Vorboten

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petrasmiles

Mitglied
In den Schaufenstern grinsen noch junge Menschen von den Plakaten,
froh darüber, einen passenden working space gefunden zu haben.
Der Inhaber hatte nicht so viel zu grinsen.
Der Vermieter bemüht Rechtsanwälte.

Der Imbissladen hatte die letzte Metzgerei der Innenstadt übernommen.
Corona war auch schon vorbei.
Eine eingeführte Anlaufstelle für hungrige Mägen versprach gute Geschäfte.
Aber die Stadt wollte unbedingt die Kreuzung verschönern –
und Fernwärme sollte auch verlegt werden.
Über ein Jahr hielten hier keine Busse.
Nur eilige Autofahrer fädelten sich durch die Baustelle zum Parkhaus.
Ob der Nachfolger rechtzeitig Schluss gemacht hat?
Die Scheiben sind schon lange wieder verklebt.

Richtig Pech hatte die Eisdiele.
Erst monatelang geschlossen wegen Umbaus. Dann kam Corona. Zwangsschließung.
Die Stadt wollte trotzdem die Terrassengebühr und das Ordnungsamt kontrollierte streng
das korrekte Tragen der Masken und die Impfnachweise.
Hat auch wieder Geld gekostet.
Der Sommer war dann eher lau und die Inflation tat das Ihrige.
Wer leistet sich einen Cappuccino für 4€?
Sie werden wohl vom Speck der fetten Jahre zehren.
Nach Jahrzehnten gibt man nicht so schnell auf.

Das Rein und Raus der Modeläden kann man kaum nachverfolgen.
Insolvenzen, Schließung von Häusern internationaler Ketten,
die ambitionierten Eintagsfliegen, aber auch langjährige Geschäfte.
Zuletzt schloss der Laden eines Modehauses, das seinerzeit
das letzte Programmkino aus der Innenstadt vertrieben hatte.
Man glaubt es nicht: Die nächste Modekette zieht ein.

Das Bettenhaus ist dicht; statt dessen ein neuer Coffeeshop.
Karstadt-Kaufhof-Galeria hat die zweite Schließungswelle überstanden.
Voll sehe ich den Laden nie.
Parfum- dann Hutladen statt Metzgerei; auch schon wieder weg.
Heute sind es nicht mehr Handyläden, die den Leerstand füllen.
Vor allem asiatische Imbisse, aber auch 'Kunstprojekte'
als 'Zwischennutzung'.

Richtig gemacht haben es die Besitzer des Samen- und Pflanzenhandels.
Noch vor Corona gingen sie in Rente und verkauften alles.
Ich sehe sie fröhlich das Wägelchen ziehen, mit dem sie das Gemeindeblättchen verteilt.
Nach ihnen zog ein Lampenladen – Lichtdesign-Studio – ein.
Sie sind noch da.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das liest sich wie eine Chronologie oder Registratur des Niedergangs, liebe Petra, gut passend in den November. Ich grübele noch über die Bedeutung des Titels. Man könnte bei diesem häufigen Wechsel den Gedanken haben, ein jedes Geschäft sei selbst nur ein Vorbote eines weiteren, das meist irgendwie niedrigpreisiger ist - und am Ende steht dann was? Es dürfte sich hier um eine größere Stadt im Westen Deutschlands handeln. Nun war ich da inzwischen schon sieben Jahre nicht mehr und mir scheint, seither hat dort das Straßenbild in den Zentren sich negativ verändert. Ausgeprägten Leerstand, meist ohne Nachfolgeläden, kenne ich selbst nur aus kleineren Städten im Osten.

Die Erwähnung jener Kaufhausfiliale erinnert mich an die Situation in Magdeburg. Auch dort stand die Filialschließung ernsthaft im Raum, wurde dann aber abgeblasen. Ich war im Herbst 2023 da und überrascht, wie normal und gut besucht das ganze Haus mitten in der Woche wirkte. Das Übergewicht von Modeläden in solchen Lagen ist nicht so ganz neu, das ärgerte mich schon vor zwanzig jahren in Hamburg. Ich frage mich, ob eine solche Beinahe-Monostruktur nicht mit am Niedergang schuld ist.

Schöne Nachmittagsgrüße
Arno

P.S. Letztes Wort in Absatz 4 Zeile 1 bitte überprüfen.
 

petrasmiles

Mitglied
Ja, lieber Arno,

so sieht das aus - ich werde langsam anfangen, die Leerstände zu zählen.

120.000 Einwohner, mitten in Deutschland. Noch relativ wohlhabend wegen Universität und Universitätsklinik - aber diese Verdiener kosten das Land und die Stadt eher Geld, als dass sie es einbringen würden - bis auf den Einzelhandel. Die Stadt ist Pleite, aber macht gerne mit woken Themen auf sich aufmerksam. Das ist auch einmal ein interessanter Hinweis, warum man Wertepolitik betreibt. Irgendwie muss man ja auf sich aufmerksam machen, wenn die Kassen leer sind und man gar nicht mehr gestalten kann.

Ja, im Osten sind es traurige Bilder, die man sehen kann. Besonders schlimm fand ich Torgau in Sachsen - total aufgehübscht und dann der Leerstand.

Habe das Wort überprüft - habs geändert, auch, wenn ich es nicht falsch fand. Aber wenn man in mehreren Regionen zu Hause war, schmuggeln sich manchmal Wörter in den Sprachschatz, die dann nicht allgemeinverständlich sind. (Mein Lieblingswort: etwas durchholen für verstehen :) )

Dir auch eine nette Teatime.

Liebe Grüße
Petra
 
Hallo Petra,
es scheint wohl in Deutschland überall dasselbe zu sein. Hier in der Frankfurter Allee, bei mir in der Nähe, hat Kaufland im Ringcenter auch pleite gemacht. Übrigens ein Kaffee, in diesem Fall Latte, hat schon letztes Jahr dreineunundneunzig gekostet. Das war in der Lila-Bäckerfiliale am Rummelsburger See, wo ich immer mit dem Fahrrad lang komme. Sie peilen wohl langsam die fünf Euromarke an. Hier am Ostkreuz machen neue Läden auch immer nach kurzer Zeit wieder zu. Dafür ziehen dort immer Touristencafés ein. Die scheinen zu brummen, bei den vielen Backpakerhostels. Ein Grund dafür, dass viele Läden aufgeben müssen, ist ja auch das Überborden der Bestellungen. Warum hat die Politik dem nicht Grenze gesetzt. Kataloge gab es ja schon immer. Durch das Internet hat das alles noch Mal eine neue Dimension erhalten. Ich habe übrigens lieber in Katalogen geblättert, als bei Amazon. Der Lila-Bäcker ist übrigens auch insolvent.
Gruß Friedrichshainerin
 
Hier in der Frankfurter Allee, bei mir in der Nähe, hat Kaufland im Ringcenter auch pleite gemacht.
Aber, aber, werte Mitbürgerin, das stimmt gar nicht: Kaufland ist weiter da und keine Schließung zu befürchten. Geschlossen hat leider die Kaufhof-Filiale ("Galeria"). Apropos Ostkreuz und Bäckerei: Am nördlichen Vorplatz ist seit Jahren die akzeptable Filiale einer in Berlin oft anzutreffenden Kette; scheint sich zu halten.

Freundliche Grüße
Arno Besserwisser
 

petrasmiles

Mitglied
Das liegt bestimmt daran, dass Kaufhäuser - so höre ich meine Familie - wohl generell 'Kaufhalle' genannt wurden, da liegt Kaufland näher auf der Zunge, äh, den Fingerspitzen, als Galeria Kaufhof.

Liebe Grüße
Petra
 
So ganz richtig scheint mir das nicht zu sein, Petra. Die Bezeichnung Kaufhalle war eher für den Typ Supermarkt üblich. Dagegen gelten die Kaufland-Filialen heute als SB-Warenhäuser. Und der Begriff Warenhaus war auch in der DDR üblich (Centrum Warenhaus). Nach dieser Terminologie hatten wir also im Ring-Center zwei Warenhäuser, eins mit und eins ohne Bedienung. Damit es noch verwirrender wird: Im Westen gab es bis um 2000 echte (Billig-)Warenhäuser, die Kaufhalle hießen.

Hier ein Link zum Thema:

 

petrasmiles

Mitglied
Ich habe die 'Famille' befragt - und wie sollte es anders sei? -Arno hat natürlich Recht :D
Das hatte ich mir falsch gemerkt.

Liebe Grüße
Petra
 

ARIIOOL

Mitglied
Hallo Petra,
Erschreckend. Habe vor ein paar Jahren mal ne Fotoserie erstellt, die verrammelten Schaufenster gescheiterter Existenzen, waren ne Menge Bilder, nur aus unserem Viertel, war nicht mal die Innenstadt. Du hast das eindringlich in Worte gefasst.

Gruß Ari
 



 
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