Versprechen

Heike Bauer

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Versprechen geben ist nicht schwer, Versprechen halten umso mehr

»Tim, ich komme heute leider später nach Hause. Oma wird da sein und für dich kochen. Vielleicht liest sie dir auch eine Geschichte vor, wenn du brav warst.« Ich greife hektisch nach meiner Handtasche, stecke das Handy und die Autoschlüssel in meine Manteltasche und laufe los. »Heute früh musst du dir eine Brotscheibe nehmen, aber morgen früh gibt es auch wieder eine neue Packung deiner geliebten Cornflakes. Versprochen.« Schon bin ich zur Tür draußen und eile einem weiteren hektischen Tag im Büro entgegen.

Wie es dazu kam, dass es unbemerkt Abend wurde, ist mir nicht klar, aber als ich das erste Mal bewusst auf die Uhr sah, zeigte diese 19:45 Uhr. 19:45, wie soll ich das nur schaffen? Ich darf meinen Sohn nicht schon wieder enttäuschen. Also fahre ich meinen Computer herunter, wohl wissend, dass mein Chef nicht mit mir zufrieden sein wird, und verlasse eilig mein Büro. Draußen auf der Straße fange ich das Laufen an, meine Kondition ist nicht die beste, sonst könnte ich rennen. Aber das Versprechen, mit Simone einmal pro Woche ins Fitnessstudio zu gehen, habe ich schon vor einem halben Jahr gebrochen. Nur noch diese Ecke und dann kann ich den Supermarkt schon sehen. Genauer gesagt, sehe ich, wie ein Verkäufer gerade seinen Schlüssel aus der Verriegelung der Schiebetür zieht. Vor der Tür stehend versuche ich, die noch im Laden beschäftigten Angestellten dazu zu bringen, mir noch etwas zu verkaufen, aber niemand reagiert auf mein Klopfen.

Das darf doch nicht wahr sein. ›Gibt es an Tankstellen Cornflakes?‹ Scheiß Ladenschlussgesetz hier in Bayern. In Berlin bekomme ich zu dieser Uhrzeit noch was. Sogar nach 22 Uhr ist noch alles zu haben. Aber hier! Hier kann ich froh sein, dass ich noch auf dem Gehsteig laufen darf und nicht auf die Straße muss, weil der Gehweg bereits hochgeklappt ist.

Auf dem Heimweg fühle ich mich schlecht und bin froh, dass mein Sohn bereits von Oma ins Bett gebracht wurde. Am nächsten Tag stehle ich mich, um meinem Sohn nicht zu begegnen, bereits vor 6:30 Uhr aus dem Haus. So kann ich auch mein Exposé für meinen Chef noch rechtzeitig fertigstellen. Es ist wichtig, dass ich diesen Job behalte und vielleicht noch etwas aufsteige, dann können wir, mein Mann, Tim und ich uns tolle Dinge leisten.

›Ehrlich. Wo war eigentlich mein Mann? Warum war er nicht für Tim da? Der schert sich eigentlich um überhaupt nichts.‹

Als ich abends auf meinen Sohn treffe, bin ich so ausgeredet wie seit meiner Einschulung nicht mehr. Ich bekomme fast kein Wort fehlerfrei heraus, ständig verspreche ich mich. Ich fürchte mich vor der Reaktion meines Sohnes, doch er hatte die Cornflakes bereits wieder vergessen.

So kommt es, dass ich mich auf einen der Küchenstühle setze und über unsere Situation nachdenke. ›Vielleicht muss ich ein letztes Versprechen brechen, um ein anderes zu halten. Vielleicht kann ich nur so meinen Sohn und mich glücklich machen. So zumindest kann es nicht weitergehen. Ich werde was ändern, und das letzte Versprechen, das Eheversprechen, muss dabei auch neu geprüft werden.‹

»Ich heirate dich heute nicht nur, weil wir dadurch etwa 1034 € Steuern sparen – wobei das auch ein schöner Vorteil ist – ich heirate dich, weil ich mit dir und nur dir den ewigen Bund der Ehe eingehen will.«
 
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