"verbotene" Worte

Cassiopeia

Mitglied
Mir hat mal jemand gesagt, dass gewisse Worte vermieden werden sollten besonders in der Lyrik.

Es gab darüber schon heftige Streitereien. Der Gebrauch von Worten wie "und" oder "tun", wie "Oh" oder "Ah", wie "Seele" oder "Schmerz" wäre nie ein Gewinn für einen lyrischen Text.

In gewissem Umfang muss ich dem zustimmen. Ich glaube, die deutsche Sprache bietet uns genügend Möglichkeiten den Gedanken besser Ausdruck zu verleihen.

Wie seht ihr das?
Was bringt euch beim Lesen eines Gedichtes zu Fall, wo ihr die Hände über den Kopf zusammenschlagt?
Verbietet ihr euch selbst gewisse Worte oder nehme ihr alles, wie es kommt?
 

La Noche

Mitglied
Hallo Cassiopeia,

Also so ganz pauschal kann man das, glaube ich, nicht sagen, dass einige Wörter "nie ein Gewinn für einen lyrischen Text" darstellen. Es gibt durchaus Gedichte, wo Wörter wie "Schmerz", "Seele" usw. sehr gut passen. Es sollte beim Schreiben in dieser Hinsicht keine Tabus geben. Wichtig ist nur, dass der Autor/ die Autorin behutsam mit solch klischeebehafteten Wörtern umgeht. Es darf nicht schnell und billig zusammengeschrieben klingen.
Bei Gedichten, wo mich solche Wörter stören, stimmt meist schon der ganze Aufbau, das ganze Bild, die ganze Situation nicht. Meistens steht auch nicht viel drum herum, Wörter wie "Herz" und "Schmerz" sind auf die zigtausendste Art und Weise zusammengereimt. Dann bringt es mich zu Fall.
Aber ansonsten...

Schönen Abend noch,
La Noche
 

Zefira

Mitglied
Ich habe (von einer Rhetorikstudentin) gelernt, daß bestimmte Wendungen wie die Pest gemieden werden sollten, weil sie für so gut wie jeden Leser auf eine bestimmte Weise besetzt sind.
Ein Beispiel: "unendliche Weite".
Ich lese diese Wendung hier immer wieder mal und würde sie jedesmal am liebsten rot anstreichen. Unendliche Weite ist Enterprise.
Aus dem Bereich der Werbung gibt es noch viele solcher Wendungen, z.B. "zarter Schmelz", "das beste, das es je gab", "ich bin drin" usw. Wenn man so etwas überhaupt noch schreiben kann, dann allenfalls in ironischem Sinn. Die Verknüpfung mit einer ganz bestimmten Sache ist zwingend und automatisch.
 
P

Phantom

Gast
Ok, was mich beim Lesen eines Gedichtes zu Fall bringt sind u.a.:

- zu häufige Wechsel des Metrums

- Fremdwörter (wenn man diese wirklich nicht kennt, oder noch nicht mal ihre Bedeutung erahnt)

- Enjambements (in vielen Gedichten schlecht "plaziert")

- die äußere Form (wenn sie nicht stimmig ist, mit der inneren Form harmoniert)

Zu dem "Wortverbot":
Davon hab ich eigentlich noch nie etwas gehört, scheint aber doch was dran zu sein, da ich fast nie z.B. "Ah", "oh", oder "und" in den Gedichten hier lese...

Wenn du wirklich soviel Gewissensbisse bei "Schmerz" und "Seele" hast, Cassiope, dann benutz doch Neologismen (Wortneuschöpfungen)... für Seele fällt mir z.B. spontan "Glasseele" ein, kommt aber natürlich auf den Kontext an...

Gruß Phantom
 
P

Parsifal

Gast
Hallo Cassiopeia,

In der Regel sollte man nicht auf Hilfsverben reimen:

„Wer kann mir sagen, wer das ist,
der immer mit zwei Löffeln frißt?“

In Kinderreimen mag das noch angehen, sollte aber trotzdem möglichst unterbleiben.

„Der Mann, der vor mir war,
der war so wunderbar,
ob er nun größer, kleiner, dicker oder dünner war.“

In diesem Fall handelt es sich um einen Schlagertext.

Zu „und“ gibt es zahlreiche Gegenbeispiele, in denen das Wort eine Steigerung bewirkt:

„Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt...“

Viel schwerer wiegt m.E. ein Wechsel des Metrums, dem man meist anmerkt, daß es kein bewußt eingesetztes Stilmittel ist, sondern schlicht und einfach fehlendes rhythmisches Gefühl. – Am schlimmsten (und häufigsten) ist das Zusammentreffen von banalem Inhalt und sprachlicher Unfähigkeit, wenn z.B. der eigene Seelenmüll ausgebreitet und als Stein der Weisen unters lesende Volk gebracht werden soll.

Auch in der „hohen“ Literatur gibt es genug Negativ-Beispiele: so sind die meisten Gedichte von Hermann Hesse nicht schon deshalb gut, weil man ihnen ihre Epigonalität nicht gleich anmerkt.

Gruß
Parsifal
 
K

kaffeehausintellektuelle

Gast
Enjambements - ja die nerven mich auch, neben fremdwörtern. vor allem, wenn ich nicht weiß, was das ist, nervt es mich.

liebe grüße
die kaffeehausintellektuelle
 
P

Phantom

Gast
Enjambement

Hi Khi,

Ein Enjambement ist ein Zeilensprung, eine metrische Brechung.

Enjambement = das Übergreifen des Satzes über das Vers- oder Strophenende auf die nächste Zeile des Gedichts.

Gruß Phantom
 

Cassiopeia

Mitglied
Das sehe ich ähnlich. Die Sensibilität für das Thema muss im Zusammenspiel mit Worten und Stilistik stimmen. Trotzdem schrecken mich meist Gedichte mit solchen Worten einfach ab, da ich glaube, dass die meisten sich ihrer Wirkung gar nicht bewusst sind.

@La Noche


Och Gewissenbisse habe ich keine. Mir gehts gut dabei. *grinZ*

@Phantom


"Viel schwerer wiegt m.E. ein Wechsel des Metrums, dem man meist anmerkt, daß es kein bewußt eingesetztes Stilmittel ist, sondern schlicht und einfach fehlendes rhythmisches Gefühl. – Am schlimmsten (und häufigsten) ist das Zusammentreffen von banalem Inhalt und sprachlicher Unfähigkeit, wenn z.B. der eigene Seelenmüll ausgebreitet und als Stein der Weisen unters lesende Volk gebracht werden soll."

Das spricht mir aus der Seele. Oh Wacka, was für ein Wort. :D

@Parsifal


Also diese Enjambement finde ich gar nicht mal so übel, wenn sie gut gesetzt sind. Was ich nicht mag sind Pünktchen, Striche und elendig große Enjambements, wo ich scrollen muss und mir denke, naaaa wann kommt endlich mal wieder was.

@Phantom
 
T

theubner

Gast
...nun - grundsätzlich ist natürlich erst mal alles erlaubt... Enjambements mag ich sowieso - allerdings nicht, wenn sie einzig eingesetzt werden um die optische Fülle des Machwerks auszubreiten (und letztlich völlig willkürlich ein Wörtlein einsam zum Verse wird)... und wie man sieht, hab ich auch gegenüber Pünktchen und Strichen nicht die geringsten Bedenken - obwohl man sich ihre Anwendung auf Lyrik schon genau überlegen sollte...

...was nun verbotene Wörter und ausgetretene Reime angeht, so gibt es freilich auch einiges worüber ich im Notfall stolpern würde *g*... bitte keine Herz-Schmerz-Reime und keine Reime auf selbstgeschaffene Wörter oder Laute wie "Oh" oder "Ah" (wenn man sie überhaupt benutzt - was meistens wirklich nicht ratsam ist)... zuwider geht mir die Abneigung gegen "und" in Gedichten... solange man es maßvoll und gezielt einsetzt wird es dem Text eher Halt bringen als dass es ihn verhunzt...

...ansonsten sollte man sich halt genau überlegen, welche Bedeutung ein Wort hat und welches Klischee ihm anhaftet...

...theubner...
 

jon

Mitglied
Irgend ein Wort grundsätzlich für die Literatur als verboten zu erklären ist ungefähr so sinnvoll wie irgendeine Farbe als „nicht-künstlerisch“ für die Malerei zu sperren. (Das klappt ja inzwischen nicht mal mehr mit den Malwerkzeugen oder Untergründen…)

Was die Vorbelegung von Phrasen durch die Werbung angeht – inzwischen ist nicht eine einzige Wortgruppe mehr davor sicher. Man kann einfach nicht wissen, wie stark morgen oder übermorgen eine Formulierung vorgeprägt ist – man kann aber (zum Glück) auch nicht wissen, wie lange sie das ist. Oder wisst ihr noch, was "der Pausensnack" war? Zugespitzt wird die Problematik ja noch dadurch, dass es längst nicht mehr nur die Werbung ist, die man – wenn man das wirklich wollte – im Auge behalten müsste. Wie schnell kann so ein wunderbar einfacher und zugleich starker Satz wie "Und das ist gut so!" verdorben werden…


In Wirklichkeit stören doch diese Vorbelegungen (auch Vorbelegungen wie "tun tut man nicht") nur, wenn der Text rundum nicht stark genug ist, die augenblickliche Belegung absolut zweifelsfrei zu vermitteln. Oder – vor allem in der Lyrik – wenn dieses Wort nicht wirklich das "einzig wahre" für die Stelle ist, an der es steht.

Kurz gesagt: Es gibt nur eine Sorte verbote Worte – die, die man durch durch treffendere/passendere ersetzen kann.
 

Laveiu

Mitglied
Ihr macht mir Angst. ;-) Eure tiefsezierende Anatomie-Analyse von Lyrik ist beängstigend, wobei mir der Gedanke von zuweilen stark eigenwilliger Stilistik in Gedichten klassischer Autoren doch durchaus bekannt vorkommt..!

Liebe Grüße


Eure

Laveiu
 



 
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