Anonym
Gast
Ich räumte die beiden Tische ab, die gerade wieder freigeworden waren.
Nachdem die Gläser hinter dem Tresen waren, wischte ich die Tische ab, da erschien er das erste Mal in meinem Sichtfeld, draußen auf der Straße. Er lächelte vor sich hin, unwillkürlich verzog ich auch meine Lippen. Seine Bewegungen wirkten beschwingt, er strahlte eine Lebensfreude aus, die ansteckend auf mich wirkte. Mein Blick klebte wie gebannt an ihm, während er an dem Café vorüberging. Unwiderstehlich wurde mein Bedürfnis, ihn festzuhalten.
»Ich bin kurz mal Luft schnappen«, rief ich nach hinten.
»In Ordnung, Marcus«, tönte es zurück, da war ich schon halb draußen und schaute dem Kerl nach, der zielstrebig die Straße hinunterging. Einen Moment bedauerte ich, dass er an der Ecke in dem großen Hochhaus verschwand, aber ich hatte keine Chance. So schnell wie er aufgetaucht war, war er auch schon wieder verschwunden. Schließlich kehrte ich nachdenklich zu meinem Nebenjob im Café zurück und überlegte, ob ich den wahnsinnig gutaussehenden Typen wohl nochmal wiedersehen würde. Letztendlich machte ich mir klar, dass ich wohl vergeblich darauf hoffte und versuchte, ihn gedanklich zu verdrängen. Am nächsten Tag hielt ich zwar trotzdem nach ihm Ausschau, aber er kam nicht. Den Tag danach hätte ich ihn fast verpasst, konnte ihn aber nur noch von seiner Kehrseite bewundern, denn er war praktisch schon am Café vorbei, als ich ihn bemerkte. Auch wenn ich mich etwas ärgerte, war ich doch froh, dass er wieder aufgetaucht war. Das bedeutete, dass er hier wohl häufiger vorbeikam, was meine Aussichten, ihn zu treffen, erhöhte. Ich machte mir einen Plan, denn ihn anzusprechen, stand für mich schon fest. Ich musste ihn nur richtig abpassen und ihn dann für mich interessieren. Es stellte nicht wirklich ein Problem dar für mich. Auf Leute zuzugehen fiel mir nicht schwer. Entweder klappte es, oder eben nicht. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Trotzdem musste ich zugeben, dass er schon etwas Besonderes für mich darstellte. Ich fand ihn einfach umwerfend. Dabei trug er eher schlabberige Kleidung, für meinen Geschmack etwas zu bunt und ausgefallen, aber alles andere, was hervorschaute, hatte es mir auf Anhieb antgetan. Aus seinem Gesicht mit den feinen Zügen stachen seine dunkelblauen Augen hervor, die zu leuchten schienen. Die wilde, blonde Lockenmähne auf seinem Kopf machte, was sie wollte und es passte zu ihm. Einen schön geschwungenen Mund, der ein Dauerlächeln trug, seine Zähne hervorblitzen ließ und seine Bewegungen sahen so aus, als wenn er gedanklich tanzte. Oder auf der Pirsch war, so geschmeidig wirkte es. Zusammen mit der etwas ausgefallenen Kleidung war er in jedem Fall ein Hingucker. Ich schaute jedenfalls hin und ich bekam nicht genug. Es kribbelte in mir, wenn ich ihn sah und mein Plan war einfach und erfolgversprechend. Ich würde ihn an meinem freien Tag abpassen und nicht wieder weg lassen, ehe er mir nicht die Zusage für ein Date geben würde. Oder mir eine Abfuhr einfahren. Ich war zuversichtlich, denn ich sah auch passabel aus und konnte sehr charmant sein. Mit meiner sportlichen Figur, den dichten braunen Haaren und meinem entwaffnenden Lächeln hatte ich schon oft gepunktet. Ich hoffte, es würde für den Zuschlag reichen.
Zwei Tage später war es so weit. Ich war ein wenig weiter vom Café weggegangen, denn ich wollte meinen Kollegen nicht unbedingt Futter für Spekulationen geben, auch wenn ich dazu stand, was und wer mich interessierte. Zugegebenermaßen war ich doch ein wenig aufgeregt und meine Hände wurden ein wenig feucht, als ich mein ersehntes Ziel von Weitem ankommen sah. Trotzdem war ich wild entschlossen, diese Gelegenheit zu nutzen. Außerdem würde dann endlich dieses Fragezeichen verschwinden, ob ich bei ihm landen konnte oder nicht. Man musst sowieso erstmal sehen, ob dann wirklich alles zusammen passte.
Er kam wie immer lächelnd auf mich zu und sah mich sogar einmal etwas fragend an, schaute dann aber wieder weg zur Straße, als wenn er nicht aufdringlich sein wollte. Als er ungefähr zwei Meter von mir entfernt war, schob ich mich ein wenig vor und versperrte ihm den Weg. Sein Kopf fuhr zu mir herum, mehr neugierig als ängstlich.
»Hey«, begann ich vorsichtig. »Ich heiße Marcus. Nachdem ich dich nun schon einige Male gesehen habe, dachte ich mir, ich frage dich einfach mal, ob wir uns vielleicht mal zu einem Drink treffen wollen. Ein wenig quatschen, sozusagen entspannt chillen. Natürlich nur, wenn du Lust hast? Was hältst du von der Idee?«
Sein Lächeln verschwand für einen Augenblick, während meines wie festgemeißelt in meinem Gesicht blieb, denn jetzt kam es darauf an.
Einen Moment runzelte er die Stirn und senkte seinen Blick auf den Boden. Ich sah seine dichten, langen Wimpern und dieser Anblick allein ließ mir einen Schauer den Rücken herunterlaufen, einen sehr angenehmen. Dann hob er plötzlich den Blick und musterte mich etwas irritiert, aber – dabei atmete ich innerlich auf – nicht unfreundlich.
»Ähm, hi. Ich bin Richard.«
Er trat scheinbar nervös von einem Bein auf das andere.
»Also eigentlich mache ich sowas nicht. Ich kann verstehen, dass dir vielleicht das Geld fehlt, aber unter Umständen kann ich dir ja anders weiterhelfen?«
Er kramte in der Innentasche seiner Jacke und zog dann ein Foto heraus. Jetzt war es an mir ein verständnisloses Gesicht zu zeigen, als er mir dieses in die Hand
drückte. Verblüfft schaute ich es an und das Blut schien sich aus meinem Kopf zu verabschieden. Mir leuchtete praktisch ein sehr sexy Hinterteil entgegen. Gut von unten angeleuchtet und splitterfasernackt. Ein Ausschnitt aus einer rückwärtigen Ansicht eines sehr attraktiven Kerls, bei dem es sich nur um Richard handeln konnte.
WTF bedeutete das jetzt? War er ein Callboy, der sich anbot gegen Geld? Ich wich zurück und starrte ihn an.
»Was soll das heißen, Richard?«, fragte ich fast tonlos.
»Wenn du mehr willst, musst du dafür bezahlen. Eine Stunde für ...«. Er nannte einen Betrag, der mir völlig egal war, denn mich schockierte die Tatsache an sich und ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Ist nicht dein Ernst, oder? Ich bezahle nicht für ein beschissenes Date, da kannst du noch so einen heißen Arsch zeigen. Sorry, ich habe mich wohl getäuscht in dir. Vergiss es einfach. Schönen Tag noch.«
Ich drehte mich wie betäubt um und rannte fast weg.
Erst als ich vor meiner Haustür stand bemerkte ich mein wild klopfendes Herz, die Enttäuschung, die sich in jede Faser in mir breit machte. Ich ging hinauf in meine Wohnung.
Dieser Abend hatte sich zu einer einzigen Katastrophe entwickelt, aber wenigstens hatte ich es rechtzeitig gemerkt. Nicht auszudenken, wenn ich ihn mit zu mir genommen hätte und er mir später seine Rechnung präsentiert hätte. Meine Wut wurde nicht kleiner, auch nicht nach dem Bier, das ich in mich hineinschüttete. Außer mir vor Empörung wischte ich mir immer wieder die Tränen aus dem Gesicht. Ich hatte mich gefühlsmäßig schon viel zu sehr verrannt mit dem Kerl. Irgendwann ging ich duschen und legte mich ins Bett. Ich ließ den Fernseher die ganze Nacht laufen, weil an Schlaf war überhaupt nicht zu denken.
Völlig gerädert musste ich am nächsten Morgen zur Arbeit, aber irgendwie war ich auch froh, dass ich nicht mehr zu Hause rumgrübeln konnte. Mechanisch und unter Aufbringung all meiner Kräfte hielt ich eisern meine Schicht durch. Ich schaute ungläubig hoch, als plötzlich Richard das Café betrat. Niemand sonst war im Laden. Das fehlte mir gerade noch! Mit maskenhaftem Gesicht ging ich zu ihm an den Tisch, mit äußerster Mühe um Beherrschung bemüht.
»Was darf es sein?«
Ich versuchte eine neutrale Stimme hervorzubringen, aber sie klang seltsam heiser.
Es sah so aus, als wenn er nach meiner Hand greifen wollte, aber ich zuckte zurück und er ließ es.
»Bitte, Marcus. Gib mir eine Chance, das aufzuklären, okay?«, flüsterte er ohne mich weiter anzu sehen. Er schob mir mit zitternder Hand einen Flyer über den Tisch zu. Ich schnaubte.
»Noch mehr tolle Bilder von dir – ganz umsonst? Oder was willst du dafür haben?« Ich konnte mir die sarkastische Bemerkung nicht verkneifen. Zu tief saß die Enttäuschung vom gestrigen Tag. Er schluckte, ich konnte es an seinem Adamsapfel sehen.
»Ich habe deine Frage falsch gedeutet. Ich dachte, du wolltest mich privat buchen, was ich als Nebenjob in den Semesterferien mache«, brachte er schließlich mühsam heraus.
»Als was? Als Callboy oder was?«, zischte ich und spürte, wie die Wut wieder in mir hochkochte. Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich durch die Locken.
»Nein, Marcus. Schau dir den Flyer an und wenn du dann wieder mit mir reden willst – ich komme nachher um sechs wieder zu der Stelle von gestern. Wenn du nicht kommst, weiß ich, dass du kein Interesse mehr hast.«
Er stand allen Ernstes auf und ging hinaus. Am liebsten hätte ich ihm irgendetwas hinterher geworfen, aber ich konnte mich gerade noch beherrschen.
Der hatte vielleicht Nerven, hier aufzukreuzen. Ich wollte den Flyer schon zerknüllen und wegwerfen, als mein Blick an der Überschrift hängenblieb.
Galerie für Aktzeichnungen
Die Adresse lag in dieser Straße. Das musste das Eckhaus sein, in dem Richard verschwunden war.
Nein!
Mist – er war ein Aktmodell?
Tröpfchenweise gelangte die Erkenntnis in mein Hirn.
Er hatte gedacht, ich wollte ihn malen, er sollte mir Modell stehen für umsonst, deswegen hatte er das auch mit dem Stundensatz gesagt und mir als nette Geste dieses Foto von ihm gegeben. Na, klasse. Was sollte ich jetzt machen? Auf jeden Fall nochmal mit ihm reden. Ich sollte mich vermutlich entschuldigen. Wir hatten uns beide nicht besonders klug angestellt. Aber gemein war nur ich gewesen. Ich raufte mir die Haare. Den Flyer steckte ich ein, ich würde ihn mir später nochmal ansehen. Um vier hatte ich Feierabend und ich stand einen Augenblick unschlüssig vor der Tür, ehe ich nach Hause ging. Ich war total erledigt, aber ich musste durchhalten, sonst würde ich die letzte Chance verspielen, um Richard noch von mir zu überzeugen. Panisch vermied ich es, mich hinzulegen, obwohl mein Körper danach schrie, aber ich würde vermutlich bis zum nächsten Morgen durchschlafen, wenn ich es täte.
Ich kam ungefähr zehn Minuten vor der Zeit an unserem letzten Treffpunkt an, aber Richard war schon da. Keine Verschnaufpause, ich musst sofort reagieren.
In seinem Gesicht sah ich nur grenzenlose Unsicherheit, auch wenn es sich etwas erhellte, als er mich sah. Außerdem lag fast so etwas wie Traurigkeit auf ihm, aber auch ich war zerknirscht. Kein Lächeln, nur ein gegenseitiges, vorsichtiges Mustern.
»Hi Richard«, murmelte ich reumütig. »Ich war ... es tut mir leid. Ich hätte dableiben und es gleich mit dir klären sollen. Aber ich war einfach ...«
Er unterbrach mich.
»Schockiert. Kann ich verstehen. Jetzt, wo ich weiß, was du mir eigentlich sagen wolltest, kann ich deine Reaktion sogar verstehen. Es war ja im Grunde meine Schuld, du hast ja gar nichts von Modell stehen gesagt, ich war einfach davon ausgegangen. Weil du mir sympathisch warst, wollte ich dich nicht gleich ganz abblitzen lassen und dann kam eins zum anderen.«
Wir schwiegen ein paar Sekunden, ehe wir uns zögernd wieder anlächelten.
Richard räusperte sich leise.
»Es hat mich einige Überwindung gekostet, zu dir ins Café zu kommen. Ich bin eigentlich eher zurückhaltend, obwohl ich diesen Galerie-Job mache. Das geht da ganz seriös zu, keine
Anzüglichkeiten oder so, das wurde mir auch zugesichert. Trotzdem bekomme ich ab und zu Anfragen, ob ich auch außerhalb der Galerie und der Kurse Modell stehen würde. Deswegen dachte ich auch gleich daran und dann ... na, weißt du selbst. Aber ich fand deine Ansprache ganz süß. Jedenfalls den Anfang. Ich hatte dich ja auch schon im Café entdeckt, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, hineinzugehen.«
Tatsächlich schaute Richard schon wieder Löcher in den Boden, seine Wangen röteten sich leicht, er war wirklich sehr schüchtern. Ich trat einen Schritt näher, legte einen Finger unter sein Kinn und hob sein Gesicht an. Schon versank ich in diesen Augen und konnte gar nicht anders, als ihn vorsichtig zu umarmen.
»Ich bin sehr froh, dass du dich überwunden hast, Richard«, flüsterte ich nah an seinem Ohr und merkte, wie er sich etwas entspannte.
»Meine Freunde nennen mich Ricky«, raunte er mir zu, ehe er wieder verstummte, als wenn er bereits zuviel gesagt hätte.
»Ricky«, widerholte ich gerührt.
Wie süß war er denn? Ich seufzte leise, worauf er sofort zusammenzuckte, aber ich hielt ihn fest im Arm.
»Ich habe kein Auge zugetan heute Nacht und schlafe gleich im Stehen ein. Heute wirst du nicht mehr viel von mir haben. Ich schlage vor, wir fangen mit unserem Kennenlernen nochmal von vorn an. Was meinst du?«
Ich vergrub meine Nase in seinen Locken, genoss es wie er sich zögernd an mich schmiegte. Vorsichtig bewegte er sich etwas.
»Soll ich nochmal mutig sein? Nimmst du mich mit, damit ich bei dir bleiben kann? Oder findest du das falsch?« Ricky hatte es mir ganz leise ins Ohr geflüstert, aber mich durchströmte ein ungeahntes Glücksgefühl und ich drückte ihn zärtlich an mich.
»Liebend gern nehme ich dich mit. Aber nur, wenn du mir versprichst, dass ich einen Gute-Nacht-Kuss von dir bekomme«, brummte ich schmunzelnd.
»Den kannst du sofort haben – und nachher noch einen.«
So vorsichtig und sanft küsste er mich dann, dass ich dachte, ich würde auf einer Wolke schweben. Alles zog sich in mir zusammen, mir wurde abwechselnd heiß und kalt und meine Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen. Mein Herz begann rasend schnell gegen meinen Brustkorb zu hämmern, ich meinte Ricky musste es hören. Wir vertieften unseren Kuss und vergaßen alles um uns herum. Meine Hände machten sich selbständig, eine fand sich in Rickys Locken wieder, mit der anderen fuhr ich über seinen Rücken, zog ihn fester an mich und fand es himmlisch, ihn so nah bei mir zu haben und die Art, wie er sich an mich klammerte, mich nicht loslassen wollte. Er roch so gut nach Sonne, Wind und Erde, eine betörende Mischung, die mir die Sinne vernebelte. Ich musste mich mühsam von ihm lösen, griff aber sofort nach seiner Hand und zog ihn sanft mit mir. Mit verschränkten Händen schlenderten wir kurz danach zu mir nach Hause. Mit weichen Knien und ziemlich viel Watte im Kopf, schob ich ihn hinein und schloss die Tür hinter uns. Ich musste schlucken, als er sich zu mir umdrehte.
»Marcus, ich habe – also ich will nicht, dass du denkst, ich würde immer gleich beim ersten Treffen ... ich ...« Hilflos brach er ab.
Ich war sofort bei ihm, legte meine Hand an sein Gesicht und hob mit dem Daumen seinen gesenkten Kopf wieder an.
»Ricky, alles gut! Ich denke nichts Schlechtes von dir, versprochen. Ich habe auch noch nie jemanden beim ersten Date mit nach Hause genommen, okay? Außerdem wird nichts geschehen, was wir nicht beide wollen. Wir müssen nichts überstürzen. Ich bin einfach nur froh, dass du hier bei mir bist. Erinnerst du dich? Nur chillen. Alles andere wird sich finden. Ob heute, morgen oder in ein paar Wochen, völlig egal. Mach dir keine Sorgen. Zeig mir dein Lächeln, Ricky. Es hat mich als erstes an dir fasziniert. Ich würde dich nur gern nochmal küssen. Ist das okay für dich?«
Ein Wechselbad der Gefühle huschte über sein Gesicht, am Ende lächelte er mich erleichtert an und zog mich zu sich heran. Seine süßen Lippen suchten meinen Mund und ich hieß ihn willkommen, unsere Zungen begegneten sich sanft, dann fordernder und schließlich fanden wir uns in einer innigen Umarmung wieder. Nach gefühlt endloser Zeit ließen wir voneinander ab. Wir atmeten schwer, aber wir sahen uns glücklich an. Alles war genauso wie es sein sollte. Mein Gefühl hatte mich doch nicht getrogen. Ich war mir sicher, dass ich mit Ricky genau den Richtigen getroffen hatte.
Wir ließen uns Zeit.
Wochen vergingen, in denen wir viel zusammen waren. Ricky brauchte diese Zeit, denn ich erkannte schnell, dass er verunsichert war, was Beziehungen anging. Ich liebte ihn umso mehr dafür, dass er so sensibel war. Ich übte keinerlei Druck auf ihn aus. Mir reichte es, dass er mit mir zusammen sein wollte und mir seine volle Aufmerksamkeit schenkte, mich so akzeptierte, wie ich war. Wir lernten uns besser kennen und stellten viele Gemeinsamkeiten fest, auch wenn wir uns äußerlich sehr unterschieden. Wir teilten dagegen denselben Humor und mochten dieselben Freizeitaktivitäten. Trotzdem fühlten wir uns, besonders in den ersten Wochen, ganz allein mit uns am wohlsten. Es wurde uns nie langweilig, uns zu unterhalten, zu diskutieren oder vor allem sehr intensiv zu kuscheln. Mit der Zeit entwickelte sich von ganz allein, eine Intensität, die sich nicht leugnen ließ und der Ricky dann auch irgendwann erlag.
An einem Wochenende war es soweit. Den ganzen Tag waren wir schon umeinander herumgeschlichen und hatten uns geneckt mit zweideutigen Bemerkungen. Unsere gegenseitigen Berührungen verursachten einen unbezähmbaren Wunsch, uns näher zu kommen und die Küsse wurden leidenschaftlicher und drängender. Ich wartete dennoch, bis Ricky sich soweit sicher fühlte und erst als er mir sagte, dass er nun bereit sei für den letzten Schritt, wagte ich es, mich ein wenig intensiver mit ihm zu beschäftigen, ohne ihn zu bedrängen.
Wir waren im Kino gewesen und hatten danach gemeinsam zu Hause gekocht und wir wussten, was wir als nächstes vorhatten. Es knisterte mit jeder Minute mehr zwischen uns und die Spannung stieg. Rickys Hang zur Romantik verschlug mir den Atem, denn er verwandelte mein Schlafzimmer in ein Kerzenmeer. Es mussten auch Duftkerzen dabei sein, denn es roch einfach nur anregend. Eine rote Rose lag auf dem Bett und leise Musik lief im Hintergrund.
Mit glänzenden Augen schaute er mich an, nachdem wir beide zusammen geduscht hatten und nun standen wir Hand in Hand, nur mit einem Handtuch umhüllt vor dem Bett. Ich spürte wie aufgeregt er war, aber in seinem Blick lag nur Liebe und Sehnsucht und keine Angst. Wir hatten schon in der Dusche viele Küsse getauscht und es hatte seine Spuren bei uns hinterlassen. Ich konnte zum ersten Mal diesen Spruch von den Schmetterlingen im Bauch nachvollziehen, was ich bisher immer ein wenig belächelt hatte, aber jetzt in diesem Moment wusste ich, was damit gemeint war.
Ricky sah aus wie ein kleiner Gott, jedenfalls so, wie ich mir einen vorstellte. Ich konnte mich nicht satt sehen an ihm und für einen Augenblick stach mich so etwas wie Eifersucht, weil ihn so viele fremde Menschen so sehen durften, wenn er in der Galerie Modell stand. Aber der Blick in seine Augen ließ mich diese Gedanken einfach zur Seite schieben. Ich streifte unsere Handtücher ab, sie rutschten achtlos auf den Boden. Nun küsste ich ihn, zog ihn dabei auf das Bett und als er auf dem Laken neben mir lag, begann ich, ihn zu streicheln und ließ meine Zunge den Weg meiner Hände folgen. Ricky ließ sich nach kurzem Zögern fallen und wand sich unter mir mit Geräuschen, die mir mehr und mehr gefielen. Er stöhnte leise, als ich über seinen Hals, den Oberkörper bis zu seinem Bauch vorarbeitete. Er vergrub seine Hände in meinen Haaren und als er wiederholt meinen Namen flüsterte, sah ich zu ihm hoch. Der entrückte Blick mit den noch dunkleren erregten Augen gingen mir durch und durch. Ich stützte mich hoch, nahm die Rose vorsichtig und legte sie auf dem Nachttisch ab. Dann zog ich die Schublade auf und holte Kondome und Gleitgel heraus.
»Ricky, sag mir, was du jetzt möchtest. Ich will, dass es schön wird für dich und alles so, wie du dir es vorstellst, Schatz«, murmelte ich. Ich konnte nicht aufhören, ihn mit kleinen Küssen zu überhäufen, die weiter über seinen Bauch nach unten führten.
»Marcus, ich will dich in mir. Einfach so nah wie möglich mit dir verbunden sein und Maarc...« Der Rest ging in einem Japsen unter.
Das reichte mir schon. Ich hatte bereits das Gleitgel auf den Fingern und schon sah ich in seine
geweiteten Augen, als ich begann, ihn für unser nächstes Abenteuer vorzubereiten.
Jetzt waren wir soweit.
Nichts sollte uns mehr trennen.
Nachdem die Gläser hinter dem Tresen waren, wischte ich die Tische ab, da erschien er das erste Mal in meinem Sichtfeld, draußen auf der Straße. Er lächelte vor sich hin, unwillkürlich verzog ich auch meine Lippen. Seine Bewegungen wirkten beschwingt, er strahlte eine Lebensfreude aus, die ansteckend auf mich wirkte. Mein Blick klebte wie gebannt an ihm, während er an dem Café vorüberging. Unwiderstehlich wurde mein Bedürfnis, ihn festzuhalten.
»Ich bin kurz mal Luft schnappen«, rief ich nach hinten.
»In Ordnung, Marcus«, tönte es zurück, da war ich schon halb draußen und schaute dem Kerl nach, der zielstrebig die Straße hinunterging. Einen Moment bedauerte ich, dass er an der Ecke in dem großen Hochhaus verschwand, aber ich hatte keine Chance. So schnell wie er aufgetaucht war, war er auch schon wieder verschwunden. Schließlich kehrte ich nachdenklich zu meinem Nebenjob im Café zurück und überlegte, ob ich den wahnsinnig gutaussehenden Typen wohl nochmal wiedersehen würde. Letztendlich machte ich mir klar, dass ich wohl vergeblich darauf hoffte und versuchte, ihn gedanklich zu verdrängen. Am nächsten Tag hielt ich zwar trotzdem nach ihm Ausschau, aber er kam nicht. Den Tag danach hätte ich ihn fast verpasst, konnte ihn aber nur noch von seiner Kehrseite bewundern, denn er war praktisch schon am Café vorbei, als ich ihn bemerkte. Auch wenn ich mich etwas ärgerte, war ich doch froh, dass er wieder aufgetaucht war. Das bedeutete, dass er hier wohl häufiger vorbeikam, was meine Aussichten, ihn zu treffen, erhöhte. Ich machte mir einen Plan, denn ihn anzusprechen, stand für mich schon fest. Ich musste ihn nur richtig abpassen und ihn dann für mich interessieren. Es stellte nicht wirklich ein Problem dar für mich. Auf Leute zuzugehen fiel mir nicht schwer. Entweder klappte es, oder eben nicht. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Trotzdem musste ich zugeben, dass er schon etwas Besonderes für mich darstellte. Ich fand ihn einfach umwerfend. Dabei trug er eher schlabberige Kleidung, für meinen Geschmack etwas zu bunt und ausgefallen, aber alles andere, was hervorschaute, hatte es mir auf Anhieb antgetan. Aus seinem Gesicht mit den feinen Zügen stachen seine dunkelblauen Augen hervor, die zu leuchten schienen. Die wilde, blonde Lockenmähne auf seinem Kopf machte, was sie wollte und es passte zu ihm. Einen schön geschwungenen Mund, der ein Dauerlächeln trug, seine Zähne hervorblitzen ließ und seine Bewegungen sahen so aus, als wenn er gedanklich tanzte. Oder auf der Pirsch war, so geschmeidig wirkte es. Zusammen mit der etwas ausgefallenen Kleidung war er in jedem Fall ein Hingucker. Ich schaute jedenfalls hin und ich bekam nicht genug. Es kribbelte in mir, wenn ich ihn sah und mein Plan war einfach und erfolgversprechend. Ich würde ihn an meinem freien Tag abpassen und nicht wieder weg lassen, ehe er mir nicht die Zusage für ein Date geben würde. Oder mir eine Abfuhr einfahren. Ich war zuversichtlich, denn ich sah auch passabel aus und konnte sehr charmant sein. Mit meiner sportlichen Figur, den dichten braunen Haaren und meinem entwaffnenden Lächeln hatte ich schon oft gepunktet. Ich hoffte, es würde für den Zuschlag reichen.
Zwei Tage später war es so weit. Ich war ein wenig weiter vom Café weggegangen, denn ich wollte meinen Kollegen nicht unbedingt Futter für Spekulationen geben, auch wenn ich dazu stand, was und wer mich interessierte. Zugegebenermaßen war ich doch ein wenig aufgeregt und meine Hände wurden ein wenig feucht, als ich mein ersehntes Ziel von Weitem ankommen sah. Trotzdem war ich wild entschlossen, diese Gelegenheit zu nutzen. Außerdem würde dann endlich dieses Fragezeichen verschwinden, ob ich bei ihm landen konnte oder nicht. Man musst sowieso erstmal sehen, ob dann wirklich alles zusammen passte.
Er kam wie immer lächelnd auf mich zu und sah mich sogar einmal etwas fragend an, schaute dann aber wieder weg zur Straße, als wenn er nicht aufdringlich sein wollte. Als er ungefähr zwei Meter von mir entfernt war, schob ich mich ein wenig vor und versperrte ihm den Weg. Sein Kopf fuhr zu mir herum, mehr neugierig als ängstlich.
»Hey«, begann ich vorsichtig. »Ich heiße Marcus. Nachdem ich dich nun schon einige Male gesehen habe, dachte ich mir, ich frage dich einfach mal, ob wir uns vielleicht mal zu einem Drink treffen wollen. Ein wenig quatschen, sozusagen entspannt chillen. Natürlich nur, wenn du Lust hast? Was hältst du von der Idee?«
Sein Lächeln verschwand für einen Augenblick, während meines wie festgemeißelt in meinem Gesicht blieb, denn jetzt kam es darauf an.
Einen Moment runzelte er die Stirn und senkte seinen Blick auf den Boden. Ich sah seine dichten, langen Wimpern und dieser Anblick allein ließ mir einen Schauer den Rücken herunterlaufen, einen sehr angenehmen. Dann hob er plötzlich den Blick und musterte mich etwas irritiert, aber – dabei atmete ich innerlich auf – nicht unfreundlich.
»Ähm, hi. Ich bin Richard.«
Er trat scheinbar nervös von einem Bein auf das andere.
»Also eigentlich mache ich sowas nicht. Ich kann verstehen, dass dir vielleicht das Geld fehlt, aber unter Umständen kann ich dir ja anders weiterhelfen?«
Er kramte in der Innentasche seiner Jacke und zog dann ein Foto heraus. Jetzt war es an mir ein verständnisloses Gesicht zu zeigen, als er mir dieses in die Hand
drückte. Verblüfft schaute ich es an und das Blut schien sich aus meinem Kopf zu verabschieden. Mir leuchtete praktisch ein sehr sexy Hinterteil entgegen. Gut von unten angeleuchtet und splitterfasernackt. Ein Ausschnitt aus einer rückwärtigen Ansicht eines sehr attraktiven Kerls, bei dem es sich nur um Richard handeln konnte.
WTF bedeutete das jetzt? War er ein Callboy, der sich anbot gegen Geld? Ich wich zurück und starrte ihn an.
»Was soll das heißen, Richard?«, fragte ich fast tonlos.
»Wenn du mehr willst, musst du dafür bezahlen. Eine Stunde für ...«. Er nannte einen Betrag, der mir völlig egal war, denn mich schockierte die Tatsache an sich und ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Ist nicht dein Ernst, oder? Ich bezahle nicht für ein beschissenes Date, da kannst du noch so einen heißen Arsch zeigen. Sorry, ich habe mich wohl getäuscht in dir. Vergiss es einfach. Schönen Tag noch.«
Ich drehte mich wie betäubt um und rannte fast weg.
Erst als ich vor meiner Haustür stand bemerkte ich mein wild klopfendes Herz, die Enttäuschung, die sich in jede Faser in mir breit machte. Ich ging hinauf in meine Wohnung.
Dieser Abend hatte sich zu einer einzigen Katastrophe entwickelt, aber wenigstens hatte ich es rechtzeitig gemerkt. Nicht auszudenken, wenn ich ihn mit zu mir genommen hätte und er mir später seine Rechnung präsentiert hätte. Meine Wut wurde nicht kleiner, auch nicht nach dem Bier, das ich in mich hineinschüttete. Außer mir vor Empörung wischte ich mir immer wieder die Tränen aus dem Gesicht. Ich hatte mich gefühlsmäßig schon viel zu sehr verrannt mit dem Kerl. Irgendwann ging ich duschen und legte mich ins Bett. Ich ließ den Fernseher die ganze Nacht laufen, weil an Schlaf war überhaupt nicht zu denken.
Völlig gerädert musste ich am nächsten Morgen zur Arbeit, aber irgendwie war ich auch froh, dass ich nicht mehr zu Hause rumgrübeln konnte. Mechanisch und unter Aufbringung all meiner Kräfte hielt ich eisern meine Schicht durch. Ich schaute ungläubig hoch, als plötzlich Richard das Café betrat. Niemand sonst war im Laden. Das fehlte mir gerade noch! Mit maskenhaftem Gesicht ging ich zu ihm an den Tisch, mit äußerster Mühe um Beherrschung bemüht.
»Was darf es sein?«
Ich versuchte eine neutrale Stimme hervorzubringen, aber sie klang seltsam heiser.
Es sah so aus, als wenn er nach meiner Hand greifen wollte, aber ich zuckte zurück und er ließ es.
»Bitte, Marcus. Gib mir eine Chance, das aufzuklären, okay?«, flüsterte er ohne mich weiter anzu sehen. Er schob mir mit zitternder Hand einen Flyer über den Tisch zu. Ich schnaubte.
»Noch mehr tolle Bilder von dir – ganz umsonst? Oder was willst du dafür haben?« Ich konnte mir die sarkastische Bemerkung nicht verkneifen. Zu tief saß die Enttäuschung vom gestrigen Tag. Er schluckte, ich konnte es an seinem Adamsapfel sehen.
»Ich habe deine Frage falsch gedeutet. Ich dachte, du wolltest mich privat buchen, was ich als Nebenjob in den Semesterferien mache«, brachte er schließlich mühsam heraus.
»Als was? Als Callboy oder was?«, zischte ich und spürte, wie die Wut wieder in mir hochkochte. Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich durch die Locken.
»Nein, Marcus. Schau dir den Flyer an und wenn du dann wieder mit mir reden willst – ich komme nachher um sechs wieder zu der Stelle von gestern. Wenn du nicht kommst, weiß ich, dass du kein Interesse mehr hast.«
Er stand allen Ernstes auf und ging hinaus. Am liebsten hätte ich ihm irgendetwas hinterher geworfen, aber ich konnte mich gerade noch beherrschen.
Der hatte vielleicht Nerven, hier aufzukreuzen. Ich wollte den Flyer schon zerknüllen und wegwerfen, als mein Blick an der Überschrift hängenblieb.
Galerie für Aktzeichnungen
Die Adresse lag in dieser Straße. Das musste das Eckhaus sein, in dem Richard verschwunden war.
Nein!
Mist – er war ein Aktmodell?
Tröpfchenweise gelangte die Erkenntnis in mein Hirn.
Er hatte gedacht, ich wollte ihn malen, er sollte mir Modell stehen für umsonst, deswegen hatte er das auch mit dem Stundensatz gesagt und mir als nette Geste dieses Foto von ihm gegeben. Na, klasse. Was sollte ich jetzt machen? Auf jeden Fall nochmal mit ihm reden. Ich sollte mich vermutlich entschuldigen. Wir hatten uns beide nicht besonders klug angestellt. Aber gemein war nur ich gewesen. Ich raufte mir die Haare. Den Flyer steckte ich ein, ich würde ihn mir später nochmal ansehen. Um vier hatte ich Feierabend und ich stand einen Augenblick unschlüssig vor der Tür, ehe ich nach Hause ging. Ich war total erledigt, aber ich musste durchhalten, sonst würde ich die letzte Chance verspielen, um Richard noch von mir zu überzeugen. Panisch vermied ich es, mich hinzulegen, obwohl mein Körper danach schrie, aber ich würde vermutlich bis zum nächsten Morgen durchschlafen, wenn ich es täte.
Ich kam ungefähr zehn Minuten vor der Zeit an unserem letzten Treffpunkt an, aber Richard war schon da. Keine Verschnaufpause, ich musst sofort reagieren.
In seinem Gesicht sah ich nur grenzenlose Unsicherheit, auch wenn es sich etwas erhellte, als er mich sah. Außerdem lag fast so etwas wie Traurigkeit auf ihm, aber auch ich war zerknirscht. Kein Lächeln, nur ein gegenseitiges, vorsichtiges Mustern.
»Hi Richard«, murmelte ich reumütig. »Ich war ... es tut mir leid. Ich hätte dableiben und es gleich mit dir klären sollen. Aber ich war einfach ...«
Er unterbrach mich.
»Schockiert. Kann ich verstehen. Jetzt, wo ich weiß, was du mir eigentlich sagen wolltest, kann ich deine Reaktion sogar verstehen. Es war ja im Grunde meine Schuld, du hast ja gar nichts von Modell stehen gesagt, ich war einfach davon ausgegangen. Weil du mir sympathisch warst, wollte ich dich nicht gleich ganz abblitzen lassen und dann kam eins zum anderen.«
Wir schwiegen ein paar Sekunden, ehe wir uns zögernd wieder anlächelten.
Richard räusperte sich leise.
»Es hat mich einige Überwindung gekostet, zu dir ins Café zu kommen. Ich bin eigentlich eher zurückhaltend, obwohl ich diesen Galerie-Job mache. Das geht da ganz seriös zu, keine
Anzüglichkeiten oder so, das wurde mir auch zugesichert. Trotzdem bekomme ich ab und zu Anfragen, ob ich auch außerhalb der Galerie und der Kurse Modell stehen würde. Deswegen dachte ich auch gleich daran und dann ... na, weißt du selbst. Aber ich fand deine Ansprache ganz süß. Jedenfalls den Anfang. Ich hatte dich ja auch schon im Café entdeckt, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, hineinzugehen.«
Tatsächlich schaute Richard schon wieder Löcher in den Boden, seine Wangen röteten sich leicht, er war wirklich sehr schüchtern. Ich trat einen Schritt näher, legte einen Finger unter sein Kinn und hob sein Gesicht an. Schon versank ich in diesen Augen und konnte gar nicht anders, als ihn vorsichtig zu umarmen.
»Ich bin sehr froh, dass du dich überwunden hast, Richard«, flüsterte ich nah an seinem Ohr und merkte, wie er sich etwas entspannte.
»Meine Freunde nennen mich Ricky«, raunte er mir zu, ehe er wieder verstummte, als wenn er bereits zuviel gesagt hätte.
»Ricky«, widerholte ich gerührt.
Wie süß war er denn? Ich seufzte leise, worauf er sofort zusammenzuckte, aber ich hielt ihn fest im Arm.
»Ich habe kein Auge zugetan heute Nacht und schlafe gleich im Stehen ein. Heute wirst du nicht mehr viel von mir haben. Ich schlage vor, wir fangen mit unserem Kennenlernen nochmal von vorn an. Was meinst du?«
Ich vergrub meine Nase in seinen Locken, genoss es wie er sich zögernd an mich schmiegte. Vorsichtig bewegte er sich etwas.
»Soll ich nochmal mutig sein? Nimmst du mich mit, damit ich bei dir bleiben kann? Oder findest du das falsch?« Ricky hatte es mir ganz leise ins Ohr geflüstert, aber mich durchströmte ein ungeahntes Glücksgefühl und ich drückte ihn zärtlich an mich.
»Liebend gern nehme ich dich mit. Aber nur, wenn du mir versprichst, dass ich einen Gute-Nacht-Kuss von dir bekomme«, brummte ich schmunzelnd.
»Den kannst du sofort haben – und nachher noch einen.«
So vorsichtig und sanft küsste er mich dann, dass ich dachte, ich würde auf einer Wolke schweben. Alles zog sich in mir zusammen, mir wurde abwechselnd heiß und kalt und meine Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen. Mein Herz begann rasend schnell gegen meinen Brustkorb zu hämmern, ich meinte Ricky musste es hören. Wir vertieften unseren Kuss und vergaßen alles um uns herum. Meine Hände machten sich selbständig, eine fand sich in Rickys Locken wieder, mit der anderen fuhr ich über seinen Rücken, zog ihn fester an mich und fand es himmlisch, ihn so nah bei mir zu haben und die Art, wie er sich an mich klammerte, mich nicht loslassen wollte. Er roch so gut nach Sonne, Wind und Erde, eine betörende Mischung, die mir die Sinne vernebelte. Ich musste mich mühsam von ihm lösen, griff aber sofort nach seiner Hand und zog ihn sanft mit mir. Mit verschränkten Händen schlenderten wir kurz danach zu mir nach Hause. Mit weichen Knien und ziemlich viel Watte im Kopf, schob ich ihn hinein und schloss die Tür hinter uns. Ich musste schlucken, als er sich zu mir umdrehte.
»Marcus, ich habe – also ich will nicht, dass du denkst, ich würde immer gleich beim ersten Treffen ... ich ...« Hilflos brach er ab.
Ich war sofort bei ihm, legte meine Hand an sein Gesicht und hob mit dem Daumen seinen gesenkten Kopf wieder an.
»Ricky, alles gut! Ich denke nichts Schlechtes von dir, versprochen. Ich habe auch noch nie jemanden beim ersten Date mit nach Hause genommen, okay? Außerdem wird nichts geschehen, was wir nicht beide wollen. Wir müssen nichts überstürzen. Ich bin einfach nur froh, dass du hier bei mir bist. Erinnerst du dich? Nur chillen. Alles andere wird sich finden. Ob heute, morgen oder in ein paar Wochen, völlig egal. Mach dir keine Sorgen. Zeig mir dein Lächeln, Ricky. Es hat mich als erstes an dir fasziniert. Ich würde dich nur gern nochmal küssen. Ist das okay für dich?«
Ein Wechselbad der Gefühle huschte über sein Gesicht, am Ende lächelte er mich erleichtert an und zog mich zu sich heran. Seine süßen Lippen suchten meinen Mund und ich hieß ihn willkommen, unsere Zungen begegneten sich sanft, dann fordernder und schließlich fanden wir uns in einer innigen Umarmung wieder. Nach gefühlt endloser Zeit ließen wir voneinander ab. Wir atmeten schwer, aber wir sahen uns glücklich an. Alles war genauso wie es sein sollte. Mein Gefühl hatte mich doch nicht getrogen. Ich war mir sicher, dass ich mit Ricky genau den Richtigen getroffen hatte.
Wir ließen uns Zeit.
Wochen vergingen, in denen wir viel zusammen waren. Ricky brauchte diese Zeit, denn ich erkannte schnell, dass er verunsichert war, was Beziehungen anging. Ich liebte ihn umso mehr dafür, dass er so sensibel war. Ich übte keinerlei Druck auf ihn aus. Mir reichte es, dass er mit mir zusammen sein wollte und mir seine volle Aufmerksamkeit schenkte, mich so akzeptierte, wie ich war. Wir lernten uns besser kennen und stellten viele Gemeinsamkeiten fest, auch wenn wir uns äußerlich sehr unterschieden. Wir teilten dagegen denselben Humor und mochten dieselben Freizeitaktivitäten. Trotzdem fühlten wir uns, besonders in den ersten Wochen, ganz allein mit uns am wohlsten. Es wurde uns nie langweilig, uns zu unterhalten, zu diskutieren oder vor allem sehr intensiv zu kuscheln. Mit der Zeit entwickelte sich von ganz allein, eine Intensität, die sich nicht leugnen ließ und der Ricky dann auch irgendwann erlag.
An einem Wochenende war es soweit. Den ganzen Tag waren wir schon umeinander herumgeschlichen und hatten uns geneckt mit zweideutigen Bemerkungen. Unsere gegenseitigen Berührungen verursachten einen unbezähmbaren Wunsch, uns näher zu kommen und die Küsse wurden leidenschaftlicher und drängender. Ich wartete dennoch, bis Ricky sich soweit sicher fühlte und erst als er mir sagte, dass er nun bereit sei für den letzten Schritt, wagte ich es, mich ein wenig intensiver mit ihm zu beschäftigen, ohne ihn zu bedrängen.
Wir waren im Kino gewesen und hatten danach gemeinsam zu Hause gekocht und wir wussten, was wir als nächstes vorhatten. Es knisterte mit jeder Minute mehr zwischen uns und die Spannung stieg. Rickys Hang zur Romantik verschlug mir den Atem, denn er verwandelte mein Schlafzimmer in ein Kerzenmeer. Es mussten auch Duftkerzen dabei sein, denn es roch einfach nur anregend. Eine rote Rose lag auf dem Bett und leise Musik lief im Hintergrund.
Mit glänzenden Augen schaute er mich an, nachdem wir beide zusammen geduscht hatten und nun standen wir Hand in Hand, nur mit einem Handtuch umhüllt vor dem Bett. Ich spürte wie aufgeregt er war, aber in seinem Blick lag nur Liebe und Sehnsucht und keine Angst. Wir hatten schon in der Dusche viele Küsse getauscht und es hatte seine Spuren bei uns hinterlassen. Ich konnte zum ersten Mal diesen Spruch von den Schmetterlingen im Bauch nachvollziehen, was ich bisher immer ein wenig belächelt hatte, aber jetzt in diesem Moment wusste ich, was damit gemeint war.
Ricky sah aus wie ein kleiner Gott, jedenfalls so, wie ich mir einen vorstellte. Ich konnte mich nicht satt sehen an ihm und für einen Augenblick stach mich so etwas wie Eifersucht, weil ihn so viele fremde Menschen so sehen durften, wenn er in der Galerie Modell stand. Aber der Blick in seine Augen ließ mich diese Gedanken einfach zur Seite schieben. Ich streifte unsere Handtücher ab, sie rutschten achtlos auf den Boden. Nun küsste ich ihn, zog ihn dabei auf das Bett und als er auf dem Laken neben mir lag, begann ich, ihn zu streicheln und ließ meine Zunge den Weg meiner Hände folgen. Ricky ließ sich nach kurzem Zögern fallen und wand sich unter mir mit Geräuschen, die mir mehr und mehr gefielen. Er stöhnte leise, als ich über seinen Hals, den Oberkörper bis zu seinem Bauch vorarbeitete. Er vergrub seine Hände in meinen Haaren und als er wiederholt meinen Namen flüsterte, sah ich zu ihm hoch. Der entrückte Blick mit den noch dunkleren erregten Augen gingen mir durch und durch. Ich stützte mich hoch, nahm die Rose vorsichtig und legte sie auf dem Nachttisch ab. Dann zog ich die Schublade auf und holte Kondome und Gleitgel heraus.
»Ricky, sag mir, was du jetzt möchtest. Ich will, dass es schön wird für dich und alles so, wie du dir es vorstellst, Schatz«, murmelte ich. Ich konnte nicht aufhören, ihn mit kleinen Küssen zu überhäufen, die weiter über seinen Bauch nach unten führten.
»Marcus, ich will dich in mir. Einfach so nah wie möglich mit dir verbunden sein und Maarc...« Der Rest ging in einem Japsen unter.
Das reichte mir schon. Ich hatte bereits das Gleitgel auf den Fingern und schon sah ich in seine
geweiteten Augen, als ich begann, ihn für unser nächstes Abenteuer vorzubereiten.
Jetzt waren wir soweit.
Nichts sollte uns mehr trennen.
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