Unvergessen - Kapitel 13: Wenn alles zerbricht

Kunstbanause

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Auf einer Parkbank sitzt ein Mädchen mit langem blonden Zopf. Sie trägt einen durchsichtigen Plastikregenschirm mit buntem Blumenmuster, auf dem Tropfen für Tropfen zerplatzt. Doch nun ist alles anders, im Vergleich zum letzten Mal, als sie hier gesessen und geduldig auf diese schusselige Anwältin gewartet hat. Diesmal ist jegliche Hoffnung in Grund und Boden versunken, genau wie der Regen.

Nicht nur, dass ihre Schwester zu Unrecht verurteilt worden ist, jetzt kommt Yuri auch noch zu spät, schon eine halbe Stunde. Womöglich lässt sich diese Lügnerin, die nichts auf die Reihe bekommt als leere Versprechungen zu machen, auch gar nicht mehr blicken. Höchstwahrscheinlich hat sie Katia schon aufgegeben und will nun auch ihre anhängliche Schwester loswerden, unter dem Vorwand, noch etwas im Büro erledigen zu müssen.
Ja, auf diese Weise hat es sich abgespielt. Warum muss Luna auch nur so einfältig sein? Die Entscheidung des Richters ist endgültig: Katia kommt ins Gefängnis, daran gibt es nichts mehr zu rütteln. Und sie hat man die ganze Zeit über im Glauben gelassen, es gäbe noch Rettung, dass Yuri etwas tun könnte. Jetzt ist sie fort und Luna ganz alleine. Das gebrochene Mädchen stämmt ihr zartes Gesicht in ihre Hände, zum Regenschauer gesellen sich nun auch salzige Tränen.

Etwas entfernt parkt ein Auto am Straßenrand, Luna schaut jedoch nicht auf. Sie betrachtet lieber einen kleinen weißen Käfer, der immer wieder versucht, die Spitze eines Grashalms zu erklimmen. Vergeblich, stets rutscht er ein Stück hinunter, jedes Mal etwas tiefer.
Eine Autotür knallt, dann ertönen plätschernde Schritte auf dem Gras, bis ein Paar gepflegter Lederschuhe das Insekt gnadenlos platt tritt. "Luna, bist du es?"
Sie gräbt ihr verquollenes Gesicht aus den Händen. "Oh, Herr Sunsweet. Sie sind das." Erneut blickt sie zu Boden.
Justin schluckt nervös, er geht in die Hocke und versucht ihr ins Gesicht zu sehen. "Luna... es tut mir leid, was mit deiner Schwester passiert ist."
"Ach ja?" Gereizt schaut sie auf. "Und deshalb haben Sie sie auch ins Gefängnis gebracht? Tolle Leistung, Herr Staatsanwalt!" Erschrocken weicht er mit betroffener Miene einen Schritt zurück, ihre verzweifelten und wutdurchtränkten Augen durchbohren ihn. "Luna... ich wünschte, es wäre anders gelaufen aber-"
"Jaja, ich verstehe schon. Sie können ja nichts dafür, haben nur Ihren Job gemacht und die vorliegenden Beweise ausgewertet."
Es herrscht Stillschweigen, lediglich das matte prasseln der Regentropfen ist zu vernehmen, dann surrt ein Wagen über die nassen Straßen. Sie stößt einen langen Seufzer aus. "Tut mir leid, dass ich Sie eben angefahren habe. Ich weiß, Sie meinen es nicht böse." Justin reicht ihr wortlos einen lila Lolly, Luna nimmt ihn an und schiebt ihn sich in den Mund.

Justin muss kurz schmunzeln, dann ergreift er das Wort. "Was machst du eigentlich hier? Wartest du auf jemanden?"
Luna stöhnt. "Ja... auf Yuri. Aber ich glaube, sie kommt nicht mehr."
"Wie kommst du darauf?", fragt Justin überrascht. Sie sieht ihn an und bemerkt, dass ihm sein Haar, vom Regen völlig verwüstet, im Gesicht klebt. Offensichtlich trägt er keinen Schirm bei sich, jedoch einen weißen Käfer an der Hose.
"Naja, sie wollte schon vor einer knappen Stunde hier sein. Den Fall wird sie wohl aufgegeben haben, das hätte jeder halbwegs realistische Anwalt. Sonst wäre sie ja gekommen."
Nachdenklich starrt Justin ins Leere. "So ein Schwachsinn", sagt er abrupt.
"Was?" Verdutzt, mit Lutscher im Mund, schaut Luna auf.
"Ich kenne Yuri. Sie würde niemals ein Treffen vereinbaren und sich dann heimlich aus dem Staub machen. Nein, das passt nicht zu ihr. Irgendwas stimmt da nicht." Nervös kramt er in den Innentaschen seines Sackos. Wider erwarten zieht er ein Handy hervor, es besteht auch nicht aus Gelatine. "Weißt du, wo sie hin wollte?" Er hält das Smartphone an sein Ohr.
"In ihr Büro, ein Formular ausdrucken oder so, aber... glauben Sie wirklich, dass-"
"Gut." Enttäuscht wandert das Gerät in seine Hosentasche. "Kennst du den Weg?" Er deutet auf sein Auto, Luna kann nicht ganz folgen. "Äh, ja denke schon..."
"Dann komm!" Er greift ihre Hand und zieht sie auf die Beine. "Ich habe ein ungutes Gefühl, wir sollten keine Zeit verlieren!"
 



 
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