Unter Beobachtung
12. Teil
57
Gerade als sie damit fertig waren, sah er, wie die ersten der anderen Gruppe ins Wasser sprangen. Er fragte von seinen Leuten das Okay ab und deutete dann die Richtung an, in die sie tauchen wollten. Pitt zeigte durch Handzeichen, dass er doch mit seinen Freunden weiter tauchen wolle und blieb im Sand knien, um auf sie zu warten. Andreas formte mit den Fingern das Okay als Zeichen, dass er es verstanden hatte.
Die anderen ließen etwas Luft in ihre Westen, erhoben sich so vom Grund und tarierten sich neu aus.
Die beiden folgte ihrem Guide zur Riffwand und begann ihren eigentlichen Tauchgang.
An der Stelle, wo die Riffwand abrupt nach rechts weiterführte, löste sich Andreas von ihr und tauchte Richtung Westen weiter. Dabei achtete er nicht nur auf seinen Kompass, sondern vor allem auf die Uhrzeit. Er beschleunigte etwas, um nicht direkt in den Korallengarten fallen zu müssen, sondern tauchte dafür die nordwestlich liegende Sandfläche seitlich von Erg an, auf die Sebastian beim Briefing als Anhaltspunkt hingewiesen hatte.
Als die von ihnen eingeschätzte Zeit heran war, wurden seine Bewegungen langsamer und er tauchte nur noch sehr unkonzentriert. Auch Kasim wurde plötzlich müde und ihn schien seine Kraft zu verlassen, bis beide schlaff, nur gehalten von der Luft in ihren Tarierwesten, da hingen und von der leichten Strömung zurückgetragen wurden.
Doch unmerklich beobachteten beide Männer dabei die Frau. Andreas drehte sich noch, als hätte er die Orientierung verloren, zu ihr um, dann sackte er ganz in sich zusammen und begann langsam zu Boden zu sinken. Die Frau blieb noch eine Weile über ihm und schaute, sich absichernd, zu dem anderen Taucher um. Dann drehte sie sich einmal um sich selbst, um zu sehen, ob sie allein war. Sie zog ein Messer aus ihrer Jacketttasche, ließ Luft aus ihrer Tarierweste und tauchte mit dem Messer ausholend nach unten zu Andreas.
Als sie zustechen wollte, drehte er sich blitzschnell um und hielt sie am Handgelenk fest. Mit großen, wütenden Augen sah Steffi den Mann an und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Als ihr das nicht gelang, holte sie, unbemerkt von ihm mit der linken Hand, eine Art kleinen Pfeil aus einer Seitentasche ihres Jacketts und stieß damit kraftvoll zu. Vom Schmerz überrascht ließ Andreas die Frau los, was sie sofort für einen erneuten Angriff nutzte. Doch da war schon Kasim da und mischte sich in den Kampf ein. Auch er wurde von den Waffen der Frau verletzt und merkte den brennenden Schmerz, doch sie gaben nicht nach und konnten die Angreiferin überwältigen. Andreas gab dem jungen ägyptischen Marinetaucher die Kabelbinder, damit er sie fesseln konnte. Er zog in der Zwischenzeit ein Notpack aus seinem Taschengurt, jagte Kasim schnell, ohne Vorwarnung, eine der weiß grün gestreiften Ballonspritzen in den Oberschenkel und drückte sie langsam aus. Dann spritzte er sich selbst.
Nach kurzer Zeit wollte Andreas durch Zeichen von ihm wissen, ob alles okay sei. Zusätzlich fragte er durch Handzeichen ab, ob seine Wunden stark brennen. Kasim verneinte das. Erleichtert atmete Andreas auf. Er zeigte ihm an, dass er mit der Frau zum Boot zurückkehren sollte. Er selbst würde zur anderen Gruppe tauchen. Kasim hatte verstanden, schaute auf den Kompass und tauchte mit der Frau im Schlepp los.
Schon von Weitem sah Andreas eine dicke Säule von Luftblasen aufsteigen, die darauf hindeuteten, dass dort mindestens eine Flasche gerade den gesamten Inhalt an Druckluft verlor. Mit kräftigen Flossenschlägen näherte er sich der miteinander kämpfenden Gruppe und stellte schnell fest, dass die beiden Männer eine andere Taktik als die Frau angewendet hatten. Sie hatten sich nicht nur auf Sebastian gestürzt, sondern einen Rundumschlag versucht, um so viele Luftschläuche wie möglich zu kappen, bevor die anderen reagieren konnten.
Anders gesagt, waren die beiden Angreifer gut ausgebildete Unterwasser-Nahkampfexperten. Zwei seiner Freunde hatten bereits Mundstücke von kleinen Notluftpatronen zwischen den Zähnen. Schnell mischte er sich in den gerade erst begonnenen Kampf ein. Dabei entgingen ihm nicht die leichten Verletzungen seiner Freunde. Nach wenigen Minuten konnten sie die beiden Männer, die sich bis dahin erfolgreich gewehrt hatten, überwältigen und fesseln. Die Männer spritzten sich vorsorglich das Serum gegen das Nervengift, welches auch diese Kerle verwendet hatten. Andreas versorgte in der Zeit Hasan damit.
Sebastians und Pitts Luftvorrat in den Notluftpatronen war aufgebraucht. Sie bekamen sofort die Patronen von Thomas und Andreas. Die anderen vier schleppten die beiden Angreifer schon Richtung Süden zurück, als sie über sich den Bootsmotor hörten.
Andreas gab den Jungs das Zeichen zum Auftauchen. Wobei es die Taucher mit den Gefangenen besonders schwer hatten, da die sich noch immer zu wehren versuchten. Andreas und Sebastian wurde es nach einer Weile zu bunt und sie verpassten den beiden wie auf Kommando, gleichzeitig, ein sicheres K.O.. Damit stand einem ruhigen und sicheren Auftauchen nichts mehr im Wege.
Die beiden Kerle wurden an Bord gehievt und neben die Frau aufs Deck gelegt. Als alle wieder auf dem Boot waren, nahm der Kapitän Fahrt auf und sah zu, dass er schnell von dem schon gefährlich nahen Riffdach wegkam. Er fuhr zurück zum alten Ankerplatz und Ahmed machte fest.
Nachdem der Frau die Verletzungen der Männer aufgefallen waren, lachte sie verächtlich auf. „Ihr Schweine krepiert sowieso und das qualvoll!“, schrie sie laut.
Doch die Freunde lächelnden sie nur bedauernd an.
„Meinst du wegen des Nervengiftes an euren kleinen Messerchen?“, fragte Andreas sie. „Wach auf. Dagegen gibt es schon was. Und wie der Zufall es so will, wir haben es sogar dabei und uns schon gespritzt.“
Die Augen der Frau weiteten sich, dann spuckte sie vor ihm aus. Doch Andreas machte nur einen Schritt zur Seite, damit es ihn nicht traf. „Okay, Jungs“, sagte er dann fröhlich, ohne weiter auf die drei Gefesselten zu achten, „machen wir Wundenschau. Wer die wenigsten hat, gibt heute Abend einen aus.“
Sie gingen, nachdem sie ihre Ausrüstung und Anzüge abgelegt hatten, in den Salon und ließen die drei Gefangenen einfach draußen liegen. Andreas wusste aus Erfahrung, dass die erste Dosis des Gegenmittels nicht reichen würde und teilte dies auch seinen Kameraden mit. Die Männer verabreichten daraufhin ihren ägyptischen Freunden und sich selbst eine weitere Dosis.
Ahmed hatte den Koffer aus seiner Kajüte schon nach oben gebracht und auf den Tisch gelegt. Doch gerade als Sebastian ihn öffnen wollte, brach Andreas zusammen. Im letzten Moment erreichte er noch die Bank und setzte sich, wo ihn Pitt sofort stützte und besorgt ansahen.
„Ups, die Wirkung von Superman ist wieder weg“, meinte Andreas leise zu seiner Entschuldigung. Fragend sahen die Männer Sebastian an, der in aller Ruhe eine Spritze aufzog. Sie sahen zu, wie sich Andreas ganz selbstverständlich nach vorn beugte und Sebastian die Nadel, direkt neben einer hässlichen Narbe, genau zwischen zwei Wirbel setzte und den Inhalt der Spritze nur sehr langsam ausdrückte.
„Ist ein Wundermittelchen vom lieben Doc Mechier, was den Kerl hier sozusagen in Bewegung hält“, erklärte Sebastian den drei Freunden, die ihn noch immer besorgt und fragend ansahen. Dann zog er eine zweite Spritze auf und drückte sie seinem Freund in den Oberschenkel, dass er leicht aufstöhnte.„Blödmann, das war schon wieder der Knochen!“, beschwerte der sich. „Alte Zimperliese“, gab Sebastian zurück und ein Schmunzeln zeigte sich auf den Gesichtern seiner Freunde. Die fünf Männer kümmerten sich zuerst um die kleinen Verletzungen ihrer beiden ägyptischen Freunde. Erst danach versorgten sie sich selbst und gegenseitig. Das beeindruckte die Ägypter sehr. Vor allem, weil die Männer sich dabei auch immer wieder einen Spaß erlaubten und Witze machten. Als alle verarztet waren und sie wieder Ordnung geschaffen hatten, gab es Essen, worauf sich alle schon freuten. Sie waren mitten dabei, als Sebastians Handy klingelte.
„Ja, hier wir beim Essen“, meldete er sich lustig. „Ach, du bist es, Bussard. Grüß dich und danke, dass du uns die Jungs geschickt hast. Ohne sie hätten wir gerade verdammt alt ausgesehen. Wir hatten es mit gut ausgebildeten Unterwasserkämpfern zu tun.“
„Das freut mich. Aber nun höre mir gut zu und lasse dir nichts anmerken. Nehmt sofort Eric Thomson fest.“
„Was sollen wir? … Moment, ich stell’ mal laut“, sagte Sebastian schon neugierig auf das, was da gleich von Jens kommen würde. „Eric ist übrigens nicht hier und die Jungs interessiert bestimmt auch, was du zu sagen hast. Mir glauben sie vielleicht sonst nicht.“ Sebastian stellte laut und legte das Handy auf den Tisch. „So, Jens, wir sind alle ganz Ohr. Fang noch mal von vorn an“, bat Sebastian.
„Hallo Jungs, ich möchte, dass ihr sofort Eric Thomson festnehmt und festhaltet, bis ich morgen da bin.“
„Warum denn das?“, wollte Andreas erstaunt wissen.
„Weil er nicht Eric Thomson sein kann. Könnt ihr euch noch an den Fund der stark verstümmelten Leiche vor etwa drei Jahren auf dem Truppenübungsplatz erinnern? Unsere Kollegen von Kripo und Gerichtsmedizin haben nämlich seit der Zeit diese Leiche noch bei sich im Keller liegen, die sie erst jetzt einwandfrei als Eric Thomson identifizieren konnten und mich deshalb sofort informiert haben. Das war genau vor fünf Minuten.“
„Wer ist dann der Thomson, den wir kennen?“, fragte Pitt.
„Das wüsste ich auch gern. Auf jeden Fall einer, der Erics guten Leumund genutzt hat, um sich eine Ausbildung in unserer Einheit zu erschleichen. Also wo ist er, wenn er jetzt nicht bei euch ist?“
„Andy und Sebi haben ihn heute früh wegen ungebührlichen Verhaltens rausgeschmissen“, antwortet Pitt und sah dabei seine Kameraden an.
Doch Sebastian und Andreas waren leichenblass geworden und sahen sich fassungslos an. „Kim und Anne!“, schrien sie fast gleichzeitig und sprangen auf.
Sebastian lief vor zum Bug und kappte einfach mit seinem Messer die Seile, während Andreas zum Steuer hochlief und die >Amun Re< mit Vollgas um das Riff, Richtung Hafen steuerte. Als Rashid aufs Oberdeck kam, übergab er ihm das Ruder. „Mach weiter Vollgas, Rashid“, bat er. Der Kapitän nickte seinem Freund ernst zu und steuerte sein Boot auf kürzestem Kurs zum Hafen.
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Als Sebastian und Andreas zurück in den Salon kamen, war Jens noch immer am Telefon. Sebastian und Andreas klärten ihn und ihre Freunde schnell auf, dass sie befürchteten, dieser Mann könnte die beiden Frauen in seiner Gewalt haben. Sie erzählten, wie er sich am Vormittag verhalten hatte und dass sie zwar verwundert waren, als er sich, ohne sich zu rechtfertigen, sofort verzog, sie sich aber nichts dabei gedacht hatten. Was nun anders aussehen würde. „Dieser Mann hat das Vertrauen von Doktor Mechier, weil er zu uns gehörte. Also wird ihn der Doc auch reingelassen haben, ebenso wie die Wachen, die ihn ja mit uns gesehen hatten“, erklärte Sebastian.
Sofort zogen sich die Männer an, räumten den Tisch ab, obwohl sie eigentlich noch nicht aufgegessen hatten und hungrig waren. Während die Verbindung zu Jens noch stand, rief Andreas von seinem Handy aus im Lazarett an. Doktor Abdul Mechier war sofort am Apparat.
„Ja, hier Mechier“, meldete sich der Arzt. „Braucht ihr meine Hilfe? Wo seid ihr? Ich bin schon unterwegs.“
„Nein, Doc, danke“, antwortete Andreas und fragte dann ernst: „Ist Eric bei dir?“
„Nein, nicht mehr. Er war heute früh noch mal hier. Ich habe mich schon gewundert. Aber er sagte mir, du hättest ihn geschickt.“
„Und, was wollte er?“
„Zu Anne und Kim. So, wie ihr es ihm aufgetragen hattet.“
„Und?“, wollte Andreas nun schon leicht nervös geworden wissen.
„Er war zwei Stunden bei ihnen und ist dann wieder gegangen.“
„Und wie geht es Kim und Anne?“, fragte nun Sebastian besorgt.
„Ich weiß nicht. Eric hat gesagt, sie wären wohl sehr müde und wollten nicht gestört werden. Soll ich mal nachschauen gehen?“
„Ja“, riefen beide gleichzeitig.
Aber noch lauter schrie Pitt: „Nein! Auf gar keinen Fall! Haltet euch von den Zimmern fern! Alle!“
Jetzt sahen alle Pitt erschrocken an. Er war der Sprengstoffexperte der Gruppe und sie wussten genau, was er vermutete.
„Doc“, meldete sich Andreas nun leise und um Fassung bemüht, „du hast es gehört. Keiner nähert sich den Zimmern der Frauen. Macht einen großen Bogen drumherum. Wir sind bald da.“ Dann trennte er die Verbindung und die beiden Männer sahen Pitt entsetzt an.
„Eric hatte etwas Spielzeug von mir mit in sein Gepäck bekommen. Und wenn er hier zu der Bande gehören sollte, dann kommt er leicht an den Rest ran, damit es verdammt laut werden kann. Also ist es sicherer, erst mal etwas vorsichtig zu sein, bevor wir irgendeine Tür öffnen“, erklärte Pitt.
„Scheiße“, sagte der Rest der Truppe gleichzeitig.
Jens Arend hatte alles am Telefon mitgehört. „Ich setze mich gleich hin und informiere die ägyptischen Behörden. Ich gebe zu den Daten vorsichtshalber auch eine Personenbeschreibung von Eric oder wie immer der Kerl richtig heißt, durch. Ich drücke euch die Daumen und bin morgen da. Ich habe ein paar Anrufe zu erledigen. Also macht keinen Blödsinn und haltet die Ohren steif wie immer. Bussard Ende“, sagte Jens und hatte kurz drauf auch schon die Verbindung getrennt.
Uwe holte einen Schreibblock aus seinem Gepäck und legte ihn vor Sebastian und Andreas hin.
„Wo sind die Zimmer der Frauen? Wie sind sie eingerichtet und was liegt drumherum?“, forderte Pitt sie auf und reichte ihnen einen Stift.
Andreas brauchte nicht lange zu überlegen, er kannte durch seinen langen Aufenthalt im Lazarett jeden Winkel des Hauses und fertigte einen guten Grundriss an. Er machte zwei Kreuze dahin, wo die beiden Frauen ihre Zimmer in der dritten Etage hatten, und zählte der Reihe nach auf, was sich in den anderen Räumen befand. Auch den Standort der Dekompressionskammer zeichnete er mit ein. Er riss das Blatt ab, schob es seinen Freunden zu und malte dann das Zimmer von Anne auf. Er skizzierte genau, an welcher Stelle das Bett stand und gab auch die geschätzte Entfernung zu Tür und Fenster mit an. Er riss auch das Blatt ab und schob dann Block und Stift Sebastian zu, der das Zimmer seiner Frau mit den gleichen, wichtigen Angaben aufzeichnete.
„Welches Stockwerk?“, wollte Thomas wissen.
„Im Zweiten. Fenster zum Hof, Richtung Hafen“, antwortete Andreas präzise. Er konnte die Sorge um Anne und Kim zwar nicht abstellen, aber jetzt konzentrierte er sich, wie die anderen auch, auf diesen Einsatz.
Die Männer bezogen Hasan und Kasim mit in ihre Lagebesprechung ein, nachdem sie darum gebeten hatten, helfen zu dürfen.
Beide waren gut ausgebildete Soldaten der ägyptischen Sondereinheit von Marinetauchern und hatten schon gezeigt, was sie konnten. Die Männer waren auch hierbei herzlich im Team willkommen. Schnell räumten alle sieben die Gegenstände, die sie nicht brauchten und nur unnötige Last bedeutete, aus ihrem Gepäck.
Sebastian rief auf der Tauchbasis an und bat Sandra, den Pick-up mit der großen Ladefläche sofort zum Hafen zu schicken. Der Fahrer solle einfach den Schlüssel stecken lassen und könne dann weiter Pause machen.
Gemeinsam mit Ahmed lief Thomas zum Bug und sie suchten lange Seile aus der kleinen Tauwerkkammer heraus, die sie zusammenbanden und nach Achtern auf die Taucherplattform schafften.
Uwe zog aus seinem Gepäck die Headsets und stimmte die Geräte, die Hasan und Kasim in ihrer Ausrüstung dabei trugen, auf ihre Frequenz ab. Dann verteilte er sie an alle. Nach einem kurzen Test der Geräte erklärte er den beiden Marines, dass sie per Funk ihre Codenamen benutzen würden. Schnell stellte er seine Kameraden mit ihren Codenamen vor. Die jungen Ägypter wiederholten die Namen noch einmal zur Sicherheit.
Andreas – Schneeeule,
Pitt – Waldkauz,
Uwe – Mauersegler,
Thomas – Turmfalke und
Sebastian – Wanderfalke.
Dabei hatten sie zwar ein paar Probleme mit der Aussprache der Namen, aber wichtig war, dass sie überhaupt wussten, wer gerade sprach und vielleicht etwas von ihnen wollte.
„Jungs, wenn ihr uns bei den normalen Namen nennt, ist das auch völlig Okay“, beruhigte sie Sebastian und lächelte ihnen zu. „Nur wir haben uns eben in den vielen Jahren daran gewöhnt.“
Hasan und Kasim nickten verstehend. Doch dann fragten sie, warum sie denn alle Vogelnamen hätten, obwohl sie doch Kampfschwimmer waren und da Fischnamen eher passen würden.
Andreas erklärte ihnen, dass ihr ehemaliger Vorgesetzter, Steffen Körner, leidenschaftlich gern geflogen und Fallschirm gesprungen sei und deshalb für sich selbst den Codenamen Steinadler ausgesucht hatte. Danach hatte sich die gesamte geheim agierende Sondergruppe dazu entschlossen, sich auch Namen von Raubvögeln zu geben, um sich dadurch von den anderen Gruppen der Kampfschwimmer abzuheben. Außerdem war es von einigem Vorteil, wenn ihr Funk abgehört wurde, so konnte man doch denken, dass sie auf dem Luftweg und nicht vom Wasser her angriffen. Das fanden Hasan und Kasim logisch.
Uwe zog für Sebastian einen Pistolengurt aus seiner Tasche und reichte ihn ihm. „Hier ein kleines Mitbringsel“, sagte er lächelnd.
„Und die Bleispritze mit dazu, damit du nicht so nackt bist, sollte der Kerl noch auf uns warten. Der wird bestimmt schießwütig, wenn er sieht, dass ihr noch lebt und wir dazu gekommen sind. Das kann er nämlich noch nicht wissen. Bussard hatte die Entscheidung, uns hinterherzuschicken, getroffen, als der schon weg war“, meinte Thomas und gab Sebastian die Waffe.
Auch Andreas und die anderen zogen ihre Gurte aus den Rucksäcken.
Die Männer legten ihre Waffengurte um, luden die Pistolen und steckten sie in die Halterungen. Pitt warf den Freunden volle Magazine aus seinem Gepäck zu, die sie in die kleinen Taschen am Gurt verteilten.
„Habt ihr auch Waffen dabei?“, fragte Andreas die beiden ägyptischen Freunde. Sie nickten und zogen lächelnd ihre Holster aus den Rucksäcken.
Pitt klemmte zusätzlich noch eine größere Ledertasche mit seinem Spezialwerkzeug an seinen Taschengurt und reichte eine zweite Tasche Thomas, der sie bei sich an der gleichen Stelle befestigte. Dazu hakte er noch Karabinerhaken, die sich in einer Schlinge befanden, am Gürtel fest. Uwe teilte zusätzliche Packs aus, welche die Männer in die Taschen am Gurt verteilten. Die Freunde zogen ihre Shirts darüber, holten leichtes aber festes Schuhwerk aus ihrem Gepäck und zogen sie an. Dann stellten sie ihre Taschen mit dem restlichen Zeug vorn bei den Seilen auf der Plattform bereit. Sie hievten die Gefangenen vom Deck aufs Oberdeck und platzierten sie nebeneinander auf Matten im Schatten, wo sie nicht gleich zu sehen waren. Zusätzlich klebten sie ihnen Isolierband über den Mund.
Zurück im Salon legten sie ihre Basecaps und Sonnenbrillen bereit. Das alles geschah in nur wenigen Minuten und ohne dass die Männer dabei sprachen. Hasan und Kasim staunten sehr, wie sie aufeinander eingespielt waren.
Da sie noch Zeit hatten, bis sie den Hafen erreichten, tranken sie noch etwas Wasser. Andreas bat Sebastian, ihm, auch wenn die Zeit noch nicht ran war, eine weitere Injektion zu geben, und zog sich selbst zwei Einwegspritzen mit dem anderen Mittel auf. Er steckte die Schutzhülle wieder auf die Kanülen und schob die beiden so schon vorbereiteten Spritzen vorsichtig mit in eine der Taschen am Gurt, sodass seine Freunde sehen konnten, wohin er sie packte. Damit würden sie ihm im Notfall, wenn er es selbst nicht mehr konnte, helfen können. Als er sie deshalb nacheinander ansah, nickten sie ihm nur zu.
Dann zog er sein Shirt hoch und beugte sich leicht für die Injektion vor. Dabei verzog er wieder sein Gesicht, denn das Zeug brannte anfangs immer wie Feuer. Er nahm auch die Kapsel mit den Pillen aus dem Koffer und steckte sie sich in die Hosentasche.
Als die >Amun Re< in den Hafen einfuhr, standen schon alle mit ihrem Gepäck auf der Plattform bereit. Noch während des Anlegemanövers sprangen sie nacheinander von Bord und halfen einander hoch.
„Passt auf die drei Galgenvögel auf. Wir lassen sie abholen, so schnell es geht“, rief Sebastian noch Rashid und Ahmed auf Arabisch zu.
„Und kommt ihnen lieber nicht zu nahe. Passt auf und berührt ihre Waffen nicht. Die sind vergiftet“, warnte Andreas zusätzlich.
Die Männer warfen ihre Taschen auf die Ladefläche und setzen sich mit dazu. Sebastian setzte sich ans Steuer und Andreas neben ihn. Noch bevor er die Tür richtig geschlossen hatte, fuhr Sebastian auch schon an.
In der Nähe seiner Basis wurde er langsamer, und die Männer beobachteten aufmerksam die Gegend. Als sie nichts Auffälliges entdeckten, gab er wieder mehr Gas.
Plötzlich schlug Thomas aufs Fahrerdach. „Dort ist er“, sagte er und zeigte in die entsprechende Richtung.
Sofort trat Sebastian auf die Bremse. Die Männer sprangen von der Ladefläche und rannten mit gezogener Waffe los.
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Thomas hatte einen kurzen Lichtreflex, der von einem Fernglas stammte, hinter dem Gebäude wahrgenommen und sofort reagiert. Als die Männer sahen, dass es Eric war, der sich aus dem Staub machen wollte und das Feuer auf sie eröffnete, bildeten sie für Thomas, ihren Scharfschützen, eine Gasse. Schnell kniete er sich in den Sand, zielte und traf den fliehenden Mann ins Bein. Kaum war der Schuss gefallen, rannten sie wieder los. Uwe kam als erster bei dem falschen Eric an und warf sich auf ihn.
Pitt erreichte ihn kurz danach und trat ihm fest auf die Hand, in der er seine Waffe hielt, und stieß sie mit dem Fuß weg, als der Mann die Finger vor Schmerz öffnete.
Sie hatten einige Mühe, ihn zu überwältigen. Gemeinsam rissen sie den Typen hoch, den sie einmal zu ihren Freunden gezählt hatten, und drängten ihn an die Rückwand des Basisgebäudes.
„Hey Jungs, was ist los mit euch?“, schnaufte er. „Ich bin es doch, Oberbootsmann Eric Thomson.“ Dabei war sein Gesicht vor Schmerzen verzerrt.
„Ja klar, und deshalb schießt du gleich erst mal auf uns. Natürlich nur vor lauter Freude, uns zu sehen. Mähp … finde den Fehler“, meinte Uwe.
„Dass ich nicht lache, du Flasche. Der richtige Eric Thomson liegt seit drei Jahren im Leichenschauhaus in einer Kühlkammer!“, schrie ihn Pitt an, während er ihn durchsuchte.
„Korvettenkapitän Wildner hat dich wirklich gut ausgebildet, das muss ich zugeben. Aber du bist nicht gut genug, denn dir fehlt unsere Erfahrung, mein Junge“, sagte Thomas und fesselte den Mann besonders fest. Dabei nahm er keine Rücksicht auf sein Schreien. Im Gegenteil, den nächsten Kabelbinder zog er noch straffer an. „Du Miststück“, zischte er dabei.
Dann hoben sie ihn an und warfen ihn wie einen Sack Kartoffeln auf die Ladefläche des Toyotas, mit dem Sebastian im Rückwärtsgang herangefahren war.
Andreas kletterte hoch auf die Ladefläche. „Wer bist du? Was hast du mit den beiden Frauen gemacht?“, schrie er den falschen Eric an. Doch der Gefesselte grinste ihn nur frech an. Andreas zog ihn daraufhin ein Stück hoch und schaute ihn wutentbrannt an, dabei ballte sich seine Rechte zur Faust.
Seine Freunde, die es bemerkten, hielten ihn jedoch zurück.
„Das ist er nicht wert“, meinte Uwe und trat dem immer noch grinsenden Kerl so ganz zufällig gegen sein verletztes Bein, dass er vor Schmerz aufschrie.
Andreas ließ ihn angewidert los, sodass dessen Kopf hart auf die Ladefläche knallte. Dann stieg er vorsichtig ab und setzte sich wieder vorn zu Sebastian ins Fahrerhaus.
Nach zehn Minuten erreichten sie das Militärlazarett, wo Doktor Mechier schon nervös vor dem Eingang auf und ab gehend auf sie wartete. Er sagte schnell dem Wachposten Bescheid, dass er die Schranke öffnen solle, als er den Wagen von der Tauchbasis mit vollem Tempo heranrasen sah.
Sebastian steuerte den Toyota zuerst zum Haupteingang, wo Pitt mit den beiden jungen Ägyptern absprang und Andreas schnell aus dem Fahrerhaus ausstieg und sie sofort die Treppe nach oben eilten. Danach fuhr er mit dem Wagen weiter in den Hof, direkt unter die Fenster der Zimmer der Frauen. Uwe warf Thomas die Taschen und Seile zu. Bevor er selbst von der Ladefläche sprang, klebte er dem falschen Eric Thomson den Mund mit Isolierband zu und stieß ihm noch einmal gegen das verletzte Bein. „Oh, entschuldige bitte. Aber ich bin gestolpert. Kein Wunder, wenn du dich hier so breit machst“, sagte er und grinste dabei verächtlich.
Sebastian fuhr den Wagen weiter zum Wachposten in der Nähe und bat ihn auf Arabisch, gut auf den Kerl aufzupassen. Und schon lief er zu Thomas und Uwe zurück.
Thomas sah mit seinem Feldstecher hoch zu den Fenstern im dritten Stock und betrachtete sich genau das Mauerwerk ringsum.
„Und wie sieht es aus?“, wollte Sebastian wissen.
Thomas nickte nur und reichte ihm den Feldstecher. „Hier Turmfalke. Von hier unten sieht es außen gut aus. Ich gehe hoch.“
Uwe und Sebastian halfen ihm, die Sicherungsleine umzulegen. Dann begann er den Aufstieg an der Hauswand. Nach drei Metern nahm er den ersten Sicherungsring vom Gürtel, schlug ihn mit einem Bolzenschussgerät in die Wand und sicherte sich am eingehängten Karabiner. Uwe stand unten und sicherte seinen Kameraden am Seil.
Sebastian schaute kurz zu, dann ging er zu Doktor Mechier und lief mit ihm gemeinsam in dessen Büro. Noch bevor er etwas erklärte, fragte er, ob er telefonieren dürfte. Abdul nickte zustimmend und schon wählte er die lange Nummer mit Vorwahl. „Hier Wanderfalke“, meldete sich Sebastian kurz. „Wir haben den falschen Fünfziger. Kannst also Entwarnung für die Flughäfen geben. Wir sind im Lazarett und sehen uns gerade um. Wanderfalke Ende.“ Und schon legte er wieder auf. Dann berichtete er Doktor Mechier in Kurzfassung, was vorgefallen war. Gelegentlich unterbrach er sich dabei und hörte konzentriert auf die Gespräche, die er über sein Headset empfing. „Doc, wenn wir hier fündig werden. Und ich bin eigentlich fast davon überzeugt, auch wenn es mir anders lieber wäre. Doch in dem Fall ist es besser, wenn wir das Lazarett evakuieren würden. Aber das kann ich dir jetzt noch nicht genau sagen. Hast du heute zufällig noch deutsche, ausländische oder überhaupt Zivilisten als Patienten aufgenommen? Wenn ja, warum und wo liegen die? Es ist verdammt wichtig, Doc“, sagte Sebastian und sah Abdul dabei forschend an.
Doktor Mechier überlegte kurz, dann nickte er. „Ja, meine Kollegen informierten mich darüber, dass sie drei Männer und eine Frau hier mit vom zivilen Krankenhaus eingewiesen hätten, weil sie angeblich im normalen Krankenhaus nicht mehr genügend Betten freihätten. Ich glaube, sie haben starken Durchfall, eigentlich nichts Schlimmes. Aber ich mische mich nicht in Sachen meiner Kollegen ein.“
„Gut Doc. Wo? Welche Zimmer?“
Der Arzt ging hinter seinen Schreibtisch, schaute auf den Monitor, schob die Computermaus hin und her und drückte ein paar Tasten. „Sie liegen auch im dritten Stock. Welche am Anfang des Gangs auf einer Seite, Zimmer zwei und vier, und zwei am Ende in Zimmer achtzehn und gegenüber in der Neunzehn.“
Sebastian nickte dem Arzt zu und fragte ihn dann, ob er ein paar bewaffnete Männer entbehren und in den zweiten Stock schicken könnte, um ihnen zu helfen.
Doktor Mechier setzte sich gleich an das Telefon und machte einen kurzen Anruf.
In der Zwischenzeit meldete sich Sebastian über Funk bei seinen Leuten. „Hier Wanderfalke an den dritten Stock. Vorsicht, Besucher in den Zimmern zwei, vier, achtzehn und neunzehn im gleichen Flur. Verteilt euch auf beide Treppenaufgänge. Die Zimmer liegen gegenüber vom linken Aufgang und auf beiden Seiten vom rechten. Ich komme mit Verstärkung zu euch in den zweiten Stock.“ Schnell verließ er das Büro des Arztes, welches sich im Erdgeschoss befand.
„Hier Waldkauz. Wie weit bist du, Turmfalke?“, wollte Pitt wissen.
„Hier Mauersegler, Turmfalke ist gleich oben“, antwortete Uwe anstelle seines Freundes. Gemeinsam mit Sebastian kamen vier bewaffnete ägyptische Soldaten vom Wachpersonal im ersten Stock an. Schnell teilte Pitt die Männer in zwei Gruppen ein. Er selbst übernahm mit Kasim der zusätzlich die Übersetzungen für die beiden Marines übernehmen sollte, die linke Flurseite, damit sich Pitt auf seinen Job konzentrieren konnte.
Andreas, Sebastian, Hasan und zwei Soldaten würden die betreffenden Zimmer der rechten Seite absichern, falls es sich doch nicht um harmlose Patienten handelte. Hier sollte Hasan übersetzen, was nötig war, damit sich seine Freunde besser auf den gesamten Einsatz fokussieren konnten.
Beide Gruppen hatten gerade das zweite Obergeschoss erreicht, als sie in ihren Headsets die Stimme von Thomas hörten: „Hier Turmfalke, beeilt euch, Jungs. Mauersegler hängt jetzt auch in der Wand. Wir werden aus den Fenstern mit so komischen Böhnchen beschossen. Wir haben es hier nicht mit artigen Patienten, sondern mit bösen Jägern mit Schalldämpfern zu tun. Also stürmt die Zimmer. Wir fallen hier sonst runter wie überreifes Obst. Das macht hässliche Flecke auf dem Beton. Und das wollen wir doch nicht.“ Dann hörte man noch ein leises Aufstöhnen und es war wieder still im Funk.
Sofort teilte Pitt per Handzeichen mit, dass er mit einem Marine das Zimmer vier und Kasim mit dem anderen Zimmer zwei auf Kommando stürmen wolle.
Andreas teilte ebenso ein, dass Sebastian mit einem Soldaten sich um Zimmer neunzehn kümmern sollte, während er sich mit Hasan und seinem Kameraden Zimmer achtzehn vornehmen wollte.
„Schneeeule bereit“, meldete er, als er mit Hasan und dem Soldaten rechts und links der Tür Aufstellung genommen hatte.
„Wanderfalke bereit“, kam auch von Sebastian.
„Kasim bereit.“
„Hier Waldkauz. Stürmen auf mein Kommando … und … los!“, sprach Pitt in sein Headset und im nächsten Moment wurden gleichzeitig die Türen von vier Zimmern mit lautem Krachen eingetreten. Die Männer drangen, einander Deckung gebend, in die Räume vor.
Vereinzelt das dumpfe Geräusch von abgefeuerten Waffen mit Schalldämpfer, das Klirren von Glas und das Umfallen von kleineren Einrichtungsgegenständen zu hören. Dann zog wieder Ruhe auf dem Gang in der dritten Etage ein.
„Zimmer neunzehn sicher“, meldete sich Sebastian als erster. Nacheinander meldeten auch die anderen Teams ihre Zimmer als sauber.
„Hier, Schneeeule. Wie geht es dem Obst da draußen? Habt ihr schon Maden?“, wollte Andreas wissen und meinte damit, ob sie verletzt waren.
„Hier Mauersegler. Das Obst hängt noch. Es wurde nur leicht angeknabbert. Bin bei Turmfalke angekommen und gesichert.“
„Sammeln vorm Objekt“, kam der Befehl von Pitt.
Von beiden Seiten des Flurs kamen die Männer und trafen sich vor den Zimmern von Anne und Kim.
Andreas besah sich als Erstes die vier ägyptischen Soldaten. Zwei von ihnen wiesen leichte Blessuren auf, waren aber weiterhin einsatzfähig.
„Hier Turmfalke. Sind vor den Fenstern. Wir können nicht in die Räume sehen. Die Vorhänge sind zugezogen.“
„Hier Waldkauz. Mauersegler und Turmfalke, sucht nach Metall- oder Alustreifen an den Scheiben und Rahmen. Oder ob haarfeine Drähte zwischen den Rahmen stecken.“
„Roger.“
Pitt trat vor die erste Tür und besah sie sich genau. Er fühlte mit den Fingerspitzen vorsichtig den Spalt zwischen Rahmen und Türblatt ab. Mitten in der Bewegung hielt er inne. „Schickt die vier Jungs zum Doc runter. Er soll sie verarzten und dann mithelfen, das Lazarett räumen zu lassen. Die Tür hier ist auf jeden Fall heiß“, sagte Pitt hoch konzentriert. Danach wandte er sich der nächsten Tür zu. Dieses Mal schaute er gleich als Erstes dort nach, wo er bei der anderen Tür den Kontaktdraht entdeckt hatte. Aber an der zweiten Tür befand sich keiner an dieser Stelle. Also suchte er vorsichtig weiter.
„Dieses Miststück hat unterschiedliche Sprengfallen aufgebaut“, stellte er nach einer Weile fest. „Der Kerl war ein verdammt guter Schüler. Leider. Ich würde mir jetzt wirklich wünschen, er wäre wie Schulze darin eine Niete gewesen.“ Er trat von der Tür zurück. „Und wie sieht es bei euch da draußen aus, Jungs?“, fragte er übers Headset Thomas und Uwe.
„Heiß“, antwortete Thomas. „Wenn wir nicht bald rein können, werden wir zu Dörrpflaumen. Ansonsten habe ich hier einen Alustreifen an der Scheibe, der noch dazu mit einem Metallblättchen am Fensterriegel verbunden ist.“
„Hier Mauersegler. Bei mir ist es ein Drahtauslöser am Fensterscharnier.“
„Gut, dann nehmen wir das geringere Risiko zuerst“, entschied Pitt nach kurzer Überlegung. „Mauersegler, nimm den Glasschneider. Setz das Loch genau in der Mitte. Aber achte darauf, dass du nicht zu viel Druck ausübst.“
„Leichter gesagt als getan, mein kleines Käuzchen. Das Fenster klappert schon, wenn man nur mal etwas tiefer atmet.“
„Dann atme eben nicht“, gab Pitt an Uwe zurück. Er holte eine Miniaturkamera aus seiner Tasche und steckte sie auf einen sehr flachen, aber stabilen Teleskopstab.
Andreas kniete sich daneben und verband die Kontakte mit einem kleinen Monitor.
„Nur gut, dass die Türen hier nicht so dicht schließen“, meinte Pitt, während er die Kamera auf dem Gestell vorsichtig durch den unteren Türspalt schob. Dabei ließ er keine Sekunde das Bild auf dem Monitor, den ihn Andreas hinhielt, aus den Augen.
„Hier, Mauersegler“, meldete sich Uwe wieder. „Ich bin durch und nehme jetzt vorsichtig den Vorhang zurück“, kommentierte er seine Handlungen. „Jungs, das Zimmer ist, soweit ich sehen kann, leer.“
„Wie meinst du das?“, fragte Sebastian.
„Das Bett ist leer. Aber warte, ich nehme den Spiegel.“ Eine Weile war nichts zu hören, dann meldete sich Uwe wieder: „Nein, Jungs, kein Irrtum möglich. In dem Zimmer befindet sich definitiv keine Person. Trotzdem ist hier alles verkabelt.“
„Kannst du den Auslöser am Fenster überbrücken?“, fragte Pitt ruhig, ohne weiter darauf einzugehen, dass sich keine Person in dem Zimmer befand.
Und wieder warteten die Männer gespannt auf die Antwort ihres Freundes, der draußen in der prallen Sonne an der Hauswand vor dem Fenster hing.
Endlich kam die Antwort: „Wäre möglich. Aber ich bin zu groß und breit dafür. Da muss unser kleiner Turmfalke ran.“
„Hättest eben weniger fressen sollen. Warte, bin gleich da“, kam sofort der Kommentar von Thomas, der sich bereits am Seil zum anderen Fenster hinüberschwang.
„Eh, du Hirni, das sind alles Muskeln und an bestimmten Stellen Samenstränge, aber kein Fett“, beschwerte sich Uwe und machte ihm Platz.
Bei seinem Freund angekommen, sah Thomas sich alles genau an. „Hier Turmfalke. Ist kein Problem. Aber warum der Aufwand, wenn doch keiner drin ist?“
„Jungs, entschärfen müssen wir es so und so. Also können wir es auch gleich erledigen. Vielleicht hilft es uns beim anderen Zimmer weiter“, antwortete Pitt. „Fang einfach an und ich mache mich in der Zeit etwas an der Tür nützlich.“ Und schon zog er einen kleinen Akkubohrer aus der Tasche und setzte ihn sacht neben dem Türschloss an. Mit niedriger Drehzahl bohrte er, nur langsam vorankommend, ein Loch ins Holz. Auch hierbei ließ er den Monitor keinen Moment aus den Augen.
Als Nächstes reichte Andreas ihm eine feine Stichsäge und Pitt vergrößerte so das kleine Loch zu einem großen, wobei er darauf achtete, dass das Holzstück nicht nach innen fiel. Mit ruhiger Hand überbrückte er zwei Kontakte und öffnete vorsichtig die Tür. Zur gleichen Zeit stieg Thomas, gefolgt von Uwe, zum Fenster herein. Schnell und geübt entfernte Pitt den Zünder vom Sprengsatz, der am Gestell des Bettes angebracht war.
Hasan und Kasim reichten den beiden Männern, die von draußen gekommen waren, ihre Wasserflaschen, welche sie dankbar annahmen und hastig ein paar Schlucke tranken.
Pitt besah sich in der Zwischenzeit den Sprengsatz genauer. „Schon allein damit hätte er das gesamte Gebäude in die Luft jagen können“, stellte er besorgt fest. „Ich will im Moment gar nicht wissen, was er da nebenan deponiert hat.“
Uwe und Thomas reichten die Flaschen an ihre Freunde weiter, die ebenfalls froh waren, einen Schluck trinken zu können.
Andreas ließ sich erschöpft aufs Bett nieder und holte eine der eingepackten Spritzen vor und stach sich die Nadel gleich durchs Hosenbein in den Oberschenkel.
„Turmfalke, du hast gesagt, am anderen Fenster sind Alustreifen und zusätzlich noch Metallblättchen?“, fragte Pitt nach. „Wo genau sind die Alustreifen angebracht?“, wollte er dann von ihm wissen.
„Sodass wir keine Chance haben, durchs Fenster reinzukommen“, gab dieser resignierend zurück und band sich dabei gerade den Arm oberhalb einer Schusswunde ab. Dann nahm er eine Ballonspritze aus seinem Notpack und stach sie sich, als wäre es die normalste Sache der Welt, in den Arm, um die starke Blutung zu stoppen. Sebastian half ihm dann bei einem Druckverband.
„Gut, Leute, bleibt erst mal hier“, entschied Pitt. „Ich gehe mit Schneeeule mal durch die andere Tür lunchen, wie es da drin aussieht.“ Fragend drehte sich um: „Und geht es schon wieder, Andy oder soll ich lieber Uwe mitnehmen?“
„Nein, alles klar. Ich komme mit“, antwortete Andreas schnell und erhob sich auch schon vom Bett. Leicht hinkend lief er aus dem Zimmer. An der Nachbartür legten sie sich flach auf den Bauch. Andreas reichte Pitt das filigrane Gestell mit der Minikamera und stellte den kleinen Monitor so auf, dass beide das Display gut sehen konnten.
Vorsichtig schob Pitt die Kamera durch den Türspalt.
Noch während er dabei war, hielt Andreas ihn am Arm fest. „Achtung!“, warnte er und zeigte auf den Bildschirm. Fast wäre Pitt mit der Kamera an einen dünnen, kaum erkennbaren Draht gestoßen, der flach über den Boden gespannt war.
Über eine kleine Steuereinheit drehte Pitt die Kamera und betrachtete sich genau die Verbindungen zu dem Stolperdraht, der wahrscheinlich direkt für diese Art von Kamera gelegt worden war. „Dieser elende Mistkerl“, fluchte der Sprengstoffexperte leise, als er feststellte, dass er mit der Kamera nicht weiter kam und nicht sehen konnte, wie die Tür verdrahtet war.
„Und der Schlüssel steckt im Schloss, sodass wir darüber auch keinen Zugang haben“, sagte Pitt leise, zog die Kamera vorsichtig zurück und half seinem Freund beim Aufstehen.
„Durch die Tür kommen wir genauso wenig wie durchs Fenster, um wenigstens erst einmal einen Blick ins Zimmer werfen zu können. Null Chance. Das wäre zu gefährlich“, berichtete Andreas bedrückt, als sie zu ihren Freunden zurückkamen.
„Dann bleibt uns nur noch die Wand. Aber an welcher Stelle? Sie scheint ziemlich stark und stabil zu sein“, meinte Uwe und schaute auf das dicke Mauerwerk, das beide Zimmer voneinander trennte.
Da begannen Kasims Augen zu leuchten. Er ging zu der Wand und klopfte sie an einer bestimmten Stelle mit dem Griff seiner Pistole ab. „Hier unten“, sagte er dann und zeigte auf eine bestimmte Stelle. Als ihn die Männer daraufhin fragend ansahen, erklärte er ihnen, dass er, bevor er zum Militär eingezogen wurde, auf dem Bau gearbeitet und beim Umbau des Lazaretts geholfen hatte. Er erzählte, dass an dieser Stelle einmal die Hauptwasserleitung quer hindurch verlaufen war. „Wir haben sie nur abgeschnitten, grob mit Bauschaum ausgefüllt und dann verputzt“, erklärte er und schaute die Männer dabei lächelnd und zugleich fragend an.
„Klasse, Kasim“, lobte Sebastian den jungen Mann. Und schon machten sich die fünf Freunde, als eingespieltes Team, ans Werk.
Sie bastelten sich aus allem Brauchbaren, was sie im Zimmer fanden, ihre Werkzeuge, die sie brauchen konnten, und legten sie bereit.
Uwe begann mit den ersten Ausstemmarbeiten und pulte dann mit seinem Messer vorsichtig den Bauschaum, soweit er damit kam, aus dem Rohr.
Danach kam ein Skalpell, welches sie stabil verlängert hatten, zum Einsatz.
Immer wieder lösten sich die Männer bei der Arbeit ab, aber ließen Pitt dabei außen vor. Sie schonten ihn so für die Hauptarbeit. Damit er dann, wenn es darauf ankam, keine zittrigen Finger hatte.
Als sie nach zwanzig langen Minuten auf den festeren Widerstand des Putzes auf der anderen Seite der Wand stießen, gaben sie ihm nur ein kurzes Zeichen. Pitt hockte sich neben seinen Freunden und leuchtete mit seiner LED-Lampe in das Loch. Er legte sich bäuchlings auf den Boden davor und stieß vorsichtig mit einem Metallrohr, welches seine Freunde vom Bett abmontiert hatten, den Putz durch. Schnell fädelte er die Kamera hindurch und stellte, da es im Zimmer ziemlich dunkel war, den Nachtmodus ein. Sofort erkannten die Männer, dass beide Frauen gefesselt und geknebelt in den beiden Betten lagen.
„Dieses Schwein“, zischte Sebastian und nahm damit Andreas das Wort aus dem Mund.
„Wir sind gleich bei euch, Mädels. Nur keine Angst“, sagte Pitt durch das kleine Loch.
Doch beide Frauen schüttelten entsetzt mit dem Kopf und richteten dann ihre Blicke in Richtung unter die Betten.
Pitt folgte der so angedeuteten Richtung mit der Kamera und sah auf dem Monitor die dort angebrachten Sprengladungen. Er verfolgte die Drähte zu den Auslösern und entdeckte auch die zwischengeschalteten Zeitzünder. Dann hielt er die Kamera auf die Tür gerichtet und stellte die Bildschärfe etwas nach. Wenig später setzte er sich auf, nahm den Monitor auf seinen Schoß und schaute sich das Bild, welches er in einzelnen Abschnitten immer wieder vergrößerte, ganz genau an.
Keiner seiner Freunde sprach ein Wort. Sie wollten ihn auf keinen Fall bei seinen Überlegungen stören. Dann legte sich Pitt erneut vor das Loch in der Wand. Er spielte mit der Steuerung der Kamera und stellte sie nacheinander auf die beiden Zeitzünder. Genau betrachtete er sich die Bilder davon. „Könnte einer von euch runtergehen und den Kerl ordentlich eine reinhauen“, sagte er leise und sah dann Sebastian und Andreas an. „Jungs, das Schwein spielt mit euren Gefühlen. Er hat die Zünder und die Uhren so geschaltet, dass ihr euch zwischen dem Leben einer der beiden Frauen entscheiden sollt.“ Dann lächelte er böse und sagte: „Aber das lassen wir nicht zu. Er hat nicht damit gerechnet, dass ich auch hier bin. Lasst mir noch einen Moment. Ich denke mir was aus.“
Und wieder ließ er die Kamera durch den dunklen Raum schweifen. Dabei vernachlässigte er keinen Quadratzentimeter. Er holte eine Spraydose aus seiner Tasche und sprühte einen geringen Teil des Inhalts durch das Rohr in das andere Zimmer. Sofort wurden rote Laserstrahlen, Lichtschranken, die kreuz und quer durch den Raum führten, auf dem Monitor sichtbar und verschwanden kurz darauf wieder. Doch alle hatten sie auf dem Bildschirm gesehen.
„Der Arsch hat alle Register gezogen“, stellte Uwe bedrückt fest.
„Nicht ganz“, meinte Pitt nach einer Weile des Schweigens. „Wir können immer noch als kleine Engel von der Decke geschwebt kommen.“ Dabei lächelte er seine Freunde verschmitzt an. Und alle im Raum wussten, dass Pitt einen Plan hatte.
In dem Moment betrat Doktor Mechier das offen stehende Zimmer.
„Doc, was willst du denn hier? Es ist viel zu gefährlich“, sagte Andreas zu ihm, als er Abdul bemerkte.
„Aber ihr seid doch auch hier“, gab der Arzt zurück. „Ich dachte mir nur, ihr könntet was zu essen gebrauchen und habe euch was mitgebracht.“ Und schon schob der Arzt eine Krankenliege ins Zimmer, auf der verschiedene Speisen und belegte Scheiben Brot lagen. Darunter standen ein paar Flaschen Wasser, auf die sich die sieben Männer zuerst stürzten.
Andreas und Sebastian stellten ihm ihre langjährigen Freunde und Kampfgefährten Pitt, Uwe und Thomas vor. Doktor Mechier erkannte sofort die Verletzung am Arm von Thomas und zog ihn zur Seite. „Mister, das ist nicht so schlimm“, wehrte dieser sich, doch der Arzt kannte kein Erbarmen. Er wollte die Wunde sehen.
„Doc“, sagte dann aber Andreas, „das muss wirklich noch warten. Tommy kann das ab. Wir brauchen ihn hier wirklich dringend. Und entschuldige, wenn wir dir hier etwas die Zimmerwand demolieren werden. Aber es geht nicht anders.“
Abdul sah seinen Freund mit großen Augen an. Dann fragte er: „Ist es so schlimm?“
„Schlimmer, Doc. Wäre schön, wenn du dich mit deinen besten Ärzten bereithalten könntest“, gab Andreas ehrlich zu. „Aber bringe dich jetzt selbst wieder in Sicherheit. Wenn du es knallen hörst und das Gebäude hier vom Boden abhebt, ist es zu spät für jede Hilfe, dann kannst du Schaufel und Besen nehmen und die Reste zusammenkehren und ansonsten werden wir dich einfach rufen. Sei nicht böse, aber wir brauchen jetzt hier keine Störung“, bat Sebastian, legte dabei dem Arzt seine Hand auf die Schulter und nickte ihm nur bestätigend zu, als Abdul ihn fragend und ungläubig ansah.
„Doc, wir brauchen dich, wenn es nicht so laut knallt und das in einem Stück. Bitte nimm auch Hasan und Kasim mit. Es ist nicht ihr Krieg. Sie sind zu jung dafür“, meinte Andreas leise und schickte ihn und die beiden jungen, ägyptischen Freunde nach draußen. „Geht am Hafen in Deckung“, riet er ihnen noch, dann verschloss er die Zimmertür hinter den drei Männern, die sich in Sicherheit bringen sollten.
Während die eine Gruppe sich stärkte, war die andere dabei, im oberen Drittel der Wand, wo Pitt es angezeichnet hatte, einen Durchbruch zum anderen Zimmer zu schaffen. Nach einer Weile wechselten sie sich ab.
„Haben die Ägypter dieses Gebäude denn, wie die Pyramiden, für die Ewigkeit gebaut?“, stöhnte Thomas. „Diese Mauern sind verdammt dick und stabil.“ Dabei holte er den nächsten frei geschlagenen Stein aus dem Gemäuer und ließ ihn hinter sich im Raum fallen.
Sebastian zeigte Andreas eine Spritze, die er vom Doc bekommen hatte und zwinkerte ihm herausfordernd zu.
Andreas rollte mit den Augen, aber zog auch schon bereitwillig sein Shirt hoch und beugte sich leicht vor. „Du weißt aber schon, dass das verdammt weh tut“, meinte er.
„Nein. Aber jetzt, wo du es sagst, werde ich es genießen“, gab Sebastian frech zurück.
„Sadist“, beschwerte sich Andreas und biss die Zähne zusammen, als er den Einstich und dann das Brennen des Mittels, das Sebastian nur sehr langsam aus der Kanüle drückte, spürte. Wenig später fühlte er sich aber wieder besser. Er konnte auch alle Kraft und Körperbeherrschung für den Job brauchen, den er gemeinsam mit Pitt noch vor sich hatte, um die beiden Frauen zu retten. Gern hätte auch Sebastian diesen Job übernommen, doch er war schon zu lange raus und nicht mehr so auf dem Stand der neusten Technik bei dem Thema Entschärfung.
Eigentlich wäre es den Freunden auch lieb gewesen, wenn ein anderer den Job hätte übernehmen können. Doch Andreas war nach Pitt der am besten Ausgebildete in Sachen Sprengmittelentschärfung. Sebastian würde seinen Freund sichern und Uwe würde das für Pitt tun, während Thomas mit seiner Verletzung für die Koordination an der Kamera eingeteilt war.
Aber erst einmal mussten sie durch diese dicke Wand kommen und das Loch groß genug bekommen, ohne durch herabfallende Steine die Lichtschranken zu unterbrechen und so den Zeitzünder auszulösen.
„Wir sind durch“, riss Uwe Sebastian aus seinen Gedanken.
Sofort legte sich Thomas auf den Boden vor die Kamera. Er sprühte etwas von dem Spray durch das Rohr in den Raum und stellte die Kamera ein. „Okay, schlagt den Putz raus, aber vorsichtig“, sagte er voll konzentriert.
Nur leicht schlug Uwe gegen die letzte Schicht, die sie noch vom Nachbarraum trennte.
„Nicht so stark. Versuch es noch etwas vorsichtiger. Die Lichtschranke ist ziemlich dicht dran“, kommentierte Thomas.
Uwe legte den Hammer weg und drückte den Putz vorsichtig, von oben angefangen, nur noch mit den Fingern ein und versuchte so viel, wie nur möglich, davon mit der Hand nach innen zu holen. Diese Feinarbeit, um nichts von dem Putz auf den Boden des benachbarten Raumes fallen zu lassen, war bei der Hitze nicht gerade leicht für ihn, der sonst eher fürs Grobe zuständig war. Als die Öffnung endlich groß genug war, kroch Uwe zurück. „Der nächste Herr, dieselbe Dame“, sagte er dabei erschöpft von der Anstrengung und trank schnell ein paar Schlucke Wasser.
60
Um emotionale Fehler zu vermeiden, hatte Andreas vorgeschlagen, dass sich Pitt um Anne kümmern solle, während er das Gleiche für Kim tun würde. Alle waren mit dieser Entscheidung einverstanden.
Uwe und Sebastian halfen ihnen beim Anlegen der Sicherungsgurte.
Thomas übergab Andreas die Tasche mit dem Spezialwerkzeug, welche er zuvor auf dem Boot von Pitt bekommen hatte. Sicher klemmte er sie an seinem Gurt fest. Dann kletterten sie nacheinander über einen Stuhl auf den Tisch und von da aus auf den nächsten Stuhl, um das große Loch in der Wand zu erreichen. Pitt schoss mit dem Bolzenschussgerät die ersten Haken in die Decke, befestigte daran einen Karabinerhaken, durch den das Sicherungsseil lief. So bewegte er sich vorsichtig vorwärts hangelnd an der Zimmerdecke entlang in Richtung des am Fenster stehenden Bettes.
Kurz darauf folgte ihm Andreas nach und schoss seine Haken in das Gebälk.
Keiner der Männer sprach dabei ein Wort. Uwe und Sebastian ließen Sicherungsseil nach und achteten ständig darauf, dass es trotzdem straff genug war, um die Freunde an der anderen Seite sicher halten zu können. Als beide Männer genau über den Betten der Frauen hingen, gab Thomas das Zeichen, Andreas und Pitt vorsichtig herunterzulassen, bis sie unmittelbar über ihnen schwebten. Dann gab er das Stoppzeichen. Wieder sprühte er etwas von dem Spray durch das Rohr, damit die Lichtschranken sichtbar wurden. Von dem Moment an hatten dann Pitt und Andreas das weitere Sagen.
Die beiden Männer lächelten den Frauen zuversichtlich zu.
„Hey, Sie kenne ich doch. Ich habe Sie schon mal gesehen“, sagte Pitt, als er genau über Anne schwebte und ihr ins Gesicht sah. „Sie haben doch eines von Sebis Booten gesteuert, die in der Nacht-und-Nebel-Aktion so mutig die Geiseln vom Forschungsschiff >Blue Sea< abgeholt haben.“ Anne nickte. „Ich wusste gar nicht, dass Sebi solch eine hübsche und mutige Freundin hat. Mein Name ist übrigens Pitt, Pitt Dressler. Sehr angenehm. Tut mir leid, dass wir ihnen den Knebel noch nicht entfernen können, der ist vielleicht mit verkabelt. Aber nachher unterhalte ich mich sehr gern mit Ihnen“, sagte Pitt, lächelte die Frau an und zwinkerte ihr verführerisch zu.
„Könntest du mal aufhören, Süßholz zu raspeln. Du Dumpfbacke baggerst zufällig gerade meine zukünftige Frau an“, beschwerte sich Andreas sofort.
„Ja und? Einen Versuch ist es doch wert“, konterte Pitt. „Schließlich ist sie doch noch nicht mit dir Vogel verheiratet. Oder irre ich mich da?“
„Lass bloß die Pfoten von ihr. Der Versuch könnte tödlich für dich ausgehen“, warnte Andreas seinen Freund und beide lächelten sich dabei aber an.
Danach wurden sie jedoch wieder ernst, um ihren Job zu erledigen.
„Mauersegler, gib mir etwas Leine“, sagte Pitt in sein Headset und hangelte sich dann vorsichtig neben Annes Bett. „Stopp.“ Genau an der gewünschten Stelle kam Pitt schwebend zum Halt.
„Wanderfalke dito“, kam von Andreas und kurz darauf erklang sein „Stopp“.
Beide hingen jetzt parallel und etwas tiefer neben den Betten, direkt vor den angebrachten Sprengsätzen. Die Headsets der Freunde waren auf Dauerbetrieb geschaltet, um die Hände freizuhaben.
„Und, wie hat dir heute das Essen geschmeckt?“, fragte Pitt, während er sich die äußeren Schaltkreise genauer betrachtete.
„Na ja, der Doc hat sich Mühe gegeben. Aber das Essen von Ahmed auf der >Amun Re< ist eben doch nicht zu übertreffen.“
„Ja, das hat uns ja diese falsche Flasche gründlich versaut“, meinte Pitt und wie nebenbei fragte er: „Siehst du den schwarzen Draht?“
„Das können wir ja noch gemeinsam nachholen. Und ja, ich hab hier so einen Draht.“
„Gut, das nehme ich als Versprechen. Wir kappen diesen Draht zur gleichen Zeit auf drei.“ Und schon begann Pitt zu zählen: „Eins … zwei … und … drei.“
Gleichzeitig durchtrennten sie den Draht und atmeten kurz auf.
„Wie sieht es aus, Turmfalke, sind die Lichtschranken noch aktiv?“, fragte Pitt Thomas.
Der sprühte wieder etwas aus der Spraydose durch das Rohr und schaute dann auf den Monitor. „Ja, Jungs, es hat sich nichts geändert“, antwortete er voll konzentriert.
„Gut, dann lasst uns Engel noch etwas fliegen. Wir müssen beide noch drei Zentimeter weiter runter“, sagte Pitt.
„Dann seid ihr aber nur wenige Zentimeter von einer der Lichtschranken entfernt“, warnte Thomas.
„Hast ja recht, Kleiner. Aber anders kommen wir hier nicht ran. Also, macht langsam, Jungs. Wirklich nur drei Zentimeter … Gut, Stopp“, kam von Pitt.
Andreas gab sein „Stopp“ kurz danach.
Allmählich kamen Uwe und Sebastian ins Schwitzen, doch sie gaben kein Stück nach und stemmten sich heftig gegen das Gewicht, welches sie zu halten hatten.
„Wir müssen die vordere Abdeckung entfernen“, stellte Pitt ruhig fest. „Sei aber vorsichtig, da könnte ein Quecksilberschalter dahinter liegen“, warnte er. „Gib Bescheid, wenn du so weit bist.“
„Okay“, gab Andreas locker zurück. „Sagt mal, was haltet ihr vom Tauchen mit einer Delfinfamilie?“, fragte er, während er den Kreuzschlitzschraubendreher aus der Tasche zog und vorsichtig mit seiner Arbeit begann. „Vielleicht könnte ich euch ja mit meiner Familie bekannt machen.“
„Wie meinst du das?“, wollte Pitt wissen und sah kurz zu seinem Freund rüber.
„Na, wollt ihr, oder nicht?“, fragte Andreas wieder, während er vorsichtig die erste Schraube lockerte.
„Klar, warum nicht“, kam es von Uwe, Thomas und Pitt fast gleichzeitig. „Aber wehe, du willst uns nur verarschen, dann gibts Team-Dresche“, warnte Uwe.
Woran die fünf Freunde nicht mehr dachten, war, dass Hasan und Kasim noch auf der gleichen Frequenz waren und gemeinsam mit Doktor Mechier die ganzen Gespräche mithörten.
Die drei waren erstaunt, wie locker die Männer mit der nicht leichten Situation umgingen.
„Okay, Waldkauz, ich hab das Blechle ab und hier dahinter linkt es so wild, wie bei manch einer Lichtshow“, meldete sich Andreas wieder.
„Na, das wurde auch langsam Zeit. Ich habe schon kalte Finger bekommen, weil ich so lange auf dich warten musste“, gab Pitt zurück. „Wie viele Drähte siehst du?“
„Es sind vier. Nur gibt es ein kleines Problem. Wenn ich nicht auch noch farbenblind geworden bin, dann würde ich sagen, alle vier sind weiß“, antwortete Andreas.
„Das kann nicht sein. Putz dir mal die Brille, die du nicht besitzt“, meinte Pitt.
„Es ist aber so, auch wenn du mir einen Farbverstärker davor halten würdest. Die Dinger sind und bleiben weiß. Keine Ahnung wer denen die Farbe runtergeputzt hat. Aber ich bin trotzdem nicht ganz blind und sehe, dass zwei der Drähte von der Masse abgehen, wovon sich einer im Nichts zu verlaufen scheint.“
„Warte einen Moment“, kam kurz von Pitt.
„Ja klar, ich mache nichts anderes“, gab Andreas zurück und dann an seine Freunde gewandt: „Könnt ihr uns noch so lange halten, wie der Herr Professor hier nachdenkt?“
„Wenn ihr ein paar Kilo abnehmen könntet in der Zwischenzeit, wäre es vielleicht besser. Aber es geht noch“, gab Uwe leicht schnaufend zur Antwort.
Als Hasan und Kasim das hörten, liefen sie sofort vom Hafen aus los in das Gebäude zurück, in dem ihre Freunde um das Leben der beiden Frauen kämpften. Nachdem sie den dritten Stock erreicht hatten, verschnauften sie kurz, dann traten sie leise, um die Männer nicht zu erschrecken, in den Raum und übernahmen einfach die Seile.
Pitt und Andreas verspürten dabei einen leichten Ruck und fragten sofort nach, was los sei.
„Weil wir solche Schwächlinge sind, haben Hasan und Kasim euren Engelsflug übernommen“, erklärte Uwe und lächelte dabei den beiden jungen Männern dankbar zu.
Sebastians Arm schmerzte. Die Wunde unter dem Verband war wieder aufgebrochen.
„Danke Jungs. Ihr seid einsame Spitze“, bedankte sich Andreas auf Arabisch. Dann konzentrierte er sich wieder auf seine Arbeit. „Also wenn du mit den Delfinen und uns allen tauchen gehen willst, Waldkauz, dann solltest du dich langsam entscheiden, ehe ich hier gut abgehangen vor Langeweile sterbe“, forderte er Pitt auf.
„Okay, ich will hier auch raus. Also überbrückst du den Draht, der zur Masse geht, mit dem, der daraus ins Nichts führt. Wir tun das wieder gleichzeitig auf drei.“ Und wieder begann Pitt langsam zu zählen.
„Die Lichtschranken sind aus“, meldete sich Thomas kurz darauf. „Gut“, sagte Pitt, „aber lasst uns trotzdem noch hängen, sollten sie wieder anspringen. Bei dem Schwein bin ich lieber auf alles gefasst. Er hat zu gut in unserer Schule aufgepasst und dabei zu viel gelernt.“
„Einer der Drähte bei mir führt zu einem Relais, welches in einer Zeitschaltuhr endet“, erklärte Andreas.
„Welcher der Drähte ist es?“, wollte Pitt, wieder voll konzentriert wissen.
„Der Linke unten. Wo der Rechte hinführt, weiß ich noch nicht. Aber das bekomme ich raus“, sagte Andreas.
„Ich habe hier ein paar Strippen mehr anliegen und allem Anschein nach gehen auch ein paar hoch zu den medizinischen Geräten, an die Anne angeschlossen ist“, flüsterte Pitt absichtlich besonders leise in sein Headset. „Wenn die Geräte zu heftig ausschlagen oder gar nichts mehr von sich geben, macht es laut Bums. Lass mir kurz Zeit, um sie zu überbrücken.“
Andreas hatte vollstes Vertrauen in das Können seines Freundes, trotzdem schaute er besorgt zu seiner Freundin auf.
Anne sah ihn schon die ganze Zeit ängstlich an.
„Alles wird gut, ihr zwei. Vertraut uns einfach“, sagte er zu ihr und lächelte dann auch Kim an und zwinkerte ihr zu.
„Okay, kannst aufhören, mit den Frauen zu schäkern“, meldete sich Pitt nach einer Weile wieder.
„Du durchtrennst den linken unteren Draht und schließt danach aber im super Eiltempo den Rechten an der Masse kurz. Das alles wieder auf mein Kommando. Bist du bereit?“
„Bin bereit“, gab Andreas zurück. Erneut zählte Pitt bis drei und beide überbrückten zur gleichen Zeit die Stromkreise.
„Die blinkenden Dioden an der Tür sind erloschen“, meldete sich Thomas, der noch immer alles genau mit der kleinen Kamera beobachtete.
„Gut, dann machen wir uns jetzt an den Zünder. Ich will endlich Feierabend haben, wie andere werktätige Menschen auch. Außerdem macht mir die Hitze hier zu schaffen“, meinte Pitt und schraubte vorsichtig die Platine unter der Zeitschaltuhr locker. Er hob sie ein Stück hoch, leuchtete mit seiner kleinen LED-Lampe dahinter und warf einen prüfenden Blick darunter. Dabei pfiff er leise vor sich hin. Für Andreas und die anderen ein sicheres Zeichen, dass er eine knifflige Sache vor sich hatte. Das Pfeifen war bei Pitt Ausdruck höchster Konzentration. Keiner wagte sich, auch nur einen Ton zu sagen oder ein Geräusch zu machen. Bis auf das leise Pfeifen ihres Freundes war nichts zu hören. Dann verstummte auch das. In beiden Räumen war es so still, dass man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Nach langen fünf Minuten brach Pitt das Schweigen. „Das hat der Kerl nicht nur in einer Nacht zusammengebastelt. Sieht eher aus wie die Abschlussarbeit eines Eliteterroristen, der sich um den begehrten Job eines gut bezahlten Profikillers bewirbt“, meinte er und begann wieder zu pfeifen. Nach einer weiteren Minute fragte er unvermittelt: „Schneeeule, wie geht es dir? Ist vielleicht besser, wenn du dir noch so eine Spritze vom Doc ins Bein jagst und zu Superman wirst, denn gleich darf kein noch so kleines Zucken oder Zittern deiner zarten Fingerchen, die Arbeit stören.“ Dann begann er wieder mit dem Pfeifen.
Andreas hatte seine Beine nach hinten in eine Schlaufe gehängt, sodass er waagerecht, nur wenige Zentimeter über dem Fußboden hing. Vorsichtig griff er in seine Tasche. Ganz langsam holte er daraus die Spritze hervor. Er stach sich die Kanüle in seinen linken Handrücken, weil er da im Moment am besten herankam, ohne bei einer unglücklichen Bewegung versehentlich eine der Lichtschranken zu durchbrechen, die jederzeit wieder aktiv werden könnten. Nur langsam drückte er die Flüssigkeit in seine Ader.
„Und wie sieht es aus?“, wollte Pitt wissen.
„Gib mir ne Minute, das Zeug muss schließlich erst mal wirken. So schnell wird man nicht zu Superman, wenn man es nicht wirklich ist.“
„Sag einfach Bescheid, wenn wir können. Wir haben Zeit. Hetze und Ungeduld könnte den sofortigen Rausschmiss aus diesem Zimmer bedeuten. Dabei ist es hier doch so schön und gemütlich“, meinte Pitt ruhig. Dann sprach er zu den Freunden im anderen Zimmer weiter: „Jungs, wenn ihr noch mal wechseln wollt, dann wäre jetzt die Gelegenheit dazu. Dann nicht mehr. Das Beste wäre, ihr haltet unsere Strippen zu zweit. Wir dürfen dann nicht um einen Millimeter nach oben oder unten verrutschen. Denn ich denke mal, die Lichtschranken werden sich wieder zuschalten.“
„Roger“, kam es nur knapp von Uwe.
Er und Sebastian griffen nach den Seilen, um ihre Freude wieder mit in Position zu halten. Damit entlasteten sie Kasim und Hasan etwas, die schon stark schwitzten.
„Kann losgehen, großer Meister. Lass uns Klavier spielen“, meinte Andreas, als er deutlich die Wirkung der Injektion spürte.
„Okay. Ich hoffe nur, dass es bei dir unter dem blöden Wecker auch so aussieht wie hier bei mir und es eine Zwillingsschaltung ist. Wäre verdammt blöd, wenn der Kerl sich auch noch die Mühe gemacht hätte, die Schaltkreise bei dir anders zu legen. Also los, Kleiner. No risc, no fun. Schraub die Platine unter der Zeitschaltuhr vorsichtig ab und sag mir, was du darunter siehst. Aber heb die Platte höchstens zwei Zentimeter an, die hängt an einem gesonderten Auslöser“, erklärte Pitt und warnte ihn leise.
Mit ruhiger Hand löste Andreas die einzelnen, kleinen Schrauben, die er vorsichtig einsteckte, und hob die Platine an. Er leuchtete mit seiner LED-Lampe darunter und pfiff erstaunt auf. „Da hat sich aber einer Mühe gegeben“, stellte er fest. Dann beschrieb er, welche Schaltkreise er erkannte und welche Farben die Drähte hatten, die zu einzelnen, winzigen Widerständen, Dioden, Anoden, Kathoden, Relais und Schaltern führten.
Pitt war froh, dass Andreas die gleichen Schaltkreise wie er vor sich hatte. Sie überbrückten als Erstes den kurzen Draht von der Platine zum Auslöser mit einem längeren und schnitten den kurzen danach vorsichtig durch. Damit verschafften sie sich mehr Spielraum, um mit ihren feinen Werkzeugen überhaupt an die entsprechenden Schaltkreise heranzukommen. Nacheinander überbrückten sie Widerstände, blockierten mit winzigen Plastikblättchen Relais und legten kleinere Schaltkreise lahm.
„Die Laser sind wieder aktiv“, meldete sich Thomas leise in ihrem Headset.
„Gut“, gab Pitt ruhig, wie es schien, zufrieden darüber, zurück. „Gib uns Bescheid, wenn sie wieder zusammenbrechen.“ Dann arbeiteten Pitt und Andreas konzentriert weiter. Sie konnten den ersten Zünder, der mit der Platine verbunden war, endlich entfernen und steckten ihn in ihre Taschen.
Die provisorisch aus Seilen zusammengebastelten Sicherungsgurte, in denen die beiden Männer schon seit zwei Stunden hingen, drückten und schnitten in ihre Haut. Die Shirts waren durchgeschwitzt. Der Schweiß lief ihnen übers Gesicht. Doch all das ignorierten sie und arbeiteten konzentriert weiter.
Thomas meldete sich wieder, dass die Lichtschranken erloschen sind. Pitt und Andreas lächelten sich zufrieden zu.
„Gut, dann lasst uns jetzt runter. Aber bitte sachte, wir sind nämlich etwas empfindliche Mimosen“, sagte Andreas.
Die Männer im anderen Zimmer waren froh, die Seile endlich locker lassen zu können. Sie setzten aufatmend und vorsichtig ihre Last, die sich im Nachbarraum befand, ab.
Pitt und Andreas drehten sich auf den Rücken und zogen sich kraftvoll unter die Betten, sodass sie nun beide den Sprengsatz mit dem komplizierten Zündmechanismus direkt über sich hatten. Sie unterbrachen den letzten Stromkreis und konnten die Zünder gefahrlos entfernen.
Als Pitt endlich Entwarnung gab, jubelten alle auf. Müde und erschöpft von der langen Konzentrationsphase, erhoben sich die beiden Männer. Sie waren noch gar nicht ganz aufgestanden, da kamen auch schon ihre Freunde ins Zimmer gelaufen.
Doch plötzlich war ein metallisches Klicken im Raum zu hören.
Einer der Jungs war auf einen Stolperdraht getreten, wodurch der Splint an einer Sprengkapsel gelöst wurde.
Damit hatte keiner von ihnen gerechnet.
61
Unverzüglich reagierte Thomas und sprintete los. Er hob den noch am Draht befindlichen Sprengsatz hoch, riss den Vorhang vom Fenster und schrie laut: „Deckung!“ Und warf auch schon den unscheinbaren Kasten mit aller Kraft und Schwung durch die Scheibe des geschlossenen Fensters. Nur eine Sekunde später, noch im Fall befindlich, explodierte der Sprengsatz mit einem lauten Knall und ging in einem gigantischen Feuerball auf. Als die Druckwelle der Detonation Scheiben und Holz splittern und Putz so wie Steine bröckeln ließ, beugten sich die fünf Männer schon wie eine Wand, sie mit ihren Oberkörpern schützend über die beiden Frauen.
Nachdem sich der Staub gelegt und der Rauch sich verzogen hatte, rappelten sich Hasan und Kasim, die sich im ersten Reflex nur schnell auf den Boden in Deckung fallen gelassen hatten, wieder auf. Sie sahen, wie die fünf deutschen Männer die beiden Frauen mit ihren Körpern, vor immer noch herabfallenden Steinen aus der Zimmerdecke, schützten und den Schmerz geduldig ertrugen, ja sogar dabei befreiend laut lachten. Denn sie wussten, dass sie es geschafft hatten.
Sebastian und Andreas lösten vorsichtig die Knebel und die Fesseln bei Kim und Anne. Die Männer halfen den Frauen in ihren Betten sacht auf und reichten ihnen Wasserflaschen, die sie bei sich hatten. Dankbar nahmen Anne und Kim sie an. Sie hatten den ganzen Tag, den sie gefesselt auf den Betten lagen, nichts trinken können und waren sehr durstig und dadurch auch geschwächt.
Taktvoll zogen sich die Freunde zurück, um die Schäden am Gebäude zu betrachten und festzustellen, ob der Weg nach unten für alle sicher genug war. Sebastian und Andreas blieben bei Kim und Anne und umarmten sie glücklich.
„Siehst du Schatz, ich habe dir doch versprochen, am Abend zurück zu sein. Und hier bin ich“, sagte Andreas leise zu seiner Freundin.
Anne standen die Tränen in den Augen, die er ihr zärtlich wegwischte. „Aber du kommst zu spät“, sagte sie leise.
Als er sie ängstlich fragend ansah, lächelte sie verlegen und flüsterte: „Wir konnten hier nicht aufstehen und ich habe es nicht mehr ausgehalten und ins Bett gemacht.“
Schnell hellte sich seine Miene wieder auf und er umarmte Anne lachend. „Dafür brauchst du dich nicht zu schämen, das wäre mir ebenso passiert. Das ist doch vollkommen normal und natürlich mein Schatz. Das nächste Mal ziehen wir dir eben vorher Pampers an“, flüsterte er ihr dann ebenso leise zu. Dabei wusste er aber, dass seine Freunde alles übers Headset mitgehört hatten.
Kim beichtete ihrem Mann nämlich gerade Ähnliches, was auch Andreas mithörte.
„Dann werden wir euch mal schnell aus eurer misslichen Lage holen und trocken legen“, sagte Sebastian laut, als wäre es die normalste Sache der Welt. Er half seiner Frau aus dem Bett und ging mit ihr, sie liebevoll stützend, ins Nachbarzimmer, wo ihr Rucksack stand und half ihr beim Wechseln der Sachen.
Andreas hob Anne aus dem Bett, setzte sie vorsichtig in den Rollstuhl, der umgestoßen in einer Ecke gelegen hatte, und sorgte dafür, dass ihr verletztes Bein bequem und weich lag. Er nahm ihren Rucksack und legte ihn auf ihren Schoß. „Also suchen wir uns mal ein Zimmer, welches noch eine Tür hat und etwas aufgeräumter ist, damit wir dich wieder trocken legen können. Du hast hier ja wirklich nicht gerade für Ordnung gesorgt“, meinte er und schob sei durch das Geröllfeld nach draußen auf den Flur. Schnell war ein Zimmer gefunden. Er begleitete Anne zur Toilette und half ihr beim Umziehen.
Als Pitt, Thomas und Uwe zurück ins Zimmer kamen und die leeren Betten sahen, lächelnden sie sich wissend an und traten wieder raus auf den Flur. Sie riefen nach ihnen. Kurze Zeit später kamen sie mit den Frauen aus den Zimmern auf den Gang.
„Und wie sieht es aus?“, wollte Sebastian wissen. „Steht das Haus noch und kommen wir sicher mit den Frauen runter?“ Die Männer nickten und kamen den beiden zu Hilfe.
Uwe stützte Kim mit, während sich Pitt und Thomas daran machten, Anne mit samt dem Rollstuhl anzuheben und die Stufen nach unten zu tragen, nachdem sie Andreas die Krücken in die Hand gedrückt hatten. „Den Fahrstuhl können wir nicht empfehlen. Also nehmen wir die Treppen. Der Doc wartet im Erdgeschoss schon auf uns. Ich hoffe, er will uns nicht die Ohren abreißen, weil wir sein Lazarett etwas ramponiert haben“, meinte Thomas und lachte dabei.
„Wo sind eigentlich Hasan und Kasim?“, fragte Andreas besorgt.
„Die hat der Doc gleich da behalten und versorgt sie. Er hat schon gemeckert, weil er uns nicht dabehalten konnte. Jetzt müssen die Zwei es ausbaden und werden besonders gründlich verpflastert“, antwortete Pitt.
Andreas nickte zufrieden. „Aber ihr werdet auch nicht drum herumkommen, wenn ich mir so eure Rücken ansehe“, sagte er und grinste breit.
„Meinst du, deiner sieht besser aus?“, konterte Uwe. „Auch dich hat es ganz schön erwischt. Bist eben doch nicht Superman.“
„Schade, ich dachte“, frotzelte Andreas. „Ihr wisst doch, wer am wenigsten abbekommen hat, muss heute Abend die Bierrunde zahlen.“
„Okay, dann bist du natürlich absolut clean und hast keinen Kratzer abbekommen. Das steht ja wohl mal fest. Stimmt’s Jungs?“, stellte Thomas fest und alle stimmten ihm lachend zu.
Abdul hatte das ganze Gespräch über das Headset von Kasim mitgehört, weil sie vergessen hatten, dass es noch immer auf Dauerbetrieb stand. Er fand es sehr interessant und aufschlussreich, wie sie sich so locker, als wäre nichts gewesen, unterhielten. Dabei hatte er auch mitbekommen, wie selbstverständlich sie mit der peinlichen Situation der beiden Frauen umgegangen waren und war zutiefst beeindruckt von den Burschen mit ihren rauen Schalen, in denen aber ein guter, weicher Kern verborgen lag.
Als die fünf Freunde mit den beiden Frauen im Erdgeschoss ankamen, traf gerade das ägyptische Bombenräumkommando ein. Sebastian sagte ihnen, in welchen Zimmern sie den Sprengstoff finden würden und kümmerte sich dann wieder um seine hochschwangere Frau.
Als sie im großen Behandlungszimmer von Doktor Mechier ankamen, stand der schon mit drei seiner Kollegen bereit und grinste die Männer frech an. „Na dann kommt mal her, Jungs und lasst euch von mir die Ohren abreißen. Denn ihr habt mir mein Lazarett zerlegt wie eine Weihnachtsgans. Außerdem will ich sehen, wer für die heutige Runde zuständig sein wird.“
Die Freunde sahen sich überrascht und verdutzt an.
Abdul musste laut loslachen, als er die Gesichter der Männer sah und zeigte auf das Headset, welches er an seinem Ohr trug. Erst da bemerkten sie, dass die kleinen Funkgeräte noch immer aktiv waren und lachten herzlich mit.
Kim wurde von einer Frauenärztin zur Untersuchung abgeholt. Und die vier Ärzte im Behandlungsraum nahmen sich der fünf deutschen Männer an. Wie immer bestand Andreas darauf, erst nach seinen Kameraden behandelt zu werden.
Nachdem Doktor Mechier sich die Schussverletzung von Thomas näher angesehen hatte, schickte er ihn sofort zur OP und teilte dafür die beiden besten Chirurgen ein, die er hatte. Dann wollte er sich Andreas vornehmen.
Doch der schob Anne vor. „Doc, ich möchte, dass du erst ihr Bein und ihren allgemeinen Gesundheitszustand kontrollierst. Sie hat zu lange bei der Hitze so gefesselt liegen müssen. Das ist wichtiger für mich. Das weißt du genau.“
Der Arzt wusste es sogar sehr genau. Er schüttelte zwar wieder ungläubig mit dem Kopf, doch dann zwinkerte er ihm zu und schob Anne in den angrenzenden Behandlungsraum, um sie gründlich zu untersuchen. Solange sie mit dem Arzt und zwei Schwestern da drin war, wehrte sich Andreas gegen jegliche Behandlungsversuche der anderen Ärzte und ging nervös vor der Tür auf und ab.
„Also, wenn man dich so sieht“, stellte Pitt nachdenklich fest, „könnte man denken, du wirst gerade Vater.“ Als Andreas kurz stockte, dann aber abwinkte und weiter auf und ab lief, sahen sich die Männer fragend an.
„Wir haben doch nicht etwa ins Schwarze getroffen?“, hakte Thomas nach.
„So ähnlich. … Vielleicht. Das Untersuchungsergebnis ist noch nicht eindeutig, und Anne selbst weiß noch nichts davon. Sie muss es auch nicht gerade von euch erfahren. Sie soll es selbst merken, fühlen und sich als erste darüber freuen können. Das ist mein größter Wunsch. Also haltet ja eure Klappen und verquatscht euch nicht“, gab Andreas total besorgt zu.
Wieder sahen sich die vier Freunde an und grinsten. Dann gingen sie, ohne etwas zu sagen, auf ihn zu, schnappten ihn sich, packten ihn bäuchlings auf die Liege, rissen ihm das Shirt auf und hielten ihn weiterhin fest.
„Meine Herren Doktoren, sie können“, sagte Sebastian mit einer einladenden Handbewegung auf Arabisch zu den drei Ärzten.
„Was soll das, Jungs?“, wehrte sich Andreas dagegen ankämpfend.
„Dann fällst du unter dein eigenes Prinzipiengesetz, mein Kleiner“, stellte Pitt lachend fest und zitierte seinen Freund: „Soldaten mit Kindern werden so gut es geht aus gefährlichen Kampfeinsätzen herausgehalten und prinzipiell als erste ärztlich versorgt.“
Andreas fügte sich, nahm aber den Freunden das Versprechen ab, dass sie nichts davon Anne gegenüber sagten oder auch nur andeuteten. Er wusste, dass er sich auf das Versprechen seiner Freunde verlassen konnte.
Als Abdul mit ihr aus dem hinteren Behandlungsraum zurückkam, lag Andreas noch auf der Pritsche und wurde behandelt. Schnell richtete er sich auf und sah seinen Freund und Arzt besorgt und fragend an. Doktor Abdul Mechier nickte ihm lächelnd zu. Daraufhin legte sich Andreas zufrieden lächelnd wieder zurück und ließ sich weiter seine älteren und neuen Wunden, was für ihn eigentlich nur kleine Kratzer waren, geduldig versorgen.
In der Zeit kam auch Kim in den Raum zurück und verkündete glücklich, dass alles mit ihr und den Babys in Ordnung sei. Erleichtert über diese Nachricht küsste Sebastian seine Frau liebevoll, bis ein Stöhnen von den anderen zu hören war und beide lachen mussten. „Wie sieht es aus, Doc?“, fragte Sebastian vorsichtig, aber verschmitzt lächelnd. „Nachdem wir dein schönes Lazarett etwas umgebaut haben, könnten wir da nicht heute alle zu Kim und mir heim? Etwas gemütlich zusammensitzen und dann auch da schlafen.“
„Komisch, aber auf diesen bescheuerten Einfall von einem von euch habe ich schon die ganze Zeit gewartet“, sagte der Arzt. Dabei waren alle Augen auf ihn gerichtet. „Warten wir ab, wie es eurem Thomas geht, wenn er aus dem OP kommt.“
„Och, der kann das ab“, beschwichtigte Pitt den Arzt. „Ist ja nicht das erste Mal, dass der Kugelfang gespielt hat.“
Wieder musste Mechier mit dem Kopf schütteln. „Jungs, ihr seid unmöglich. Da dachte ich schon, Andy und Sebi wären ein Einzelfall und nun habe ich es hier gleich mit fünf solchen hirnverbrannten Chaoten zu tun. Also sozusagen die geballte Ladung. Aber da schon in der Nacht hier die ersten Aufräum- und Sanierungsarbeiten am Haus beginnen sollen, damit der Klinikbetrieb schnellstmöglich wieder aufgenommen werden kann, habe ich nichts dagegen. Und da ich es schon geahnt hatte, habe ich bereits Rashid und Ahmed angerufen und sie machen euch was Leckeres zu essen, was besser schmeckt als das, was ich hier servieren konnte.“ Damit spielte er auf das eine Gespräch an, welches er ebenfalls schon mitgehört hatte.
Die Männer schnappten sich den Arzt jubelnd und luden ihn sich auf ihre Schultern, wo sie ihn hochleben ließen.
„Lasst mich sofort runter, ihr verrückten Kerle“, schrie Doktor Mechier erschrocken, aber doch lachend auf.
Seine Kollegen lachten eifrig mit, als sie sahen, wie ihr Chef da oben auf den Schultern der Männer doch etwas hilflos wirkte. Sie freuten sich mit ihm, dass er solche Freunde gefunden hatte und endlich wieder so lachen konnte. Seit dem gewaltsamen Tod seiner ganzen Familie, die bei einem feigen Anschlag vor drei Jahren ums Leben gekommen war, hatten sie ihn nicht mehr so befreit lachen gehört und gesehen.
Als Thomas aus dem OP geschoben wurde, beschwerten sich die Kollegen bei ihrem Chef, dass sich dieser unvernünftige Patient strikt gegen eine Narkose gewehrt hatte, sondern nur eine örtliche Betäubung verlangte.
Doch Doktor Mechier winkte nur ab und sagte auf Arabisch: „Mich hätte alles andere gewundert. Es ist schon in Ordnung.“ Dann bedankte er sich bei den Kollegen für die gute Arbeit.
„Und, bist du die Murmel los, Kleiner?“, fragte Pitt.
„Klar doch. Ist Nummer Sieben in meiner Sammlung. Wenn das kein gutes Omen ist“, antwortete Thomas und zeigte das neun Millimeter Projektil grinsend hoch. „Damit falle ich heute beim Bezahlen der Runde als Anwärter schon mal raus.“
Der Chefarzt wunderte sich noch immer, wie locker diese Männer damit und den gefährlichen Situationen, in denen sie sich schon so oft befunden hatten, umgingen. „Ich werde veranlassen, dass ihr mit zwei Sanitätswagen zu Kim und Sebi gebracht werdet“, entschied er.
„Nein, Doc“, meinte Sebastian und sah dabei in die Runde seiner Freunde. „Nicht nur wir, sondern auch du, Hasan und Kasim gehören zu diesem Team. Ihr müsst natürlich auch mit. Sonst ist unsere Truppe einfach nicht komplett und es würde ein wichtiger Teil fehlen.“
Alle nickten dem Arzt zu und lächelten ihn herausfordernd an.
Doktor Mechier ließ sich breitschlagen und stimmte zu. Sie nahmen ihn, Hasan, Kasim und die beiden Frauen in ihre Mitte, als sie das Gebäude verließen. Sie schauten noch einmal an der mit Scheinwerfern erleuchteten Fassade hoch, wo schon die ersten Sanierungsarbeiten der durch die Explosion zerstörten Außenwand begonnen hatten. Nacheinander halfen sie erst den Frauen, dann Thomas und Andreas, der nur noch an einer Krücke ging, in die beiden Wagen und stiegen selbst dazu.
Dem kleinen Konvoi begleiteten, als Schutz für die Insassen, zwei Jeeps mit bewaffneten Marines.
Als sie bei Kims und Sebastians Haus angekommen waren, stand da ein Toyota der Basis, in dem Rashid und Ahmed schon auf sie warteten. Die Freunde lagen sich zur Begrüßung in den Armen, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen. Die beiden Männer von der >Amun Re< trugen Speisen und Getränke, so wie ein paar mitgebrachte Shishas, ins Haus. Pitt und Andreas halfen Anne beim Aussteigen und schoben ihren Rollstuhl bis auf die Terrasse. Uwe kümmerte sich mit dem Arzt um Thomas, der noch etwas schwach vom Blutverlust war.
Hasan und Kasim brachten das Gepäck der Freunde, welches nicht gerade leicht war, mit ins Haus. Schnell rückten sie die Stühle aus dem Wohnzimmer mit auf der Terrasse zusammen und tauschten auch den kleinen Terrassentisch, gegen den großen Esszimmertisch aus, der auszuziehen ging.
Rashid entzündete die Kohle für die Wasserpfeifen und legte sie mit einer Zange auf den aromatisch riechenden, mit Honig getränkten Tabak, der nach grünen Äpfeln duftete. Er brachte die so bestückten Shishas zu den Männern, die sich herzlich dafür bedankten.
Ahmed hatte eine reife und saftige Melone auf dem Markt herausgesucht und brachte diese frisch aufgeschnitten auf einem großen Tablett aus der Küche. Als erster stürzte sich Andreas regelrecht darauf und machte einen großen Biss, dass der Saft aus seinen Mundwinkeln tropfte und alle darüber lachen mussten. Denn sie wussten, wie versessen ihr Freund auf solche reifen Wassermelonen war und sich da nicht beherrschen konnte.
Sebastian entfachte das Feuer im Kamingrill, nachdem er von Ahmed darum gebeten wurde. Als die Kohle richtig glühte, legte Ahmed große Fleischstücke darauf. Außer Uwe, Pitt, Thomas, Hasan und Kasim wussten alle, was für Fleisch das war. Wobei Hasan und Kasim schon etwas ahnten, weil sie davon gehört hatten.
„Ahmed, Rashid! Wo habt ihr das denn noch her?“, fragte Andreas begeistert auf Arabisch.
„Wir dachten uns, dass es noch mal eine gute Gelegenheit geben würde und durften diese Ration, die wir zurückgehalten haben, im Hotel in den Frost packen“, antwortete Rashid stolz.
„Klasse Einfall, Jungs“, antwortete Anne fröhlich. „Dann bekomme ich auch noch den Rest von meiner Wade zurück.“
„Also wenn mein Arabisch nicht ganz eingerostet ist“, meinte Pitt etwas unsicher, „dann handelt es sich hier wohl um irgendein besonderes Fleisch. Aber doch hoffentlich nicht Kamel. Ich mag die Tiere nämlich lieber lebendig. Und Annes Wade ist das doch nicht wirklich, oder?“
Anne und Andreas lachten laut auf und erzählten dann ihren Freunden von ihrem Haiabenteuer.
Sebastian, Kim und Abdul erzählten den Rest, der sich dann auf der Basis noch zugetragen hatte.
„Also verspeisen wir dann gleich einen Teil der Bestie, die euch zur Mahlzeit haben wollte?“, fragte Uwe etwas ungläubig und noch beeindruckt von der Erzählung.
„Ja, du Blitzmerker, genau so ist es“, antwortete Andreas und küsste seine Anne.
„Und ich habe von den Fischern am Nachmittag, als wir einkaufen waren, den fertig präparierten Kieferknochen von dem Hai zurückbekommen und soll ihn dir geben“, sagte Rashid und holte ein großes Paket vor.
Anne und Andreas packten es gemeinsam aus. Den Freunden blieb der Mund vor Staunen offen stehen, als sie den riesigen Haifischkiefer mit den vielen großen, weißen Reißzähnen sahen.
Jeder der Männer nahm ihn in die Hand und es schüttelte sie bei dem Gedanken, einem solchen, durch seine Verletzungen gefährlichen und gefräßigen Tier zu begegnen, wenn es noch lebt.
Sebastian brachte einen Kasten Bier auf die Terrasse und verteilte es. Schnell nahm Andreas seiner Freundin die Flasche weg, als sie gerade trinken wollte, und ersetzte diese durch eine Flasche Wasser.
Als Anne ihn erschrocken ansah, sagte er lächelnd: „Schatz, du musst doch noch Medikamente nehmen. Da ist Alkohol nicht gut. … Stimmt’s, Doc, da habe ich doch recht“, wandte er sich dann schnell an den Arzt. Er atmete sichtlich auf, als Anne das akzeptierte, ohne zu rebellieren, und somit seine Ausrede gelungen war.
Dabei lächelten ihm all seine Freunde wissend und gerührt über seine besondere Fürsorge für diese Frau zu.
Dieser sonst so hartgesottene Kerl, der sich immer von Frauen ferngehalten hatte, um sie nicht unglücklich zu machen, wie er oft sagte, aber auch zugab, dass er mit solchen Zicken nichts anfangen konnte, war hoffnungslos verliebt. Und das Ganze, wie es schien, sehr glücklich. Sie sahen ihren Freund in einem neuen Licht. Und sie wussten, dass es ihn schwer erwischt hatte und freuten sich für ihn.
Kim stellte Windlichter auf den Tisch und dann tafelte Ahmed hiesige Speisen auf, dass den Freunden die Augen übergingen. Rashid und Sebastian verteilten die Haifischsteaks auf die Teller, als diese durch waren. Und die Freunde stießen mit Bier, Wasser, Tee und Wein auf das Leben an.
Hasan half Thomas, indem er sein Steak gabelgerecht zerschnitt. Dann ließen es sich alle schmecken. An diesem Abend wurde viel gelacht. Keiner der Freunde erwähnte auch nur einmal die Strapazen des Tages. Sie erzählten sich von alten Episoden, flaxten miteinander herum und waren immer bemüht, Rashid und Ahmed, die kein Deutsch verstanden, einzubeziehen. Also holten auch Pitt, Uwe und Thomas ihr mal gelerntes Arabisch hervor und ernteten viele Lacher, wenn sie Vokabeln verwechselten, falsch aussprachen und so den Worten und ganzen Sätzen einen anderen Inhalt gaben.
Als das Handy von Andreas klingelte, ging er damit, nachdem er sich gemeldet hatte, lieber in den Wohnraum und schloss die Tür hinter sich.
Besorgt sah Anne ihm nach. Sie hatte Angst, dass dies ein neuer Auftrag für ihn und seine Freunde sein könnte.
Doch Andreas strahlte übers ganze Gesicht und die Ohren schienen dabei Besuch von seinen Mundwinkeln zu bekommen, als er zurückkam. Er trat hinter Annes Rollstuhl, beugte sich über sie und küsste sie. „Schatz, wir bekommen den Zuschlag für das >Red Sea Dive Resort<“, flüsterte er leise in ihr Ohr.
Freudig schrie Anne laut und schrill auf, dann schlang sie ihre Arme fest um seinen Hals und zog sich dabei halb aus dem Rollstuhl, dass es dem Arzt schon Angst und Bange wurde. Er wollte bereits zu ihr eilen, um schnell helfen zu können. Auch die anderen waren auf dem Sprung, weil sie nicht wussten, was auf einmal los war.
Sacht, Anne küssend, setzte Andreas sie in den Rollstuhl zurück und Abdul legte ihr Bein besorgt wieder auf das weiche Kissen, welches bei der plötzlichen Bewegung heruntergefallen war.
„Wir haben soeben den Zuschlag für die Tauchbasis >Red Sea Dive Resort< erhalten“, klärte Andreas die anderen freudig auf. Dann aber sah er seine drei Kameraden auch traurig an, als er weitersprach: „Ich habe mich dazu entschlossen, den Dienst zu quittieren. Es tut mir leid, Jungs, aber ich bin ausgebrannt.“
Keiner seiner Freunde konnte es ihm verübeln. Im Gegenteil wussten sie doch, dass er aufgrund seiner Verletzungen eh sonst ausgemustert oder hinter einem Schreibtisch im Stab verbannt worden wäre, was aber absolut nicht seine Sache gewesen wäre. Nein, sie freuten sich für ihn und über den Schritt, für den er sich selbst schon entschieden hatte. So würde ihn die Entscheidung der Arztkommission nicht wie ein Schlag ins Gesicht treffen.
„Hey Junge, wir finden das gut. Du bist doch nicht aus der Welt und wir haben immer einen klasse Urlaubsplatz bei dir und Sebi. Ich denke, das ist genau die richtige Entscheidung“, sagte Pitt und die anderen stimmten ihm zu.
Sie erhoben ihre Gläser auf die neue Zukunft ihres Freundes und Anne. Und wünschten den beiden alles Glück auf Erden und viele zahlende und vor allem nette Tauchgäste.
„Zwei so gute Freunde, auf zwei Tauchbasen eng beieinander, was kann es Besseres geben“, stellte Uwe fest.
Erneut wurden die Gläser erhoben.
Dann wurde Anne plötzlich wieder ernst. „Nur haben wir noch kein neues Zuhause, nachdem der Mann es unbedingt so umgestalten musste, dass keiner mehr drin wohnen kann“, sagte sie nachdenklich.
Es war still auf der Terrasse geworden.
Andreas konnte Annes Niedergeschlagenheit nachvollziehen. „Ach Schatz, wir haben doch noch gar nicht richtig gesucht. Bestimmt wird sich schon bald etwas finden, was uns gefällt. So lange ziehen wir eben ins Hotel. Wo ist da das Problem? Wir bekommen das hin“, versuchte er sie aufzumuntern.
„Vielleicht kann ich da helfen“, mischte sich Doktor Mechier ein. „Mein Haus ist für mich allein viel zu groß, es steht leer. Ich habe etwas Kleineres in Aussicht. Ihr könnt es gern haben. Dann weiß ich es wenigstens in guten und ehrenwerten Händen, was mir sehr wichtig ist.“
„Nein, Doc, das geht auf gar keinen Fall“, sagte Anne schnell. „Dein Haus ist kein normales Haus, sondern so wie ich mal gehört habe ein richtiger Palast. Er war schon immer im Besitz deiner Familie. Das kannst du nicht machen. Das ist gegen jeden eurer Bräuche.“
„Ich weiß, Anne. Aber ich habe keine Familie mehr, der ich es weitergeben oder vererben kann. Also bitte ich euch, seid ihr meine Familie, der ich dieses Erbe weiterreiche. Es wäre mir eine große Ehre und ein Herzenswunsch.“ Dabei verneigte sich Abdul Mechier vor Anne und Andreas. Die beiden sahen sich an und waren sich sofort auch ohne Worte einig. Anne nickte Andreas auffordernd zu.
„Ist es hier nicht so üblich, dass Familien zusammenleben?“, fragte Andreas den Arzt und sprach weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. „Auch uns ist es eine große Ehre.“ Dabei verbeugte sich auch Andreas vor Abdul. „Aber wenn wir das annehmen und so deine Familie werden, dann musst du uns auch ertragen und mit uns leben. Anders wird das nichts. Verzeih bitte, wenn wir das zur Bedingung machen würden. Mit dir, Doc oder gar nicht.“ Dabei hielten sich Anne und Andreas fest bei den Händen und sahen den Arzt fragend an. Abduls Augen füllten sich vor Rührung mit Tränen.
„Mit euch beiden dürfte mein Leben wohl nie mehr langweilig werden. Ich weiß nicht, ob ich das auf meine alten Tage noch so will“, antwortete Abdul leise und dachte eine Weile angespannt darüber nach.
Dabei traute sich keiner der Anwesenden, ein Wort zu sagen. Dann nickte er dem jungen Paar zu und meinte: „So was soll ja jung halten, also versuchen wir es mal.“ Kurz darauf lagen sich die drei in den Armen.
„Ich danke euch.“
„Doc, wenn ich fragen darf, was ist das mit der kleineren Wohnung?“, wollte Andreas dann wissen. „Wäre die vielleicht etwas für unseren Ahmed, damit er seine Eltern und seine Schwester mit herholen könnte und auch noch genug Platz für eine neue Familie hat, die er mal gründen will?“, fragte er, als er mit Abdul etwas abseits stand auf Deutsch, damit Ahmed davon nichts verstand.
Der Arzt nickte kurz.
„Gut, dann kaufe ich sie für ihn und seine Familie. Eine Familie gehört zusammen. Ich möchte nicht, dass sie noch weiter getrennt sein müssen, wenn ich daran etwas ändern kann. Kannst du das mit dem Hauskauf vielleicht für mich in die Wege leiten? Ich kümmere mich um den Rest“, sagte Andreas es ernst meinend.
Wieder nickte Abdul nur kurz und freute sich darüber, dass sich Andreas um Ahmed kümmern wollte, damit er seine Familie bei sich haben konnte.
Fortsetzung folgt
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