VeraL
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Verdammter Mist, so eine Pandemie. Mit einem Grunzen ließ sich Harvold in seinen Sessel sinken und platzierte seine haarigen Füße auf einem Hocker. „Esme, wo bleibt meine Zeitung?“, brüllte er seine Frau an. Sie reichte sie ihm zusammen mit einem Utgard-Bier und er schlug den Fabelwesen-Anzeiger auf.
„Da hast du es wieder“, er tippte mit einem seiner vier Finger energisch auf die Seite und las ihr den Artikel vor: „Der Vorsitzende der Troll-Gewerkschaft, Ragnar Havelson, kritisiert die Berufsaussichten für Trolle. Jahrhunderte lang arbeiteten sie in niederen Berufen und erschreckten Menschen im Wald, waren dann im 20. Jahrhundert überwiegend von Arbeitslosigkeit und daraus resultierenden psychischen Problemen bedroht. Seit einigen Jahren werden sie in wenig lukrativen Jobs ausgebeutet, die durch die Digitalisierung entstehen.“ Er strich die Seite glatt und faltete sie akkurat zusammen.
„Und durch Corona wird unser Job als Internet-Troll nicht einfacher. Wobei, man braucht fast nichts mehr tun. Diese ganzen Impfgegner und Coronaleugner. Da genügt ein Kommentar bei Facebook und boom: Du hast eine schöne panische Hysterie. Ich bin echt froh, dass ich nicht wie mein Opa mit einer Keule im Wald rumlaufen muss. Ab morgen bin ich in der neuen Abteilung zur Störung von Videokonferenzen. Das wird ein Spaß.“
Esme schwieg vielsagend.
Trotz der Zuversicht, die er seiner Frau gegenüber hatte raushängen lassen, klappte er am nächsten Morgen mit Muffensausen seinen Laptop auf. Sein Boss wollte, dass er ordentlich Ärger stiftete, und beim Lehrgang für die neue Technik hatte er kaum aufgepasst. Doch das erste Meeting lief entspannt. Er schaltete sich in die Montagvormittag-Konferenz eines großen Konzerns, bei dem der Teamleiter über zwanzig Leute vor den Bildschirm gerufen hatte. Die Hälfte der Teilnehmer schien zu schlafen und er musste nur hin und wieder alle Mikros gleichzeitig einschalten, um ein kleines Chaos zu verursachen.
Danach folgte eine größere Herausforderung. Die Mitarbeiter eines Start-ups waren hoch motiviert bei ihrer Creative Brainstorming Session und kannten sich mit der Technik aus. Alle schienen sich einig, lobten gegenseitig ihre Ideen und versuchten sogar, sich untereinander zu motivieren. Bei so viel Harmonie wurde einem ja schlecht. Harvold knabberte an seinen gelben Fingernägeln und blätterte im Script seiner Fortbildung. Ahh, das war gut. Er teilte den Bildschirm von Andi, der trotz der flachen Hierarchie der Boss zu sein schien. Jetzt konnten alle Teilnehmer Andis Mails lesen. Praktischerweise hatte er gerade die geöffnet, in der er einem Kumpel die Vorzüge des Hinterteils der Praktikantin beschrieb. Hier war sein Job erledigt.
Dieser Trick funktionierte auch bei den nächsten beiden Konferenzen. Er teilte peinliche Mails und intime Fotos. Zack. Das lief wie geschmiert. Nachdem er zwei Brötchen mit Hack und Zwiebeln zum Mittagessen verspeist hatte, wurde es kniffliger. Er war einer Yogastunde zugeteilt und konnte auf den Endgeräten der Teilnehmer nichts Kompromittierendes finden. Er dachte sich einen neuen Plan aus. In dem Moment, als alle in einer komplizierten Pose verknotet waren, fror er den Bildschirm der Übungsleiterin ein. Für ein Augenblick genoss er es, wie sie fluchend versuchten, sich aus der Position zu lösen, und wütend auf ihre Geräte einhämmerten.
Einen Monat später las Harvold beim abendlichen Utgard-Bier seiner Frau aus dem Fabelwesen-Anzeiger vor: „Die neue Troll-Abteilung zur Störung der menschlichen Onlinekommunikation ist ein voller Erfolg. Laut eigenen Angaben sind inzwischen 98 Prozent aller Videokonferenzen ein Desaster. Ragnar Havelson geht davon aus, dass die Kommunikationsstörungen nach der Pandemie anhalten werden. Vor Journalisten sagte er: ‚Die Menschen dürfen sich nicht treffen, von Videoschalten sind sie genervt. Alle texten sich nur mit Nachrichten zu. Da sind Missverständnisse vorprogrammiert.‘ Die Sprecher der Kobolde und Gnome gratulierten den Trollen zu diesem Erfolg.“ Er nahm einen Schluck Bier. „Und dein Mann ist maßgeblich an diesem Erfolg beteiligt. Du könntest deinem Held ruhig einen Snack bringen.“
Esme sagte nichts und reichte ihm ein Mettbrötchen.
Doch dann wurde Harvold jäh vom Surfbrett auf seiner Welle des Erfolgs gerissen. Er wurde in das Büro seines Chefs zitiert, der auf ihn eindonnerte: „Was war da los? Zwei Konferenzen zum Thema Absatzzahlen und Profitoptimierung. Das sind Selbstläufer. Wie kann man die vergeigen? Sie haben nur zugesehen und gar nichts getan.“
„Aber niemand hat am Ende über die Zahlen gesprochen. Beim ersten Meeting ist ständig eine Katze auf den Tisch des Vorstandsvorsitzenden geklettert. Und bei dem Profit-Center-Meeting hat der Controller seine kleine Tochter in die Kamera gehalten und alle haben Babybreirezepte ausgetauscht.“
„Die Zahlen. Die sind mir doch egal. Die Mitarbeiter haben gelacht und wunderbar kommuniziert. Das ist ein Desaster.“
Harvold kratzte sich nervös am Hintern.
Nach einem Schluck Kaffee und einem kräftigen Rülpser schien sein Boss sich etwas zu beruhigen. „Naja, gegen Kinder und niedliche Tiere kann man nicht viel machen. Wir haben inzwischen sogar Firmen, die Alpakas mieten und sie zu den Videocalls dazu schalten. Da ist man quasi machtlos. Eine Chance bekommen Sie noch. Es geht um private Videoanrufe. Es ist essenziell, dass wir hier die Kommunikation stören. Wenn die Leute sich von ihren Familien und Freunden entfremden, sind sie anfälliger für den Quatsch, den die Kollegen in den sozialen Medien posten. Versauen Sie es nicht.“
Eine über 90-jährige in einem Pflegeheim wollte mit ihren Enkeln, die in Quarantäne waren, facetimen. Harvold war zuversichtlich. Wahrscheinlich würde sie nicht mal mit der Technik klarkommen. Es lief sogar besser als gedacht. Die Eltern hatten Mühe, die zappelnden Kleinkinder vor dem Laptop zu halten. Die Oma stammelte: „Bald hab ich die zweite Impfung. Dann könnt ihr mich besuchen.“ Über das Geschrei der Kinder war sie kaum zu verstehen und nach kurzer Zeit schwiegen sich alle an. Harvold wollte sich nicht wieder Untätigkeit vorwerfen lassen. Er entschied sich für einen Filter. Die Oma wurde mit lustigen Mausohren und Schnurrhaaren ausgestattet. Gekicher der Enkel war die Folge. Mist. Beim Versuch, den Filter auszuschalten, erwischte er den falschen Kopf und verpasste der Oma erst einen Elefantenrüssel und dann Fledermausflügel. Jetzt brachen die Eltern in Gelächter aus und der Videocall endete damit, dass die Oma den Enkeln vorsang. Es war ein Desaster.
Am nächsten Abend faltete Esme den Fabelwesen-Anzeiger auf und las: „Herber Rückschlag für die Antikommunikationsoffensive der Trolle. In den letzten Tagen ist die Kommunikationsfähigkeit der Menschen wieder deutlich gestiegen. Ein Sprecher der Kobolde forderte sofortige Gegenmaßnahmen.“
Esme zerknüllte die Zeitung, setzte sich auf den Sessel ihres Mannes und biss in ein Mettbrötchen. Sie genoss die freien Abende ohne Harvold. Der war in einem entfernten Wald mit der Keule unterwegs.
„Da hast du es wieder“, er tippte mit einem seiner vier Finger energisch auf die Seite und las ihr den Artikel vor: „Der Vorsitzende der Troll-Gewerkschaft, Ragnar Havelson, kritisiert die Berufsaussichten für Trolle. Jahrhunderte lang arbeiteten sie in niederen Berufen und erschreckten Menschen im Wald, waren dann im 20. Jahrhundert überwiegend von Arbeitslosigkeit und daraus resultierenden psychischen Problemen bedroht. Seit einigen Jahren werden sie in wenig lukrativen Jobs ausgebeutet, die durch die Digitalisierung entstehen.“ Er strich die Seite glatt und faltete sie akkurat zusammen.
„Und durch Corona wird unser Job als Internet-Troll nicht einfacher. Wobei, man braucht fast nichts mehr tun. Diese ganzen Impfgegner und Coronaleugner. Da genügt ein Kommentar bei Facebook und boom: Du hast eine schöne panische Hysterie. Ich bin echt froh, dass ich nicht wie mein Opa mit einer Keule im Wald rumlaufen muss. Ab morgen bin ich in der neuen Abteilung zur Störung von Videokonferenzen. Das wird ein Spaß.“
Esme schwieg vielsagend.
Trotz der Zuversicht, die er seiner Frau gegenüber hatte raushängen lassen, klappte er am nächsten Morgen mit Muffensausen seinen Laptop auf. Sein Boss wollte, dass er ordentlich Ärger stiftete, und beim Lehrgang für die neue Technik hatte er kaum aufgepasst. Doch das erste Meeting lief entspannt. Er schaltete sich in die Montagvormittag-Konferenz eines großen Konzerns, bei dem der Teamleiter über zwanzig Leute vor den Bildschirm gerufen hatte. Die Hälfte der Teilnehmer schien zu schlafen und er musste nur hin und wieder alle Mikros gleichzeitig einschalten, um ein kleines Chaos zu verursachen.
Danach folgte eine größere Herausforderung. Die Mitarbeiter eines Start-ups waren hoch motiviert bei ihrer Creative Brainstorming Session und kannten sich mit der Technik aus. Alle schienen sich einig, lobten gegenseitig ihre Ideen und versuchten sogar, sich untereinander zu motivieren. Bei so viel Harmonie wurde einem ja schlecht. Harvold knabberte an seinen gelben Fingernägeln und blätterte im Script seiner Fortbildung. Ahh, das war gut. Er teilte den Bildschirm von Andi, der trotz der flachen Hierarchie der Boss zu sein schien. Jetzt konnten alle Teilnehmer Andis Mails lesen. Praktischerweise hatte er gerade die geöffnet, in der er einem Kumpel die Vorzüge des Hinterteils der Praktikantin beschrieb. Hier war sein Job erledigt.
Dieser Trick funktionierte auch bei den nächsten beiden Konferenzen. Er teilte peinliche Mails und intime Fotos. Zack. Das lief wie geschmiert. Nachdem er zwei Brötchen mit Hack und Zwiebeln zum Mittagessen verspeist hatte, wurde es kniffliger. Er war einer Yogastunde zugeteilt und konnte auf den Endgeräten der Teilnehmer nichts Kompromittierendes finden. Er dachte sich einen neuen Plan aus. In dem Moment, als alle in einer komplizierten Pose verknotet waren, fror er den Bildschirm der Übungsleiterin ein. Für ein Augenblick genoss er es, wie sie fluchend versuchten, sich aus der Position zu lösen, und wütend auf ihre Geräte einhämmerten.
Einen Monat später las Harvold beim abendlichen Utgard-Bier seiner Frau aus dem Fabelwesen-Anzeiger vor: „Die neue Troll-Abteilung zur Störung der menschlichen Onlinekommunikation ist ein voller Erfolg. Laut eigenen Angaben sind inzwischen 98 Prozent aller Videokonferenzen ein Desaster. Ragnar Havelson geht davon aus, dass die Kommunikationsstörungen nach der Pandemie anhalten werden. Vor Journalisten sagte er: ‚Die Menschen dürfen sich nicht treffen, von Videoschalten sind sie genervt. Alle texten sich nur mit Nachrichten zu. Da sind Missverständnisse vorprogrammiert.‘ Die Sprecher der Kobolde und Gnome gratulierten den Trollen zu diesem Erfolg.“ Er nahm einen Schluck Bier. „Und dein Mann ist maßgeblich an diesem Erfolg beteiligt. Du könntest deinem Held ruhig einen Snack bringen.“
Esme sagte nichts und reichte ihm ein Mettbrötchen.
Doch dann wurde Harvold jäh vom Surfbrett auf seiner Welle des Erfolgs gerissen. Er wurde in das Büro seines Chefs zitiert, der auf ihn eindonnerte: „Was war da los? Zwei Konferenzen zum Thema Absatzzahlen und Profitoptimierung. Das sind Selbstläufer. Wie kann man die vergeigen? Sie haben nur zugesehen und gar nichts getan.“
„Aber niemand hat am Ende über die Zahlen gesprochen. Beim ersten Meeting ist ständig eine Katze auf den Tisch des Vorstandsvorsitzenden geklettert. Und bei dem Profit-Center-Meeting hat der Controller seine kleine Tochter in die Kamera gehalten und alle haben Babybreirezepte ausgetauscht.“
„Die Zahlen. Die sind mir doch egal. Die Mitarbeiter haben gelacht und wunderbar kommuniziert. Das ist ein Desaster.“
Harvold kratzte sich nervös am Hintern.
Nach einem Schluck Kaffee und einem kräftigen Rülpser schien sein Boss sich etwas zu beruhigen. „Naja, gegen Kinder und niedliche Tiere kann man nicht viel machen. Wir haben inzwischen sogar Firmen, die Alpakas mieten und sie zu den Videocalls dazu schalten. Da ist man quasi machtlos. Eine Chance bekommen Sie noch. Es geht um private Videoanrufe. Es ist essenziell, dass wir hier die Kommunikation stören. Wenn die Leute sich von ihren Familien und Freunden entfremden, sind sie anfälliger für den Quatsch, den die Kollegen in den sozialen Medien posten. Versauen Sie es nicht.“
Eine über 90-jährige in einem Pflegeheim wollte mit ihren Enkeln, die in Quarantäne waren, facetimen. Harvold war zuversichtlich. Wahrscheinlich würde sie nicht mal mit der Technik klarkommen. Es lief sogar besser als gedacht. Die Eltern hatten Mühe, die zappelnden Kleinkinder vor dem Laptop zu halten. Die Oma stammelte: „Bald hab ich die zweite Impfung. Dann könnt ihr mich besuchen.“ Über das Geschrei der Kinder war sie kaum zu verstehen und nach kurzer Zeit schwiegen sich alle an. Harvold wollte sich nicht wieder Untätigkeit vorwerfen lassen. Er entschied sich für einen Filter. Die Oma wurde mit lustigen Mausohren und Schnurrhaaren ausgestattet. Gekicher der Enkel war die Folge. Mist. Beim Versuch, den Filter auszuschalten, erwischte er den falschen Kopf und verpasste der Oma erst einen Elefantenrüssel und dann Fledermausflügel. Jetzt brachen die Eltern in Gelächter aus und der Videocall endete damit, dass die Oma den Enkeln vorsang. Es war ein Desaster.
Am nächsten Abend faltete Esme den Fabelwesen-Anzeiger auf und las: „Herber Rückschlag für die Antikommunikationsoffensive der Trolle. In den letzten Tagen ist die Kommunikationsfähigkeit der Menschen wieder deutlich gestiegen. Ein Sprecher der Kobolde forderte sofortige Gegenmaßnahmen.“
Esme zerknüllte die Zeitung, setzte sich auf den Sessel ihres Mannes und biss in ein Mettbrötchen. Sie genoss die freien Abende ohne Harvold. Der war in einem entfernten Wald mit der Keule unterwegs.
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