Unsere alte Badeinsel

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Blue Sky

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Der Weg von der Straße durch den Kiefernhain, dann die steile Stolpertreppe runter zum winzigen, windschiefen Kassenkabuff, ist noch genau so, wie ich ihn aus meinen Kindertagen und der Jugendzeit kenne. Anschließend führt er mich vorbei am Kiosk, na ja, es sind nun vielmehr die Überreste dessen. Die Erinnerung an seine Glanzzeiten schiebt mir aber trotzdem den Geschmack frischer, gut gewürzter Pommes mit Ketchup unter den Gaumen.
Beim Betreten der betagten Holzbrücke, welche schließlich auf den Badestrand hinüberführt, huschen die kleinen Fischchen fort ins Tiefere. Die werden ihre Angst wohl nie verlieren.
Da brennt mir auch schon der goldene Sand heiß unter den Füßen und mir fällt ein, dass wir einst an dieser Stelle immer an einer Wippe, einer Rutsche und einem rostigen Beobachtungsturm vorbeigeflitzt sind.
Die Schilfgürtel an den Ufern haben sich mächtig ausgedehnt. Es macht den Eindruck, Mutter Natur erobert sich diesen Ort mit aller Macht zurück und niemand leistet ihr dabei entscheidenden Widerstand.
In den Buchten, die in den See hineinführen, roch es einst oft nach Sonnencreme. Es lagen und tummelten sich hier viele Leute beieinander oder spielten ausgelassen. Nun finde ich gerade allein noch etwas Platz zwischen den hohen Weiden und dem dichten Strandhafer. Es ist hier auch nicht mehr so einladend, sich sorglos ausgelassen in die Fluten zu stürzen.
Dafür formt sich der Sand noch wie gewohnt unter meinem Körper und heizt mir durch die Kleidung ein.
An einem Pompesel hängt ein winziger Vogel und zwitschert aufgeregt. Er übertönt die seichten Wellen, die gemütlich an Land schwappen. Nur gelegentlich ist die Sonne kurz verhangen. Dabei spiegeln sich dann einige der kleinen Wolken auf der glitzernden Seeoberfläche.
Der Geruch des olivfarbenen Wassers lässt mich an meine Kumpels von früher denken, wie wir völlig ausgeflippt beim Spielen, planschend und tobend die Zeit vergaßen. Darüber merkten wir auch nie, wie uns die Sonne den Pelz verglüht hat. In diesen Gedanken versunken und träumend mache ich‘s mir gemütlich, die altvertrauten Geräusche lassen mich entspannen.

Ein kleiner dunkler Punkt fällt mir in den Blick, der auf dem Wasser, weit drüben, kurz vor dem gegenüberliegenden Ufer vor sich hin dümpelt. Langsam aber stetig bewegt er sich fort. Ist es ein Schwimmer, ein verlorener Ball, eine Ente oder ein Haubentaucher, der wie aus dem Nichts erscheinen kann … Ha, vielleicht ist es ein Seeungeheuer?
Mit den Minuten wird der Punkt größer und deutlicher. Es ist ein Mensch. Er schwimmt in meine Richtung, kommt direkt auf mich zu.
Plötzlich ist meine Ruhe passé, ich spüre meinen Herzschlag schneller werden. Der Tag wird noch einmal heller, die wenigen Wolken lösen sich vollständig auf. Die Person erreicht die flache Zone, erhebt sich und öffnet ihr langes, dunkles Haar. Sie streicht mit den Fingern hindurch und schwingt sie herum über ihre Schulter. Es rahmt sie ein Tropfenschleier.
Was für ein Film läuft hier denn gerade? Ich kann es nicht glauben, die Szene ist erregend, sogleich darauf platschen mir schon kühle Wassertropfen ins Gesicht und aufs T-Shirt. Sonja…? Wahrlich, sie ist es, und ihr Lächeln umarmt mich sofort ganz sanft. Sonnenstrahlen knallen mir direkt ins Gesicht, als sie ihren Kopf schieflegt. Zusammen mit dem erfrischend frechen Ausdruck ihrer Augen, von dem ich mich in frühester Jugend schon nicht abwenden konnte, drückt es mich überwältigt zurück in den Sand.
Ihrem Zauber sofort wieder erlegen, er hält mich fest in seinem Bann. Die kleinen Grübchen auf ihren Wangen blitzen mir direkt ins Herz und wühlen altes Begehren hervor.
»Hey!«, höre ich, »was liegst du hier so faul rum? Komm schon, rein ins Wasser! Oder hast du das Schwimmen verlernt?“«
»Habe keine Badehose dabei«, kommt mir nur drucksend holperig über die Lippen. Ihr Lachen darauf sägt an meiner Schüchternheit und ein sanfter Tritt gegen meinen Oberschenkel verstärkt ihre Worte: »Was soll das denn jetzt? Du hast dich doch nie so geziert!« Sie legt ihren Kopf zur anderen Seite und zieht dabei die Schleifchen ihres Bikinis auf. Mein Atem stockt, dafür überschwemmt mich Verwirrung und ich traue mich nicht aufzusehen. Am Handgelenk zieht sie mich hoch und zupft an meinem Shirt herum. »Los mach schon …!«, stachelt sie mich an. Mit ihrer Reaktion im Blick ziehe ich das Shirt über meinen Kopf und schiebe langsam meine Hose über die Hüften. „Dabei warst du auch mal schneller!“, drängt sie. In der Hoffnung eine etwaig peinliche Reaktion meines Körpers zurückhalten zu können, wage ich sie zu betrachten.
Zuletzt sahen wir uns vor etwa fünfzehn Jahren, da waren wir zwölf oder gerade dreizehn. Nun aber schnürt mir ihr Anblick die Kehle zu. Es treibt mich ins Wasser und mit einem Schubs von ihr klatsche ich rückwärts ins lauwarme Nass. In ihrem Schwitzkasten holt sie mich wieder hoch. Das Schwimmen um die Wette gewinnt sie leicht, ich dafür das Tauchen. Das Wasser spritzt, rauscht und platscht. Lange Zeit hatte ich nicht mehr so viel Spaß und bekomme vor Lachen kaum noch Luft. Sonja ist immer noch dieses aufreibend heitere Wesen und sie fühlt sich verdammt gut an.
Erschöpft krabbeln wir an Land und auf einmal weht mir ein Duft von Süßigkeiten um die Nase. Der Kiosk hat auf. Sonja nickt zwinkernd in dessen Richtung. »Los komm!«, ruft sie mit einem Stoß mit ihrem Ellenbogen gegen meinen Oberarm. Mein großes weißes T-Shirt gleitet über ihren Kopf und ich schlüpfe hastig in meine Jeans. »Wer ist erster!?«
Wie üblich ist sie schneller. Dieses Mal lässt sie mich aber aufholen und Hand in Hand geht‘s weiter. Nach dem obligatorischen Schälchen Fritten sorgt selbstverständlich ein Brauner Bär für Erfrischung. Mit Schleckmuscheln und einem Stapel Esspapier als Marschverpflegung spazieren wir zurück ans Wasser. Haut an Haut aneinander liegend zieht sie eine Weingummischlange unterm Shirt hervor. Mit einem Ende der Schlange im Mund fordert sie: »Wetten wir, wer das meiste abkriegt?« Albernd und uns gegenseitig neckend ziehen wir sie in die Länge, knabbern mampfend bis unsere Lippen sich begegnen. In ihren Augen kann ich in das leuchtende Blau des Himmels schauen. Ruhiger und achtsamer wird unser Spiel. Langsam schiebt sie ihren Arm über meine Schulter. Ihre Haut fühlt sich kühl an. Ich streichle sanft über ihren Oberarm und hoffe, sie mit meiner Hand ein wenig wärmen zu können. Sie wendet sich mir zu und auch ich drehe mich enger an sie. Die Schläge ihres Herzens versenken mich in tiefer Rast und erfüllter Entspannung. Ihr Atem vereinigt sich mit meinem, zunehmend gleichmäßiger und inniger. Im Duft ihrer Haut gleite ich hinein in süße Träume.

Fröstelndes Schütteln lässt mich aufschrecken und hochfahren. Der letzte Rand der Sonne taucht gerade hinter die Baumkronen am Horizont ab. Sonja … Wo ist sie? Eben war sie doch … Nicht der kleinste Hinweis ist mehr zu finden, dass sie bei mir war.
Auf dem See bewegt sich nichts. Sand rieselt aus meinen Klamotten und ich lasse meinen Blick noch einmal über den Baggersee streifen. Es ist keine Menschenseele weit und breit, nur noch Stille um mich herum. Schritt um Schritt versinken meine Füße im Sand. Kreisende Gedanken um sie begleiten mich auf dem einsamen Weg. Auf der morschen Brücke angekommen, sehe ich sie plötzlich in einer Warteschlange vor dem Kiosk anstehen. Sie winkt mir und ich höre mich selbst, wie ich ihr zurufe, ob sie mir für fünfzig Pfennig Gummiteile mitbringen kann. Die Seifenblase zerplatzt sogleich wieder und die Ruine erscheint außer Betrieb, heruntergekommen, vernagelt.

Oben auf der Straße, knapp vor dem Parkplatz, rollt ein Auto neben mich. Mit kurzem hellem Quietschen hält es an und die Scheibe fährt runter. Eine Stimme klingt heiter und amüsiert: »Na … hast du mal in alten Zeiten gebadet?« Himmlisch klare blaue Augen schauen zu mir auf und tief in meine. »Es ist ja eine Ewigkeit her, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Hatte lange gewartet und gehofft, du würdest dich mal melden.«
»Sonja … Gerade habe ich … Was für eine schöne Überraschung! Ja, äh, ich war mir nie sicher ob...«
»Hättest du vielleicht gerade etwas Zeit und Lust, mit mir etwas essen zu gehen?«
»Für dich nehme ich mir alle Zeit der Welt. Sehr gerne begleite ich dich. Sag mal, du wohnst noch da hinten, die Straße runter, kurz vor der Kreuzung?«
»Ja, genau wie damals, los, steig ein!« Gerade fällt neben mir die Beifahrertür ins Schloss, da sagt sie: »Ich finde es richtig klasse, dich getroffen zu haben. Tolle Gefühle rauschen gerade im Wildwasser durch meinen Bauch. Morgen ist doch Samstag, wenn es da auch schön ist, können wir doch einmal wieder zusammen runter zum See, baden gehen, was meinst du …?«
»Für mich ist es gerade auch unglaublich aufregend. Habe gerade daran gedacht und nichts würde ich lieber tun. Vielleicht macht ja sogar der Kiosk für uns auf?«
»Der ist schon seit sehr vielen Jahren geschlossen. Unser geheimnisvolles Glück ist aber vielleicht ja weiter bei uns?«
 

petrasmiles

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Lieber Blue Sky,

da hast Du eine wunderbare Jugenderinnerung auferstehen lassen und die Schilderung der Natur und der Atmospäre ist Dir gut gelungen.

Für mich hätte es nach dem Erwachen enden können, noch die Fata Morgana am Kiosk und dann zurück in die Realität, ein paar Gedanken vielleicht darüber, ob man geworden ist, der man damals sein wollte oder so - oder der Vorsatz, mal zu schauen, was aus der Sonja geworden ist und ob man sich mal meldet ...

Du hast Dich anders entschieden und Sonja in die Realität geholt, ok, aber dann der letzte Satz, da kippt es für mich ins Unglaubwürdige, denn keiner von beiden wird fünfzehn Jahre auf diese Begegnung hin gelebt haben, aber danach hört es sich an, wenn sie vom 'geheimnisvollen Glück' spricht - oder fehlt mir da die Phantasie?

Liebe Grüße
Petra
 

Blue Sky

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Lieber Blue Sky,

da hast Du eine wunderbare Jugenderinnerung auferstehen lassen und die Schilderung der Natur und der Atmospäre ist Dir gut gelungen.

Für mich hätte es nach dem Erwachen enden können, noch die Fata Morgana am Kiosk und dann zurück in die Realität, ein paar Gedanken vielleicht darüber, ob man geworden ist, der man damals sein wollte oder so - oder der Vorsatz, mal zu schauen, was aus der Sonja geworden ist und ob man sich mal meldet ...

Du hast Dich anders entschieden und Sonja in die Realität geholt, ok, aber dann der letzte Satz, da kippt es für mich ins Unglaubwürdige, denn keiner von beiden wird fünfzehn Jahre auf diese Begegnung hin gelebt haben, aber danach hört es sich an, wenn sie vom 'geheimnisvollen Glück' spricht - oder fehlt mir da die Phantasie?

Liebe Grüße
Petra
Hi Petra,
danke für deine Lesezeit und fürs Feedback mit der Darlegung deiner Meinung zu diesem Text.:)

fehlt mir da die Phantasie?
Du stellst deine Fantasie infrage? Ich denke, sie ist da und funktioniert sehr gut, denn ...
dann zurück in die Realität, ein paar Gedanken vielleicht darüber, ob man geworden ist, der man damals sein wollte oder so - oder der Vorsatz, mal zu schauen, was aus der Sonja geworden ist und ob man sich mal meldet ...
... Das sind doch genau die Gedanken, die man sich in der Szene machen würde. Find ich schon fast perfekt.

keiner von beiden wird fünfzehn Jahre auf diese Begegnung hin gelebt haben, aber danach hört es sich an, wenn sie vom 'geheimnisvollen Glück' spricht
Ich denke an dieser Stelle wie du, es leben nicht viele Leute nur auf diesen ihren einen Glückstreffer hin.
Es wird aber mit Sicherheit welche geben die ihn immer im Hinterkopf mit sich tragen und die Hoffnung darauf nicht aufgeben. Und ab und zu passiert er vielleicht auch mal.;)


LG
BS
 



 
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