Vereinsfähnchen im Wind

Es war ein schöner sonniger Sonntag, zumindest wäre es einer gewesen, wenn der Wind mir nicht unaufhörlich um die Ohren gepfiffen hätte. Es war ein Sonntag, an dem ich mich einmal mehr zu einem Kreisligaspiel verirrte. Ein Freund lud mich ein und versprach mir Bier. Ich zögerte nicht lange und fuhr mit.
14:15 Uhr:
Bevor ich mich versah, stand ich auf dem Sportplatz. Die Kneipe zu, sonst kein Schwanz da und der Wind war mir im Auto auch noch egal. Während die Kicker sich umzogen und warmmachten, setzte ich mich zu den einzigen drei anderen „Fans“ und versuchte mich, so gut es eben ging, anzupassen.
14:20 Uhr:
Ungefähr drei Armlängen rechts von mir saß ein junger Bursche, vielleicht Anfang 20, nickte immer wieder weg und war offenkundig sturzbetrunken. Er machte sich daraus überhaupt keinen Hehl. Warum auch?
„Ist der noch besoffen oder schon wieder?“ wunderte ich mich.
Ein kurzer Blick zu den restlichen Ultras half auch nichts. Die ältere Dame, die ihr eigenes Plasteflaschenbier trank, ließ sich überhaupt nichts anmerken. Sie war ein abgebrühter Vollprofi. Der mittelalte Mann neben ihr ließ noch weniger durchsickern. Ein flüchtiges Grinsen da, ein zurechtrücken der Sonnenbrille dort und fertig war das Image des coolen Fremden. Am meisten interessierte mich allerdings das kühle Uri in seiner Hand. Woher hatte er es und wie komme ich an eines?
14:23 Uhr:
Auftritt der wahren Stars.
Zwischen der Tribüne, auf der wir uns befanden und dem Bolzplatz, auf dem jeden Moment eine Schlacht zu beginnen drohte, befand sich der grüne Doppelstabmattenzaun und schützte uns vor Querschlägern oder Ähnlichem. Vor der Tür, die den Spielern zutritt in ihre Arena gewährte, standen sie.
Die Alphas ihres Rudels, die Capybaras unter den Nagetieren und die Geradschnabelkrähen unter den Vögel.
Die Vereinsfähnchen.
14:25 Uhr:
Wie sie anmutig im Wind tanzten. Wie sie sich mit ihrem weißen Aufdruck auf dem vereinseigenen Tschitscheringrün optimal an ihre Umgebung anpassten. Wie selbst ihr blecherner viereckiger Eisenfuß dank des Rost´s und den hiesigen Wetterbedingungen bereits einen leichten Grünton annahm. Mir fiel es, wie Schuppen von den Augen. Mir war, als hätte ich mein Leben lang den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen.
Ich erkannte, dass diese Fähnchen die nächste Evolutionsstufe längst erreicht hatten.
Und sie wussten es auch.
14:29 Uhr:
„Quiuiuiuiuiu Krichchchkrrrrch.“ spottete das linke Fähnchen (Fahne Nr. 1).
Mithilfe des Windes wackelten die Fähnchen von links nach rechts und erzeugten dadurch ein Quietschton, mit welchem sie sich letztlich unterhielten.
„Quiquiquiquiqui krrschschkrsch!“ antwortete das rechte Fähnchen (Fahne Nr. 2).
Offensichtlich war sie ganz anderer Meinung.
14:33 Uhr:
Ein plötzlicher Tumult braute sich zusammen. Der Wind pfiff noch stärker, als zuvor, durch unsere Reihen und stieß glatt den Aluaschenbecher um.
Im nächsten Augenblick stand die alte Frau, der Besoffene und meine Wenigkeit am Ort des Geschehens und bauten das spärlich genutzte Objekt wieder zusammen.
„Quiuquiuquiu krkarkakrakrak.“ lachten sich die beiden Fähnchen schlapp.
Und wie sie lachten! Sie bekamen sich überhaupt nicht mehr ein. Dennoch ließen wir uns von unserem Unterfangen nicht abhalten und erfüllten unsere Aufgabe wenig später problemlos.
14:38 Uhr:
Der Frau genügte unser Erfolg nicht. Der Aschenbecher stand zwischen den heftigen Böen immer noch auf wackligen Beinen. Sie entschloss sich, ihn kurzerhand mit einem Stein zu fixieren.
„Quischquischquisch krukrukruksch.“ feixten die Fähnchen wieder.
Na klar! Für sie war der Wind nicht das geringste Problem. Ganz im Gegenteil! Sie lebten mit ihm in vollkommener Harmonie. Die Beschwerden eines einfachen Aschenbechers könnten sie nie verstehen.
14:44 Uhr:
Der Wind fauchte immer weiter und trotz der Befestigung, welche die Plastebierfrau vornahm, wackelte der Aschenbecher-Mülleimer-Hybrid immer weiter.
„Vielleicht sollten wir einen schwereren Stein versuchen?“ erkundigte sie sich.
Ich antworte mit einem Schulterzucken. Meine Expertise reichte für eine gewinnbringende Antwort einfach nicht aus. Doch ich hoffte sie würde von ihrem Vorhaben abkommen. Ich hätte es nicht ertragen können, würden sich die Fähnchen ein weiteres Mal über sie lustig machen.
„Quischquisch kriukrasch.“ kommentierte Fahne 1.
Ohne Zweifel wusste ich, was es bedeudete.
„Mach doch!“
14:48 Uhr:
Nach langem hin und her entschied sich die Frau dazu, einen schwereren Stein zu holen. Durch die Sonnenbrille des coolen Fremden erkannte ich, dass sogar dieser für einen Wimpernschlag die Fassung verlor. Selbst Saufschnauze neben mir zückte erst mal eine Zigarette, um das eben Geschehene zu verarbeiten. Ich für meinen Teil wartete auf die Reaktion der Fahnen. Wie würden sie auf diesen Fauxpas reagieren?
14:50 Uhr:
Zuerst taten sie überhaupt nichts. Ohne einen Ton von sich zu geben, schauten sie sich einfach nur gegenseitig an. Als suchten sie nach einer Art Bestätigung. Als konnten sie selbst nicht glauben, was gerade passiert war.
Dann begriffen auch sie es.
„Quiquiquiquuquuquu krakri“ bekamen sie sich nicht mehr ein vor lachen.
Ich erkannte sofort, was da passierte. Ich sah das Äquivalent zu unserem Schenkelklopfer. Das Gegenstück zum Tränenlachen.
„Quischquischquisch.“ winkte Fahne 2 ab.
Vor Lachen schmerzte ihr bereits der Magen.
14:52 Uhr:
Mit einem Mal wurde es jedoch Still. Eine Wendung der Ereignisse, die niemand von uns kommen sah. Captain Morgan brauchte ein Feuer von mir. Weder ich, noch die beiden Fahnen wussten, wie wir darauf reagieren sollten. Erst starrten sie ihn fassungslos an, danach mich.
„Hab keins, sorry.“ antwortete ich kurz und knapp.
Ich wollte den Fähnchen keine unnötige Angriffsfläche bieten. Denen war das jedoch völlig egal und erneut begannen sie in ihren Bart zu kichern.
14:55 Uhr:
Ein lautes Pfeifen signalisierte uns, dass der Beginn des Matchs unmittelbar bevorstand. Doch eine unbekannte weitere Person betrat die Bühne!
„flatterflatterflatter.“ hing sich die Eckfahne des Spielfeldes in das Gespräch der Vereinsfähnchen.
Anscheinend wollte sie das Geschnatter der Beiden unterbrechen. Schließlich unterhält man sich im Kino ja auch nicht einfach so miteinander.
14:56 Uhr:
Zuerst erhob sich der coole Fremde, sagte mit einem dezenten Nicken alles, was es zu sagen galt und steuerte zielorientiert auf die Auswechselbank der Heimmannschaft zu. Es dauerte nicht lang und die Plastebierfrau folgte ihm unauffällig. Zu guter Letzt bewegte sich Charlie Sheen auf das dutzend Bänke zu, welche an der Seitenlinie positioniert wurden. Dabei schnippte er seine Kippe in die ungefähre Richtung des gesicherten Aschenbechers. Unterdessen verabschiedete auch ich mich still und leise von meinen treuen Freunden.
14:59 Uhr:
Letztlich setzte ich mich in Bewegung und verließ meinen Platz. Den Fähnchen im Wind warf ich keinen einzigen Blick mehr zu. Denn ich erkannte, dass ihnen widererwarten doch etwas ganz entscheidendes fehlte.
Laufen konnten die blöden Wichser nämlich nicht!
15:01 Uhr:
Während das Spiel begann, war ich noch auf dem Weg zur Gaststätte des Stadions. Ich spürte, wie sich Unbehagen in mir breit machte. Ich ahnte, was mich die nächsten 90 Minuten heimsuchen würde.


Die Kneipe war noch immer geschlossen.


Ende
 



 
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