Torwächter

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RobertMarkus

Mitglied
Torwächter
[ 4]"Halt!"
[ 4]Der Torwächter streckte dem Jüngling seine linke Hand in ablehnender Geste entgegen. Die rechte Hand umklammerte fest den Griff seines Schwertes, das er bedrohlich einige Zentimeter aus der Scheide zog.
[ 4]"Was ist dein Begehr?"
[ 4]Der Torwächter starrte ihn an. Es war kein wirkliches Leben in seinen Augen. Kein Funkeln, keine Wärme. Es war Furcht einflößend.
[ 4]"Ich... ähm... möchte zum Tempel." sagte der Jüngling.
Keine Antwort.
[ 4]"Ich habe ein Versprechen zu halten, dass ich jemandem gegeben habe, der mir sehr wichtig ist... ich meine war. Ich will... ich muss eine Kerze im Tempel der Drei entzünden."
Keine Antwort.
[ 4]"Kann ich in die Stadt gehen? Zum Tempel?"
[ 4]Es folgte eine lange Pause. Hatte er nicht verstanden, was er gesagt hatte? Der Jüngling wollte erneut ansetzen, um seine Lage zu erklären, als der Torwächter langsam seine linke Hand senkte und zu sprechen begann.
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]Der Jüngling vernahm ein leises Kichern hinter seinem Rücken.
[ 4]"Ich muss nur kurz zum Tempel und eine Kerze anzünden. Ich werde nicht lange in der Stadt bleiben. Ich mache keinen Ärger. Ich bin harmlos."
[ 4]"Nein." Der Torwächter verkündete seine Entscheidung - es klang wie ein Urteil - ohne ihn anzusehen.
[ 4]"Warum nicht?"
[ 4]Wieder dieses Kichern.
[ 4]"Du bist zu jung. Komm wieder, wenn Du ein Handwerk gelernt hast."
[ 4]"Aber..."
[ 4]Der Torwächter zog das Schwert etwas weiter aus der Scheide. Erneutes Kichern.
[ 4]Es hatte keinen Sinn. Was sollte er auch tun? Er war kein Kämpfer. Er hatte auch keine Reichtümer, um zu versuchen, den Torwächter vielleicht zu bestechen, ihn in die Stadt zu lassen. Er war ein Niemand.
[ 4]Der Jüngling drehte sich um und sah den alten Kauz, der an der Stadtmauer kauernd immer noch kicherte.
[ 4]"Warum lachst Du mich aus? Ich habe dringende Geschäfte zu erledigen. Ein Versprechen. Einen Schwur zu halten."
[ 4]"Freund, ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ihr habt ein Versprechen zu halten, der Torwächter hat das Tor zu bewachen und ich..." Der Alte Kauz lächelte den Jüngling verschmitzt an.
[ 4]"Ich bin auf die Gutmütigkeit von Fremden angewiesen."
[ 4]Der alte Kauz streckte seine faltige Hand aus. Nicht ablehnend, wie der Torwächter. Bittend, demütig. Der Jüngling gab dem alten Kauz etwas Geld und machte sich seines Weges.

[ 4]Jahre vergingen und der Jüngling wurde zum Mann. Sein Versprechen vergaß er dabei nie. Auch nicht den Torwächter. Er lernte ein Handwerk und wurde mit der Zeit zu einem der besten Schmiede des Landes.

[ 4]"Halt!"
[ 4]Das Bild war beinahe identisch. Der Torwächter streckte ihm wieder abweisend die Hand entgegen und war im Begriff sein Schwert zu ziehen.
[ 4]"Was ist dein Begehr?" Der Schmied musterte den Torwächter in seiner Rüstung. War es derselbe Mann gewesen, der ihn einst als Jüngling abgewiesen hatte? Es schien fast so. Also wäre er, ihm Gegensatz zu ihm, nicht gealtert.
[ 4]"Ich muss zum Tempel und eine Kerze entzünden."
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]"Ich bin bereit. Ich habe ein Handwerk gelernt. So wie ihr es verlangt habt. Ich bin ein Schmied. Der beste im Umkreis von 100 Meilen. Jeder Bauer, jeder Adlige, der etwas auf sich hält, kommt zu mir."
[ 4]Der Torwächter stand unbeirrt da.
[ 4]"Dann kann ich also jetzt die Stadt betreten, um zum Tempel der Drei gehen?"
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]Da war es wieder. Aber konnte es sein? Der alte Kauz war doch sicherlich inzwischen verstorben? Nichtsdestotrotz hörte er das Kichern. Es war eine Einbildung. Es musste sein.
[ 4]"Was noch? Was muss ich tun, um in die Stadt zu gelangen? Einen Riesen bekämpfen? Einen Drachen besiegen? Warum belästigst Du nicht all die anderen Menschen, die tagtäglich dieses Tor passieren?"
[ 4]Wieder diese Halluzination eines Kicherns.
[ 4]"Dir fehlt Wissen."
[ 4]"Wissen? Ist das euer ernst? Ihr habt gesagt, ich solle ein Handwerk lernen und nicht, dass ich mich zu einem Gelehrten ausbilden lassen sollte!"
[ 4]Der Torwächter war wieder zu einem bewegungslosen Monolithen erstarrt und würdigte ihn keines Blickes. Wut stieg in ihn auf.
[ 4]"Es ist mir egal, was ihr sagt. Ich habe einen Schwur zu erfüllen. Ich gehe zum Tempel."
[ 4]Als der Schmied ansetzte, die Stadt zu betreten, zog der Torwächter sein Schwert und nahm eine Kampfhaltung ein.
[ 4]Der Schmied erschrak. Er hatte selbst keine Waffe dabei, außer seinem Schmiedehammer. Aber was sollte ihm das nützen. Er konnte zwar die besten Schwerter herstellen, wusste sie aber nicht zu gebrauchen. Er wich zurück.
[ 4]Nach ein paar Sekunden steckte der Torwächter sein Schwert weg.
[ 4]Diesmal vermischte sich das Lachen mit einem keuchenden Husten. Der Schmied drehte seinen Kopf und sah, dass es keine Erscheinung war. Der alte Kauz lebte und saß an derselben Stelle, wie vor Jahren und blickte ihn mit funkelnden Augen an.
[ 4]"Hallo Freund, ihr seid hartnäckig. Das schätze ich sehr. Beinahe hättet ihr es geschafft. Ihr ward kurz davor. So kurz".
[ 4]Die Lippen des alten Kauzes waren spröde und seine Haut war noch faltiger geworden, fast porös.
[ 4]Der Schmied kniete sich zu dem alten Kauz herunter und reichte ihm etwas Wasser aus seiner Flasche. Das Wasser wurde begierig getrunken, bis er wieder husten musste.
[ 4]"Vielen Dank, Freund. Wisst ihr? Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ihr habt ein Versprechen zu halten, der Torwächter hat das Tor zu bewachen und ich..."
[ 4]"... ihr seid auf die Gutmütigkeit von Fremden angewiesen.
Ich weiß." Er hielt ihm erneut die Wasserflasche hin. In diesem Moment bekam das sonst so freundliche und einladende Gesicht des alten Kauzes eine ernste Note.
[ 4]"Ihr wisst nicht. Ansonsten hättet ihr die Kerze im Tempel der Drei längst entzündet." Der alte Kauz fing wieder an lang und schwer zu husten. Der Schmied war sich sicher, dass dies der letzte Sommer war, den der alte Kauz erleben würde.
[ 4]"Geht. Geht! Kommt wieder, wenn es ihr es wisst. Ich hoffe um euer Willen, dass die Erkenntnis nicht zu spät kommt."
[ 4]Der Schmied überließ dem alten Kauz seine Wasserflasche und ging fort.

Jahre vergingen und der Schmied wurde zu einem alten Mann. Seinen Schwur würde er nicht brechen und er suchte daher jede Bibliothek des ganzen Landes auf, um sein Wissen zu vermehren.

[ 4]Schließlich machte er sich wieder zur Stadt auf. Der Weg war lang und beschwerlich. Seine Knochen taten ihm weh. Als er die Stadt erreichte, hielt er zunächst Ausschau nach dem alten Kauz, obwohl er wusste, dass dieser auf keinen Fall mehr am Leben sein konnte. Und tatsächlich war der Platz an der Mauer leer. Er fühlte Trauer.
[ 4]Der Torwächter jedoch war immer noch da. Seine Rüstung strahlte wie eh und je, dass es einem in den Augen weh tun konnte. Das Gesicht war verdeckt, bis auf den breiten Schlitz für die kalten, unmenschlichen Augen.
[ 4]"Halt!" sagte der Torwächter.
[ 4]"Was ist dein Begehr?"
[ 4]"Ich möchte zum Tempel und ein altes Versprechen einlösen."
[ 4]Er wusste, was nun kommen würde.
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]"Ich bin bereit. Ich habe ein Handwerk gelernt, wie ihr es verlangt habt. Ich habe mir Wissen angeeignet. Über Menschen, Tiere, Länder, Sitten. Über die Geschichte der Welt und über die Geschichte dieser Stadt."
[ 4]"Dir fehlt Erkenntnis."
[ 4]Diesmal musste der alte Mann selber kichern.
[ 4]"Welche Erkenntnis fehlt mir? Die Erkenntnis meines nahenden Todes? Ich habe nicht mehr lange. Vielleicht noch ein paar gute Jahre, wenn mich nicht bald eine schlimme Krankheit danieder rafft. Ich bin des Wartens satt. Ich habe nur noch den Wunsch meinen Eid zu ehren und eine Kerze im Tempel der Drei zu entzünden."
[ 4]Der alte Mann ging einen Schritt auf den Torwächter zu. Wie schon vor Jahren, zog der Torwächter blitzschnell sein Schwert und nahm seine Kampfhaltung ein.
[ 4]"Ihr würdet einen alten hilflosen Mann niederstrecken, um ihn davon abzuhalten die Stadt zu betreten? Was seid ihr nur für ein Mensch?"
[ 4]"Ich bin der Torwächter."

[ 4]Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ich habe ein Versprechen zu halten und der Torwächter hat das Tor zu bewachen.

[ 4]Er musste wieder kichern. Sollte es so einfach gewesen sein?
[ 4]Der alte Mann machte einen Schritt nach vorn.

[ 4]Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe.

[ 4]Der Torwächter hob das Schwert und setzte zum Hieb an. Der alte Mann zögerte.

[ 4]Ich habe ein Versprechen zu halten.

[ 4]Ein weiterer Schritt nach vorn.

[ 4]Der Torwächter hat das Tor zu bewachen.

[ 4]Der alte Mann holte Tief Luft und ging weiter. Langsam. Ganz langsam.
[ 4]Aus dem Augenwinkel sah er wie das Schwert des Torwächters zu zittern begann und in diesem Moment passierte er das Tor und betrat die Stadt. Der alte Mann blickte zurück und sah wie der Torwächter das Schwert langsam zurück in seine Scheide steckte.
[ 4]Er stellte sich auf seine alte Position und bewachte weiter das Tor.
[ 4]Als er den Tempel der Drei betrat, begab er sich zum Schrein der Wünsche. Aus seinem Lederbeutel holte er eine alte Kerze heraus, die er schon sein ganzes Leben bei sich trug. Er stellte sie auf den Schrein und entzündete sie. Er hat sein Versprechen gehalten. Eine Träne verließ sein rechtes Auge, lief sein Gesicht hinunter und tropfte auf den staubigen Boden des Tempels.
[ 4]Als er den Torwächter wieder passierte sagte: "Ich mag euch, Freund. Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ihr habt das Tor zu bewachen..." Der Alte Mann setzte sich auf einen kahlen Fleck nahe der Stadtmauer "... und ich bin auf die Gutmütigkeit von Fremden angewiesen."
[ 4]Der alte Mann kicherte.
 

RobertMarkus

Mitglied
Torwächter
[ 4]"Halt!"
[ 4]Der Torwächter streckte dem Jüngling seine linke Hand in ablehnender Geste entgegen. Die rechte Hand umklammerte fest den Griff seines Schwertes, das er bedrohlich einige Zentimeter aus der Scheide zog.
[ 4]"Was ist dein Begehr?"
[ 4]Der Torwächter starrte ihn an. Es war kein wirkliches Leben in seinen Augen. Kein Funkeln, keine Wärme. Es war Furcht einflößend.
[ 4]"Ich... ähm... möchte zum Tempel." sagte der Jüngling.
Keine Antwort.
[ 4]"Ich habe ein Versprechen zu halten, dass ich jemandem gegeben habe, der mir sehr wichtig ist... ich meine war. Ich will... ich muss eine Kerze im Tempel der Drei entzünden."
Keine Antwort.
[ 4]"Kann ich in die Stadt gehen? Zum Tempel?"
[ 4]Es folgte eine lange Pause. Hatte er nicht verstanden, was er gesagt hatte? Der Jüngling wollte erneut ansetzen, um seine Lage zu erklären, als der Torwächter langsam seine linke Hand senkte und zu sprechen begann.
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]Der Jüngling vernahm ein leises Kichern hinter seinem Rücken.
[ 4]"Ich muss nur kurz zum Tempel und eine Kerze anzünden. Ich werde nicht lange in der Stadt bleiben. Ich mache keinen Ärger. Ich bin harmlos."
[ 4]"Nein." Der Torwächter verkündete seine Entscheidung - es klang wie ein Urteil - ohne ihn anzusehen.
[ 4]"Warum nicht?"
[ 4]Wieder dieses Kichern.
[ 4]"Du bist zu jung. Komm wieder, wenn Du ein Handwerk gelernt hast."
[ 4]"Aber..."
[ 4]Der Torwächter zog das Schwert etwas weiter aus der Scheide. Erneutes Kichern.
[ 4]Es hatte keinen Sinn. Was sollte er auch tun? Er war kein Kämpfer. Er hatte auch keine Reichtümer, um zu versuchen, den Torwächter vielleicht zu bestechen, ihn in die Stadt zu lassen. Er war ein Niemand.
[ 4]Der Jüngling drehte sich um und sah den alten Kauz, der an der Stadtmauer kauernd, immer noch kicherte.
[ 4]"Warum lachst Du mich aus? Ich habe dringende Geschäfte zu erledigen. Ein Versprechen. Einen Schwur zu halten."
[ 4]"Freund, ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ihr habt ein Versprechen zu halten, der Torwächter hat das Tor zu bewachen und ich..." Der Alte Kauz lächelte den Jüngling verschmitzt an.
[ 4]"Ich bin auf die Gutmütigkeit von Fremden angewiesen."
[ 4]Der alte Kauz streckte seine faltige Hand aus. Nicht ablehnend, wie der Torwächter. Bittend, demütig. Der Jüngling gab dem alten Kauz etwas Geld und machte sich seines Weges.

[ 4]Jahre vergingen und der Jüngling wurde zum Mann. Sein Versprechen vergaß er dabei nie. Auch nicht den Torwächter. Er lernte ein Handwerk und wurde mit der Zeit zu einem der besten Schmiede des Landes.

[ 4]"Halt!"
[ 4]Das Bild war beinahe identisch. Der Torwächter streckte ihm wieder abweisend die Hand entgegen und war im Begriff sein Schwert zu ziehen.
[ 4]"Was ist dein Begehr?" Der Schmied musterte den Torwächter in seiner Rüstung. War es derselbe Mann gewesen, der ihn einst als Jüngling abgewiesen hatte? Es schien fast so. Also wäre er, ihm Gegensatz zu ihm, nicht gealtert.
[ 4]"Ich muss zum Tempel und eine Kerze entzünden."
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]"Ich bin bereit. Ich habe ein Handwerk gelernt. So wie ihr es verlangt habt. Ich bin ein Schmied. Der beste im Umkreis von 100 Meilen. Jeder Bauer, jeder Adlige, der etwas auf sich hält, kommt zu mir."
[ 4]Der Torwächter stand unbeirrt da.
[ 4]"Dann kann ich also jetzt die Stadt betreten, um zum Tempel der Drei gehen?"
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]Da war es wieder. Das Kichern. Aber konnte es sein? Der alte Kauz war doch sicherlich inzwischen verstorben? Nichtsdestotrotz hörte er das Kichern. Es war eine Einbildung. Es musste sein.
[ 4]"Was noch? Was muss ich tun, um in die Stadt zu gelangen? Einen Riesen bekämpfen? Einen Drachen besiegen? Warum belästigst Du nicht all die anderen Menschen, die tagtäglich dieses Tor passieren?"
[ 4]Wieder diese Halluzination eines Kicherns.
[ 4]"Dir fehlt Wissen."
[ 4]"Wissen? Ist das euer ernst? Ihr habt gesagt, ich solle ein Handwerk lernen und nicht, dass ich mich zu einem Gelehrten ausbilden lassen sollte!"
[ 4]Der Torwächter war wieder zu einem bewegungslosen Monolithen erstarrt und würdigte ihn keines Blickes. Wut stieg in ihn auf.
[ 4]"Es ist mir egal, was ihr sagt. Ich habe einen Schwur zu erfüllen. Ich gehe zum Tempel."
[ 4]Als der Schmied ansetzte, die Stadt zu betreten, zog der Torwächter sein Schwert und nahm eine Kampfhaltung ein.
[ 4]Der Schmied erschrak. Er hatte selbst keine Waffe dabei, außer seinem Schmiedehammer. Aber was sollte ihm das nützen. Er konnte zwar die besten Schwerter herstellen, wusste sie aber nicht zu gebrauchen. Er wich zurück.
[ 4]Nach ein paar Sekunden steckte der Torwächter sein Schwert weg.
[ 4]Diesmal vermischte sich das Lachen mit einem keuchenden Husten. Der Schmied drehte seinen Kopf und sah, dass es keine Erscheinung war. Der alte Kauz lebte und saß an derselben Stelle, wie vor Jahren und blickte ihn mit funkelnden Augen an.
[ 4]"Hallo Freund, ihr seid hartnäckig. Das schätze ich sehr. Beinahe hättet ihr es geschafft. Ihr ward kurz davor. So kurz".
[ 4]Die Lippen des alten Kauzes waren spröde und seine Haut war noch faltiger geworden, fast porös.
[ 4]Der Schmied kniete sich zu dem alten Kauz herunter und reichte ihm etwas Wasser aus seiner Flasche. Das Wasser wurde begierig getrunken, bis er wieder husten musste.
[ 4]"Vielen Dank, Freund. Wisst ihr? Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ihr habt ein Versprechen zu halten, der Torwächter hat das Tor zu bewachen und ich..."
[ 4]"... ihr seid auf die Gutmütigkeit von Fremden angewiesen.
Ich weiß." Er hielt ihm erneut die Wasserflasche hin. In diesem Moment bekam das sonst so freundliche und einladende Gesicht des alten Kauzes eine ernste Note.
[ 4]"Ihr wisst nicht. Ansonsten hättet ihr die Kerze im Tempel der Drei längst entzündet." Der alte Kauz fing wieder an lang und schwer zu husten. Der Schmied war sich sicher, dass dies der letzte Sommer war, den der alte Kauz erleben würde.
[ 4]"Geht. Geht! Kommt wieder, wenn es ihr es wisst. Ich hoffe um euer Willen, dass die Erkenntnis nicht zu spät kommt."
[ 4]Der Schmied überließ dem alten Kauz seine Wasserflasche und ging fort.

Jahre vergingen und der Schmied wurde zu einem alten Mann. Seinen Schwur würde er nicht brechen und er suchte daher jede Bibliothek des ganzen Landes auf, um sein Wissen zu vermehren.

[ 4]Schließlich machte er sich wieder zur Stadt auf. Der Weg war lang und beschwerlich. Seine Knochen taten ihm weh. Als er die Stadt erreichte, hielt er zunächst Ausschau nach dem alten Kauz, obwohl er wusste, dass dieser auf keinen Fall mehr am Leben sein konnte. Und tatsächlich war der Platz an der Mauer leer. Er fühlte Trauer.
[ 4]Der Torwächter jedoch war immer noch da. Seine Rüstung strahlte wie eh und je, dass es einem in den Augen weh tun konnte. Das Gesicht war verdeckt, bis auf den breiten Schlitz für die kalten, unmenschlichen Augen.
[ 4]"Halt!" sagte der Torwächter.
[ 4]"Was ist dein Begehr?"
[ 4]"Ich möchte zum Tempel und ein altes Versprechen einlösen."
[ 4]Er wusste, was nun kommen würde.
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]"Ich bin bereit. Ich habe ein Handwerk gelernt, wie ihr es verlangt habt. Ich habe mir Wissen angeeignet. Über Menschen, Tiere, Länder, Sitten. Über die Geschichte der Welt und über die Geschichte dieser Stadt."
[ 4]"Dir fehlt Erkenntnis."
[ 4]Diesmal musste der alte Mann selber kichern.
[ 4]"Welche Erkenntnis fehlt mir? Die Erkenntnis meines nahenden Todes? Ich habe nicht mehr lange. Vielleicht noch ein paar gute Jahre, wenn mich nicht bald eine schlimme Krankheit danieder rafft. Ich bin des Wartens satt. Ich habe nur noch den Wunsch meinen Eid zu ehren und eine Kerze im Tempel der Drei zu entzünden."
[ 4]Der alte Mann ging einen Schritt auf den Torwächter zu. Wie schon vor Jahren, zog der Torwächter blitzschnell sein Schwert und nahm seine Kampfhaltung ein.
[ 4]"Ihr würdet einen alten hilflosen Mann niederstrecken, um ihn davon abzuhalten die Stadt zu betreten? Was seid ihr nur für ein Mensch?"
[ 4]"Ich bin der Torwächter."

[ 4]Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ich habe ein Versprechen zu halten und der Torwächter hat das Tor zu bewachen.

[ 4]Er musste wieder kichern. Sollte es so einfach gewesen sein?
[ 4]Der alte Mann machte einen Schritt nach vorn.

[ 4]Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe.

[ 4]Der Torwächter hob das Schwert und setzte zum Hieb an. Der alte Mann zögerte.

[ 4]Ich habe ein Versprechen zu halten.

[ 4]Ein weiterer Schritt nach vorn.

[ 4]Der Torwächter hat das Tor zu bewachen.

[ 4]Der alte Mann holte Tief Luft und ging weiter. Langsam. Ganz langsam.
[ 4]Aus dem Augenwinkel sah er wie das Schwert des Torwächters zu zittern begann und in diesem Moment passierte er das Tor und betrat die Stadt. Der alte Mann blickte zurück und sah wie der Torwächter das Schwert langsam zurück in seine Scheide steckte.
[ 4]Er stellte sich auf seine alte Position und bewachte weiter das Tor.
[ 4]Als er den Tempel der Drei betrat, begab er sich zum Schrein der Wünsche. Aus seinem Lederbeutel holte er eine alte Kerze heraus, die er schon sein ganzes Leben bei sich trug. Er stellte sie auf den Schrein und entzündete sie. Er hat sein Versprechen gehalten. Eine Träne verließ sein rechtes Auge, lief sein Gesicht hinunter und tropfte auf den staubigen Boden des Tempels.
[ 4]Als er den Torwächter wieder passierte sagte: "Ich mag euch, Freund. Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ihr habt das Tor zu bewachen..." Der Alte Mann setzte sich auf einen kahlen Fleck nahe der Stadtmauer "... und ich bin auf die Gutmütigkeit von Fremden angewiesen."
[ 4]Der alte Mann kicherte.
 

RobertMarkus

Mitglied
Torwächter
[ 4]"Halt!"
[ 4]Der Torwächter streckte dem Jüngling seine linke Hand in ablehnender Geste entgegen. Die rechte Hand umklammerte fest den Griff seines Schwertes, das er bedrohlich einige Zentimeter aus der Scheide zog.
[ 4]"Was ist dein Begehr?"
[ 4]Der Torwächter starrte ihn an. Es war kein wirkliches Leben in seinen Augen. Kein Funkeln, keine Wärme. Es war Furcht einflößend.
[ 4]"Ich... ähm... möchte zum Tempel." sagte der Jüngling.
Keine Antwort.
[ 4]"Ich habe ein Versprechen zu halten, dass ich jemandem gegeben habe, der mir sehr wichtig ist... ich meine war. Ich will... ich muss eine Kerze im Tempel der Drei entzünden."
Keine Antwort.
[ 4]"Kann ich in die Stadt gehen? Zum Tempel?"
[ 4]Es folgte eine lange Pause. Hatte er nicht verstanden, was er gesagt hatte? Der Jüngling wollte erneut ansetzen, um seine Lage zu erklären, als der Torwächter langsam seine linke Hand senkte und zu sprechen begann.
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]Der Jüngling vernahm ein leises Kichern hinter seinem Rücken.
[ 4]"Ich muss nur kurz zum Tempel und eine Kerze anzünden. Ich werde nicht lange in der Stadt bleiben. Ich mache keinen Ärger. Ich bin harmlos."
[ 4]"Nein." Der Torwächter verkündete seine Entscheidung - es klang wie ein Urteil - ohne ihn anzusehen.
[ 4]"Warum nicht?"
[ 4]Wieder dieses Kichern.
[ 4]"Du bist zu jung. Komm wieder, wenn Du ein Handwerk gelernt hast."
[ 4]"Aber..."
[ 4]Der Torwächter zog das Schwert etwas weiter aus der Scheide. Erneutes Kichern.
[ 4]Es hatte keinen Sinn. Was sollte er auch tun? Er war kein Kämpfer. Er hatte auch keine Reichtümer, um zu versuchen, den Torwächter vielleicht zu bestechen, ihn in die Stadt zu lassen. Er war ein Niemand.
[ 4]Der Jüngling drehte sich um und sah den alten Kauz, der an der Stadtmauer kauernd, immer noch kicherte.
[ 4]"Warum lachst Du mich aus? Ich habe dringende Geschäfte zu erledigen. Ein Versprechen. Einen Schwur zu halten."
[ 4]"Freund, ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ihr habt ein Versprechen zu halten, der Torwächter hat das Tor zu bewachen und ich..." Der Alte Kauz lächelte den Jüngling verschmitzt an.
[ 4]"Ich bin auf die Gutmütigkeit von Fremden angewiesen."
[ 4]Der alte Kauz streckte seine faltige Hand aus. Nicht ablehnend, wie der Torwächter. Bittend, demütig. Der Jüngling gab dem alten Kauz etwas Geld und machte sich seines Weges.

[ 4]Jahre vergingen und der Jüngling wurde zum Mann. Sein Versprechen vergaß er dabei nie. Auch nicht den Torwächter. Er lernte ein Handwerk und wurde mit der Zeit zu einem der besten Schmiede des Landes.

[ 4]"Halt!"
[ 4]Das Bild war beinahe identisch. Der Torwächter streckte ihm wieder abweisend die Hand entgegen und war im Begriff sein Schwert zu ziehen.
[ 4]"Was ist dein Begehr?" Der Schmied musterte den Torwächter in seiner Rüstung. War es derselbe Mann gewesen, der ihn einst als Jüngling abgewiesen hatte? Es schien fast so. Also wäre er, ihm Gegensatz zu ihm, nicht gealtert.
[ 4]"Ich muss zum Tempel und eine Kerze entzünden."
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]"Ich bin bereit. Ich habe ein Handwerk gelernt. So wie ihr es verlangt habt. Ich bin ein Schmied. Der beste im Umkreis von 100 Meilen. Jeder Bauer, jeder Adlige, der etwas auf sich hält, kommt zu mir."
[ 4]Der Torwächter stand unbeirrt da.
[ 4]"Dann kann ich also jetzt die Stadt betreten, um zum Tempel der Drei gehen?"
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]Da war es wieder. Das Kichern. Aber konnte es sein? Der alte Kauz war doch sicherlich inzwischen verstorben? Nichtsdestotrotz hörte er das Kichern. Es war eine Einbildung. Es musste sein.
[ 4]"Was noch? Was muss ich tun, um in die Stadt zu gelangen? Einen Riesen bekämpfen? Einen Drachen besiegen? Warum belästigst Du nicht all die anderen Menschen, die tagtäglich dieses Tor passieren?"
[ 4]Wieder diese Halluzination eines Kicherns.
[ 4]"Dir fehlt Wissen."
[ 4]"Wissen? Ist das euer ernst? Ihr habt gesagt, ich solle ein Handwerk lernen und nicht, dass ich mich zu einem Gelehrten ausbilden lassen sollte!"
[ 4]Der Torwächter war wieder zu einem bewegungslosen Monolithen erstarrt und würdigte ihn keines Blickes. Wut stieg in ihn auf.
[ 4]"Es ist mir egal, was ihr sagt. Ich habe einen Schwur zu erfüllen. Ich gehe zum Tempel."
[ 4]Als der Schmied ansetzte, die Stadt zu betreten, zog der Torwächter sein Schwert und nahm eine Kampfhaltung ein.
[ 4]Der Schmied erschrak. Er hatte selbst keine Waffe dabei, außer seinem Schmiedehammer. Aber was sollte ihm das nützen. Er konnte zwar die besten Schwerter herstellen, wusste sie aber nicht zu gebrauchen. Er wich zurück.
[ 4]Nach ein paar Sekunden steckte der Torwächter sein Schwert weg.
[ 4]Diesmal vermischte sich das Lachen mit einem keuchenden Husten. Der Schmied drehte seinen Kopf und sah, dass es keine Erscheinung war. Der alte Kauz lebte und saß an derselben Stelle, wie vor Jahren und blickte ihn mit funkelnden Augen an.
[ 4]"Hallo Freund, ihr seid hartnäckig. Das schätze ich sehr. Beinahe hättet ihr es geschafft. Ihr ward kurz davor. So kurz".
[ 4]Die Lippen des alten Kauzes waren spröde und seine Haut war noch faltiger geworden, fast porös.
[ 4]Der Schmied kniete sich zu dem alten Kauz herunter und reichte ihm etwas Wasser aus seiner Flasche. Das Wasser wurde begierig getrunken, bis er wieder husten musste.
[ 4]"Vielen Dank, Freund. Wisst ihr? Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ihr habt ein Versprechen zu halten, der Torwächter hat das Tor zu bewachen und ich..."
[ 4]"... ihr seid auf die Gutmütigkeit von Fremden angewiesen.
Ich weiß." Er hielt ihm erneut die Wasserflasche hin. In diesem Moment bekam das sonst so freundliche und einladende Gesicht des alten Kauzes eine ernste Note.
[ 4]"Ihr wisst nicht. Ansonsten hättet ihr die Kerze im Tempel der Drei längst entzündet." Der alte Kauz fing wieder an lang und schwer zu husten. Der Schmied war sich sicher, dass dies der letzte Sommer war, den der alte Kauz erleben würde.
[ 4]"Geht. Geht! Kommt wieder, wenn es ihr es wisst. Ich hoffe um euer Willen, dass die Erkenntnis nicht zu spät kommt."
[ 4]Der Schmied überließ dem alten Kauz seine Wasserflasche und ging fort.

Jahre vergingen und der Schmied wurde zu einem alten Mann. Seinen Schwur würde er nicht brechen und er suchte daher jede Bibliothek des ganzen Landes auf, um sein Wissen zu vermehren.

[ 4]Schließlich machte er sich wieder zur Stadt auf. Der Weg war lang und beschwerlich. Seine Knochen taten ihm weh. Als er die Stadt erreichte, hielt er zunächst Ausschau nach dem alten Kauz, obwohl er wusste, dass dieser auf keinen Fall mehr am Leben sein konnte. Und tatsächlich war der Platz an der Mauer leer. Er fühlte Trauer.
[ 4]Der Torwächter jedoch war immer noch da. Seine Rüstung strahlte wie eh und je, dass es einem in den Augen weh tun konnte. Das Gesicht war verdeckt, bis auf den breiten Schlitz für die kalten, unmenschlichen Augen.
[ 4]"Halt!" sagte der Torwächter.
[ 4]"Was ist dein Begehr?"
[ 4]"Ich möchte zum Tempel und ein altes Versprechen einlösen."
[ 4]Er wusste, was nun kommen würde.
[ 4]"Du bist nicht bereit."
[ 4]"Ich bin bereit. Ich habe ein Handwerk gelernt, wie ihr es verlangt habt. Ich habe mir Wissen angeeignet. Über Menschen, Tiere, Länder, Sitten. Über die Geschichte der Welt und über die Geschichte dieser Stadt."
[ 4]"Dir fehlt Erkenntnis."
[ 4]Diesmal musste der alte Mann selber kichern.
[ 4]"Welche Erkenntnis fehlt mir? Die Erkenntnis meines nahenden Todes? Ich habe nicht mehr lange. Vielleicht noch ein paar gute Jahre, wenn mich nicht bald eine schlimme Krankheit danieder rafft. Ich bin des Wartens satt. Ich habe nur noch den Wunsch meinen Eid zu ehren und eine Kerze im Tempel der Drei zu entzünden."
[ 4]Der alte Mann ging einen Schritt auf den Torwächter zu. Wie schon vor Jahren, zog der Torwächter blitzschnell sein Schwert und nahm seine Kampfhaltung ein.
[ 4]"Ihr würdet einen alten hilflosen Mann niederstrecken, um ihn davon abzuhalten die Stadt zu betreten? Was seid ihr nur für ein Mensch?"
[ 4]"Ich bin der Torwächter."

[ 4]Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ich habe ein Versprechen zu halten und der Torwächter hat das Tor zu bewachen.

[ 4]Er musste wieder kichern. Sollte es so einfach gewesen sein?
[ 4]Der alte Mann machte einen Schritt nach vorn.

[ 4]Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe.

[ 4]Der Torwächter hob das Schwert und setzte zum Hieb an. Der alte Mann zögerte.

[ 4]Ich habe ein Versprechen zu halten.

[ 4]Ein weiterer Schritt nach vorn.

[ 4]Der Torwächter hat das Tor zu bewachen.

[ 4]Der alte Mann holte Tief Luft und ging weiter. Langsam. Ganz langsam.
[ 4]Aus dem Augenwinkel sah er wie das Schwert des Torwächters zu zittern begann und in diesem Moment passierte er das Tor und betrat die Stadt. Der alte Mann blickte zurück und sah wie der Torwächter das Schwert langsam zurück in seine Scheide steckte.
[ 4]Er stellte sich auf seine alte Position und bewachte weiter das Tor.
[ 4]Als er den Tempel der Drei betrat, begab er sich zum Schrein der Wünsche. Aus seinem Lederbeutel holte er eine alte Kerze heraus, die er schon sein ganzes Leben bei sich trug. Er stellte sie auf den Schrein und entzündete sie. Er hat sein Versprechen gehalten. Eine Träne verließ sein rechtes Auge, lief sein Gesicht hinunter und tropfte auf den staubigen Boden des Tempels.
[ 4]Als er den Torwächter wieder passierte sagte er: "Ich mag euch, Freund. Ein jeder Mensch hat seine Aufgabe. Ihr habt das Tor zu bewachen..." Der Alte Mann setzte sich auf einen kahlen Fleck nahe der Stadtmauer "... und ich bin auf die Gutmütigkeit von Fremden angewiesen."
[ 4]Der alte Mann kicherte.
 



 
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