Was bleibt....

Zeitlos_

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Man hat so lange keine Angst vor dem Tod, bis man sich der Endlichkeit des Lebens bewusst ist. Jede Beerdigung zeigte uns diese Endlichkeit wieder auf. Zumindest bis einige Tage vergangen waren und man wieder in den bequemen Routinen des Lebens verfiel. Die Beteuerungen am Tage der Beerdigung sich öfters zu sehen, mehr zu erleben, schwanden so schnell wie die Erkenntnis, dass das Leben vergänglich sei. Ja es war vergänglich, aber bis dahin dauerte es noch.

Doch diese mal war die Sache anders. Bei der letzten Untersuchung meiner Frau wurde Brustkrebs diagnostiziert. Der Krebs hatte bereits Metastasen gebildet. Als die Diagnose kam begann eine neue Zeitrechnung. Diese Krankheit veränderte alles. Die Lebenseinstellung, das positive Gefühl der Zweisamkeit, der Geborgenheit, alles lag in Trümmern. Aber ich wollte es nicht akzeptieren, so wie ich es hasste Fremdbestimmt zu sein, so hasste ich auch dieses Gefühl der Ohnmacht. Aber das, lieber Leser, kannst du ja nicht wissen. Liest in deinem gemütlichen Stuhl den Text, weit entfernt von den Schmerzen dieser Krankheit. Physisch wie psychisch. Aber noch war ich nicht bereit aufzugeben. Ich klammerte mich an die Hoffnung, ohne zu wissen, dass sie die letzte Todsünde in Pandoras Büchse war.

Eines Nachts fand ich eine Lösung, zugegebenermaßen eine verzweifelte. Aber das war ich auch. Eine Firma hatte einen Durchbruch bei dem Einfrieren von Menschen gemacht. Erste Ergebnisse zeigten Zeiträume von einem Jahr an. Ohne zu altern. Der Vertrieb des Produkts begann und die Botschaft berührte mich. Zielgruppe waren todkranke Menschen, Menschen, die den Tod vor Augen hatten, oder, dank des Produkts, das Leben in Zukunft. Man sollte aus dem Schlaf erwachen, wenn es Behandlungsmöglichkeiten gab und so gerettet werden. Erst tat ich die Vorstellung ab. Hatte ich doch Kinder und Enkelkinder. Aber es sind nun einmal nicht die Personen, mit denen du dein Leben so intensiv verbringst. Mein Kopf klammerte sich an den Gedanken wie ein verzweifelter vor dem Ertrinken nach jedem Strohhalm greift. Ruhe fand ich erst als ich beschloss das Angebot erstmal genaueres zu betrachten und die Entscheidung in die Verantwortung meines zukünftigen Ich´s verschob. Als ein paar Wochen um waren fasste ich den Entschluss und diskutierte es mit meiner Frau. Wenn es um das Wichtigste im Leben geht, gibt es keine rationalen Abwägungen, sachliche Gespräche. Wir wurden laut, emotional und es half alle nichts. Aber am ende erkannten wir das es einfach unser beider Leben war und das würde bald zerrissen werden. Auch das lieber Leser lernst du noch, wenn du erst einmal lange mit deinem Partner zusammenbist. Denke daran, auch wenn ihr öfters streitet, vielleicht geht es dabei auch nur darum, die eigene Identität nicht zu verlieren, weil in der restlichen Zeit alles läuft, als wäre man eins.

Die Entscheidung teilten wir unseren Kindern mit, aber was soll ich mehr dazu sagen, dass ich es niemanden Wünsche in solch eine Situation zu kommen. Sollte man nur einen Funken positives daraus ziehen, dann lade ich dich zu einem Gedankenexperiment ein. Versetze dich in die Situation, in welcher ich bin, und achte auf das, was du nicht denkst und dennoch einen Teil in deinem Leben einnimmt. All das wird wohl unnötiger Ballast in deinem Leben sein.

Und so kam der Tag, wir legten uns auf die Tische, bekamen eine Spritze und schliefen ein.

Ich wurde geweckt, ich lag in einem Bett, angeschlossen an Sensoren und schaute auf mehrere Personen, die vor mir standen. Ich war irritiert, warum ich schon wieder wach war. Eine Ärztin, zumindest nehme ich das an, redete sanft und klar mit mir. Ich hatte wohl 120 Jahre geschlafen, meine Vitalwerte waren perfekt und ich würde bald mein neues Leben beginnen können. Leider nicht so wie ich es geplant hatte. Man sagte mir, dass meine Partnerin bei einem Unfall verstorben sei. Es handelte sich um einen zu spät erkannten Gerätedefekt. Bei 120 Jahren nicht ausgeschlossen. Eine Haftung durch die Firma auch. Aber man lasse mich jetzt in Ruhe trauern und meine zweite Geburt genießen. In meinen Augen etwas zynisch, aber ich nahm es stoisch zur Kenntnis. Auch die nächsten Tage erlebet ich in einer gedämpften Gefühlswelt. Als ob meine Augen und Ohren konsumieren aber danach nichts verarbeitet wird. Später fand ich raus, dass es an den Medikamenten lag. Es gab wohl zu viele Zwischenfälle mit vergangenen Kunden. Als ich dann gehen wollte, um die neue Welt zu erleben sagte man mir das das nicht ginge. Schließlich könnte ich weder etwas kaufen noch würde ich für die Menschen existieren. Man bezahlte alles mit der Iris, verknüpft mit der Datenbank eines Kreditinstitutes. Aber ein Konto könnte ich keines haben, denn laut Ausweis wäre ich 179 Jahre alt und darüber würde es keine Aufzeichnungen geben. Man müsse erst einen Antrag auf eine Personen-ID starten, was ein paar Wochen dauern kann. Aber auch das wäre zwecklos. Die Personen-ID allein würde nicht helfen. Man hatte keine Versicherungsbeiträge gezahlt, keinen anerkannten Abschluss mehr und das damalige Guthaben war nahezu wertlos aufgrund mehrerer Hyper-Inflationen. Sie sagten mir ich könne ein Zimmer in ihrer Anlage haben und dort meinen Lebensabend verbringen. Außerhalb ihrer Mauern würde nur Armut und Verzweiflung auf mich warten. Wer würde einen alten Mann wie mich einstellen, ohne Qualifikation, ohne Beziehungen. Aber die Drogen wirkten, ich nahm es zur Kenntnis und willigte ein. In meinem Wohnquartier fand ich andere gestrandete. Alle waren in Hoffnung auf ein neues Leben ohne zu Bedenken, das in der Zukunft niemand auf Sie wartete. Auch die Hoffnung auf Heilung war schnell dahin, auch in der Zukunft musste Heilung bezahlt werden. Teurer als damals. Und wir alle waren bettelarm. Ich sehnte mich nach meinem Alten Leben. Damals wollte ich es nicht hergeben nur um jetzt festzustellen das ich alles verloren habe. Und so zog ich mich in meine Erinnerungen zurück. Es war das Einzige, was mir blieb.
 



 
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