Verlassenheit

r1d3

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Sie zog sich an, warf mir den Schlüssel zu, den sie aus ihrem blauen Mantel fischte, und sagte: "Ich komm nicht mehr zurück!"
Und weg war sie.
Der Schlüssel fiel neben mir auf die Matratze, hüpfte einmal, vibrierte kurz und kam zum erliegen. Die Wohnungstür fiel ins Schloss und unsere Beziehung war beendet.

Wir hatten das gestern besprochen, ich wusste, dass zwei leere Rotweinflaschen in der Küche standen. Wir hatten uns getrennt, geweint, unterhalten. Dann hatten wir guten Sex. Die ganze Zeit glaubte ich nicht an das Ende.

Nun war ich allein und realisierte es immer noch nicht. Deswegen versuchte ich noch zu schlafen, aber um mich war nur Dunkelheit, stahlhart, schwarz und einsam. Verzweiflung, nein, sie würde doch... hatte ich es geträumt? Mein Kopfkissen war warm zwischen meinen Händen. Ich konnte nicht mehr schlafen. Wo war sie?

Ich bin allein. Schlimmer "Du bist allein", eine innere Stimme und mir wurde schlecht.
Fünfmal rollte ich hin und her, danach stand ich auf - und es war kalt. Das Fenster war geöffnet, ein Luftzug wehte durchs Zimmer. Ich stolperte ins Bad, in die Dusche, duschte mich. Wasser prasselte auf meinen kurzgeschnittenen Kopf. Es fühlte sich gut an, aber nur eigentlich. Ich wusch mich und fühlte mich schuldig.
Alles hatte ich falsch gemacht.

"Hallo Traveler" so hatte ich sie begrüsst. Zwei Wochen später der erste Kuss, seltsamerweise auf einer Parkbank im November. Die Dunkelheit der spärlichen Laternen machte es romantisch, den Club hatten wir verlassen und saßen noch so da, müde und glücklich, ich vergaß sogar zu rauchen. Sie redete schon die ganze Zeit. Von Texas und ihrer Familie, ihrem Job an der bilingualen Schule und warum sie gerne Hüte trug.
"Du, ich bin eigentlich ganz normal." Sagte ich. "Ins Ausland gehe ich nur zum reisen."
"But you could visit the US with me! What do you say?" Ich wusste damals nicht, was amerikanischer Überschwang war, ich kannte ihn nur aus Legenden, aber ich war bereit es herauszufinden.

Sie fehlte mir enorm. Fast hätte ich geweint, aber ich zog stattdessen eine Grimasse und schnitt mich beim Rasieren. Es hätte auch Absicht sein können.

Nachdem ich das Blut notdürftig beruhigt hatte, ging ich aus dem Haus. Routinemäßig setzte ich mir den Hut auf, den sie mir geschenkt hatte und als ich mich auf der Strasse darüber ärgerte, dieses Utensil meiner Zuneigung zu tragen, war es zu spät. Gehe ich jetzt zurück endet der Tag hier. Also dann noch grimmiger ins Kaffee!


"Americano, groß."
"Hi!"
"Schuss Milch."
"Hafermilch?"
"Nein, Milch." Der Typ war neu, seine schwarz lackierten Fingernägel kannte ich nicht. Seine höfliche Laune ekelte mich. Ich bezahlte und setzte mich.
Was tun?

Lesen! Doch es ging nicht. Ich saß mit etwas Wittgenstein da und verstand wieder nichts. Mein Mißverständnis hatte damit begonnen dieses Buch in der Tasche zu haben, es war dünn und deswegen dort vor ein paar Tagen hineingerutscht. Auf einer logisch-philosophischen Ebene war ich einfach verwirrt, auf einer emotional-sozialen einfach einsam.

Ich versuchte es. Blickte auf die Worte und kurzen Sätze, rief mir in Erinnerung, was ich schon wusste und kam nicht ins philosophische Erleben hinein.
Die Gedanken in meinem Kopf nahmen eine andere Richtung. Es hatte nicht lange gedauert. Die gemeinsame Zeit. Vier Monate, fünf alles in Allem. Ich fühlte mich trotzdem umgekrempelt und dann zerstochen. Durch das Loch in meinem Inneren sauste der Wind. Und in dem Café blieb es still. Neben dem Barrista war ich der Einzige.

Ich legte das Buch weg und schrieb in mein Tagebuch:
"Ich hatte es gewusst, wie konnte ich es vergessen?
Nun wieder allein im Leben."
Es sollte optimistisch klingen, aber ich fühlte mich nicht so. Ich redete mir ein, dass es so hatte kommen müssen. Zu groß die Differenzen und schalt mich, für die Naivität und den Spass, den ich so unvorsichtig genossen hatte.
"Frauen sind gefährlich, der Schmerz einer Wunde vergeht, der Schmerz der Liebe bleibt." Schrieb ich auf.
Ich wurde düster und konnte immer noch nicht glauben, was und wie es geschehen war.

Mein Kaffee war alle.
Wortlos ging ich, wahrscheinlich blickte der Typ mir nach, aber vielleicht wunderte er sich auch nicht - Berlin.


Es war trostlos, obwohl die Sonne schien und die Blätter fielen. Genau meine Zeit im Jahr, aber es passierte häufig, gefühlt immer, dass der Höhepunkt nicht erreicht wird, durch kosmische Strahlung torpediert in sich zusammenkracht, gerade, dann, wenn der Weg zum Gipfel frei scheint.
Melancholie war meine Stimmung schon viel zu oft, jetzt war die Laune noch schlechter. Verzweifelt warf ich mich emotional gegen die Hürden der Einsamkeit und spazierte nach Süden. Da war ein Fluss. Zynisch dachte ich ans hineinspringen und wusste doch, dass das zuviel war. Um Ufer dort konnte es auch schön sein.

Ich schritt die Strassen entlang, im langen Mantel, Schritte die klackten, ich federte vor negativer Energie. Aus der Trostlosigkeit und Angst wurde Wut. Diese beschissene Welt, sie konnte was erleben. Ich würde, ich würde... auch nur zum Ufer gehen und... weiterspazieren. Trotz dieser demütigenden Vorstellung zog ich es durch.

Für fünf Minuten besaß ich sogar die Ruhe eine freie Bank zu okkupieren.
Ich starrte aufs Wasser. Ein häßliches Boot schwamm vorbei. Diese Arschgeigen drauf hatten auch kein besseres Leben, hämmerte ich mir ein.
"A heart that hurts is a heart that works" (Placebo)

Ich hätte ihre Nummer gehabt. Aber sie hatte ja gesagt: "Ich komm nicht mehr zurück."
Ich steckte mein Handy erleichtert weg, zog es aber gleich wieder heraus. Schrieb meiner Freundin Hannah: "Sie ist weg. Heute morgen hat sie es wahrgemacht. Ist einfach raus... lg Carli."

Dann machte ich mich auf die Flucht. Gehen, losgehen, schneller gehen. Das musste immer helfen.
Ich ging also und das nicht langsam. Ich ging und blieb in Bewegung, manchmal lüftete eine Brise meinen Mantel, sodass ich nur am Kopf schwitzte.
Ich wollte den Hut in die Spree werfen als ich sie überquerte und mich gleich hinterher, aber das machte ich nicht. Ich versuchte mir einzuschärfen, dass ich den Verlust integrieren musste. Die Zeit würde immer Bestandteil von mir sein. Und das tat weh.
Außerdem mochte ich ihn - und mich, oder?
Zweifel stiegen wie eine Gewitterfront auf. Langsam prasselten sie nieselregengleich und beständig auf mich ein. Wohin gehst du? Was machst du dort? Und danach? Das waren noch die leichten. Mein Hut schützte mich davor.
Was, wenn sie ihre Meinung ändert? Hoffnung ist naiv. Nur Fakten zählen. Das Fakt ist: sie ist weg. Das Fakt ist: du bist allein. Und das Fakt ist: ich hätte es gern anders, also bin ich schwach, mache mir Hoffnungen, bin naiv, nicht in der Lage die richtigen Fakten zu schaffen.

Ich drehte mich im Kreis. Mein Kopf wurde schwer und ich musste mich konzentrieren eine Zigarette zu drehen. Das Rauchen machte das Leben leichter, denn in dem Moment wusste ich ja, woher das Übel kam: Die Zigarette war schuld, nicht ich.
 



 
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