Hey
@Ubertas
Was mich an diesem Text zuerst fesselt, ist seine stille Intensität: Die Zeilen wirken wie auf schwarzes Papier gehaucht – flüchtig, zart, aber mit einem unterschwelligen Nachdruck. Der Titel „wandler“ evoziert Bewegung, Zwischenzustände, Identitätsbrüche – und dieses Thema zieht sich durch das ganze Gedicht wie ein Schatten.
Die erste Zeile „mondprinzessin / hauche die eisblumen“ ist ein sehr starkes Bild. „Eisblumen“ auf einer Fensterscheibe sind ein Klassiker der zarten Vergänglichkeit, aber hier werden sie durch eine „Mondprinzessin“ erzeugt – also durch eine nächtliche, fast mythische Figur. Das ist schön doppeldeutig: kühl und poetisch.
Die Zeile „die mit dir beginnt prinz“ bringt eine interessante Verschiebung: Aus der Mondprinzessin wird nun ein „Prinz“ angesprochen. Vielleicht ist das Spiel mit Geschlechterrollen gewollt, vielleicht verweist es auf zwei Figuren in Beziehung. Mich stört ein wenig, dass die Zeile grammatikalisch hakt. „Die mit dir beginnt“ – was genau beginnt? Die „Nacht“? Dann hätte es klarer in die Zeile davor gehört. Aber vielleicht ist gerade diese Entrücktheit Teil der Ästhetik.
Die Imperative „zerreiße / alle heldenkleider“ gefallen mir besonders. Das klingt nach Entkleidung von Rollen, nach Befreiung vom Pathos – sehr kraftvoll. Dass das direkt auf den „weggang der planeten“ folgt, verstärkt dieses Bild des Entgleitens, Entkleidens, der Entsagung. „Planeten“ könnten hier für Ordnung, Systeme, oder auch Schicksalsbahnen stehen.
Formal finde ich das Gedicht konsequent: Es verzichtet auf Satzzeichen und Großschreibung – das unterstreicht den schwebenden, entrückten Charakter. Vielleicht hätte man rhythmisch noch etwas verdichten können – ein stärkerer Fokus auf Klang, auf Alliteration oder Reim, hätte das Gedicht musikalischer gemacht.
Trotzdem: Die Bilder bleiben, gerade in ihrer Offenheit, hängen. „Weggänge der Planeten“ sind selten Stoff für Gedichte, und hier gelingt es, diese kosmische Geste mit etwas zutiefst Persönlichem zu verknüpfen – fast wie ein leiser Abgesang auf eine alte Rolle, ein altes Ich.
LG
evermore