verstiegene berge

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Rachel

Mitglied
verstiegene berge

ich könnte achttausend
achthundertachtundvierzig servietten falten
und noch dreihunderttausend jahre

überlegen überlegen überlegen
warum ich auf dem mount everest
nicht höher gestiegen bin

die himmel scheibenblau
der hubschrauber einwandfrei gelandet
den müll lass ich oben

das stillste halten zählt
ausgeatmet nicht was könnte
hier vernebeln

wolken wolken wolken
jeden Tag
ein abstieg
 

sufnus

Mitglied
Hey!
Der Einschätzung von Maren kann ich mich voll anschließen. Sehr sehr schön - wirklich eine (Berg-)Spitzenidee!
Nur zwei Mini-Korinthen:

- Bzgl. "jeden Tag / ein Abstieg": Da müsste es m. E. entweder heißen "jeder Tag / ein Abstieg" (dann ist jeder Tag einem Abstieg gleichzusetzen) oder "jeden Tag / einen Abstieg" (dann erfolgt täglich ein Abstieg).

- Und dann noch zum Müll: Die overtouristische Vermüllung von bergsteigerischen Hotspots ist für meinen Geschmack fast schon zu "etabliert" und kommt daher im Gedicht beinahe als ein etwas "verspäteter" Beitrag zum Thema rüber. Vielleicht könnte man dem Müll noch irgendwie eine zusätzliche Ebene verpassen, so dass hier eine Perspektiverweiterung angeboten wird?
Vorschläge/Gedanken dazu:

"den Papiermüll lass ich oben"
"den Recyclingmüll lass ich oben"
"den Müllcontainer lass ich oben"
"den Datenmüll lass ich oben"

… alles erstmal so spontan ins Unreine gedacht.... :)

Unabhängig davon finde ich, dass Gedicht ist wunderbar originell und bietet eine beglückende Vielfalt an Lesezugängen an. :)

LG!

S.
 

Ubertas

Mitglied
Liebe Rachel,
ein großartiges Gedicht! Ich reihe mich hinter Maren und sufnus ein:)
Begeisterte Grüße
ubertas
 
liebe Rahel,
es gibt ein wunderbares feuilleton von jan skácel. er will sich einen hut kaufen, um diesen vor der nepalesischen regierung ziehen zu können, weil sie verboten hat, den letzten himalayaberg zu besteigen. weil sie der welt einen quadratkilometer unbetretenen schnees und ewigen schweigens bewahrt habe. auf dem großklockner, auf den er mit dem bus hochgefahren ist, um zu sehen, wie tief die menschen sinken können, hätte er seinen hut dagegen über seine schamroten ohren gezogen.
danke für dein gedicht
charlotte
 

wiesner

Mitglied
Unsere Kleinheit wirkt umso größer, je dichter wir uns vor den Naturen aufzublähen versuchen. Müll nicht vergessen, als müssten wir uns selbst dort verklappen.

Danke, liebe Rachel, für das ebenso originelle wie wichtige Gedicht!

Auf bald
Béla
 

Rachel

Mitglied
Herzlichen Dank, Maren, Sufnus, Ubertas, Charlotte und Béla fürs Antworten und alles, es freut mich sehr, ihr seid rauf auf den Berg. :) Ich war auch wieder oben, das Oberstübchen verzettelt - diesmal mit euren Anregungen - klasse.

Initial war umschreiben und was eigentlich aufrichtig loslassen - täglich oder übers Jahrzehnt? Dieser Gedankenmüll! Selbstironisch, aber ohne Scham, liebe Charlotte, eher zum Davonlaufen mit Jan, den guck ich an, aber momentan nicht einfach.

- Bzgl. "jeden Tag / ein Abstieg": Da müsste es m. E. entweder heißen "jeder Tag / ein Abstieg" (dann ist jeder Tag einem Abstieg gleichzusetzen) oder "jeden Tag / einen Abstieg" (dann erfolgt täglich ein Abstieg).
Da hätte ich gern beides miteinander vernebelt.

Vielleicht so:


das stillste halten zählt
ausgeatmet nicht was könnte
hier vernebeln
wolken wolken wolken
jeden Tag

ein abstieg


Die neuste Idee zum Thema Müll und Mount Everest sind Lasten-Drohnen. Klingt echt gut:


Die Himmel scheibenblau.
Der Hubschrauber einwandfrei gelandet.
Die Mülldrohne lass ich oben.


Ach ja, Béla, manchmal einfach rumfaulen, sich verklappen und dann vergletschern. :cool:

LG, Rachel
 

Ubertas

Mitglied
Liebe Rachel,
ich wollte dir eine PN schicken, hat nicht ganz geklappt;-) Vielleicht kannst du mir eine PN schicken?
Liebe Grüße ubertas
 

sufnus

Mitglied
Da hätte ich gern beides miteinander vernebelt.

Vielleicht so:


das stillste halten zählt
ausgeatmet nicht was könnte
hier vernebeln
wolken wolken wolken
jeden Tag

ein abstieg
Hey!

Bei der obigen Variante kommt, wie ich finde, durch die Leerzeile fast schon zu viel "Wuchtton" ins Gedicht. Oder doch nicht? Bin etwas unsicher.

Eine andere Vernebelungsstrategie wäre eine Pluralkonstruktion anstelle des singularischen "jeden Tag", weil dann Nominativ und adverbialer Akkusativ ("Tage") nicht mehr unterscheidbar sind?

alle tage
ein abstieg


könnte also bedeuten "An allen Tagen erfolgt ein Abstieg" (wie man sieht, sind dativische Konstruktionen auch im Plural vom Nominativ unterscheidbar) oder "Alle Tage sind (wie) ein Abstieg".

Und dann hab ich über die "Müllstelle" nochmal nachgedacht und finde sie jetzt eigentlich doch so wie sie ist am "griffigsten". (Obwohl mir die Idee mit den Drohnen auch sehr gut gefällt :) ).

LG!

S.
 

wirena

Mitglied
das stillste halten zählt
ausgeatmet nicht was könnte
hier vernebeln

wolken wolken wolken
jeden Tag
ein abstieg
Hallo Rachel

Ich liebe die Berge und Deine Zeilen – warum alles in Kleinschrift ? – ja nu, bin halt noch von der Schule – sorry, dass ich mich einmische, kann es irgendwie nicht lassen. Mein Empfinden, mein Vorschlag ist:


das stillste halten zählt
ausgeatmet
nicht was könnte hier vernebeln

wolken wolken wolken
jeder Tag
ein neuer abstieg

...dass der Tag in Grossbuchstaben zu lesen ist - finde ich grossartig -

LG wirena
 

Rachel

Mitglied
Lieber Sufnus und liebe Wirena! :) Vielen Dank!

Eure Vorschläge sind zusammen in einem Rucksack, machen Brotzeit, Rast, ein Wetterumschwung wäre gut ... . Dann aufs Neue.

Also ein Schritt zurück, den Müll der Gedanken und "jeden tag" der Erinnerung ohne Drohne oben lassen, entspannt, mal abwarten.
Es geht mir ja nicht um Kritik ... .

Wirena, es freut mich, dass du dich gemeldet hast. :) Etwas ist mir durch deinen Post in den Sinn gekommen, klarer geworden. Es hilft still und leise ... woanders. Dir ist ein Fehler aufgefallen. "Tag" war ohne Absicht noch großgeschrieben. Die Kleinschreibung passt für mich gut.

Bis bald erstmal, Rachel
 



 
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