Trabbel mit dem Kabel

Dorian

Mitglied
Ich blickte auf das verpackte Kabel in meinen Händen und war ein wenig ratlos. Ein kryptischer Zahlen- und Buchstabencode gab an, wofür das Kabel eigentlich zu gebrauchen war. Und ich hatte gedacht, ich müsste mir nur genau merken, wie die Anschlüsse an meinem Computer beschaffen waren. Natürlich hatte ich die geradezu hirnrissige Vielfalt nicht bedacht, die mit der zunehmenden Elektronifizierung, oder wie man diesen Vorgang auch immer nennen mochte, einherging. Ein Fehler, der mir immer wieder unterlief.
Nun, ich musste nur einen Verkäufer fragen. Diese Elektronikgroßmärkte hatten zwar nicht immer ausgesprochene Fachkräfte, aber für die Kleinigkeit, die ich wissen wollte, würde es schon reichen. Ich schaute mich also nach einem Verkäufer um, konnte aber keinen entdecken, und so begann ich, die Verkaufsfläche des Marktes abzusuchen.
Ich hatte es eilig und noch dazu war kurz vor Ladenschluss, beides untrügliche Indikatoren dafür, dass ich keinen Verkäufer finden und frustriert nach Hause fahren würde. Doch das Wunder geschah!
In einem der hintersten Winkel, wo man die riesigen Flachbildschirme, die man an die Wand hängen konnte, versteckt hatte, damit die anderen Kunden, die nur einen popligen Fernseher kauften, nicht in Depressionen verfielen, hatten fünf meiner Leidensgenossen einen der hiesigen Uniformträger in die Ecke gedrängt.
Es war ein pickliger junger Mann, dem die in ihm keimende Panik ins Gesicht geschrieben stand. Ich trat näher, fest entschlossen, im entscheidenden Moment meine Chance wahrzunehmen.
„Hören sie“, sagte ein untersetzter bärtiger Mann gerade zu dem Verkäufer, „ich will meinen DVD-Player über den Videorekorder an meinem Computer anschließen. Warum geht das nicht?“
Den Typ kannte ich, der sogenannte Pseudo-Techniker. Er hatte sich autodidakt einiges über Technik beigebracht und hielt seine eigene Meinung für der Weisheit letzten Schluss.
„Haben sie denn eine TV-Karte?“
„Entschuldigen sie, junger Mann, verzeihen sie, wenn ich störe, ich wollte nur wissen, können sie mir vielleicht sagen...“, versuchte sich eine ältere Dame einzumischen. Auch den Typ kannte ich: alte Frau, keine Ahnung von Technik, extrem höflich, braucht Stunden um auf den Punkt zu kommen und selbst wenn man ihr achtzigmal erklärt wie etwas funktioniert, kommt sie immer wieder mit der selben Frage zurück, und zwar so lange, bis man Betreffendes für sie erledigt. Schasstrommel, hätte meine Großmutter gesagt. Kein sehr feiner Ausdruck, aber zutreffend.
Weiter hinten stand ein Pärchen, anscheinend frisch verliebt. Noch turtelten sie, und Sie hatte sich bei Ihm eingehängt, aber ich sah Ihm an, dass er wie auf glühenden Kohlen saß und langsam die Geduld verlor. Die Bemühungen seiner Freundin ihn ein wenig abzulenken machten die Sache auch nicht besser, eher im Gegenteil.
„Entschuldigung!“, rief Er über die Köpfe der Schasstrommel und des Pseudotechnikers hinweg. „Ich wollte nur wissen...“
„Reg dich nicht so auf, Franzi“, säuselte Sie. „Wir kommen schon dran.“
Auch Sie schien langsam die Geduld zu verlieren, allerdings mit Ihm. Die beiden waren das geringste Problem, irgendwann würde Franzi die Geduld verlieren und davonstürmen, seine Holde im Schlepptau. Spätestens auf dem Parkplatz würden sie fürchterlich zu streiten anfangen. Mehr Sorgen machte mir da schon der Fünfte im Bunde: recht groß und schlaksig, mit Halbglatze und runder Brille. Professor nannte ich diesen Typ. Auch er hielt seine Meinung für das Nonplusultra, aber nicht, weil er irgendeine Ahnung hatte von Tuten und Blasen, sondern weil er studiert hatte. Punktum. Man konnte seinem Gesicht die näselnde Stimme direkt ansehen.
„Eine TV-Karte? Wozu brauche ich die“, fragte der Pseudo. Er schien sich auf Freizeit-Elektriker spezialisiert zu haben.
„Natürlich, um auf ihrem Computer-Monitor fernsehen zu können“, mischte sich der Professor ein. Eine Antwort, die ziemlich an der Thematik vorbeiging. Und außerdem Quatsch war. Wer wollte schon auf dem Monitor fernsehen? Langsam fing ich an, mich zu amüsieren.
„Ich hätte eine Frage“, fuhr der Professor näselnd fort und hielt ein Palm-Top hoch. „Ist es möglich...“
„Stellen sie sich hinten an“, fuhr der Pseudo-Techniker dazwischen. Er hatte sich halb umgedreht und ich konnte ein Namensschild auf seiner Arbeitsweste erkennen. „Hr. Josef Kienbichler“, stand darauf zu lesen.
Sepperl, beschloss ich in Gedanken, du bist ab jetzt mein Favorit.
„Entschuldigen sie schon“, schoss der Professor zurück, „was ist das für ein Ton!“
„Verzeihen sie die Störung, Entschuldigung bitte...“
„He! Ich will nur eine Kleinigkeit...“
„Ich werd ihnen gleich zeigen, was das für ein Ton...“
„Franzi! Bist du ruhig!“
„Dürfte ich vielleicht...“
„Gerda! Langsam reichts mir...“
„Drohen sie mir Gewalt an?“
Ich stand leicht schmunzelnd in der Nähe und betrachtete mir das Chaos, das innerhalb von Sekunden entstanden war. Der Verkäufer hatte wohl seine eigenen Schlüsse gezogen und kam auf mich zu; die Schasstrommel dackelte hinter ihm her.
„Wie kann ich ihnen helfen“, fragte er.
„Geht das hier öfter so zu“, fragte ich, wohl wissend, dass dem so war.
„Nur wenn ich Schichtende habe.“
„Mein Beileid.“
„Man gewöhnt sich dran.“
Der Pseudo-Techniker und der Professor waren inzwischen anscheinend zu einer Einigung gekommen und unterhielten sich angeregt über die Tücken der modernen Technik, Gerda und Franzi hatten bereits aufgegeben und waren gerade dabei, sich heftig in die Wolle zu geraten.
Hm, dachte ich, entweder das läuft auf eine Trennung hinaus, oder sie lieben sich gleich im Auto.
„Entschuldigen sie bitte, junger Mann“, sagte die Schasstrommel und sprach dabei seltsamerweise mich an. „Können sie mir dabei vielleicht helfen?“
Sie hielt mir eine Fernbedienung hin, wie andere Leute vielleicht eine zerbrochene Vase oder ein totes Kätzchen halten würden.
„Ich glaub, das ist kaputt.“
„Tut mir leid“, sagte ich, „damit kenne ich mich nicht aus.“
„Einen kleinen Moment“, warf der Verkäufer hilfreich ein. „Ich bediene nur kurz den Herren“, er deutete auf mich, „und bin dann gleich für sie da.“
Ich schilderte dem Mann mein Problem und er schrieb mir eine Typennummer auf und schickte mich zu einem bestimmten Regal. Ich bedankte und verabschiedete mich und ging zu dem Regal, wo ich auch gleich das richtige Kabel fand. Das andere ließ ich einfach liegen.
Siehst du, dachte ich, Geduld zahlt sich manchmal eben doch aus.
Auf dem Weg zur Kassa blieb ich an einem Schaukasten stehen, um mich über die Vor- und Nachteile der neuesten Handys zu informieren, was ganz schön lange dauerte. Ich ging die Treppe hinunter und wer stand an der einzigen noch geöffneten Kassa? Die Schasstrommel. Und sie diskutierte mit der Kassiererin.
„Entschuldigen sie, junges Fräulein, könnten sie mir dabei vielleicht helfen?“
Sie hielt ihre Fernbedienung und ein Päckchen Batterien in den gichtigen Händen.
„Ähm“, machte die Kassiererin, „eigentlich dürfen wir das nicht... aber ich mache eine Ausnahme.“
„Entschuldigen sie, gnä Frau“, sagte ich. „Wie wär’s, wenn sie mich vorlassen und ich helfe ihnen dann mit der Fernbedienung?“
„Ja, ja, tun sie nur, machen sie nur, bitte sehr.“
„Hundertfünfzig Schilling“, sagte die Kassiererin dankbar; ich schmunzelte sie an.
Mit ein paar Handgriffen setzte ich der Schasstrommel die Batterien in die Fernbedienung und wollte das Gebäude verlassen
„Warten sie, junger Mann, sie waren so höflich und nett“, sagte sie nervenzerfetzend langsam, „hier haben sie eine Kleinigkeit.“
Sie begann umständlich in ihrer Handtasche zu kramen.
„Das ist doch nicht nötig“, sagte ich mit abwehrender Geste. „Es war mir ein Vergnügen.“
„Nein, nein, nein. Das will ich so.“
„Nein, wirklich, das ist überhaupt nicht...“
„Nur ein kleines Momenterl... da ist sie ja.“
Endlich förderte sie ein riesiges Portemonnaies zutage und begann, darin zu stöbern.
„Hören sie... das ist wirklich nicht...“, begann ich.
„In meiner Generation haben wir noch alles bezahlt. Und ein junger Mann kann immer Geld gebrauchen“, unterbrach mich die Schasstrommel. „Hier für sie.“
Freudestrahlend drückte sie mir etwas in die Hand und watschelte zur Tür.
„Vielen Dank“, rief ich ihr nach.
Ich beschloss noch einige Sekunden zu warten und dann so schnell wie möglich zu meinem Auto zu laufen. Viel Zeit hatte ich jedoch nicht, denn der Pseudo-Techniker und der Professor kamen die Treppe herunter.
Ich blickte auf meine Hand, um zu sehen, was ich da eigentlich bekommen hatte. Es war ein Fünf-Schillings-Stück. Schmunzelnd steckte ich es in die Trinkgeld-Box an der Kassa und ging auf den Parkplatz. Ohne weitere Zwischenfälle schaffte ich es nach Hause und wusste, dass ich am nächsten Tag wieder im Elektronik-Großmarkt sein würde. Denn ich hatte das falsche Kabel gekauft.
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo Dorian,

meiner Meinung nach hast Du die Schreibaufgabe hervorragend umgesetzt! Besonders gefällt mir der angenehme Wechsel zwischen Dialogen und eigenen Beobachtungen und Empfindungen. Ich gebe sehr selten Punkte, aber heute mache ich es. Und bin sehr gespannt auf weitere Texte von Dir!

Viele Grüße,
 

Dorian

Mitglied
Hallo Zeder!

Danke für die Blumen!
Ich bin eigentlich nur zufällig auf die Schreibaufgabe gestoßen, als ich versucht habe, mich mit der Seite vertraut zu machen. Und als ich dann das passende Geschäft gefunden hatte, mußte ich nur noch an die Zauberer bei Terry Pratchett denken... et voila. In einer Stunde hatte ich die Story fertig.

Ich habe übrigens unter "Humor" und unter "Erzählungen" noch jeweils einen Text gepostet. Wenn Du also interessiert bist, tu Dir keinen Zwang an

LG

Dorian
 

GabiSils

Mitglied
Hallo,

ganz hervorragend geschrieben! Meinen besonderen Dank für das Wort "Schasstrommel", das werde ich sofort in den allgemeinen Sprachgebrauch aufnehmen :) Aus welcher Region kommst Du?

Gruß
Gabi
 

Dorian

Mitglied
Niederösterreich, 30 km südlich von Wien.
Richtig hieße es ja Schaßtrommel, aber mein Korrekturprogramm sträubt sich immer beim scharfen S.
Schaß heißt übrigens Furz. Tschuldigung. :)
Eine ähnliche Bezeichnung gibt es auch für Männer: Schaßbuttn.
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Dorian,

ah, da siehst du die regionalen Unterschiede. Im Badischen wäre schassen = hetzen, jagen, scheuchen (von frz. chasser).
Was ja gut gepaßt hätte.


Gruß
Gabi
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

dorian, ich gratuliere dir zu dieser höchst amüsanten geschichte, die natürlich in meine sammlung kommt. mach mal so weiter! ganz lieb grüßt
 



 
Oben Unten