Tropifizierung des Gedichtes vom Heidenröslein

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Oft erhält man von seinem Lehrer die Aufgabe, ein Gedicht zusammenzufassen. Leider meist ohne ein passendes Werkzeug.

Ich habe eines entwickelt, einfach, robust und solide. Jeder versteht es. Es ist inspiriert von den Regeln der tropischen Algebra.

Jeder weiß, dass 2+2=4 gilt. Wirklich jeder? Und ist das nicht viel zu kompliziert?

in tropischer Addition gibt es zwei Lösungen, die in unserem Spezialfall gleich sind.

X=min (y,z) oder x=max(y,z).​

Ich übertrage das nun auf Verse in Strophen.
Beispiel Strophe S1...S4:

Johann Wolfgang von Goethe
Heidenröslein

S1
V1 Sah ein Knab’ ein Röslein stehn,
V2 Röslein auf der Heiden,
V3 War so jung und morgenschön,
V4 Lief er schnell es nah zu sehn,
V5 Sah’s mit vielen Freuden.
V6 Röslein, Röslein, Röslein roth,
V7 Röslein auf der Heiden.


S2
V1 Knabe sprach: ich breche dich,
V2 Röslein auf der Heiden!
V3 Röslein sprach: ich steche dich,
V4 Daß du ewig denkst an mich,
V5 Und ich will’s nicht leiden.
V6 Röslein, Röslein, Röslein roth,
V7 Röslein auf der Heiden.


S3
V1 Und der wilde Knabe brach
V2 ’s Röslein auf der Heiden;
V3 Röslein wehrte sich und stach,
V4 Half ihm doch kein Weh und Ach,
V5 Mußt’ es eben leiden.
V6 Röslein, Röslein, Röslein roth,
V7 Röslein auf der Heiden.

Ich fasse zusammen:

G=S1+S2+S3
mit S1= min(v1...v7)
mit S1= min(v1...v7)
mit S1= min(v1...v7)

Ich erhalte:

Heidenröslein (tropisch)

S1 > Röslein auf der Heiden.
S2 > Röslein auf der Heiden.
S3 > Röslein auf der Heiden.

In der Minimalversion.

oder


S1 > Sah ein Knab’ ein Röslein stehn,
S2 > Röslein sprach: ich steche dich,
S3 > Röslein wehrte sich und stach,

in der Maximalversion.

Das ist eine schülerfreundliche und leicht verständliche Zusammenfassung und ich würde immer die Min-Version vorziehen. Schon um Speicherplatz zu reduzieren.


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Anhang A

Zur näheren Erläuterung der Mathematik bei großer Hitze (Tropische Addition)

Tropische Addition (min-Version)
Definition:

2⊕4 = min (2,4)
Ergebnis:
2⊕4 = 2

→ Man wählt den kleineren der beiden Werte. Dies ist z. B. in bestimmten Optimierungsmodellen nützlich (etwa kürzeste Wege).

Tropische Addition (max-Version)
Definition:

2⊕4 = max (2,4)
Ergebnis:
2⊕4 = 4

Zur äußersten Verwirrung trägt bei:
Tropische Geometrie – Wikipedia

Anhang B

Faust, Zueignung (tropisch-minimale Fassung)

S1: > Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
S2: > Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;
S3: > Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
S4: > Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen, ...
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hier ist ein sehr einfaches Pythonprogramm.
Es läuft zum Beispiel in Colab.

Code:
def tropifizieren(text):
    # Zerteile den Text in Strophen – quasi poetische Häppchen, nicht mehr und nicht weniger
    strophen = text.strip().split('\n\n')

    tropifizierte_strophen = []
    for strophe in strophen:
        # Teile die Strophe in Verse – denn jede Zeile zählt (manchmal sogar mehr als der ganze Strophen-Longread)
        verse = strophe.strip().split('\n')
       
        # Finde den kürzesten Vers – der kleine, aber feine MVP der Strophe
        kuerzester_vers = min(verse, key=len)
       
        # Pack den MVP in unsere tropifizierte Sammlung – kurz, knackig, einprägsam
        tropifizierte_strophen.append(kuerzester_vers)

    # Gib alle MVPs mit Abstand raus – so dass sie nicht aufeinanderhocken wie unbeachtete Nebenrollen
    return '\n\n'.join(tropifizierte_strophen)


# Beispieltext: ein poetisches Menü zum Tropisieren
text = """Im Raum der leisen Schatten

Ein Flüstern webt sich durch die Zeit,
Unsichtbar, doch nah dabei.
Die Fragen tanzen weit und breit,
Im Dunst der Ewigkeit.

Ein Spiegel zeigt kein klares Bild,
Nur Schatten, halb und ganz.
Im Raum, der nichts entschieden will,
Liegt Freiheit, nicht Balance.

Die Wörter brechen leis’ entzwei,
Wie Splitter von Gedanken.
Was echt, was falsch, was Einerlei –
Ist kaum zu unterscheiden.

Ein Zylinder schweigt, doch spricht so laut,
Im Schweben liegt die Kraft.
Das Offene wird hier vertraut,
Wo Ordnung Staub erschafft.

Wir sitzen still am Rand des Seins,
Die Zeit wird weich und träge.
Die Welt verliert ihr strenges Kleid,
Erträgt die kleine Regung.

Im Raum, wo Zweifel König sind,
Wächst Mut, nicht Unsicherheit.
Das Nichtwissen, so klar gesinnt,
Wird Quelle und Geleit.

Ein Lächeln, das kein Mensch versteht,
Entsteigt dem Nebelmeer.
Ein Ton, der durch das Dunkel geht,
Schwebt frei und kommt daher.

Der Besucher tritt ein, verwirrt,
Von Fragen schwer bepackt.
Doch hier wird jedes Bild verirrt,
Jede Norm neu entfacht.

Die Unschärfe schützt das Leben,
Vor Glättung und Gesetz.
Sie lehrt uns, widerstreben,
Gibt Freiheit ihren Platz.

So atmet dieser Raum und webt,
Ein Netz aus Fragen fein.
Wer ihm vertraut, der sieht und lebt,
Im Schatten, hell und rein."""

# Voilà, hier kommt das Ergebnis – der kürzeste Vers jeder Strophe auf dem Präsentierteller
print(tropifizieren(text))
# Ende des Programms



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Ergebnis:


Im Raum der leisen Schatten

Im Dunst der Ewigkeit.

Nur Schatten, halb und ganz.

Wie Splitter von Gedanken.

Wo Ordnung Staub erschafft.

Erträgt die kleine Regung.

Wird Quelle und Geleit.

Entsteigt dem Nebelmeer.

Jede Norm neu entfacht.

Vor Glättung und Gesetz.

Ein Netz aus Fragen fein.
 
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