Vater unser im Himmel

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Vater unser im Himmel


Vater, das schöpferische Urprinzip, aus dem wir Menschen entstanden sind, steht als erstes Wort in diesem Gebet, das uns als einziges Gebet direkt von Jesus gelehrt wurde (Mt. 6, 9-13).
Das erste Wort des Gebets symbolisiert den Urimpuls, das Schöpferische, den Geist, aus dem alles entstanden ist und in dem alles ist. Der Vater und die Zahl EINS sind identisch.
Der mittelalterliche Mystiker Agrippa von Nettelsheim schreibt über die EINS:
"Die Einheit durchdringt jede Zahl, Sie ist allen Zahlen gemeinsames Maß. Sie enthält alle Zahlen in sich vereint, schließt aber jede Vielfalt aus. Die EINS ist sich immer selbst gleich und unveränderlich, daher sie auch, mit sich selbst multipliziert, sich selbst wieder zum Produkt hat. Sie ist, wenngleich ohne Teile, teilbar. Sie wird aber durch Teilung nicht nur in Teile zerlegt, vielmehr in neue Einheiten. Keine dieser Einheiten ist indessen größer oder kleiner als die ganze Einheit, und jeder kleinste Teil ist wieder sie selbst in ihrer Ganzheit".
Die EINS, die in vielen Kulturen und Religionen mit dem Gottessymbol gleichgesetzt wird, symbolisiert auch im Vater unser den einen Gott. Schauen wir uns die Symbolik der EINS etwas genauer an.
Im Christentum wird der EINS größter Wert beigemessen. So heißt es im Epheserbrief (4, 5-6): "Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller."
Angelus Silesius, ein bekannter christlicher Mystiker, schreibt:
"Gleichwie die Einheit ist in jeder Zahl, so ist auch Gott der Ein' in Dingen überall."
Nahezu alle Mystiker betrachten die Zahlen nicht nur quantitativ, sondern weisen auch jeder Zahl eine qualitative Bedeutung zu (siehe z.B. F.C.Endres Und A.Schimmel: Das Mysterium der Zahl, 1985, Dietrichs Gelbe Reihe). Bei Silesius wird, wie bei vielen Mystikern, das Geheimnis Gottes mit der Qualität der Zahl EINS gleichgesetzt. Der Mystiker Valentin Weigel setzt Gott und die Schöpfung in direkten Bezug zu den Zahlen:
"Das Eine ist ein Beschluss und Begriff aller Zahlen, 2, 3, 5, 10, 100, 1000. Darum kannst du sprechen, dass EINS ist alle Zahlen complicite zusammengewickelt, aber 2, 3, 5, 10, 100, 1000 ist nichts anderes als eine Auswicklung. Gott will ich vergleichen der ersten und die Kreatur den anderen Zahlen, darum dass Gott einig ist ..., und darum, dass die Kreatur an ihr selbst zweifach ist oder zwei Ansehen hat, als auf sich selbst und auf Gott."
Die Symbolik der EINS schwingt auch in diesem ersten Wort Vater mit und deutet tief auf das Gottesgeheimnis hin.
Der tiefere Zusammenhang zwischen der Qualität der EINS und Gott sei durch einen Vers aus der Weisheit der Brahmanen von Friedrich Rückert nochmals unterstrichen:
"So wahr als aus der Eins die Zahlenreihe fließt,
So wahr aus einem Keim des Baumes Krone sprießt,
So wahr erkennst du, dass der ist einzig einer,
Aus welchem alles ist, und gleich ihm ewig keiner."
Unser Vater im Himmel ist mehr als ein irdischer Vater. Er ist der alles umfassende Vater, aus dem alles Geschaffene fließt, aus dem alles ist und den doch keiner begreifen kann, der Gott im Himmel. Der Himmel als der Gegenpol zur Erde, als ein Zustand, der dem der Erde gerade entgegengesetzt ist. Im Himmel herrschen wieder paradiesische Zustände, die der Mensch abgelehnt hat, um Erkenntnis zu gewinnen, um sein zu können wie Gott.
Die große Polarität zwischen oben und unten, zwischen Himmel und Erde wird angesprochen, die Zweiheit der Kreatur, die tiefe Verzweiflung, weil wir die Einheit nicht integrieren können.
Vater unser im Himmel ist der Urimpuls, aus dem alles Leben geschaffen wurde, der aktive, männliche Teil, der den Anstoß gab, dass Mutter Erde Leben hervorbringen konnte.

In der griechischen Mythologie wird dieser Urimpuls im Mythos vom Himmelsgott Uranos beschrieben, der mit seiner Gattin Gaia, der Mutter Erde, Kinder zeugt. So müssen die Gegensätze Himmel und Erde vereint werden, der Urimpuls mit dem Gebärenden, denn nur so kann Welt, kann Kreatur erschaffen werden in ihrer Zweiheit und Gegensätzlichkeit.
Der Vater ist die Idee, der Geist, der Logos, der Intellekt, die Causa efficiens, aus der alles hervorgegangen ist, der Vater aller Dinge nicht nur auf Erden, sondern auch im Himmel. Vom Vater geht die Wirkung aus und erwirkt alle Formen auf Erden.
Wir Menschen haben die Fähigkeit zu erkennen, dass es ein zeugendes Prinzip, den Vater, die EINS gibt, das nicht im Bereich der Formen, sondern im Bereich der Urideen, der Urworte ("Im Anfang war das Wort") angesiedelt ist. Dieser Vater schafft durch sein Wort die Formen, die der Mensch durchschauen muss, um den tiefen Sinn dahinter sehen und erkennen zu lernen. Der Formen gibt es viele, doch sind sie alle nur mit einem Inhalt gefüllt. Der Vater, der von sich sagt, "ich bin in allem und alles ist in mir", der die Einheit, das All-Eine darstellt, das Unfassbare, das Namenlose, der in allem ist, weil er alles gezeugt hat, der alles in sich hat, weil er alles zeugen kann.
Mit diesem Impuls in die Stofflichkeit beginnt der Zyklus der Menschwerdung, dessen Uranfang nicht fassbar ist, ebenso wie der Urknall für unsere physikalischen Gesetze nicht fassbar ist.
Dieser erste Impuls in die Stofflichkeit ist eben noch nicht Form und daher nicht fassbar und noch nicht zu begreifen und entzieht sich damit auch unseren realen Begriffen. Wir können dafür nur Umschreibungen wählen.
In stillem Gebet oder in meditativer Versenkung können wir vielleicht eine Ahnung von der tiefen Bedeutung dieses ersten Impulses, dieser zusammengewickelten, alles enthaltenden EINS erahnen.

Betrachten wir zum Schluss das Wort Vater im Hinblick auf seine Verschlüsslung. Diese wird nach dem von Cheiro entwickelten Zahlensystem durchgeführt. Danach wird V = 6, A = 1, T = 4, E = 5 und R = 2 zugeordnet. Addiert man diese Zahlen, so erhält man 18 und davon die Quersumme ist 1+8=9.
Die zahlenmäßigen Verschlüsselungen des Wortes Gott und Jesus ergibt folgende Zuordnung: G = 3, O = 7, T = 4 und J = 1, E = 5, S = 3, U = 6.
Addieren wir die Zahlen dieser Buchstaben, so erhalten wir für Gott und Jesus jeweils 18 und somit wieder die Quersumme 9.
Zahlenphilosophisch gesprochen haben somit Vater, Gott und Jesus die gleiche Qualität der 9, die 9 als potenzierte 3 und damit als höchster Ausdruck der göttlichen Dreifaltigkeit. In der mittelalterlich christlichen Tradition drückt die 9 die Nähe zur Vollkommenheit (symbolisiert durch die Zahl 10) aus. Sie deutet aber auch auf Leiden und Passion hin, denn der Tod Jesu trat zur neunten Stunde ein. Andere christliche Ausdeutungen führen zu den neun Ordnungen der Engel, in der sich die vollkommene 3 reflektiert, zu denen die göttliche Einheit als sie zur Zehn vervollkommnendes Glied tritt. Die 3 und damit die 9, als potenzierte 3, ist die Wurzel der Dreifaltigkeit und damit mit der alles umfassenden EINS die Vollkommenheit. Vielleicht ist zu spüren, dass Gott und Vater eine tiefgehende gemeinsame Wurzel haben.
 



 
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