Via Sanguis - Friedrich und Stine - 2 – Steckelhörn 11
© Tessy
Vom Lübecker Bahnhof
Mit der elektrischen Straßenbahn
Zum Klosterthor Bahnhof.
Umsteigen!
Weiter über Dovenfleth, Messberg und Zippelhaus
Über die Brücke und aussteigen.
Ins Steckelhörn,
die kleine linkswindende Gasse,
schmal, ein holperiges Straßenpflaster.
Hohe Fachwerkhäuser links und rechts,
mit Speichern zum Fleet,
im Erdgeschoß und auf dem Dachboden,
fünf oder sogar sechs Stockwerke hoch,
bis unter das Dach.
Früher lebten hier Kaufleute, Händler und Handwerker.
Heute hausen hier einfache Menschen in kleinen Räumen.
Wo früher Kisten, Fässer und Säcke der Kaufleute im Speicher standen,
da leben heute Familien mit ihren Kindern in engen Verschlägen.
So viele Menschen zieht es nach Hamburg.
So wenig Wohnraum steht bereit.
Nur eine kleine Kammer hat er bekommen
Und ist dennoch frohen Herzens,
sich dort einzurichten.
Friedrich hätte auch zuhause wohnen können
und wäre jeden Tag mit dem Zug nach Hamburg gefahren.
Oder er wäre nach Wandsbeck, Eppendorf, oder Barmbeck gezogen
und hätte die elektrische Strassenbahn genommen.
Aber er wollte es anders,
wollte ihn bei Tag und Nacht spüren,
den brodelnden Pulsschlag
dieser großen Stadt.
Im 3. Stock ist liegt seine Kammer.
36 knarrende Stufen auf der Holzstiege,
die Deckenbalken sind nur gut zwei Meter hoch,
ein Abort mit Wasserspülung auf der Etage,
daneben ein behelfsmäßig eingebauter Wasserhahn.
Seit der Cholera ist es Vorschrift.
Die kleinen Fenster gehen zum Fleet hinaus
und geben nur wenig Tageslicht,
links sieht man den mächtigen Turm von St. Nikolai,
rechts die roten Ziegelbauten der Speicherstadt
und unten im Fleet die Schuten,
die die Waren zu den Speichern bringen.
Zum Glück hat die Kammer schon elektrisches Licht.
Im 3. Stock sind vier Kammern.
Zwei auf jeder Seite.
Neben Friedrichs Kammer hört man Stimmen.
Eine Frau, ein Mann, ein Kind – eine Familie.
„So, Jule, nun jeeste noch mal runter wat spielen!
Und wenn da kleene Zeijer von die Katharinen uff die Sechse zeicht,
denne kommste wieda ruff.“
„Ja, Mama!“
Die Holztür fällt zu,
kleine Kinderfüße hüpfen munter die Stiege herunter.
Über seiner Kammer laufen Männer.
Die Dielen knarren unter ihren schweren Schritten,
und die Stufen der schmalen Stiege
ächzen beim Hinuntergehen unter ihren Schuhen.
Große kräftige Männer, erkennt Friedrich durch den Türspalt.
Er blickt aus dem Fenster hinaus ins Fleet,
hört die Musik Pferdehufe auf dem Pflaster,
im Takt des Klapperns der eisenbeschlagenen Kutschräder,
die Menschen, die singend und lachend durch die Gassen ziehen.
Irgendwo in der Ferne ist die Blasmusik einer Pankoken-Kapelle zu hören,
die fröhliche Weisen spielt
für ein paar Pfennige im Hut.
Nebenan hört er die Frau und ihren Mann.
Sie lieben sich und stöhnen und lachen.
Jetzt weiß Friedrich, warum ‚Jule’ draußen noch ‚wat spielen soll’.
Die Kammer ist eben klein.
Nun will er noch an Stine schreiben,
die so fern ihm ist
und die er schon so lange vermisst.
Schnell noch etwas Wasser vom Flur geholt,
um den Staub der Reise abzuwaschen.
Auf den Flur sitzt ‚Jule’ auf dem Boden.
Sie hält ihren Finger vor die Lippen und flüstert:
„Psst, ick muss janz leise sein, sacht Mama,
Is ja ooch noch nich sechse.“
Die Tür geht auf und die Frau
verabschiedet ihren Mann:
„So, nu aber hoppe – is Zeit füa die Arbeet, wa!“
Sie zieht ‚Jule’ in die Kammer,
guckt zu Friedrich,
lächelt und fragt:
„Neu hier, wa?“
Friedrich nickt.
„Is ja ooch noch nischte füa die Kleene,
aber wia ham nur een Bette“,
entschuldigt sie sich sie mit gesenktem Blick.
Schaut ihn wieder an und lächelt,
huscht hinein und schließt die quietschende Tür.
Meine liebste Stine
Ich sende Dir einen herzlichen Gruß aus Hamburg.
Ich habe mich in meiner Kammer in der 3. Etage eingerichtet,
und kann ich doch meine Gedanken nicht von Dir lassen
und träume noch immer
von dem flüchtigen Moment
unseres letzten Abschieds.
Wärst Du doch auch hier, hier bei mir,
wir würden zusammen durch die Gassen flanieren,
die Symphonie der großen Stadt belauschen,
den Tanz der Geschäftigkeit betrachten,
der die Menschen im Takt der klappernden Kutschräder
schweben lässt.
Das süße Lachen der Frauen,
die Freude der Männer,
die nun nach getaner Arbeit
im Wirtshaus den Abend genießen.
Und wir würden uns beim Lied der Arbeit,
das vom Hafen her übers Wasser klingt
in den seligen Schlaf singen lassen.
Es ist noch nicht einmal ein Tag vergangen,
und doch fehlst mir so sehr,
bist mir so fern
und ich erträume,
Deine zarten Lippen wieder spüren zu dürfen.
Nun werde ich mich zur Ruhe legen,
um morgen früh um Schlag 6.00 Uhr
meinen ersten Dienst zu beginnen.
In innigster Verehrung
Dein Friedrich
© Tessy
Vom Lübecker Bahnhof
Mit der elektrischen Straßenbahn
Zum Klosterthor Bahnhof.
Umsteigen!
Weiter über Dovenfleth, Messberg und Zippelhaus
Über die Brücke und aussteigen.
Ins Steckelhörn,
die kleine linkswindende Gasse,
schmal, ein holperiges Straßenpflaster.
Hohe Fachwerkhäuser links und rechts,
mit Speichern zum Fleet,
im Erdgeschoß und auf dem Dachboden,
fünf oder sogar sechs Stockwerke hoch,
bis unter das Dach.
Früher lebten hier Kaufleute, Händler und Handwerker.
Heute hausen hier einfache Menschen in kleinen Räumen.
Wo früher Kisten, Fässer und Säcke der Kaufleute im Speicher standen,
da leben heute Familien mit ihren Kindern in engen Verschlägen.
So viele Menschen zieht es nach Hamburg.
So wenig Wohnraum steht bereit.
Nur eine kleine Kammer hat er bekommen
Und ist dennoch frohen Herzens,
sich dort einzurichten.
Friedrich hätte auch zuhause wohnen können
und wäre jeden Tag mit dem Zug nach Hamburg gefahren.
Oder er wäre nach Wandsbeck, Eppendorf, oder Barmbeck gezogen
und hätte die elektrische Strassenbahn genommen.
Aber er wollte es anders,
wollte ihn bei Tag und Nacht spüren,
den brodelnden Pulsschlag
dieser großen Stadt.
Im 3. Stock ist liegt seine Kammer.
36 knarrende Stufen auf der Holzstiege,
die Deckenbalken sind nur gut zwei Meter hoch,
ein Abort mit Wasserspülung auf der Etage,
daneben ein behelfsmäßig eingebauter Wasserhahn.
Seit der Cholera ist es Vorschrift.
Die kleinen Fenster gehen zum Fleet hinaus
und geben nur wenig Tageslicht,
links sieht man den mächtigen Turm von St. Nikolai,
rechts die roten Ziegelbauten der Speicherstadt
und unten im Fleet die Schuten,
die die Waren zu den Speichern bringen.
Zum Glück hat die Kammer schon elektrisches Licht.
Im 3. Stock sind vier Kammern.
Zwei auf jeder Seite.
Neben Friedrichs Kammer hört man Stimmen.
Eine Frau, ein Mann, ein Kind – eine Familie.
„So, Jule, nun jeeste noch mal runter wat spielen!
Und wenn da kleene Zeijer von die Katharinen uff die Sechse zeicht,
denne kommste wieda ruff.“
„Ja, Mama!“
Die Holztür fällt zu,
kleine Kinderfüße hüpfen munter die Stiege herunter.
Über seiner Kammer laufen Männer.
Die Dielen knarren unter ihren schweren Schritten,
und die Stufen der schmalen Stiege
ächzen beim Hinuntergehen unter ihren Schuhen.
Große kräftige Männer, erkennt Friedrich durch den Türspalt.
Er blickt aus dem Fenster hinaus ins Fleet,
hört die Musik Pferdehufe auf dem Pflaster,
im Takt des Klapperns der eisenbeschlagenen Kutschräder,
die Menschen, die singend und lachend durch die Gassen ziehen.
Irgendwo in der Ferne ist die Blasmusik einer Pankoken-Kapelle zu hören,
die fröhliche Weisen spielt
für ein paar Pfennige im Hut.
Nebenan hört er die Frau und ihren Mann.
Sie lieben sich und stöhnen und lachen.
Jetzt weiß Friedrich, warum ‚Jule’ draußen noch ‚wat spielen soll’.
Die Kammer ist eben klein.
Nun will er noch an Stine schreiben,
die so fern ihm ist
und die er schon so lange vermisst.
Schnell noch etwas Wasser vom Flur geholt,
um den Staub der Reise abzuwaschen.
Auf den Flur sitzt ‚Jule’ auf dem Boden.
Sie hält ihren Finger vor die Lippen und flüstert:
„Psst, ick muss janz leise sein, sacht Mama,
Is ja ooch noch nich sechse.“
Die Tür geht auf und die Frau
verabschiedet ihren Mann:
„So, nu aber hoppe – is Zeit füa die Arbeet, wa!“
Sie zieht ‚Jule’ in die Kammer,
guckt zu Friedrich,
lächelt und fragt:
„Neu hier, wa?“
Friedrich nickt.
„Is ja ooch noch nischte füa die Kleene,
aber wia ham nur een Bette“,
entschuldigt sie sich sie mit gesenktem Blick.
Schaut ihn wieder an und lächelt,
huscht hinein und schließt die quietschende Tür.
Meine liebste Stine
Ich sende Dir einen herzlichen Gruß aus Hamburg.
Ich habe mich in meiner Kammer in der 3. Etage eingerichtet,
und kann ich doch meine Gedanken nicht von Dir lassen
und träume noch immer
von dem flüchtigen Moment
unseres letzten Abschieds.
Wärst Du doch auch hier, hier bei mir,
wir würden zusammen durch die Gassen flanieren,
die Symphonie der großen Stadt belauschen,
den Tanz der Geschäftigkeit betrachten,
der die Menschen im Takt der klappernden Kutschräder
schweben lässt.
Das süße Lachen der Frauen,
die Freude der Männer,
die nun nach getaner Arbeit
im Wirtshaus den Abend genießen.
Und wir würden uns beim Lied der Arbeit,
das vom Hafen her übers Wasser klingt
in den seligen Schlaf singen lassen.
Es ist noch nicht einmal ein Tag vergangen,
und doch fehlst mir so sehr,
bist mir so fern
und ich erträume,
Deine zarten Lippen wieder spüren zu dürfen.
Nun werde ich mich zur Ruhe legen,
um morgen früh um Schlag 6.00 Uhr
meinen ersten Dienst zu beginnen.
In innigster Verehrung
Dein Friedrich