Über Verluste und die Ermittlung Holzer

GerRey

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Die Ermittlungen gegen Holzer hatten mich in einen kleinen Ort im Weinviertel geführt. Mein langjähriger Freund Dr. Basch bat mich darum, nachdem die Bemühungen der Polizei erschlafft waren und er keinen anderen vertrauensvollen Weg sah, seiner Mandantin bei der Wiederbringung ihrer Pretiosen - ein über Generationen vererbter Familienschmuck - behilflich zu sein. “Lass dir ruhig Zeit, Georg”, hatte Basch während seines Besuchs bei mir gesagt, es sei nicht so wichtig, einen schnellen Erfolg zu erzielen; es ginge mehr darum, den Schmuck sicher aufzuspüren. Und der Schlüssel dazu sei nun einmal Holzer.
Anfänglich hatte ich abgelehnt; was ginge mich der Scheiß an? Basch solle doch einen Profi-Ermittler anstellen.
Mit einem Dossier. das er mir auf den Tisch legte, ließ er mich dann wieder allein, um in den Geschäften seiner Kanzlei weiterzueilen. “Es wird dir guttun, eine Weile nicht im eigenen Saft zu schmoren”, hatte er noch gesagt, bevor er zur Tür hinaus war, und damit auch auf meine Beziehungsprobleme angespielt.
Die Antwort darauf hatte er allerdings nicht mehr abgewartet. Nach den ersten beiden Gläsern Whisky-Cola, die ich mir gab, als ich wieder alleine war, stach mir dann der Umschlag mit dem Dossier ins Auge, den Basch auf meinem Schreibtisch liegen gelassen hatte. Meine Neugier trieb mich hin. Ich öffnete die Akte. Darin waren Fotos von Holzer und dem gestohlenen Familienschmuck, aber auch Polizeiberichte, die beschrieben, was die Polizei über Holzer zusammengetragen hatte. Demnach war er schon mehrmals straffällig geworden. Eine zwanzigjährige Verbrecherkarriere mit mehreren Haftstrafen lag hinter ihm, als er in den Hotelsafe einbrach und den Schmuck einer Angehörigen aus ehemaligem Adel raubte. Danach war er spurlos verschwunden.
“Spurlos verschwunden?”, murmelte ich; niemand verschwand spurlos. Meine Gedanken begannen zu meiner Frau Eva abzudriften, die mit einem anderen Typen abgehauen war.
Ich atmete tief ein und holte mir noch ein Glas Whisky-Cola.
Den Unterlagen waren auch Zeitungsberichte beigelegt, die sich mit einem gewissen Konrad H. beschäftigten, wobei mit H. Holzer gemeint war. So stieß ich auf eine merkwürdige Geschichte, die sich ungefähr ein Jahr, bevor Holzer in die Stadt gekommen war, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Krems zugetragen hatte. “Unter dem Manhartsberg” hieß die Gegend noch zu Kaisers Zeiten, und der Manhartsberg bildete die Grenze vom Weinviertel zum Waldviertel. Seltsamerweise stammte die adelige Familie, deren Schmuck Holzer gestohlen hatte, auch von dort.
In dem Zeitungsbericht stand, dass Holzer vor 21 Jahren an der Kamp ein Stelldichein mit einer verheirateten Frau hatte. Beide wurden an der von ihnen ausgewählten Stelle von dem Mann der Frau überrascht. In dem anschließenden Handgemenge konnte Holzer fliehen. Die Ehefrau erschlug dabei ihren Mann im Affekt mit einer Sektflasche, die Holzer zum Liebesglück mitgebracht hatte. Sie bekam sieben Jahre Haft, während Holzer, der als Zeuge aussagen musste, danach aus der Gegend verschwand.
Das war doch was, dachte ich. Wie hieß die Frau? Juliane S.
Weitere Recherchen ergaben, dass Juliane S. ausgeschrieben Juliane Schönberger hieß.

War es nicht eher eine Art Urlaub, die mich hier meine Zeit verbringen ließ? Den Ausdruck “totschlagen” wollte ich mir nicht eingestehen, denn ich bekam ja Geld von Basch für diese Zeit, und das Totschlagen war auch eher das Metier der drei Männer, die mir in meiner Gasse plötzlich entgegenkamen - ich meine damit die Gasse, in der sich der Gasthof mit den Fremdenzimmern befand, in den ich mich auf der Suche nach Holzer einquartiert hatte.
Breit und grölend verriegelten die drei Rabauken mit ihren stämmigen Körpern den Durchlass, sodass ich gleich erkannt hatte, nachdem ich in die Gasse eingebogen war, dass es schlagfertig gegen mich gehen sollte, dass sie, die drei Männer, gegen mich angehen wollten. Da ich aber ein alter Arsch war, der Angst kaum kannte, trat ich in meiner Selbst noch bewusster und kühner auf und ging ebenfalls gegen die drei an, um zu sehen, zu welchen Gunsten das Kräfteverhältnis ausgehen werde.
Ich wäre auch viel lieber im Bett der Wirtin gelegen, in das ich bald fand, als ich eines der Fremdenzimmer gemietet hatte. Eingehüllt und beschützt von ihren Armen und schweren Brüsten, die mich meine Frau Eva mittlerweile vergessen ließen. Doch hatten mich die Ermittlungen gegen Holzer vorhin wieder in die Nacht hinausgetrieben, weg von dem weichen, mir bedingungslos zugetanen Körper und dem tiefen Atmen der schlafenden Frau. Heute war der Jahrestag, an dem Juliane Schönberger vor 21 Jahren ihren Mann erschlagen hatte. Und ich ging nach der Stelle an der Kamp, die damals Schauplatz gewesen war und die ich kürzlich über einen bereits pensionierten, ortsansässigen Polizisten ermittelt hatte. Natürlich hatte ich die Hoffnung, Holzer würde vielleicht auftauchen. Der Totschlag war seinerzeit gegen 22 Uhr gewesen. Aber als Holzer bis Mitternacht nicht kam, ging ich auch auf den Friedhof, dessen Mauer ich wegen der Nachtstunde übersteigen musste. Aber das Grab der Frau, die einige Jahre nach ihrer Haftentlassung verstarb und in einem eigenen Grab begraben wurde, war seit Jahren verlassen geblieben. Und nun versperrten diese drei Spießgesellen meine Rückkehr in das Bett der schönen Wirtin. Wahrscheinlich wollten sie gerade in den Gasthof eindringen, als ich um die Ecke gekommen war.
"Geh weg von hier", sagte der Anführer, der mit seinen Kumpanen möglicherweise von Holzer geschickt worden war, nachdem dieser erfahren hatte, dass ich ihm auf den Fersen war. Dieser Gedanke gab meinen Jagdinstinkten erneut einen Schub.
"Wir wollen dich hier nicht haben”, sagte wieder der Anführer. “Für die Lust unserer Weiber sorgen wir selber."
"Und was, wenn ich nicht gehe", ließ ich mich auf ihr Spiel ein.
"Ich versprech' dir, die Wirtin wird dich nicht vermissen." Sie begannen zu lachen. "Wir gehen anschließend alle drei gleich hoch zu ihr."
"Anschließend an was?"
"Sobald wir dir heim geleuchtet haben", sagte der Anführer und kam auf mich zu, während die anderen beiden Schläger einen Schritt hinter ihm gingen und seine beiden Flanken deckten, und dabei aussahen wie Kegel im Spiel, in dem der vordere Kegel-Bauer und die seitlichen Kegel-Bauern gleich nach zwei missratenen Würfen stehen geblieben waren - eine verzwickte Formation, die man sehr schwer mit einem Schub umwerfen konnte.
Ich musste es trotzdem probieren, und spannte meine Muskeln an. Es war klar, dass ich den Anführer in der Mitte so schneiden musste, um den Schläger links von ihm, gegen den ich ihn werfen wollte, zu behindern, was mir Zeit geben würde, den Schläger rechts von ihm auszuschalten. So musste ich schnell handeln, bevor sie zu nahe an mich herankamen.
Also rannte ich los, mitten in den Anführer hinein und gab ihm einen Bodycheck, der ihn gegen seinen linken Flanken-Angreifer warf. So bekam ich Luft und wandte mich mit einer Linksdrehung gegen den Angreifer der rechten Flanke, um ihn mit einem wuchtigen Faustschlag gegen seine Niere und mit einer linken Geraden auf seine Nase außer Gefecht zu setzen.
Der Anführer war von dem Schwung des Bodychecks gegen seine linke Flanke getaumelt und gefallen. Dadurch war dieser Angreifer ebenfalls ins Straucheln geraten und musste darauf achten, nicht zu stolpern. Da war es ein Leichtes für mich, ihn mit einem fürchterlichen Kinnhaken auszuknocken. Jetzt waren alle Kegel gefallen und ich konnte mich in Ruhe um den Anführer kümmern.
"Wer hat euch geschickt?!", schrie ich ihn an. "War es Holzer?"
"Ich kenne keinen Holzer", gab der Mann zurück.
Ich hob die rechte Faust, um ihm ins Gesicht zu schlagen. Doch er nahm abwehrend die Hände vor und stammelte:
"Uns hat es nicht gepasst, dass du jeden Abend zur Wirtin ins Bett kriechst. Wir haben ihren Mann schließlich nicht für dich verhaften lassen."
Das stimmte; der Mann der Wirtin war vor einigen Monaten verhaftet worden, weil er ein illegales Waffenlager angelegt und gegen das NS-Verbotsgesetz verstoßen hatte. Auch stiftete er mehrere Leute aus dem Dorf dazu an, gegen eine Flüchtlingsunterkunft in der Gemeinde vorzugehen.
“Ich wette, ihr wart bei dem Angriff auf das Flüchtlingsheim seine Komplizen”, sagte ich zu dem Mann auf dem Boden unter mir. Aber er sah mich nur blöd an.
Da öffnete sich im oberen Stock ein Fenster und eine weibliche Stimme rief auf die Gasse herunter:
"Ihr Besoffenen, schaut, dass ihr endlich nach Hause kommt, und du Georg, komm zu mir herauf, sofort!"
Wir richteten alle unsere Blicke nach dem erleuchteten Fenster hinauf und sahen darin den prächtigen Körper der Wirtin nackt stehen. Ich vergaß die eben stattgefundene Prügelei. Diese Frau war wie eine Droge, die einem allmählich das Hirn zersetzte. In der Ekstase, wenn sich ihre Blicke zu verschleiern drohten, riß sie plötzlich zwischendurch die Augen ganz weit auf, wobei die Pupillen hervortraten, als wäre sie eben zu einer Erkenntnis oder Erleuchtung gelangt. Anfänglich hatte mich das irritiert; jetzt liebte ich es.
“Ich komme”, rief ich zu ihr hinauf und ließ von dem Anführer der Schläger ab. Dann ging ich zur Tür des Gasthauses und holte meinen Schlüssel aus der Hosentasche. Sie wollte mich, einzig allein mich, bei sich im Bett haben. Was sollte ich da noch meine Zeit mit diesen Möchtegern-Totschlägern weiter verschwenden? Und auch Basch konnte Holzer von jemand anderen suchen lassen … Von einem, der williger und erfolgreicher war, nach dem Verschwundenen zu suchen.




22. Mai 2022

Im Vorgarten sind die Rosen in satten, vollen Kelchen und in rosaroter Farbe erblüht; der Schönsten unter ihnen gab ich Deinen Namen, liebste V.

06:00 walken; auf dem Rückweg eine Zeitung wegen dem Geburtstagshoroskop gestohlen: Die Sterne zeigen Güte. Jupiter hilft den Stress der letzten Wochen auszugleichen. Privat und beruflich ergeben sich Chancen. Anspruchsvoller wird es erst wieder im Herbst.
 



 
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