Vom Regen in die Traufe

Rene Bote

Mitglied
Klaub hörte Schritte, die sich näherten. Klaub – den Spitznamen hatten sie ihm gegeben, als er bei ihnen eingezogen war. Sie fanden das witzig, er konnte nicht darüber lachen. Aber damit würde bald für immer Schluss sein!

Für ihn war das ein kleiner Schritt. Er passte den richtigen Moment ab, eine kurze Bewegung nach links, fast lautlos. Er spürte einen Schlag, etwas segelte über ihn hinweg. Ein Schreckensschrei, ein Poltern, ein lauter Aufschlag, dann – Stille. Kopfüber die Treppe hinunter, unten mit dem Kopf voran auf die harten Dielen, entweder hatte sie sich den Schädel eingerannt oder das Genick gebrochen, vielleicht auch beides. Egal, man konnte nur einmal sterben, und ihr eines Mal war jetzt gewesen. Leise entfernte Klaub sich von der Kante oben an der Treppe, und ehe jemand mitbekam, was passiert war, war er weit weg. Alle würden an einen Unfall denken, und niemand würde ihn damit in Verbindung bringen. Teil eins seines Plans war geglückt.

Aus dem hintersten Raum im oberen Stockwerk lauschte er. Zunächst blieb alles still, dann kam der Mann vom Einkaufen zurück. Klaub hörte, wie er aufschrie, etwas klatschte vernehmlich auf den Boden. Das mussten die Taschen mit den Einkäufen sein. Er rief den Namen der Frau, einmal, zweimal, dreimal, aber natürlich hörte sie ihn nicht. Sie würde nie wieder etwas hören. Der Rettungsdienst wurde gerufen, der nichts mehr tun konnte, außer den Tod der Frau festzustellen, dann die Polizei. Klaub hörte, wie der Mann befragt wurde, bestimmt würden sie später auch im Supermarkt fragen, ob sich jemand entsinnen konnte, ihn gesehen zu haben. Das gehörte zur Routine, aber niemand schien daran zu zweifeln, dass der Tod der Frau ein tragisches Unglück gewesen war.

Für Klaub änderte sich zunächst nichts. Er zog weiter seine Runden, das musste er tun, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, die er nicht brauchen konnte. Schließlich war er noch nicht fertig, der Mann musste auch noch weg. Doch das musste so passieren, dass weiterhin kein Verdacht auf ihn fiel.

Klaub ließ eine Woche ins Land ziehen, zwei. Auch das Chaos, das der Mann verursachte, als er die Sachen der Frau aussortierte und wegräumte, schluckte er klaglos. Niemand konnte ihm ansehen, dass er immer auf seine Chance lauerte.

Am Ende ging es ganz leicht. Der Mann hatte sich aufgerafft, die Fenster zu putzen, und wie er auf dem Stuhl stand, um oben an den Rahmen zu kommen, war für sich genommen schon lebensgefährlich. Wahrscheinlich hätte ein Windstoß genügt, aber ein leichter Stoß gegen das Stuhlbein tat es auch. Der Mann wurde aus seinem wackeligen Stand gebracht, kippte dabei selbst den Stuhl um und verließ das Haus durchs Fenster. Er schrie nicht, der Aufschlag kam schneller, als die Schrecksekunde endete. Geschafft! Klaub hatte sie aus dem Weg geräumt, er war frei!

Natürlich rückte abermals die Polizei an. Man war verwundert ob des zweiten Todesfalls in kurzer Zeit, stufte ihn aber wiederum als Unfall ein. Niemand kümmerte sich um Klaub, und er brauchte sich auch um nichts mehr zu kümmern.

Zumindest glaubte er das, doch er hatte die Rechnung ohne die Erben gemacht. Die kamen irgendwann und diskutierten, wie es weitergehen sollte mit dem Haus. Ausräumen und vermieten? Oder selbst einziehen? Einziehen, entschieden sie, mehr Platz und schöner gelegen als die alte Wohnung.

Damit war Klaub vom Regen in die Traufe gekommen. Das würde viel schlimmer werden als die beiden Alten, vor allem die sabbernde Monster von Kindern, und sollte er auf immer und ewig die Leute beseitigen? Er sah nur noch einen Weg, sich dem zu entziehen: Mit der höchsten Geschwindigkeit, zu der er fähig war, strebte Klaub der Treppe zu.
 



 
Oben Unten