Too? Me?

Aufschreiber

Mitglied
Ich habe ein Summgeräusch im Ohr. Erstaunt schaue ich mich um und stelle fest, dass ich von einer halben Welt voller Opfer sexueller Übergriffe durch Männer umgeben bin. Heute ist es ja bereits ein Ausdruck intergeschlechtlicher Zügellosigkeit, einer Frau mitzuteilen, dass man findet, ihr Kleid mache sie schlank, betone die Figur - also genau die Kriterien, die beim Kauf ihre Entscheidung zugunsten eben dieses Kleidungsstückes ausfallen lassen haben.

Ich habe mit Menschen, jungen - und sehr oft weiblichen - zu tun. Aber seit dieser unsäglichen Kampagne ist die Leichtigkeit der Kommunikation der Furcht gewichen, die Studierende, Kollegin, Reinigungskraft, ... , die sich womöglich gerade, bis zum Äquator dekolletiert, vor mir auf den Stuhl drapiert hat, könne sich belästigt fühlen, wenn ich sie beim Gespräch anschaute. Also starre ich vor mich hin und beschränke meinen verbalen Output auf wenige, absolut unverfängliche Wendungen, die selbst mir einiges an Konzentration abverlangen, damit sie die unpersönliche Ebene nicht vielleicht ... zu verlassen drohen, denn schon dieser latent offensive Unterton ist ...
In meinem teilkonditionierten Hirn ertönt ein warnendes "Oh oh!"

Das alles würde mich nicht so stören, wenn ich nicht selbst schon mehrfach von weiblichen Mensch.innen anderes erlebt hätte.
Das Computer-Netzwerk eines Autohauses zickte. Ich - damals noch selbständiger EDV-Dienstleister - reiste an und verschwand, teilweise, unterm Tisch, wo sich einer der Switches befand.
Die Besitzerin des Ladens stand dabei und erklärte mir plötzlich, dass mein "knackiger Arsch", sie versuche, "mit runter zu kommen und mal bisschen mit den Werkzeugen zu spielen". Sie bedauerte noch eine Zeit lang, dass da unten so wenig Platz sei, wurde aber dann abberufen und betonte im Davonschweben, sie habe eine Jalousie an ihrem Bürofenster - und die Tür ließe sich von innen absperren. Sie müsse das nachher dringend mit mir ... besprechen, gegen Aufpreis, versteht sich - und schließlich wolle ich sie ja weiterhin betreuen ...

"Me TOOO!", Ihr alle! - Ich bin ein Opfer!

Aber mein Leiden begann schon viel früher, als die Brigadeleiterin in der Milchviehanlage mir anbot, sie käme gern mal mit in die Dusche und würde es "dem kleinen Kerl mal richtig schön machen". Sie hat das dann gelassen, weil ihr Mann mit in der Schicht arbeitete und für solche Angebote wenig Verständnis erübrigen konnte.

"Me TOOO!" - Es war vor fünfunddreißig Jahren, aber das tut bei so einer Schweinerei ja nichts zur Sache.

Vor einiger Zeit trat eine Dame an mich heran, legte mir freundlich die Hand auf den Arm und lobte die dort vor sich hin existierende Muskulatur und meinte, die könne sich schon sehen lassen. Überhaupt wäre sie bereit, bei passender Gelegenheit auch andere Partien zu erkunden.
Was sie damit wohl gemeint hat?

"Me TOOO!" - Halt! - Ich erkenne beschämt meinen Denkfehler. Wenn Frauen Dinge tun, wie die, deren Hand versehentlich in meinen Schritt rutschte, als ich die Gegenstände, die ich für sie getragen hatte (Ja, das darf man nämlich!), auf ihrem Schreibtisch abstellte, dann ist das

ein Ausdruck der Emanzipation!

Ja, ihr Säcke. Das ist nicht verwerflich! Das ist nur ... gerecht! Die Männer - na gut, ich nun eben gerade nicht - haben die Frauen schon seit Jahrhunderten herab gewürdigt. Da ist es doch in Ordnung, wenn heute eine Frau mal zu einem Mann (in dem Fall eben nun doch mir) sagt:
"Dich würde ich auch mal flachlegen." Oder sich danach erkundigt, ob bei ihm irgendwelche Dysfunktionen zu erwarten seien, wenn man schon gemeinsam dienstreisen dürfe ...

Natürlich ist das Jammern auf hohem Niveau, denn eigentlich renne ich den ganzen Tag über durch die Gegend, in der Hoffnung, irgend eine ... Mensch.in, außer meiner Ehefrau, könnte Lust auf mich haben - oder meinen Horizont an der Stelle erweitern, die sich sowieso gelegentlich erweitert...

Und ja, ich finde solchen Scheiß auf allen Seiten unangebracht und unerträglich. Aber ein Klima zu schaffen, in dem ein unbekümmerter Umgang mit einander beinahe unmöglich wird, weil man ständig befürchten muss, das neue Demo-Monster für die Medienkampagne zu werden, macht Gemeinsamkeit eben nur drei Buchstaben kürzer.

Mittlerweile empfange ich Frauen nur noch, wenn mindestens zwei weitere Personen anwesend sind, die dann bezeugen können, dass ich sie nicht "ME2 geopfert" habe. Geht das nicht, muss die Dame leider auf dem Flur stehen bleiben, darf sich aber gern einen Kaffee (to spill) ... zubereiten, denn ich nähere mich der nicht, kann ihr den Sud also auch nicht mehr servieren. - Bin doch nicht pervers oder bescheuert - oder gar beides! Am Ende versteht die das noch als Anspielung auf was Heißes?

Na gut, bequem ist das nicht. Früher war es gemütlicher, gemeinsam am Besuchertisch zu sitzen, bei Kaffee und Gebäck. Aber wer weiß, vielleicht haben meine Kollegen das ja nur so gehandhabt, weil dann die Krümel ... und pieksten ... und von der Besucherin raus geschüttelt...

Eine Verhältnismäßigkeit wäre schön, eine Atmosphäre, in der nicht jeder Blick zur Vergewaltigung wird und man mir, sowie meinen Kollegen hier, einfach Freundlichkeit, Wohlwollen oder auch einmal eine gewisse unschuldige Frivolität attestiert, anstatt mit daueraktiviertem "Me TOOO! Angriffsscanner" umher zu wandeln.

Ich hätte nun gern die Gegenkampagne aller dreizehn Frauen gesehen - und unterstützt, die - aus welchen Gründen auch immer - bisher unbelästigt geblieben sind - oder es eben einfach nur lockerer gesehen haben, wenn sich ihnen die Gelegenheit geboten hätte, sich der Mehrheit einzuverleiben.

"NOT ME!"
 
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