Tränen

Jotarophilia

Mitglied
Als ich meine Augen öffne sehe ich, dass ich mich in einem Wald befinde. Ich bin ganz warm eingepackt, mit gefütterter Jacke, Schal, Winterstiefeln und dem ganzen Kram. Ich fasse mir ins Gesicht, fahre mit den Fingerspitzen an meine Schläfe und merke, dass ich auf meinem Kopf ebenfalls eine Wollmütze befindet. Und obwohl ich solche Klamotten trage, merke ich eigentlich nichts davon.
Mir ist am Körper nicht warm, im Gesicht nicht kalt, obwohl der Wind weht. Aber gut, dass ich so dick eingepackt bin. Dann fällt weniger auf, wie fett ich eigentlich bin. Wenn ich einen Schal trage, kann ich mein Gesicht darin vermurmeln. Wenn ich Handschuhe an den Händen trage, fällt vielleicht niemandem auf, was für eine Hautfarbe ich eigentlich habe. Ich wünschte, dort, wo ich wohne, wäre es immer kalt. Eiskalt. So, wie Russland im Winter. Aber einfach das ganze Jahr über. Dann müsste ich mich nie wieder mit Sommerkleidung rumschlagen. Ich müsste mir nie wieder Sorgen darüber machen, dass jemand sieht, wie fett mein Bauch ist, wie vernarbt meine Arme sind, oder, wie unansehnlich ich generell bin.

Schlussendlich entscheide ich mich dazu aufzustehen. Ich laufe geradeaus, direkt zwischen den Bäumen hindurch und hinterlasse mit meinen Stiefeln Abdrücke im Schnee. Ich mag das Knacken, was es von sich gibt, wenn ich auf den Schnee trete. Es ist ein schönes und angenehmes Geräusch.

Während ich so weiter laufe, fange ich an, nachzudenken. Mich dagegen zu wehren würde nichts bringen, denn meine Gedanken besiegen mich immer. Egal, wie sehr ich mich versuche, auf etwas anderes zu konzentrieren, sie überwiegen immer. Wenn ich gerade eine schwere Mission in einem Videospiel spiele, wenn ich versuche, den interessanten riesigen Schmöker von meiner Freundin zu lesen, oder, wenn mein Freund wieder versucht mir etwas zu erklären. Meistens kommt es dann einfach in den unpassendsten Momenten.

Manchmal denke ich an irgendwelche lustigen Videos, kurzen Internet Clips, die ich mal gesehen habe und fange plötzlich an zu lachen. Für Außenstehende ein bisschen verwirrend. An anderen Tagen habe ich nicht so viel Glück und ich sitze einfach nur da, mein ganzer Körper wird total steif, mein Blick leer und ich fange an zu schwitzen. Meine Gedanken kreisen sich darum, was passiert, wenn ich jetzt plötzlich blind werde. Was passiert, wenn ich jetzt plötzlich taub werde. Was passiert, wenn ich mich strecke, mir irgend etwas dabei breche oder verrenke und von fortan vom Hals ab gelähmt bin. Kann ich meinem Freund anvertrauen, dass er mich aus dieser Misere erlösen wird, oder wird die Medizin dafür sorgen, dass ich noch ganz lange so weiter existieren muss, vor mich hin Leben, während der einzige Gedanken meinem Kopf Suizid ist?

Es ist schrecklich.

Ich bleibe stehen, schaue nach hinten und betrachte die Schuhabdrücke, die ich im Schnee hinterlassen habe. Ein Beweis dafür, dass ich wirklich existiere, dass ich hier bin. Dass ich Spuren hinterlasse. Aber welche? Was wird passieren, wenn ich erst einmal tot bin? Wer wird sich an mich erinnern? Wie wird man sich an mich erinnern? Meine Gedanken werden wieder zu einer Spirale, mein Kopf ist ganz laut und ich kann den Stimme nicht mal wirklich zuhören. Sie sprechen durcheinander.

„Fuck…“
Ich halte mir mit beiden Händen den Kopf fest, lasse mich auf die nächstgelegene Bank plumpen. Ich reibe mir die Schläfen, während ich den Kopf immer weiter nach unten bewege.
„Hört auf…“
Schläge gegen die Schläfe.
„Seid still!“
Es ist so laut. Alles fühlt sich eng an, obwohl die Kleidung, die ich trage, eben noch ziemlich locker saß. Mir ist kalt und heiß zugleich, mein Kopf fühlt sich an, als ob er gleich explodiert.
Und urplötzlich hört es auf.
Keine Schmerzen, keine Stimmen.

Nichts.

Ich Blicke auf, die Tränen laufen meine Wangen herunter, Tropfen mein Kinn hinab und hinterlassen ein winzig kleines Loch im Schnee.

„Warum?“
Ich drehe den Kopf zur Seite.
„Warum hasst du dich so?“
Vor mir steht eine Frau, riesig groß. Bestimmt 3,4 Meter hoch. Sie trägt ein langes, weißes Kleid und so, wie ich es erkennen kann, schwebt sie über dem Boden. Sie hat ganz blasse, helle Haut und schwarzes, langes Haar. Ich kann ihr Gesicht nicht wirklich sehen, aber das was ich sehen kann, zeigt mir, dass ihre Augen weiß sind. Keine Pupillen, keine Iris. Einfach nur weiß.

„Uhm… Hallo?“

„Ich habe dich gemacht, weißt du?“

Ihre Stimme ist sanft, es vibriert angenehm in meinem Kopf, wenn sie zu mir spricht.

„Ich höre deine Gedanken. Ich weiß, was du denkst. Jeden Tag aufs Neue. Immer und immer und immer wieder. Warum hasst du das, was ich erschaffen habe so sehr? Ich habe mir so viel Mühe mit dir gegeben. So, wie du bist, habe ich dich doch perfekt gemacht. Warum versuchst du, dich kaputt zu machen?“

Ich bin ein einziges Fragezeichen, doch ich kann nichts sagen, mein Hals ist wie zugeschnürt. Ich bemerke, wie ihr Tränen aus den Augen heraus laufen und auf den Schnee vor mir fallen. Sie sind riesig.

„Bitte…“

Fängt sie an, während ihre Tränen immer mehr werden, der Boden unter mir anfängt, sich zu verschieben, weicher zu werden, niedriger.

Er schmilzt.

„Brich mir nicht das Herz.“

Ich falle. Ich weiß nicht genau, wie, wohin ich falle, oder wie das passiert ist. War es der Schnee von eben? Waren das ihre Tränen, die den Boden derartig aufgeweicht haben? Was war das nur für eine Person? Warum hat sie solche Dinge zu mir gesagt?

Als ich die Augen wieder öffne, wieder sehen kann, stehe ich in einem kleinen Raum, mit nur einer einzigen Lichtquelle. Einem Aquarium.
Ich gehe etwas näher auf dieses zu.
In ihm schwimmt ein dicker, großer Fisch.

„Du bist schon ziemlich lange hier.“

Als er sich zu mir umdreht, gefriert mir fast das Blut in den Adern.
Riesige, schwarze Augen und ein überdimensional großer Mund mit sehr vielen, großen, spitzen Zähnen.

Ich schlucke.
Er lacht.

„Besser ist es, du wachst auf. Bevor du vergisst wie.“

Sofort setze ich mich kerzengerade auf, alles ist heiß, mit tropft der Schweiß von der Stirn. Ein paar mal hole ich Luft, bevor ich realisiere, wo ich mich überhaupt befinde.

Mein Bett.

Ich sehe zu meiner linken, dort liegt mein Freund. Seine Haare verdecken den Großteil seines Gesichts. Er schläft seelenruhig und unbekümmert.
Auf der linken Seite steht eine Flasche Wasser, die ich mir auch sofort nehme und innerhalb von wenigen Sekunden leer trinke.

Scheiße…

Was war das?

Ich fasse mir an die klitschnasse Stirn.

„Ich sollte weniger Kiffen.“
 

Vagant

Mitglied
Hallo Jotarophilia

...meine Arme sind, oder, wie unansehnlich ich generell bin....
Vorschlag: Die Ich-Erzählerin beschreibt sich ja ohnehin recht schonungslos. Warum hier nicht "wie hässlich ich bin"? das "unansehlich" passt mir nicht so recht zu "fett". Ist mir da irgendwie zu brav.

Ich mag das Knacken, was es von sich gibt, wenn ich auf den Schnee trete.
Vorschlag: Ich mag das Knacken meiner Schritte... Das "was es von sich gibt" könnte man dann generös im Papierkorb versenken.

einzige Gedanken meinem Kopf
hier fehlt ein "in" nach Gedanken

..., mein Kopf ist ganz laut und ich kann den Stimme nicht mal wirklich zuhören...
den Stimme(n). Plural.

Ach ja, hintenraus wäre dann noch so einiges anzumerken. Da lassen wir aber jetzt sein.

Dein Text ist erstmal nicht einfach zu lesen. Das liegt zum einen an der Stilistik (er ist auf hier und da nicht ganz rund), zum anderen an der Formatierung. Gerade die abschließenden Szene, also das Treffen mit der Riesenfrau, dem Monsterfisch und dem Aufwachen, sowie die dazugehörigen Dialoge, das alles ist dermaßen von Leerzeilen und Absätzen zerhackt, dass man gar nicht in die Szene hineinkommt. Das lässt sich so kaum lesen, und ich würde es nicht sagen, wenn ich nicht dran glauben würde, du könntest das ein bisschen besser.
Guck dir da einfach nochmal die Dialoge an, nimm die fürchterlichen Leerzeilen raus und achte auf die logische Abfolge von Aktion und Reaktion; ich denke, da wird dir selbst noch einiges dazu einfallen. Ordne die Gedanken, vermeide die Dopplungen in deinen Aussagen, nimm dir Zeit zum Überarbeiten des Textes, entwickle dadurch Stil; und wenn du das alles drauf hast, dann beherrscht du die Werkzeuge um aus solch einem Sujet noch mehr herauszuholen.

Was gibt es zum Text?
Ich bin wahrscheinlich schon einige Jahre zu alt, um bei solch exzessiven Kifferei mitreden zu können, glaub aber fast, dass es hier nicht nur das Kiffen ist, womit die Protagonistin ein Problem hat. Ihre Selbstzweifel, ja fast schon Selbsthass, die Unzufriedenheit mit ihrer Körperlichkeit und das generelle Zweifeln an allem was sie ausmacht und ausstrahlt, das klingt da doch sehr nach einer tiefen psychischen Störung. Sie ritzt sich; ein weiteres Indiz; und da sind ja in diesen Jahren ohnehin diese existenziellen Fragen, die alles auf den Prüfstand stellen, und am Ende doch keine Antworten finden, und die es einem dadurch ohnehin schon schwer genug machen; und dazu kommt dann noch die Krankheit; am Ende kein Wunder, dass man hier im Kiffen einen Ausweg sucht.
Die Konstellation, dass es sich hier zwar vordergründig um eine Drogengeschichte handelt, es aber am Ende aber um ganz andere Dinge geht, diese Konstellation hat die Geschichte für mich interessant gemacht, und trotz der gelegentlichen textlichen Holperfahrt habe ich es gern gelesen.
 



 
Oben Unten