Themenvorgabe: Minimalismus – maximale Freiheit?

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Papiertiger

Mitglied
Heute ist der zehnte Tag des Monats. Mein Budget von 133,30 Euro für Lebensmittel, Getränke und Hygiene soll den Betrag nicht überschreiten, den es für Hartz-4 gibt. Ich habe bisher bereits 127,60 Euro ausgegeben. Mit den verbleibenden 5,70 Euro komme ich mir vor wie eine klischeehafte Figur aus einem US-Film. Der Druck ist groß, es gilt den sozialen Aufstieg zu schaffen. Allerdings ist es bei mir nur ein Experiment, ich habe einen Vollzeitjob und habe es schon mehrfach versucht mit weniger als 300 Euro im Monat klarzukommen, wobei ich dann auch Kleidung, Kino, Bücher und anderes dazu rechne. Geschafft habe ich es fast nie.

Ich mag Minimalismus. Dennoch komme ich mir vor wie ein Saulus der zum Paulus wird. Früher habe ich ziemlich gedankenlos Geld ausgegeben. Heute bin ich vernünftiger. Ich habe einen befristen Arbeitsvertrag bis Ende September. Also lege ich jetzt Geld zurück, um mit dem Arbeitslosengeld klar zu kommen, falls ich keinen neuen Job finde. Lockdown. Jobverlust. Eine Welt. Nachhaltigkeit. Ich fand diese Themen schon lange vor der Corona-Pandemie relevant und hochinteressant. Und ich profitiere vom Verzicht. Weniger ist mehr. Not macht erfinderisch. Abgedroschene Sätze und dennoch wahr. Endlich komme ich dazu all die Hörbücher zu hören, die Videospiele zu spielen, Sport zu treiben. Statt 12 Euro im Kino für „Black Widow“ zu verschleudern, warte ich drei Monate, dann kann ich ihn ohne Mehrkosten im Stream sehen. Und statt ins Hamsterrad zu hüpfen, nutze ich die Ruhe und die Zeit und denke zu Hause über Texte nach, die ich schreiben möchte.

Wäre es nicht noch klüger statt nur die Ausgaben zu kürzen, auch die Einnahmen zu erhöhen? Nicht doch noch Lehrer werden? Zu alt! Psychologie studieren und eine Ausbildung zum Coach? Warum nicht einfach bei der einen Sache bleiben, die mir wichtig ist und schreiben.

„The less I have, the more I gain“ – ein Zitat aus dem Metallica-Song „Wherever I may roam“. Ja, ich mag Minimalismus. Ja, ich will lieber Geld zur Seite legen, um weniger Angst davor haben zu müssen ab 40 eh keinen Job mehr zu bekommen. Aber auch Minimalismus kann zwanghaft und zur Last, zur Belastung werden. Ich will nicht auf jeglichen Konsum verzichten. Und ich will nicht predigen, wie toll ich binden. Kein Auto haben, weniger Fleisch essen, aber dann eine Flugreise nach Australien? Das ist nicht meins.

Und schon wieder habe ich keine Geschichte geschrieben, sondern einen etwas „besseren“ (weil besser strukturierten) Tagebuchartikel (als ich ihn sonst) verfasst. Wäre ich die Figur in einer Geschichte, dann müsste ich nun ins Handeln kommen und Schwierigkeiten überwinden, mich weiterentwickeln und als Mensch wachsen. Tatsächlich mag ich an ganz vielen Geschichten nicht unbedingt den Teil zwischen Anfang und Ende, sondern die Essenz. Klar, sprachliche Schönheit, Witz und Action sowie überraschende Wendungen sind toll, aber ich denke meist: Was kann ich aus dieser Geschichte lernen? In diesem Fall ist es wohl: Achtsamer zu leben hat meine Lebensqualität ganz erheblich gesteigert, weil ich mich weniger stresse und nicht mehr herum scheuchen lasse. Aber zum kinoreifen Abenteuer ist mein Alltag dadurch noch nicht geworden. Und wieder denke ich: Wenn ich über das schreibe, was mir besonders wichtig ist, dann wird einfach keine spannende Geschichte daraus. Braucht es als einen Kriminalfall, einen Widersacher oder Science-Fiction-Elemente, damit ich einen fesselnden, relevanten Text zustande bringen kann?
 

FrederikH

Mitglied
Ich glaube ja relevant ist ein Text ja immer dann, wenn er die Leserinnen und Leser irgendwo in ihrem Menschsein abholen kann - wenn sich die Geschichte im Anderen quasi fortsetzen kann. Dafür brauch man keine Kriminalfälle, keine Widersacher, kein Scifi - das ist alles im Grunde Fluff - Eskapismus, Beiwerk zum immer selbstbezüglichen und notwendig aus dem Leben des Schaffenden kommenden Werk.

Was erfolg bringt, ist da natürlich eine andere Frage :) Gerne gelesen - regt zum Nachdenken an.
 

Hagen

Mitglied
Hallo Papiertiger,
ich möchte mich nicht wiederholen und schließe mich Frederik an.
Es gibt da so ein persisches? Sprichwort welches besagt, dass uns am Ende nicht mehr gehört als wir bei einem Schiffsuntergang mitnehmen können ... oder so Ähnlich.

Nun denn, in diesem Sinne,
Wir lesen uns!
Und bleib' schön fröhlich, gesund und munter!
Herzlichst
Yours Hagen
__________________________________
Bescheiden und echt ist nur der, der Erkenntnis hat
und sich ihrer nicht rühmt,
und der wirkt, ohne es zur Schau zu stellen.
aus China​
 

Papiertiger

Mitglied
Lieber FrederikH, lieber Hagen,

vielen Dank für Eure konstruktiven Rückmeldungen!

Ich habe diese Woche einen klugen Tipp gehört: Bevor man Texte in einem Schreibforum veröffentlicht sollte ein gewisses Mindestniveau erreicht werden, damit die Leser nicht das Gefühl haben, ihnen werde Zeit gestohlen. Deshalb bin ich inzwischen so respektvoll Geschichten, die gar keine Geschichten sind, lieber gleich mit dem Etikett "Tagebuch" zu versehen. :)

Euch viel Freude und Erfolg beim Lesen und Schreiben, Wachsen und Relaxen!

Der Tiger
 

Barsnah

Mitglied
Maximaler Urlaub? oderMinimalistisch Unterwegs mit maximaler Freiheit?
"Ach", meinte Vera," Das käme für mich nicht in Frage.Einfach nur mit einer Schlafmöglichkeit und kleinem Gaskocher irgendwo ans Meer fahren. Das wäre für mich kein Urlaub. Dusche und Klo brauche ich als Minimum schon." Ich kann ihr nur meine eigenen Erfahrungen dagegen halten.Die maximale Freiheit habe ich nur bei den Reisen erlebt, als wir tatsächlich mit dem Minimum, heißt: Matratze im Bus, bzw kleines Zelt und kleiner Gaskocher, Kühltasche, und Wasserkanister unterwegs waren.Möglichkeiten zumToilettengang und duschen lassen sich in der Regel unterwegs auch immer mal wieder finden. Das war natürlich auch nicht das was sich der Otto Normalbürger unter Urlaub vorstellt. Für uns war es in der Regel auch kein Urlaub sondern eher das maximale Loslassen von Regeln und Erwartungen unserer Gesellschaft. Also eher was in Richtung:" Maximale Freiheit"
 



 
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