"...und der Fleischwolf dreht sich wieder!"

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DaniloRaemy

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"...und der Fleischwolf dreht sich wieder!"

Verdun, Oktober 1916

Irgendwo nahe Fort Douaumont

Es hatte wie aus Kübeln zu regnen begonnen, als ich und Kamerad Walter die Wache ablösen sollten. Wir bahnten uns geduckt unseren Weg durch das nicht enden wollende Labyrinth aus Schützengräben und behelfsmäßigen Unterständen, dass in diesem Frontabschnitt das bescheidene Quartier unseres Bataillons darstellte. Kalt, schmutzig, dafür aber zumindest stellenweise trocken.

Das Trommelfeuer hatte sich zwar auf einen anderen Abschnitt unserer Division verlagert, doch immer noch schlugen praktisch im Sekundentakt todbringende Geschosse aller Kaliber auf unsere Stellungen ein. Von der einfachen Gewehrkugel über die allgegenwärtige 75er bis hin zur alles erschütternden 155er Artillerie der Franzosen bekamen wir so gut wie alles ab. Seit Tagen schon stand unser Abschnitt unter pausenlosen Beschuss aus Stellungen, die vor kaum einen Monat noch uns gehört haben. Wie viele Männer wohl für diese wenige Hundert Meter Geländegewinn ihr Leben lassen mussten, wollte ich mir gar nicht erst vorstellen.

Die Erde bebte unter meinen Stiefeln, als ob alle Dämonen der Hölle gemeinsam einen Walzer tanzten. Der Tod lauerte an jeder Ecke, doch auch wenn unzählige Tonnen Eisen vom Himmeln regneten, so einfach kriegten sie uns nicht dran, dafür waren wir viel zu tief eingegraben,… sagten wir uns immer und immer wieder zur Beruhigung unserer ausgebrannten Nerven.

Wir erreichten das Schützenloch „Hotel Bellevue“, dessen nicht zufällig gewählter Name auf einer morschen Holzdiele neben dem Eingang zu finden war. Im Engen Abschnitt unserer Einheit war dieses Knapp 3 Meter tiefe, 5 Meter breite und an den Rändern mit Sandsäcken verstärkte Loch dem Feind am nächsten. Wie nahe? Das kann einem nur diejenigen erklären, die mutig genug waren, einen Blick ins Niemandsland hinter der Deckung zu werfen. Dumm nur, dass sie recht schnell zu reden aufhörten.

„Mahlzeit!“, begrüßte ich die beiden klitschnassen Herrschaften in dem Loch. Ich sah ihre müden Augen kurz aufblitzen, bevor sie sich in aller Eile wortlos aus dem Staub machten. So lange wie die wohl in ihrem Martyrium sassen, musste unser Kommen bei ihnen wohl dem Erscheinen eines barmherzigen Engels gleichgekommen sein.

Ich lehnte mich gegen eine der vielen Holzplanken und legte das Gewehr zur Seite. Ich rechnete Pi mal Daumen, wie lange unsere Schicht wohl dauern würde, wann unsere Mäntel mit Wasser vollgesogen und die erste Granate mitten vor unseren Gesichtern wohl in die Luft fliegen würde. Die Chancen standen zumindest für eine ordentliche Erkältung recht rosig aus. Jetzt hieß es ausharren und Geduld haben!

Da sassen wir also und waren schon nach wenigen Minuten komplett durchnässt. Wir vertrieben uns die verbleibende Zeit bis zu Ablösung mit ein wenig Plaudern. Was hätte man den schon Gros anderes tun können? Viel zu reden gab es aber leider nicht, denn wenn unsere Köpfe nicht von der puren Angst gelähmt worden ist, dann hatte eine seltsam erdrückende leere Besitz von uns ergriffen. Eine leere, die alles nahm der sie habhaft werden konnte. Sie verschlang, sie pervertierte aber gab nie etwas zurück. Sie war Fluch und Droge zugleich, denn wenn sie ihre Klauen von unseren Gemütern nahm, dann kehrte die quälende Erkenntnis der Realität wieder zu uns zurück.

„Sollen wir denn nicht mal nachsehen, was der Feind so treibt?“, fragte mich Walter mit einer sich sehr unsicher anhörenden Tonlage.

Ich sagte ihm offen und ehrlich meine Meinung. Ich hatte bestimmt nicht vor, mein Leben bei so einem riskanten Spiel auf Leben und Tod aufs Spiel zu setzen. Ich und die restliche Mannschaft der 3. Kompanie hatten uns bereits vor Tagen darauf geeinigt, dass es mittlerweile Selbstmord wäre, einen Blick auf die feindlichen Stellungen zu werfen. Der Franzose steckte in einer weit vorteilhafteren Position als wir und setzte entlang der ganzen Frontlinie Scharfschützen gegen uns ein. Mehr als nur die Lauscher aufzusperren lag für unsereiner im Moment also nicht drin, was in der Einheit einstimmig toleriert wurde. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, dass sich unser Haufen nicht von der „Marschall vorwärts“ Mentalität unserer Offiziere anstecken ließ. Immerhin durften wir uns schon bei mehr als nur einer Gelegenheit von den Tücken dieses seltsamen Krieges überzeugen. Helden lagen als faulige Leichen in irgendeinem Bombentrichter, also sei kein Held und mach keine Dummheiten, hieß es bei unserer Einheit einhellig.

Leider war Kamerad Walter ein Grünschnabel erster Klasse. Er und 20 weitere Frischlinge waren im Morgengrauen aus dem rückwärtigen Raum der Division als Ersatz für die Gefallenen der vergangenen Abwehrkämpfe bei uns eingetroffen. Wir hofften inständig auf Reguläre oder Reservisten, doch leider schickten sie uns junge Kerle, die vor wenigen Monaten vielleicht zum ersten Mal überhaupt eine Waffe abgefeuert haben. Naive Burschen, welche die Phrase „Für Kaiser, Gott und Vaterland“ selbst noch im Schlaf nachplappern würden, kämen sie überhaupt mal dazu, sich aufs Ohr zu hauen.

Es war vielleicht gerade mal eine Stunde vergangen, als Walter langsam anfing, mir auf die Nerven zu gehen. Dass ich die ganze Zeit ein Auge auf ihn werfen müsste, war mir spätestens klar geworden nachdem mir aufgefallen war, dass er ständig mit einem seltsamen Blick über den Rand des Schützenloches hinwegstarrte und dabei pausenlos den Zeigefinger in der Nähe des Abzuges bereithielt. Zwecklos, erklärte ich ihm. Erstens würde er die Franzosen bei all dem Beschuss nicht hören kommen und zweitens würden sie das Loch sowieso aus sicherer Entfernung mit ein paar Handgranaten säubern, bevor er auch nur die Gelegenheit bekäme, einen Schuss auf sie abzufeuern. „Geduld!“, versuchte ich ihm einzutrichtern- die bewährteste Prophylaxe gegen den Tod in diesen Tagen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen was man diesen Jungen Kerlen alles bei der Grundausbildung beigebracht hatte, dass sie mit chirurgischer Präzision sicher in ihr vorzeitiges Grab schicken würde. Leider vermochte ich nicht dem armen Walter seine Angst zu nehmen. Im Gegenteil. Das was ich mit den Franzosen und den Handgranaten meinte verschlimmerte seine Paranoia nur.

Durch das entfernte Donnern der Kanonen und das Rattern der Maschinengewehre hindurch drang von draußen plötzlich ein nasser Patscher in unser Loch. Ich hörte, wie Walter panisch einatmete und dabei sein Gewehr in den Anschlag nahm. Ich aber blieb in meiner Ecke. Was sich für das ungeschulte Gehör wie nasse Schritte auf morastigem Grund anhörte, war in Wirklichkeit nichts weiteres als verirrte Granatsplitter, die in irgendeinem Tümpel gelandet sind.

Ich riet ihm an, sich besser wieder zu beruhigen, doch ich konnte in seinen weit aufgerissenen Augen sehen, dass es dafür schon längst zu spät war. Als wenige Augenblicke später ein Metallfragment mitten im „Hotel Bellevue“ landete, schnellte Walter, ohne dass ich es hätte verhindern können, nach oben und feuerte einen ungezielten Schuss in die Richtung der Franzosen ab. Ich wünschte, dass ich ein paar Sekunden schneller reagiert hätte, denn noch ehe ich ihn an den Beinen packen und zu mir runter ziehen konnte, kam aus der Richtung der französischen Linien prompt die Quittung geflogen.

Ich hörte noch einen dumpfen Schlag, dann stürzte Walter rücklings zu mir ins verschlammte Loch hinab. An seiner rechten Schulter klaffte ein hässliches Loch, aus dem das Blut nur so herausquoll. Er sprach dabei kein einziges Wort, aber sein Gesichtsausdruck vermittelte mir alles, das ich wissen musste. Jetzt hatte mich die nackte Angst fest in der Hand. Ich schrie nach Hilfe und versuchte die Blutung irgendwie zu stoppen, doch ohne richtiges Verbandszeug war dies ein aussichtsloser Kampf gegen die Zeit. Ich war in dem Moment wirklich krank vor Sorge und zugleich unbeschreiblich wütend auf ihn. Warum hat er nicht einfach auf mich gehört und ist unten geblieben? War das wirklich so schwierig? Fühlt sich „sterben fürs Vaterland“ so an, wie du es dir vorgestellt hast?

Nach einer geschlagenen Ewigkeit, die wohl kaum länger als eine Minute gedauert haben dürfte, kam der wachhabende Offizier mit gezückter Pistole und ein paar Soldaten im Schlepptau zu uns ins Hotel Bellevue gestürmt. Er fragte hektisch, ob es einen Überfall gegeben hat. Ich schüttelte den Kopf und meinte nur, dass der Junge sich dem Feind wie eine Zielscheibe präsentiert hatte. Er und seine Leute zerrten Walter laut fluchend nach hinten ins provisorische Lazarett und ließen mich ganz alleine in dem Loch zurück.

Ich lehnte mich wieder gegen die nasse Holzplanke und starrte vollkommen von der Außenwelt abgeschottet auf meine Hände. Sie waren Rot und stanken nach Eisen. Mein ganzer Körper wurde schwach. Ich sackte zusammen und dachte für einen Moment, dass ich mich übergeben müsste. Ich atmete schwer und begann das Blut mit dem Wasser aus der Pfütze in der ich mich befand, wegzuwaschen.

Die Sonne musste sich jenseits des wolkenverdeckten Himmels bereits dem Horizont zugewendet haben, denn nicht lange nachdem Walter in Richtung Lazarett verschwunden ist, wurde es allmählich ganz schön dunkel in der zerbombten Landschaft. Ich hoffte inständig auf meine Ablösung, denn nach diesem Vorfall hielt ich es nur noch mit müh und Not alleine in diesem Loch aus. Als ich dann endlich Schritte hörte und mir dabei schon eine riesen Freude auf den halbwegs trockenen Unterstand machte, wurde ich gleich prompt wieder eines besseren belehrt.

Da kamen nicht 2, sondern nur einer, und er war leider auch nicht gekommen um mich abzulösen. Friedrich hieß der Knabe, der sich wortlos zu mir ins Loch setzte. Der neuen Uniform und dem strammen Gesichtsausdruck nach zu urteilen musste er wohl zusammen mit Walter am frühen Morgen bei uns eingetroffen sein. „Geduld“ sagte ich mir.

Sein Blick tastete abschätzend über mein Antlitz. Was ihm wohl durch den Kopf ging, als er dieses schmutzige Häufchen Elend sah, dass schwächlich in einer nassen Pfütze sass? Ich rappelte mich zusammen, stand auf und nahm mein Gewehr zur Hand.

Friedrich hörte mit seiner penetranten Observation auf und nickte in die Richtung der französischen Linien. „Der Leutnant will wissen, was der Franzose so treibt! Entweder du siehst rüber, oder ich tue es!“

"...und der Fleischwolf dreht sich wieder...", dachte ich mir nur.
 

Hagen

Mitglied
Hallo Danilo,
die Geschichte erinnert an In Stahlgewittern, das erste Buch Ernst Jüngers, und an das, was mir mein Großvater, der im ersten Weltkrieg vor Verdun gelegen hat, erzählt hat.
Bitte weiter so, es berührt mich.
Herzlichst
yours Hagen
 

rainer Genuss

Mitglied
Hallo Danilo,
auch von mir ein respektvoller Gruß und Lob, da dir hier eine kriegsfeindliche Geschichte gelungen ist, ähnlich dem Genre von "im Westen nichts Neues".
Irgenwie erscheint mir alles verwoben und verbunden. Mein Großvater war Munitionsträger in Verdun und kehrte mit schwersten Rückenverbrennungen, die Ladung geriet in Brand und dann für immer gezeichnet, nach Hause
Danke
rainer
 

DaniloRaemy

Mitglied
Hallo Danilo,
auch von mir ein respektvoller Gruß und Lob, da dir hier eine kriegsfeindliche Geschichte gelungen ist, ähnlich dem Genre von "im Westen nichts Neues".
Irgenwie erscheint mir alles verwoben und verbunden. Mein Großvater war Munitionsträger in Verdun und kehrte mit schwersten Rückenverbrennungen, die Ladung geriet in Brand und dann für immer gezeichnet, nach Hause
Danke
rainer

Hallo rainer

Da sag ich nur: vielen dank. Wenn ich es wirklich geschafft habe, eine lebendige Atmosphäre auf die Beine zu kriegen, dann freut mich das immens! Ich nehme an, dass die eine oder andere Geschichte aus jenen düsteren Tagen mit auf den Weg gegeben hat?
 

DaniloRaemy

Mitglied
Hallo Danilo,
die Geschichte erinnert an In Stahlgewittern, das erste Buch Ernst Jüngers, und an das, was mir mein Großvater, der im ersten Weltkrieg vor Verdun gelegen hat, erzählt hat.
Bitte weiter so, es berührt mich.
Herzlichst
yours Hagen
Hello Hagen

Hören zu dürfen, dass ich den erstickenden Zeitgeist jener finsteren Epoche getroffen habe, ist wohl der grösste lob, den ich entgegennehmen zu hoffen darf! Dir Hagen, vielen dank!
 



 
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