SilberneDelfine
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„Weißt du eigentlich, wie gut du es heutzutage hast?" Die alte Dame sah ihre Urenkelin, die ihr in ihrem Wohnzimmer gegenüber saß und es sich in dem altmodischsten, aber gemütlichsten Sessel bequem gemacht hatte, nachdenklich an.
„Ach Uromi! Natürlich weiß ich das. Ich habe genug zu essen, kann mir Kleidung kaufen und bekomme Taschengeld", sagte Isolde, wobei sie sich bemühte, einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Einmal falsch geguckt, und ihre Urgroßmutter Agathe hörte nicht mehr auf zu reden, das wusste sie aus Erfahrung.
„Das meinte ich nicht", sagte Agathe mit Nachdruck. „Das ist gewiss wichtig, aber ich meine etwas anderes."
Isolde ergab sich in das Unvermeidliche. „Was meinst du denn, Uromi?"
„Wie alt bin ich?"
„Du wirst nächsten Monat 89 Jahre alt", antwortete die 13-jährige Isolde. Sie war stolz auf ihre Urgroßmutter, die körperlich noch rüstig war und geistig topfit. Deswegen besuchte sie sie auch oft. Agathe wohnte im Nachbarhaus, das an das Haus ihrer Eltern grenzte. Ihre Mutter, die Enkelin von Agathe, hätte es lieber gesehen, dass Agathe bei ihnen im Haus lebte, aber Isoldes Urgroßmutter gehörten nach dem Tod ihres Mannes beide Häuser, und sie liebte ihre Unabhängigkeit. Isoldes Großmütter wohnten mit ihren Männern weiter weg. Die Eltern ihres Vaters lebten in Berlin, da deren älteste Tochter, Isoldes Tante, mit ihrer Familie auch dort wohnte. Die Eltern ihrer Mutter waren vor längerer Zeit nach Wien gezogen, weil Isoldes Großvater von dort stammte, und hatten sich dort ein Haus gekauft. So war Agathe quasi Urgroßmutter und Großmutter zugleich.
„Weißt du auch, wann ich geheiratet habe?", fragte Agathe nun.
Isolde wusste es nicht. „1960?", riet sie.
Agathe lächelte. „Ein bisschen früher. 1960 kam deine Großmutter zur Welt. Geheiratet habe ich 1957, am 24. Mai. Weißt du, was in diesem Monat noch passiert ist?"
Isolde schüttelte den Kopf.
„Am 03. Mai 1957 wurde das Gleichberechtigungsgesetz im Deutschen Bundestag beschlossen. Eigentlich war es schon im Grundgesetz festgeschrieben. Die neuen Regelungen hatten zum Ziel, die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Bundesrecht umzusetzen."
„Das klingt aber kompliziert", sagte Isolde.
„Ja, es war nicht so einfach. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten sich schon 1949 darauf geeinigt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind."
„Mütter und Väter?", fragte Isolde verwundert. „Waren damals schon Frauen dabei?"
Agathe nickte. „Ja, aber nicht viele. Es waren 4 Mütter und 61 Väter des Grundgesetzes 1949."
„Heute sind viel mehr Frauen in der Politik", warf Isolde ein, die auch etwas Schlaues sagen wollte.
Agathe nickte. „Und das ist auch gut so", bekräftigte sie mit einem Nicken, während sie bemerkte, wie ihre Urenkelin an ihren Lippen hing. Trotz ihres jungen Alters schien sie sich nicht zu langweilen.
„Zurück zu damals", fuhr sie fort, „dieses Gesetz musste natürlich genau ausgearbeitet und geregelt werden. Bis es soweit war, stützte man sich noch auf die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches - also des BGB - von 1896. Der Mann war das Oberhaupt der Familie, der in allen ehelichen Angelegenheiten in letzter Instanz entschied. Die Ehefrau war dagegen verpflichtet, den Haushalt zu führen."
„Das würde mir gar nicht einfallen!", rief Isolde entrüstet. „Ich heirate nur einen Mann, der im Haushalt hilft."
„Da hast du völlig recht", stimmte Agathe zu.
Isolde sah ihre Großmutter verschmitzt an. „Ich weiß schon, warum du mir das erzählst. Es ist bald der 8. März."
Agathe nickte. „Das ist unser Tag."
„Ich weiß übrigens auch etwas", sagte Isolde eifrig. „Frauen durften in Deutschland schon wählen, da warst du noch gar nicht geboren."
„So? Wann war das das denn?", fragte Agathe, obwohl sie es genau wusste.
„Am 19. Januar 1919 konnten Frauen in ganz Deutschland zum ersten Mal wählen und gewählt werden", erklärte Isolde. „Bei den Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung. Das haben wir vor kurzem in der Schule gelernt."
„Das ist toll", sagte Agathe anerkennend. „In welchem Fach denn?"
„Erdkunde", sagte Isolde und prustete los, als sie den verblüfften Gesichtsusdruck ihrer Urgroßmutter sah. „Das stimmt. Es war in Erdkunde, gehörte aber eigentlich nicht zum Unterricht. Frau Lentz erzählt nur gern zwischendurch. Tim sagte etwas wegen den Wahlen und den Plakaten, die überall rumhängen, und da kam Frau Lentz eben darauf."
„Achja, die Wahlen", sagte Agathe. „Wer hat überhaupt gewonnen?"
„Omi!" In gespielter Aufregung kürzte Isolde die Anrede für ihre Urgroßmutter ab. „Das kannst du mir nicht erzählen, dass du das nicht weißt!"
Agathe tat so, als müsse sie angestrengt nachdenken. „Wer weiß", sagte sie dann. „Ich weiß aber etwas anderes. Ich lade deine Mutter und dich zum Frauentag ein. Schön, dass er dieses Jahr auf einen Samstag fällt. Wir machen einen Ausflug, gehen essen und ins Museum. Was hältst du davon?"
„Super Idee!" Isolde war Feuer und Flamme. „In welches Museum denn? In ein Frauenmuseum?"
Agathe schüttelte den Kopf. „Ins Caricatura Museum Frankfurt, Museum für Komische Kunst."
„Oh! Das klingt gut!" Isoldes Augen funkelten.
Agathe strich ihrer Urenkelin übers Haar.
„Manchmal will auch ich mich einfach nur amüsieren", sagte sie.
„Ach Uromi! Natürlich weiß ich das. Ich habe genug zu essen, kann mir Kleidung kaufen und bekomme Taschengeld", sagte Isolde, wobei sie sich bemühte, einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Einmal falsch geguckt, und ihre Urgroßmutter Agathe hörte nicht mehr auf zu reden, das wusste sie aus Erfahrung.
„Das meinte ich nicht", sagte Agathe mit Nachdruck. „Das ist gewiss wichtig, aber ich meine etwas anderes."
Isolde ergab sich in das Unvermeidliche. „Was meinst du denn, Uromi?"
„Wie alt bin ich?"
„Du wirst nächsten Monat 89 Jahre alt", antwortete die 13-jährige Isolde. Sie war stolz auf ihre Urgroßmutter, die körperlich noch rüstig war und geistig topfit. Deswegen besuchte sie sie auch oft. Agathe wohnte im Nachbarhaus, das an das Haus ihrer Eltern grenzte. Ihre Mutter, die Enkelin von Agathe, hätte es lieber gesehen, dass Agathe bei ihnen im Haus lebte, aber Isoldes Urgroßmutter gehörten nach dem Tod ihres Mannes beide Häuser, und sie liebte ihre Unabhängigkeit. Isoldes Großmütter wohnten mit ihren Männern weiter weg. Die Eltern ihres Vaters lebten in Berlin, da deren älteste Tochter, Isoldes Tante, mit ihrer Familie auch dort wohnte. Die Eltern ihrer Mutter waren vor längerer Zeit nach Wien gezogen, weil Isoldes Großvater von dort stammte, und hatten sich dort ein Haus gekauft. So war Agathe quasi Urgroßmutter und Großmutter zugleich.
„Weißt du auch, wann ich geheiratet habe?", fragte Agathe nun.
Isolde wusste es nicht. „1960?", riet sie.
Agathe lächelte. „Ein bisschen früher. 1960 kam deine Großmutter zur Welt. Geheiratet habe ich 1957, am 24. Mai. Weißt du, was in diesem Monat noch passiert ist?"
Isolde schüttelte den Kopf.
„Am 03. Mai 1957 wurde das Gleichberechtigungsgesetz im Deutschen Bundestag beschlossen. Eigentlich war es schon im Grundgesetz festgeschrieben. Die neuen Regelungen hatten zum Ziel, die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Bundesrecht umzusetzen."
„Das klingt aber kompliziert", sagte Isolde.
„Ja, es war nicht so einfach. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten sich schon 1949 darauf geeinigt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind."
„Mütter und Väter?", fragte Isolde verwundert. „Waren damals schon Frauen dabei?"
Agathe nickte. „Ja, aber nicht viele. Es waren 4 Mütter und 61 Väter des Grundgesetzes 1949."
„Heute sind viel mehr Frauen in der Politik", warf Isolde ein, die auch etwas Schlaues sagen wollte.
Agathe nickte. „Und das ist auch gut so", bekräftigte sie mit einem Nicken, während sie bemerkte, wie ihre Urenkelin an ihren Lippen hing. Trotz ihres jungen Alters schien sie sich nicht zu langweilen.
„Zurück zu damals", fuhr sie fort, „dieses Gesetz musste natürlich genau ausgearbeitet und geregelt werden. Bis es soweit war, stützte man sich noch auf die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches - also des BGB - von 1896. Der Mann war das Oberhaupt der Familie, der in allen ehelichen Angelegenheiten in letzter Instanz entschied. Die Ehefrau war dagegen verpflichtet, den Haushalt zu führen."
„Das würde mir gar nicht einfallen!", rief Isolde entrüstet. „Ich heirate nur einen Mann, der im Haushalt hilft."
„Da hast du völlig recht", stimmte Agathe zu.
Isolde sah ihre Großmutter verschmitzt an. „Ich weiß schon, warum du mir das erzählst. Es ist bald der 8. März."
Agathe nickte. „Das ist unser Tag."
„Ich weiß übrigens auch etwas", sagte Isolde eifrig. „Frauen durften in Deutschland schon wählen, da warst du noch gar nicht geboren."
„So? Wann war das das denn?", fragte Agathe, obwohl sie es genau wusste.
„Am 19. Januar 1919 konnten Frauen in ganz Deutschland zum ersten Mal wählen und gewählt werden", erklärte Isolde. „Bei den Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung. Das haben wir vor kurzem in der Schule gelernt."
„Das ist toll", sagte Agathe anerkennend. „In welchem Fach denn?"
„Erdkunde", sagte Isolde und prustete los, als sie den verblüfften Gesichtsusdruck ihrer Urgroßmutter sah. „Das stimmt. Es war in Erdkunde, gehörte aber eigentlich nicht zum Unterricht. Frau Lentz erzählt nur gern zwischendurch. Tim sagte etwas wegen den Wahlen und den Plakaten, die überall rumhängen, und da kam Frau Lentz eben darauf."
„Achja, die Wahlen", sagte Agathe. „Wer hat überhaupt gewonnen?"
„Omi!" In gespielter Aufregung kürzte Isolde die Anrede für ihre Urgroßmutter ab. „Das kannst du mir nicht erzählen, dass du das nicht weißt!"
Agathe tat so, als müsse sie angestrengt nachdenken. „Wer weiß", sagte sie dann. „Ich weiß aber etwas anderes. Ich lade deine Mutter und dich zum Frauentag ein. Schön, dass er dieses Jahr auf einen Samstag fällt. Wir machen einen Ausflug, gehen essen und ins Museum. Was hältst du davon?"
„Super Idee!" Isolde war Feuer und Flamme. „In welches Museum denn? In ein Frauenmuseum?"
Agathe schüttelte den Kopf. „Ins Caricatura Museum Frankfurt, Museum für Komische Kunst."
„Oh! Das klingt gut!" Isoldes Augen funkelten.
Agathe strich ihrer Urenkelin übers Haar.
„Manchmal will auch ich mich einfach nur amüsieren", sagte sie.
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