muss ganz dringend aufs Klo!“ Die Kleine sprang von einem Bein auf das andere. Dabei drückte sie einen kleinen Stoffhasen an sich, der schon ziemlich ramponiert aussah.
Die Frau beugte sich zu ihrer Tochter hinunter und strich ihr das wirre Haar aus der Stirn. Es war im Gegensatz zu ihrem eigenen Haar von einem sehr hellen Blond, das schon fast weiß wirkte. Jeff blieb stehen und konnte hören, wie die Frau auf das kleine Mädchen einsprach. „Es tut mir leid, Benji, das es so lange gedauert hat. Aber nun bin ich ja da und alles ist wieder gut. Hat Mister Schlapp gut auf dich aufgepasst?“ Damit zog sie den Stoffhasen am Ohr und die Kleine lächelte. „Klar, aber jetzt hat er auch Durst. Können wir irgendwo hin gehen?“
Die Frau stand wieder auf und sah sich suchend um. Dabei fiel ihr Blick auf Jeff, der ein Stück hinter ihr stand und sie ansah. Ihre Augen blitzten ihn nicht gerade freundlich an und sie nahm ihre Tochter an die Hand.
„Ich glaub, ich hab da hinten ein Restaurant gesehen. Was hältst du von einem schönen großen Milchshake?“
„Oh ja, klasse!“ Die Kleine hüpfte aufgeregt um ihre Mutter herum.
Jeff trat näher an die Frau heran.
„Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische. Aber das Restaurant, was Sie da gesehen haben, ist nicht gerade für seine Küche berühmt. Und einen Milchshake werden Sie da bestimmt nicht bekommen.“ Sein Lächeln vertiefte sich und er zwinkerte der Kleinen zu. Die Frau hob nur fragend eine Augenbraue und sagte keinen Ton.
„Ich mach Ihnen einen Vorschlag. Ein Stück die Straße runter ist ein McDonald. Da bekommen Sie bestimmt Ihren Milchshake. Kommen Sie, es ist nicht weit. Wir können zu Fuß gehen. Ich lade Sie ein!“ Jeff dachte sich nichts weiter dabei, als er seine Hand ausstreckte, um die Frau am Ellenbogen zu nehmen. Aber sie wehrte ihn heftig ab.
„Finger weg, Freundchen! Was bilden sich die Männer hier überhaupt ein? Ich bin durchaus in der Lage, allein zu gehen und ein Milchshake kann ich meiner Tochter auch noch kaufen! Sie brauchen uns nicht einzuladen!“ Empört drehte sie sich um, nahm das Kind an die Hand und ging mit ihm los.
Jeff schmunzelte, als er den beiden hinterher sah. Der Dame musste aber wirklich eine Laus über die Leber gelaufen sein. Er wollte ihr doch nur helfen. Dann zuckte er resigniert mit den Achseln und folgte ihnen.
Maggie und ihre Tochter hatten es sich an einem kleinen Tisch draußen gemütlich gemacht, als Jeff zu ihnen trat.
„Sie erlauben doch?“ Damit zog er einen Stuhl hervor, setzte sich und stellte seine Cola auf den Tisch.
„Und wenn ich es nicht erlaube? Stehen Sie dann wieder auf und gehen, oder was?“ Die Frau hatte sich immer noch nicht beruhigt. Was bildete der Kerl sich bloß ein? Nur weil er gut aussah und ein tolles Lächeln hatte, meinte er, jede Frau rumkriegen zu können. Aber nicht mit mir, schwor sich Maggie.
Jeff schüttelte den Kopf und grinste breit. „Nö, ich könnte es nicht verantworten, Sie hier ganz allein sitzen zu lassen. Es könnte ja schließlich ein wilder Bulle vorbeikommen und sie auf die Hörner nehmen“, scherzte er. Die Frau verzog keine Miene, aber ihre Tochter sah sich verängstigt um und drückte sich näher an ihre Mutter. Jeff tat seine Aussage sofort leid. Das hatte er nicht gewollt. Er wollte das Kind nicht erschrecken.
„Hab keine Angst, Süße. Der Bulle wird schon nicht kommen. Du hast doch deinen Mister Schlapp, der auf dich aufpasst und ich bin doch auch noch da!“ beruhigte er das Kind.
Benji schaute den Fremden einen Augenblick an und überlegte, ob sie dem großen Mann mit dem Cowboyhut trauen sollte. Dann entschied sie sich, es zu tun und grinste ihn an. Dabei kam ihre Zahnlücke voll zur Geltung und Jeff schmolz dahin. Die Kleine war einfach nur süß. Schade, dass sich ihre Mutter nicht so leicht von seinem Charme beeindrucken ließ.
Maggie hatte den Mann und ihre Tochter genau beobachtet. Als sie jetzt sah, wie Benji den Fremden anlächelte und ihm anscheinend nichts Böses zutraute, war sie gewillt, ihm noch eine Chance zu geben.
„Also, was wollen Sie von mir? Warum sind Sie mir aus dem Rathaus gefolgt?“ setzte sie an.
Jeff seufzte, sah der jungen Frau direkt in die wunderschönen grünen Augen und stob sich dann seinen Stetson etwas weiter in den Nacken.
„Ich hab Ihren Streit mit Higgins gehört und ich möchte gern wissen, was Sie von ihm wollten. Warum hat er Sie so geärgert? Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen.“
Maggie war todmüde. Sie war heute mehr als acht Stunden gefahren, nur um dann zu erfahren, dass ihr Weg völlig umsonst gewesen war. Sie musste unbedingt mit jemanden reden, sonst platzte ihr noch der Schädel. Also warum nicht mit diesem Kerl hier? Er schien ja zumindest kinderlieb zu sein.
„Higgins hat mir eine Stelle als Lehrerin angeboten. Wir kommen aus New Orleans. Allein heute bin ich über acht Stunden Auto gefahren, ich bin kaputt und wütend. Und da hat der verdammte Mistkerl die Frechheit mir zu sagen, dass die Stelle bereits vergeben ist! Ich hab doch wohl allen Grund verärgert zu sein, oder?“ Maggie rieb sich über die müden Augen.
„Sie meinen, Higgins hat sie unter falschen Voraussetzungen hierher kommen lassen? Die Stelle war gar nicht frei?“
„Oh doch, bis gestern war die Stelle noch frei. Wäre ich nur einen Tag früher gekommen, dann hätte ich sie bekommen. Aber dann ist gestern seine Nichte aufgetaucht, und schwups, hat er ihr die Stelle gegeben. So ist das eben, Pech gehabt, dann fahr mal schön die 2000 Kilometer wieder zurück.“ Maggie war außer sich und konnte sich nur schwer beruhigen. Wenn sie an den behäbigen Bürgermeister dachte, der seelenruhig in seinem Sessel gesessen hatte, die Hände über den Bauch gefaltet und ihr dann mitgeteilt hatte, dass sie ganz umsonst hier in Tinsdale/Texas war, dann ging ihr immer noch die nicht vorhandene Hutschnur hoch.
„Haben Sie keinen Vertrag mit Higgins gemacht, als er Ihnen die Stelle angeboten hat?“ wollte Jeff von ihr wissen.
„Nein, das hab ich nicht. Ich hab mich auf sein Wort verlassen. Dumm von mir, ich weiß. Glauben Sie mir, noch mal mach ich so einen Fehler nicht.“ Maggie stützte ihren Kopf auf die Hände und blickte völlig erledigt zu ihrer Tochter.
„Gibt es hier im Ort ein Hotel? Es sollte aber nicht zu teuer sein“, fragte sie dann.
Jeff schüttelte den Kopf. Ein Hotel gab es in Tinsdale wirklich nicht. Nur ein altes heruntergekommenes Motel und dahin würde er die Frau mit ihrer Tochter bestimmt nicht gehen lassen.
„Was haben Sie denn jetzt vor? Wollen Sie zurück nach New Orleans?“ wollte er wissen.
Maggie schüttelte den Kopf. „Nein, das hätte keinen Sinn. Ich hab unser Haus dort verkauft und ich will auch nicht dorthin zurück. Ich wird mir eben hier einen Job suchen müssen. Sie wissen nicht zufällig, ob irgendwo in der Nähe ein Lehrerposten frei ist?“
Jeff überlegte, runzelte die Stirn und lächelte dann fröhlich. „Nein, tut mir leid. Die Schule hier am Ort ist meilenweit die einzige. Und die Stelle ist ja schon weg. Aber wie wäre es denn, wenn Sie mit zu mir kommen würden?“
Die Frau starrte ihn fassungslos an. Der Kerl wollte, dass sie mit zu ihm kam? Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein.
Jeff sah, dass er schon wieder einen Fehler gemacht hatte. Heute war nicht sein Tag. Entschuldigend hob er beide Hände.
„Sorry, ich hab mich schlecht ausgedrückt. Ich suche eine Haushälterin. Eben wollte ich eine Anzeige aufgeben, aber wenn Sie die Stelle haben wollen, dann kann ich mir das jetzt sparen.“
Maggie schaute Jeff in die braunen Augen. Eine Stelle als Haushälterin? Das war nicht ganz das, was sie sich vorgestellt hatte. Immerhin war sie ausgebildete Lehrerin, aber musste auch an ihre Tochter denken. Sie hatte ihr Haus verkauft, aber das Geld war fast komplett für die Schulden draufgegangen. Das bisschen, was ihr jetzt noch blieb, würde nicht lange reichen. Sie brauchte unbedingt einen Job und es war egal, was es für einer war.
„Erzählen Sie mir mehr darüber“, entschied sie dann.
„Gern. Also, ich bin stolzer Besitzer einer Ranch.“ Jeff grinste jungenhaft. „Auch wenn manche behaupten, es ist nur ein Mäuseloch, sie gehört mir mit allem, was darauf wächst und gedeiht. Das Haus ist nicht besonders groß, aber es genügt. Die Arbeit auf der Ranch macht mir nichts aus, aber für den Haushalt hab ich kein Händchen. Bisher hab ich selbst gekocht, aber jetzt sind meine Leute in den Hungerstreit getreten. Wenn ich nicht bald für eine ordentliche Köchin und Haushälterin sorge, dann kündigen sie. Na, was halten Sie davon? Wollen Sie es mit uns versuchen? Acht Männer und keine einzige Frau? Würden Sie das aushalten?“ Jeff grinst ansteckend und Maggie konnte gar nicht anders, sie musste sein Lächeln erwidern. Kochen konnte sie, das hatte sie schließlich ihr Leben lang getan. Und ob sie nun für einen Mann und ein Kind kochte oder für acht gestandene Mannsbilder, machte auch keinen großen Unterschied. Allerdings gefiel es ihr nicht so besonders, dass sie die einzige Frau auf der Ranch sein sollte. Sie hatte einiges über die texanischen Männer gehört und wenn die alles so waren, wie dieses Prachtexemplar vor ihr, dann würde sie keine ruhige Minute haben. Und sie musste natürlich auch an Benji denken.
Jeff konnte richtig sehen, wie es in dem Kopf der Frau arbeitete. Sie grübelte und überlegte. Jeff war geduldig und wartete ab. Er war gespannt, wie ihre Entscheidung aussehen würde.
„Sie sagten, Sie hätten ein kleines Haus. Wie sieht es mit einer Wohnung für mich und Benji aus? Können wir in der Nähe wohnen?“
Jeff schüttelte abermals den Kopf.
„Nein, tut mir leid. Meine Farm ist von Tinsdale fast zwei Stunden Fahrt entfernt. Es würde keinen Sinn machen, wenn Sie sich hier im Ort eine Wohnung suchen würden. Aber so klein ist mein Haus nun auch wieder nicht. Ich kann Ihnen und Ihrer Tochter zwei Zimmer anbieten. Würde Ihnen das ausreichen? Die Miete könnten wir mit Ihrem Lohn verrechnen.“
Maggie überlegte immer noch. Wahrscheinlich wäre das wirklich die beste Lösung für sie. Sie könnte ein wenig zur Ruhe kommen und sich ein bisschen von dem Stress der unschönen Scheidung erholen Und auch Benji brauchte einen Platz, an dem sie sich erholen konnte. Jeff machte einen harmlosen Eindruck, obwohl sie seine etwas machohafte Art nicht sehr schätzte. Aber daran würde sie sich hier in Texas gewöhnen müssen. Die Männer hier waren dafür bekannt, dass sie nicht gerade zimperlich mit Frauen umgingen. Und wenn es ihr zu bunt wurde, konnte sie sich immer noch etwas anderes suchen.
„Ich heiße Maggie Ford. Meine Tochter Benji kennen Sie ja schon. Okay, ich werde mir die Ranch mal ansehen und wenn die Stelle mir zusagt, dann haben Sie eine neue Haushälterin.“ Maggie streckte Jeff die Hand entgegen. Er ergriff sie und drückte sanft zu. Es war eine kleine zarte Hand und Jeff wollte sie nicht verletzten.
Dann wandte er sich an die Kleine. „Magst du Kälber Benji? Hast du schon mal welche mit der Flasche gefüttert?“ Das Mädchen sah ihn mit großen Augen an. „Nein, haben Sie etwa Kälber? Und die darf ich füttern? Wirklich?“ hauchte sie leise.
„Ja, das darfst du. Das heißt, wenn deine Mutter es erlaubt.“ Jeff hielt immer noch Maggies Hand und hatte auch nicht die Absicht, sie so schnell wieder los zu lassen, wie ihr schien. Sie versuchte, ihm die Hand zu entziehen, aber er drückte nur etwas fester zu, während er mit Benji über die Tiere sprach, die er auf seiner Ranch hielt. Endlich schien er sich darauf zu besinnen, dass er immer noch Maggies Hand in seiner hielt und ließ sie langsam los.
„Ich heiße übrigens Jefferson Burton. Sie können Jeff zu mir sagen, Maggie. Und wenn Sie fertig sind, dann können wir uns langsam auf den Weg machen. Es wird bald dunkel und ich möchte nicht, dass Sie den Weg im Dunkeln fahren müssen.“ Jeff stand auf und begleitete Maggie und ihre Tochter zurück zu ihrem Auto. Sein Jeep war nicht weit davon geparkt. Er stieg ein und wartete, dass Maggie ihm folgte. Dann machte er sich pfeifend auf den Rückweg zu seiner Ranch. Wer hätte gedacht, dass er so leicht eine Haushälterin finden würde? Und dazu noch so eine reizende, wie Maggie. Anscheinend war heute doch sein Glückstag.
Die Fahrt dauerte wirklich fast zwei Stunden. Vor knapp einer Stunde waren sie von der Hauptstraße abgebogen und auf eine schmale Zufahrtsstraße gekommen. Ein Schild, mit der Aufschrift Appelwhite Farm kündigte an, dass sie sich jetzt anscheinend auf Jeffs Grund und Boden befanden. Maggie musste trotz ihrer Müdigkeit lächeln, als sie den Namen gelesen hatte. Appelwhite, wer hatte sich bloß diesen Namen für eine Rinderfarm ausgedacht? Sie war gespannt auf Jeffs Erklärung. Als sie jetzt endlich die Lichter der Farm vor sich aufblitzen sah, war Maggie unendlich erleichtert. Mehr hätte sie heute wirklich nicht mehr geschafft. Benji war zum Glück hinten auf dem Rücksitz eingeschlafen. Sie hielt immer noch ihren Mister Schlapp fest im Arm und schien ruhig zu schlafen.
Jeff hielt seinen Wagen direkt vor dem Ranchhaus an, stieg aus und trat zu Maggies Auto. Er öffnete ihr die Tür und half Maggie aus dem Auto. Dabei hielt er schon wieder ihre Hand fest. Aber diesmal schien es Maggie nichts auszumachen. Staunend sah sie auf das Haus. Sie wusste ja nicht, was Jeff unter klein verstand, aber dieses Haus war keinesfalls klein. Es war ein großzügiger lang gestreckter Holzbau mit einer Veranda, die sich die gesamte Vorderfront entlang zog. Maggie war beeindruckt. Dann musste sie schlucken. Wenn Jeff sie schon in Bezug auf sein Haus angeschwindelt hatte, was hatte er ihr dann noch alles vorenthalten? Sie kam sich so dumm vor, dass sie wieder mal auf die schönen Worte eines Mannes hereingefallen war. Wahrscheinlich brauchte Jeff überhaupt keine Haushälterin. Aber heute war es zu spät, um nach Tinsdale zurückzufahren. Sie musste die Nacht hier verbringen, ob es ihr nun gefiel oder nicht.
Jeff hatte ihre Reaktion auf sein Heim beobachtet. Für ihn war es wirklich ein kleines Haus. Wenn er da an sein Elternhaus dachte, dann kam ihm sein Haus winzig dagegen vor. Es würde locker dreimal in das Haus seines Vaters passen. Aber Maggie hatte sich unter „klein“ wahrscheinlich etwas anderes vorgestellt. Sie hatte dabei bestimmt an eine kleine Hütte im Wald gedacht. Jeff musste schmunzeln. Tja, die Häuser in New Orleans waren eben nicht mit denen in Texas zu vergleichen. Hier war eben alles eine Nummer größer.
Maggie befreite sich aus Jeffs Griff und öffnete die Tür für die Rücksitze. Sie wollte gerade Benji aus dem Auto heben, als Jeff ihr zuvor kam. Er legte seine Hände auf ihre Hüften und schob sie einfach ein Stück beiseite. Dann beugte er sich zu Benji hinein und hob ihre Tochter auf seine Arme.
„Nehmen Sie nur das mit, was Sie für heute Nacht brauchen. Die anderen Sachen holen wir morgen.“ Damit stieg er die drei Stufen zur Veranda hoch und öffnete die Eingangstür. Maggie sah ihm hinterher, wie er mit ihrer Tochter auf den Armen im Haus verschwand. Das wirkte so natürlich, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als Kinder durch die Gegend zu tragen. Schnell griff sie sich ihre Reisetasche. In ihr waren ihre Papiere und ihr restliches Geld. Außerdem hatte sie darin auch das Nötigste für eine Nacht gepackt, so dass sie die beiden großen Koffer heute wirklich nicht benötigte.
Jeff hatte sich im Flur umgedreht und wartete auf Maggie, damit sie ihm folgen konnte. Sie blieb unter der Tür stehen und sah sich in dem hell erleuchteten Flur um. Was sie sah, gefiel ihr gut. Der Holzfußboden war glatt, aber er hätte sicher eine gründliche Politur vertragen. An der Garderobe hingen einige Jacken und ein paar derbe Stiefel standen darunter. Jeff ging weiter und Maggie folgte ihm. Sie warf einen Blick in das Wohnzimmer. Es war sehr großzügig gehalten und strahlte einen rauen Charme aus. Die Möbel waren aus rustikalem Holz und die Teppiche dick. Aber alles machte einen etwas vernachlässigten Eindruck. Sie kamen an einigen geschlossenen Türen vorbei, bevor Jeff stehen blieb und eine weitere Tür aufdrückte.
„Willkommen in Ihrem neuen Reich. Ich hoffe, Sie und Benji fühlen sich hier wohl.“ Jeff trat an die Seite und ließ Maggie den Vortritt.
Maggie schaute sich in dem Zimmer um und es gefiel ihr auf Anhieb. Es war ziemlich groß. Außer einem Doppelbett bot es noch Platz für einen Kleiderschrank und eine Kommode sowie für einen wunderbar bequemen Schaukelstuhl vor dem Fenster. Alles war in einem hellen Holz gehalten. Der dunkle Fußboden bot dazu einen schönen Kontrast. Die Bilder an den Wänden zogen ihren Blick auf sich. Es handelte sich hierbei um Aquarelle, die die texanische Landschaft wiedergaben. Das Zimmer gefiel ihr wirklich, aber irgendwie hatte es einen weiblichen Touch. Es unterschied sich sehr von dem Wohnzimmer, an dem sie vorhin vorbeigekommen waren. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Jeff dieses Zimmer eingerichtet hatte.
Jeff legte Benji vorsichtig auf das Doppelbett, nahm ihr die Schuhe von den Füßen und zog die leichte Decke über sie. Als er sich wieder zu Maggie umdrehte, sah er, dass sie völlig erstarrt dastand. Jeff musste lachen, als er den Grund für ihre Starre bemerkte.
„Keine Angst, Maggie, das ist Tinkerbell. Die tut ihnen nichts. Sie möchte Sie nur kennen lernen.“ Jeff nahm den riesigen Schäferhund am Halsband und streckte dann seine Hand nach Maggie aus.
„Tinkerbell? Das ist aber nicht gerade ein passender Name für so ein Riesentier, finde ich.“ Maggie hatte sich schnell wieder beruhigt. Der Hund war sicherlich wirklich harmlos. Sie ließ es zu, dass er ihre Hand ausgiebig beschnupperte, dann wedelte Tinkerbell mit dem Schwanz und gab ein leises Wuff von sich.
„Na sehen Sie, jetzt kennt sie Sie und wird Ihnen nichts tun.“ Jeff führte den Hund zum Bett und zeigte dann ernst auf Benji. „Tinker, ich will, dass du auf die Kleine gut aufpasst. Bleib bei ihr und warte, bis Maggie wiederkommt.“ Als ob der Hund ihn verstanden hatte, legte er sich auf den Teppich vor das Bett und ließ Benji nicht aus den Augen.
„Kommen Sie, Maggie. Sie müssen doch bestimmt Hunger haben. Machen Sie sich keine Sorgen, Tinker wird uns warnen, wenn Benji aufwachen sollte.“ Wieder nahm er Maggie am Ellenbogen und führte sie über den langen Flur bis ans Ende. Die Zimmertür hatte er einen Spalt aufgelassen. Maggie konnte es leider nicht verhindern, dass ihr Magen knurrte. Sie hatte wirklich seid dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen und sie folgte Jeff willig. Aber an seine Art, sie bei jeder Gelegenheit zu berühren, musste sie sich noch gewöhnen. Der Druck seiner Hand auf ihrem Arm war ihr nicht unangenehm, aber sie war es einfach nicht gewohnt, von wildfremden Männern berührt zu werden.
Jetzt bemerkte sie auch, dass sämtliche Zimmer von dem langen Flur abgingen. Am Ende des Flures war die Küche. Sie nahm die gesamte Breite des Hauses ein. Als Jeff das Licht einschaltete, sah sich Maggie neugierig um. Nach Jeffs Erzählung hatte sie damit gerechnet, in eine chaotische Männerküche zu kommen, aber hier war eindeutig nichts chaotisch. Die Küche war praktisch und gut geplant, mit großen Arbeitsflächen und sie bemerkte auch, dass sämtliche elektrische Küchengeräte vorhanden waren, die sie sich nur vorstellen konnte. Ihre eigene Küche in New Orleans war längst nicht so gut ausgestattet gewesen.
Dann sah sie sich weiter um und bemerkte, dass auf dem großen Esstisch noch das Geschirr von heute früh stand und auch auf dem Herd standen noch schmutzige Bratpfannen. Na ja, so ein bisschen Chaos schien hier doch zu herrschen. Automatisch machte sich Maggie daran, das Geschirr vom Tisch zu räumen und in den Geschirrspüler zu stapeln. Jeff steckte unterdessen seinen Kopf in den Kühlschrank.
„Wie wäre es mit Sandwiches? Mögen Sie Roastbeef?“
„Ja gern. Soll ich Kaffee kochen?“
„Die Kaffeemaschine steht da hinten und der Kaffee müsste eigentlich auch da sein“, nuschelte Jeff, als er mit einer Platte aus dem Kühlschrank auftauchte. In seiner anderen Hand balancierte er ein Glas mit Mayonnaise. Er stellte alles auf dem Tisch ab und holte dann aus der Brotdose einen Leib dunkles Brot heraus.
Maggie hatte den Kaffee aufgesetzt und sah jetzt amüsiert zu, wie Jeff dicke krumme Scheiben von dem Brot absäbelte. Sie ging zu ihm und nahm ihm das Messer aus der Hand.
„Lassen Sie mich das besser machen, sonst bekommen wir noch eine Maulsperre.“ Routiniert schnitt sie das Brot und belegte es dann mit Stücken von dem kalten Braten. Jeff holte unterdessen Becher aus dem Schrank und bald saßen sie sich am Tisch gegenüber. Jeder mit einem Becher Kaffee und einem Sandwich vor sich. Jeff musste grinsen, als er sah, mit welchem Genuss Maggie von ihrem Brot abbiss. Sie schloss die Augen und kaute langsam. Ein völlig zufriedener Ausdruck lag über ihrem Gesicht und Jeff wurde es heiß, als er sah, wie ihre Zunge den letzten Krümel von den Lippen leckte.
Er war froh, dass er saß, sonst hätte er wohl Maggie in Verlegenheit gebracht. Aber sie war wirklich ein sehr verführerischer Anblick. Wenn sie schon ein Brot mit so viel Genuss verzehrte, wie würde sie dann aussehen, wenn sie neben ihm im Bett lag? Er erschrak selbst über sich, woher jetzt auf einmal diese Gedanken kamen. Okay, sie war eine hübsche Frau, aber eigentlich nicht sein Typ. Er mochte Frauen, die ein bisschen besser ausgestattet waren, als sie. Außerdem war sie seine Angestellte und er fing aus Prinzip nichts mit seinen Untergebenen an. Das brachte doch nur Ärger und den konnte er nicht gebrauchen.
Als Maggie ihren ersten Hunger gestillt hatte, sah sie sich noch einmal aufmerksam in der Küche um. Auch hier konnte man die weibliche Hand genau spüren.
„Wer hat diese Küche eingerichtet? Das waren doch nicht Sie, oder?“
Jeff wachte bei dieser Frage wieder aus seinen Träumen auf.
„Nein, das war ich wirklich nicht. Als ich die Ranch vor vier Jahren übernommen habe, hat meine Mutter die Küche und auch die beiden Räume eingerichtet, die Sie mit Ihrer Tochter bewohnen. Die beiden Räume hat sie für sich selbst hergerichtet, wenn sie mich mal besuchen kommt. Und da sie eine leidenschaftliche Köchin ist, hat sie sich auch um die Küche gekümmert.“
„Aber dann können Sie mir doch nicht ihre Zimmer geben. Was ist, wenn Ihre Mutter zu Besuch kommt?“ Maggie bekam einen Schreck.
„Nun machen Sie sich mal keine Gedanken. Meine Mutter war in den ganzen vier Jahren nur ein einziges Mal hier. Und ich denke nicht, dass sie uns bald mit einem Besuch beehren wird. Sie wohnt jetzt in Florida. Falls sie sich wirklich mal zu einem Besuch bei mir aufraffen sollte, dann kann sie immer noch im Hotel übernachten.“
Maggie konnte nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken. Jeff lachte, als er das sah.
„Na los Maggie, ab mit Ihnen ins Bett. Sonst fallen Sie mir noch vom Stuhl.“
Sie widersprach ihm nicht. Sie war wirklich sehr müde und der Kaffee hatte sie auch nicht belebt. Maggie stand auf und wollte das Geschirr wegräumen, aber Jeff hinderte sie daran.
„Lassen Sie das stehen, ich mach das schon. Und jetzt ab mit Ihnen und schlafen Sie gut. Wir sehen uns dann morgen.“ Er nahm Maggie bei den Schultern und drehte sie zur Tür. Dann gab er ihr einen kleinen Schubs und sah ihr nach, wie sie mit schlurfenden Schritten über den Flur zu ihrem Zimmer ging. Sie schlief wirklich fast im Stehen ein.
Maggie betrachtete ihre kleine Tochter. Benji hatte sich nicht gerührt. Sie drückte im Schlaf ihren Hasen an sich und lächelte leicht. Als die Tür geöffnet wurde, hatte Tinkerbell den Kopf gehoben, ließ ihn aber gleich darauf wieder auf die Pfoten sinken, als sie Maggie bemerkte. Sie klopfte ein paar Mal mit dem Schwanz auf den Boden, um Maggie zu begrüßen. Maggie hielt die Tür auf und rechnete damit, dass der Hund jetzt das Zimmer verlassen würde, aber Tinkerbell dachte nicht daran. Sie drückte sich noch fester auf den Boden und schloss dann die Augen. Sie schien wohl die Nacht bei ihnen verbringen zu wollen.
„Na gut, wie du willst, aber beschwer dich hinterher nicht, wenn du nicht mehr raus kommst.“ Dann musste sie über sich selbst lachen. Jetzt sprach sie schon mit einem Hund.
Maggie nahm aus ihrer Reisetasche ein übergroßes T-Shirt, das sie zum Schlafen trug und ging damit in das angrenzende Badezimmer. Jeff hatte ihr gesagt, dass es ihr und Benji allein zur Verfügung stand. Es war nicht besonders groß, aber mit einer Dusche ausgestattet und erfüllte durchaus seinen Zweck. Benjis Zimmer ging ebenfalls von dem Bad ab. Maggie ging hinüber und schaute sich in dem kleineren Zimmer um. Es standen ein schmales Einzelbett darin, ebenfalls ein Kleiderschrank und ein kleiner Schreibtisch. Alles in weiß gehalten. Auf dem Boden lagen bunte weiche Teppiche und fröhliche Bilder hingen an den Wänden. Benji würde sich hier sehr wohl fühlen.
Auf einmal traten Tränen in Maggies Augen. Sie hatte so viel Glück gehabt. Wahrscheinlich war es Schicksal, dass ihr gerade in dem Moment, als sie unbedingt Hilfe brauchte, Jeff über den Weg gelaufen war. Er bot ihr, ohne sie näher zu kennen, einen Job und ein Heim an. Dafür war sie ihm sehr dankbar und sie würde in ihrem neuen Job sehr gewissenhaft sein. Leise schloss sie die Tür wieder, nahm dann eine schnelle Dusche und wollte gerade in ihr T-Shirt schlüpfen, als es an der Tür klopfte.
„Maggie? Schlafen Sie schon?“ hörte sie Jeffs leise Stimme.
Zuerst wollte sie nicht antworten. Vielleicht würde er dann wieder gehen. Dann klopfte es aber noch einmal. „Maggie?“ Jetzt klang seine Stimme eindeutig besorgt.
„Ich schlafe noch nicht. Was ist denn?“ fragte Maggie zaghaft.
Jeff atmete auf. Er hatte das Licht unter der Tür gesehen und wollte sich vergewissern, dass alles mit Maggie und Benji in Ordnung war. Als sie nicht gleich geantwortet hatte, machte er sich Sorgen.
„Ich hab noch ein Sandwich für Benji gemacht. Vielleicht hat sie ja Hunger, wenn sie aufwacht. Ich stell den Teller hier vor die Tür, okay? Also dann, nochmals gute Nacht und schlafen Sie schön!“
Maggie wartete einen Augenblick, dann hörte sie ihn den Flur hinuntergehen und gleich darauf eine Tür quietschen. Vorsichtig öffnete sie ihre Zimmertür und schaute den Flug entlang. Aus einem Zimmer dem ihren schräg gegenüber fiel Licht. Ansonsten war es dunkel im Flur. Sie beugte sich zu dem Teller hinunter, den Jeff abgestellt hatte. Er hatte zwei Sandwiches gemacht. Eines war mit Roastbeef und eines mit Käse belegt. Sie musste lächeln, als sie sah, wie sorgfältig er sich bemüht hatte, das Brot nicht zu dick zu schneiden. Er war schon etwas ganz Besonders. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann Benjis Vater einmal so fürsorglich für seine Tochter gesorgt hatte. Seufzend nahm sie den Teller und trug ihn in das Zimmer.
Tinkerbell hatte den Kopf gehoben, als sie das Fleisch roch. Erwartungsvoll sah sie Maggie an, gab ein leises Wuff von sich und wedelte mit dem Schwanz.
„Na du hast wohl auch Hunger, was?“ Maggie nahm das Brot mit dem Fleisch und brach es in zwei Hälften, die sie vor dem Hund auf den Boden legte. Benji hätte sicherlich nichts dagegen. Sie aß nicht gern Fleisch und würde sich über das Käsesandwich mehr freuen. Dann sah sie grinsend zu, wie der große Hund das Brot mit zwei Happen verschlang. Mit schief gelegtem Kopf sah er dann zu Maggie auf.
„Nein, tut mir leid. Mehr bekommst du nicht. Der Rest ist für Benji.“ Tinkerbell schien damit zufrieden zu sein und döste wieder ein. Maggie löschte das Licht und krabbelte dann zu ihrer Tochter in das große Bett. Gähnend versank sie in den weichen Kissen und schlief sofort ein.