Was unter dem Schnee liegt

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Patrick M.

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Was unter dem Schnee liegt​

Machi stand auf dem Hof der ehemaligen Klosteranlage und blickte verschüchtert auf den wilden Tanz der Schattengestalten auf der dicken weißen Schneeschicht vor ihm. Fasching nannte man das, was dort drinnen geschah. Warum schaffte er es nicht, sich auf einen ausgelassenen Abend zu freuen, er war doch auch in diesem Land aufgewachsen?

Er zögerte einzutreten. Hier draußen war das Leben wirklicher, die trocken-rauchige Winterluft, die glitzernde weiße Fläche entlarvte jede Falschheit und umhüllte ihn mit wattiger Geborgenheit. In der stumm rieselnden Kälte hatte er das Recht, sich fremd zu fühlen, er konnte seine Ahnung um die abgrundtiefe Einsamkeit des Menschen tief und ernst empfinden, ohne sie durch Worte entwerten zu müssen.

Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter: „Mann Machi, worauf wartest Du. Um acht sollen wir anfangen und wir müssen noch stimmen und aufbauen. Die andern warten bestimmt schon.“ Charly, der Trompeter, zog ihn eilig mit sich in Richtung Eingangstür und erinnerte ihn so an das Versprechen, das er sich selbst gegeben hatte: Dazugehören – um jeden Preis.

Als die beiden das Pfarrheim von Sankt Severin betraten, schlug ihnen ein rauch- und alkoholgeschwängerter Schwall feuchtwarmer Luft entgegen. Hastig zog Charly Machi in den Gewölbekeller, wo die anderen Mitglieder der Dixie-Combo schon dabei waren, ihre Instrumente zu stimmen.

Während Machi seine Jacke auszog, überflog er kurz den Raum: Im hinteren Teil hatten es sich schon die ersten Zuhörer bei Bier und Brezen gemütlich gemacht und musterten die Musiker neugierig. Doch weder die wohlwollenden Blicke der Gäste noch die familiäre Atmosphäre zwischen den Musikerkollegen konnten Machis Nervosität mildern. Verlangten die wöchentlichen Proben von ihm schon das Äußerste an Überwindung und Selbstverleugnung ab, das er zu bieten hatte, so war ein Auftritt vor Fremden noch eine ganz andere Kategorie. Wie sollten sie verstehen, dass es gerade ihre gemeinsame Liebe zur Musik war, die ihn vereinsamen ließ, dass es ihre oberflächliche Vertrautheit war, die ihn ausschloss, dass ihre Freundlichkeit ihn umso mehr entfremdete, je mehr er so tat, als würde er sie genießen. Und heute gab es kein Entfliehen, auf der Bühne musste er seine Rolle spielen: tun, als liebte er es, zwischen Banjo und Gitarre hin- und herzuwechselnd seine Akkordfolgen zu klopfen, während die anderen mit ihrer eitlen Fingerakrobatik nach dem Beifall des Publikums heischten.

Sie waren gut, das wusste er. Besonders heute musste er sein Bestes geben, um ihnen zu zeigen, dass sie ihn zurecht in ihre Gemeinschaft aufgenommen hatten.

Und wirklich, die Band machte ihre Sache vortrefflich. Rechtzeitig zum Gipfel ihres Programmes „Body and Soul“ waren sie richtig in Fahrt gekommen. Der Zwischenteil des Stückes war harmonisch ausgesprochen anspruchsvoll, doch heute klappte alles. Klarinette, Saxophon, Trompete, Posaune, Tuba, Klavier, Schlagzeug, man verstand sich blind, die Improvisationen wurden immer ausgefallener, virtuos spielten sich die Bläser gegenseitig die Bälle zu und ernteten bewundernde Blicke aus dem Publikum. Da wandte sich mitten in seinem Klarinettensolo Freddie plötzlich um und schwenkte sein Instrument aufmunternd in Machis Richtung, um ihm das Solo zu übergeben. Machi erschrak und bemerkte erst jetzt, wie sehr seine Verstellung an seinen Kräften gezehrt hatte. Seine ursprüngliche Nervosität war zu Teilnahmslosigkeit getrocknet, sein Kopf war stumpf geworden, sein Herz leer. Uninspiriert irrte er von einem tonalen Zentrum zum anderen wie ein Wanderer, der nicht bemerkt, dass seine Landkarte den falschen Maßstab hat. Schließlich signalisierte Pepi am Schlagzeug endlich routiniert die Rückkehr zum Thema und erlöste ihn aus seiner Irrfahrt.

Machi konnte sein Scheitern schmecken, ganz hinten in der Kehle, wo es sich ausbreitete wie bittere Öldämpfe. Er hatte erneut gekämpft, um die Mauer zu durchbrechen, ein für alle Mal hatte es sein sollen, doch er war wieder von ihr abgeprallt, zurück in eine Ödnis, die ihn diesmal leerer empfing als je zuvor.

Er quälte sich noch durch eine Zugabe, dann war er befreit. Denn auch die anderen hatten sich verausgabt und nach getaner Arbeit wollte man sich nun, zufrieden mit sich selbst, ins Faschingstreiben stürzen und jeder begann eilig seine Instrumente einzupacken. Nur Machi bewegte sich wie in Zeitlupe, kalte Trauer lähmte seine Bewegungen. Während seine Hände mit dem Verpacken seiner halbakustischen Ibanez beschäftigt waren, ließ er seinen Blick wie zum Abschied noch einmal durch den Raum schweifen, den Ort seiner endgültigen Niederlage. Die sich leerenden Holztische mit den gelöschten Kerzen, der Schanktisch, die weißgekalkten Wände behangen mit Fotos, Erinnerungen an alle Bands, die hier schon aufgetreten sind und dahinten der Herrgottswinkel mit dem nach vorn geneigtem Kruzifix… - seltsam, dass ihm das noch nie aufgefallen war.

Machi ertrug die fremde Wärme des Ortes nicht mehr, er würde nie hierhergehören. Dennoch zögerte er zu gehen. Glich das nicht einem Davonlaufen? Doch wovor?

Der Raum war nun fast leer, Tom packte seine Tuba ein und Karin stand neben Machi, während sie ihr Selmer-Saxophon putzte. Machi betrachtete das goldene Instrument, ein Brennen stieg aus seiner Magengegend auf. Durfte er sie fragen? Nein, ausgeschlossen, die Instrumente der anderen waren Tabu, jeder hatte seine Rolle. Sich auf den Instrumenten eines anderen ausprobieren zu wollen, das glich einem Eindringen in die Intimsphäre.

Da wandte sich Karin an ihn: „Hältst du mal kurz?“ Sie drückte ihm den Korpus in die Hand, um das Korkfett aus dem Koffer zu holen.

Ohne zu wissen, woher die Worte kamen, entgegnete Machi: „Lass mich das machen, geh ruhig mit den andern.“

Ungläubig drehte Karin sich um: „Kennst du dich denn damit aus?“.

Machi hatte allen verschwiegen, dass er vor einem halben Jahr begonnen hatte, auf dem alten Instrument seines Stiefvaters herumzuprobieren. Heimlich, denn niemand sollte sich lustig über ihn machen, niemand sollte sich herausgefordert fühlen.

„Ja, ein bisschen, mein Vater hat auch eins“, antworteten er daher nur knapp.

Karin war einverstanden, überließ ihm das zerlegte Instrument und schloss sich dem Rest der Band an.

Das Brennen hatte nun seine Brust erreicht und bevor er sich selbst eingestand, was er da tat, hatte er ein 3er-Blatt ins Mundstück gesetzt und es mit den beiden kleinen Blattschrauben befestigt. Dann steckte er den S-Bogen auf, hängte sich das Saxophon mit dem Gurt um. Instinktiv tasteten seine Lippen nach der richtigen Position, leicht schmerzte die Unterlippe, als er auf das Mundstück biss. Doch schon nach wenigen Sekunden hatte sich das Rauschen im Schallbecher zu erkennbaren Tönen geformt. Er mühte sich, musste sie Klänge zunächst noch aktiv rufen und sie folgten nur einzeln und zögerlich, doch bald schlossen sie sich von selbst ihren Freunden und Verwandten an, verabredeten sich schließlich zu Phrasen und Melodie - in dorischem Moll, wie sich nach und nach zeigte.

Jetzt war Machi als Stichwortgeber nicht mehr nötig, das Instrument begann, von sich aus zu erzählen - eine Geschichte, die nur für ihn selbst bestimmt war.

Zuerst er hielt er es für einen Streich seiner eigenen musikalischen Einbildung, doch es passte so wenig zu seiner Intuition… nein, da drangen tatsächlich einzelne tastende Klavierakkorde herauf, unsicher, als bäten sie schüchtern um Rat. Ein fremder junger Mann hatte sich an das alte Jugendstilklavier gesetzt und bemühte sich, die passenden Akkorde zu erfühlen. Machi setzte ab, ging zu ihm hinüber und erklärte ihm die harmonischen Strukturen und nannte ihm die Begleitakkorde. Ein kurzes „Ach so!“ und der Pianist begann gefühlvoll seinen Klangteppich zu entfalten. Machi schloss die Augen, schmiegte sich in die bitterwarmen Mollklänge und überließ sich dem darin dahingleitenden Fluss, der fast ohne sein Zutun dem Instrument entquoll, während sich aus der Schlagzeugecke unmerklich das kreisende Wischen des Besens dazugesellte – Tom, der Tubist saß dort und nickte ihm mit vieldeutigem Lächeln zu. Das Saxophon in Machis Händen fühlte sich nun ermutigt, auszusprechen, was aus ihm heraufdrängte, um es gleichzeitig in der unverbrüchlichen Güte der Harmonien zu bannen, die auch ihm Geborgenheit schenkten.

Finstere Stunden in schmutzigen Kellern, schreiende Kinder, weinende Frauen, wortkarge Männer, schwarzuniformiert mit Gewehren im Anschlag, dann ein Blitz, ohrenbetäubendes Krachen, ein Beben, Staub und Steine überall, und dann… plötzlich völlige Stille - der sternenklare Nachthimmel, der zwischen den Trümmern der rauchenden Mauern aufbrach. Und ganz tief unten der verständnislose Schmerz des soeben erst ins Leben Geworfenen…

Während Machis Finger nun selbst wussten, was sie zu tun hatten, versank er im Erleben dieser neuen, doch zugleich urvertrauten Wahrheit aus Leid und Trost, gab sich ihr hin wie ein verlorener Geliebter. Vergingen Minuten, Stunden? Ein ganzes Leben?


Erst als seine Augen schon zu trocknen begannen, fühlte er sich sachte zurückgleiten in die Gegenwart dieses fröhlich gemeinten Winterabends. Zaghaft hob er die Lider und erkannte verschwommen, dass der Raum sich wieder gefüllt hatte. Er fand sich umringt von gebannten Blicken, keiner sprach. Eine ungekannte Klarheit stieg in diesem Moment in sein Bewusstsein, als sei irgendeine Seelenmechanik in der verborgenen Struktur des Augenblicks eingerastet und zur Ruhe gekommen. Das Brennen in seiner Brust hat sich zu einem warmen Glühen gewandelt, es durchflutete seinen Körper. Machi übernahm nun wieder die Herrschaft über seine Finger und deutete seinen beiden Gefährten die letzte Akkordschleife an, dann verabschiedete er sich von der Welt, die ihn gerade besucht hatte und ließ die Schlussphrase auf einer Sexte ausklingen.

Ein Moment gespannter Stille, dann brach stürmischer Beifall aus, Jubelrufe blühten dazwischen hervor wie duftende Blumen auf einer Frühlingswiese, Menschen kamen zu ihm, beglückwünschten ihn, bewegt und betroffen. Machi war es, als strahlte das Glühen aus jeder Pore seines Körpers und hüllte alle, die um ihn standen, in einen Strom aus goldener Wärme.


Als Machi das Saxophon verstaut hatte und gerade dabei war, seine Instrumente zu ergreifen, spürte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter. Freddie grinste ihn mit kaum verhohlener Aggressivität an. „Du Sau!“, zischte der Klarinettist, schaute ihm kurz und durchdringend in die Augen, machte kehrt und verschwand aus dem Raum.

Kurze Zeit später stand Machi mit seinen beiden Koffern auf der Eingangstür der Studentengemeinde und blickte auf die makellose weiße Fläche, die sich vor ihm ausbreitete. Der Schneefall der letzten Stunden hatte alle Fußspuren unter einer dicken Schicht begraben. Doch jetzt war der Flockenfall versiegt, es duftete feucht und das Plätschern in den Regenrinnen verriet, dass Tauwetter eingesetzt hatte. Behutsam bahnte sich Machi seinen Weg durch den tiefen Schnee - wie angenehm das Knarzen seine Knie erzittern ließ.
 
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ahorn

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Hallo Patrick M.

Leider habe ich zurzeit für ein Lektorat keine Zeit, daher bloß ein paar Kommata. ;)

Um achtsollen wir anfangen und wir müssen noch stimmen und aufbauen.

Charly, der Trompeter KOMMA zog ihn eilig mit sich in Richtung Eingangstür und erinnerte ihn so an das Versprechen, …

Während Machi seine Jacke auszog KOMMA überflog er kurz den Raum:

Besonders heute musste er sein Bestes geben KOMMA um ihnen zu zeigen, dass sie ihn zurecht in ihre Gemeinschaft aufgenommen hatten PUNKT

Da wandte sich mitten in seinem Klarinettensolo Freddie plötzlich um und schwenkte sein Instrument aufmunternd in Machis Richtung KOMMA um ihm das Solo zu übergeben.

Machi konnte sein Scheitern schmecken, ganz hinten in der Kehle, wo in der es sich ausbreitete wie bittere Öldämpfe. Er hatte erneut gekämpft KOMMA um die Mauer zu durchbrechen, …

Die sich leerenden Holztische mit den gelöschten Kerzen, der Schanktisch, die weiß gekalkten Wände behangen mit Fotos, …

Der Raum war nun fast leer, Tom packte seine Tuba ein und Karin stand neben Machi KOMMA während sie ihr Selmer-Saxophon putzte.

Sie drückte ihm den Korpus in die Hand KOMMA um das Korkfett aus dem Koffer zu holen.

„Ja, ein bisschen, mein Vater hat auch eins KEIN PUNKTKOMMA antwortete er daher nur knapp.
Karin war einverstanden, überließ ihm das zerlegte Instrument und schloss sich dem Rest der Band an.


Dann steckte er den S-Bogen auf KOMMA hängte sich das Saxophon mit dem Gurt um. Instinktiv tasteten seine Lippen nach der richtigen Position, leicht schmerzte die Unterlippe KOMMA als er auf das Mundstück biss.
…, da drangen tatsächlich einzelne tastende Klavierakkorde herauf, unsicher, als bitten / baten sie schüchtern um Rat.
…, während sich aus der Schlagzeugecke unmerklich das kreisende Wischen des Besens dazugesellte – Tom, …

…, was aus ihm herausdrang , um es gleichzeitig in der unverbrüchlichen Güte der Harmonien zu bannen, die auch ihm Geborgenheit schenkten.
Finstere Stunden in schmutzigen Kellern, schreiende Kinder, weinende Frauen, wortkarge Männer, schwarz uniformiert mit Gewehren im Anschlag, dann ein Blitz, ohrenbetäubendes Krachen, ein Beben, Staub und Steine überall, und dann… plötzlich völlige Stille - der sternenklare Nachthimmel, der zwischen den Trümmern der rauchenden Mauern aufbrach.

…, doch zugleich urvertrauter Wahrheit aus Leid und Trost, gab sich ihr hin wie ein verlorener Geliebter. Vergingen Minuten, Stunden?

Als seine Augen zu trocknen begannen KOMMA fühlte er sich sachte zurückgleiten in die Gegenwart dieses fröhlich gemeinten Winterabends.

„Du Sau!“ KOMMA zischte der Klarinettist, …


Gruß
Ahorn

PS.: Hau mal die unnötigen Leerzeichen raus.
 

ahorn

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Ney, dat is Textblindheit, heff ik ok. ;)

Spaß beiseite, achte einfach auf Infinitivsätze und Konjunktionen oder nutze die Technik. Meiner eins übersieht gern Fragezeichen.

Na ja, vielleicht schaffe ich noch das Amateurlektorat, das eine oder andere habe ich beim ersten Blick entdeckt.
Ich sage nur weißer Schnee. ;)
Aber erst kommt Bloem dran.

Gruß
Ahorn
 



 
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