„Dort sind noch ein paar Überlebende, Toriban!“ Ein aufmerksamer Rehidur-Pak suchte die Wasseroberfläche mit einem Fernsichtglas ab. Er zeigte in die Richtung. Ich stieß einen schweren Seufzer aus und begab mich zum Ruderboot.
„Also gut, ich fahre mit.“
„Ich auch!“, rief Mic’ahele begeistert, bevor ich noch einen Einwand erheben konnte. Ihre Art verriet mir, dass sie wirklich begierig darauf war, helfen zu können. Wir bestiegen das Ruderboot, ließen es mit einer Seilwinde ein Stück sinken und stiegen ein. Das kleine Gefährt kam etwa einen halben Meter über dem Wasser zur Ruhe. Ich blickte zu Toriban zurück, der gerade das Boot überprüfte. Unser Rehidur-Pak steuerte das Ruderboot kurz darauf durch die Trümmer, während ich wie wild ruderte und Mic’ahele im Bug die Richtung angab. Anhand der treibenden Stücke und des gebrochenen Masts schätzte ich, dass der Segler etwa die halbe Größe unseres Segelbootes hatte. Die zusätzlichen Maschinen im Boot waren anscheinend nicht stark genug gewesen, um ihn über die Korallenspitzen hinwegtragen zu lassen. So war der Segler mit einer zusammengestoßen und zerstört worden. Der Leichengeruch war noch nicht sehr intensiv, was darauf hinwies, dass die Männer vermutlich gegen Sonnenaufgang gestorben waren. Doch es genügte, um Runzeln um Mic’aheles niedliche Nase entstehen zu lassen. Sie zeigte auf die zwei Männer, die der Rehidur-Pak entdeckt hatte. Es waren Menschen aus der Sternenlicht Vereinigung, keine Rehidur-Pak entgegen den meisten Leichen, die mit dem Gesicht im Wasser schwammen. Die beiden klammerten sich verzweifelt an einige Trümmerstücke, die auf der anderen Seite des Riffs schwammen. So konnten sie sich vom Wrack und von den Savich fern halten, aber ihre Zuflucht war alles andere als sicher. Die Männer winkten hektisch und riefen uns. Das Ruderboot schrammte über eine Korallenbank, die ein winziges Stück aus dem Wasser ragte, als wir uns ihnen näherten. Ich blickte zur Seite und sah im dreifachen Mondlicht das seichte Riff. Ich hätte es mit ausgestrecktem Arm berühren können. Hätten wir versucht, diese Männer mit dem Segelschiff zu retten, wir wären wahrscheinlich ebenfalls auf Grund gelaufen und zu Savich-Futter geworden. Wir gingen mit dem Boot längsseits der Bootstrümmer. Ich half den blasshäutigen Überlebenden aufs Ruderboot. Ihre Züge ließen vermuten, dass es sich um Terraner handelte, fernab der Heimat. Möglicherweise waren sie vielleicht unsere Fahrkarte, mit der wir diesen Planeten verlassen konnten. Freie Passage gegen Lebensrettung. Der ältere Mensch schien in schlechterer Verfassung zu sein. Seine Lippen waren aufgeplatzt, und eine tiefe Beinwunde, hatte sich offenbar entzündet. Er sah aus, als hätte ihn ein Savich angefallen. Der primitive Enterhaken, den er am Gürtel trug, war blutverschmiert. Ich fragte mich, ob es ihm gelungen war, sich damit erfolgreich zur Wehr zu setzen.
„Gott sei Dank, dass jemand uns gesehen hat“, sagte der jüngere Mann. „Wären sie nicht vorbeigekommen, wir hätten garantiert nicht bis zum Abend durchgehalten. „
„Ist sonst noch jemand am Leben?“, fragte Mic’ahele.
Die beiden schüttelten unisono den Kopf und suchten sich eine Stelle in der Mitte des Ruderbootes, wo sie sich erschöpft fallen ließen.
„Sie sind die Mahlzeit der Savich“, sagte der Ältere. Er reichte mir eine Hand, und ich schüttelte sie. Sie fühlte sich schrecklich kalt an. Er war schon eine ganze Weile im Wasser gewesen. Er stellte sich als Eduard Möller vor und seinen jüngeren Begleiter als Martin Korten.
„Was ist passiert?“, fragte ich.
„Ein Korallenriff und ein ungewöhnlich tiefer Wasserstand wegen der Mondkonstellationen“, sagte Eduard Möller. „Es passierte gestern Nacht. Der Rumpf unseres gemieteten Segelbootes riss auf, und der Zusatzmotor wurde zerstört. Es war ein gutes Schiff, doch der Kapitän war zu nervös und wollte heimkehren, bevor der Tag der drei Monde beginnt. Als der Zusammenstoß erfolgte, geschah alles so schnell, dass wir das Segelboot nicht mehr retten konnten.“
„Was suchten sie so weit von der Küste entfernt?“, wunderte sich Mic’ahele.
Martin Korten zuckte mit den Schultern. „Wir sind Touristen. Die üblichen Sehenswürdigkeiten besichtigen, eine Spritztour, was man so macht.“
Der Rehidur-Pak steuerte das Ruderboot zum Segelboot zurück, während Eduard Möller und Martin Korten berichteten, wie sie es nur mit Mühe geschafft hatten, die Bootstrümmer zusammenzubinden und sich daran festzuhalten, um nicht zum Festschmaus für die Savich zu werden. Die beiden waren aufrichtig dankbar weil wir sie retteten. Daher erklärten sie sich gerne bereit, für unsere Passage aufzukommen. Kaum waren wir wieder an Bord, kümmerte sich Mic’ahele um die Verletzungen der Menschen. Sie versteht sich hervorragend auf Erste Hilfe mit Salben und Verbänden. Ich kann gar nicht zählen, wie oft sie mich schon verarzten musste, wenn ich auf die falsche Seite einer Kneipenschlägerei geriet.
„Was machen sie noch so spät hier draußen, wenn ich fragen darf?“, fragte Martin Korten uns. Die Frage war berechtigt, schließlich hatten wir ihm die gleiche Frage gestellt.
„Wir sind Touristen. Die üblichen Sehenswürdigkeiten“, antwortete Mic’ahele. „Wir sind in den Flitterwochen“, flüsterte ich ihr so leise wie möglich zu, damit er es nicht hören konnte. Ich lächelte und wandte den Blick ab. Ich wusste, dass Mic’ahele den Menschen nicht den wahren Grund unseres hierseins verraten würde. Wir sind auf der Suche nach einem Schatz, der Toriban zufolge im Nokianischen Kailas verborgen sein sollte. Hinter mir vernahm ich, wie Toriban ein Besatzungsmitglied aufforderte, den Menschen etwas zu essen zu machen und vorher noch etwas heißes zu Trinken zu geben. Als Eduard Möller und Martin Korten ihre Mahlzeit verzehrten, hörte ich ihrem Geplauder zu. Toriban erzählte ihnen, wir wären auf dem Weg nach Süden unterwegs, um den Seylas-Inseln einen Besuch abzustatten, wo sich die exotischeren Touristenzentren befanden. Der Rehidur-Pak klang sehr überzeugend.
Na prima, dachte ich, schon im Restaurant versuchte er, die anwesenden Rehidur-Pak zu überzeugen, ihn auf dieser wahnwitzigen Schatzsuche zu begleiten. Wegen der Mondkonstellation wollten sie sich jedoch nicht darauf einlassen. Als nächstes setzte er seinen Charme mit mehr Erfolg bei Mic’ahele ein. Für eine Schatzsuche ist sie jederzeit zu begeistern. Über mir hörte ich das Knattern der Segel, die sich über mir blähten. Es wurde Zeit, dass wir unsere Reise fortsetzten.
Toriban hatte uns gesagt, dass er selbst nicht nach dem Schatz suchen konnte, er hat ein Salzwasserproblem. Toriban konnte es nicht atmen er stammte von Süßwasserreptilien ab, und wenn er im Meer eintauchte, würde seine Haut Blasen werfen. Zudem konnte man während der Schatzsuche sehr leicht nass werden. Aus diesem Grund benötigte er jemanden, der ihm half. Er sagte, dass wir alles, was wir fanden, fifty-fifty teilen würden. Ich spürte, wie das Segelboot nach steuerbord ausscherte, um einem weiteren gefährlichen Korallenriff auszuweichen. Toriban behauptete, dass den nokianischen Legenden zufolge während der Mondkonstellation die Gezeiten ihren tiefsten Stand erreichten. Dann ragten mehrere Kilometer vor der Küste des Nordkontinents die Spitzen eines unterseeischen Gebirgszuges aus dem Meer. Der Nokianische Kailas. Angeblich verbarg sich in einer Höhle ein immenser Reichtum, ein Schatz, der einst einem Schmuggler gehört hatte. Nach der Legende war vor fast einhundertfünfzig Jahren das Raumschiff des Schmugglers während einer anderen seltenen Mondkonstellation in das Schwerkraftfeld von Nok geraten. Das Schmugglerschiff wurde in die Atmosphäre gezogen und stürzte im Kailas ab. Der Schmuggler überlebte und lies seine Männer den Schatz in einer Höhle zu verstecken. Lok’em’thra, so der Name des Schmugglers, wollte aus den Resten seines zerstörten Schiffes ein Boot bauen. Er beabsichtigte in einen Hafen zu segeln, ein Schiff kaufen und im Anschluss daran, den Schatz bergen und den Planeten so schnell wie möglich wieder verlassen. Die Legende berichtete, dass Lok’em’thra ertrank, bevor er die sichere Küste erreichte. Höchstwahrscheinlich wurde er von den Savich gefressen. Seither hatte niemand den Schatz des Schmugglers gefunden und schon gar nicht geborgen. Weder die Rehidur-Pak, da sie sich zur Zeit der drei Monde lieber irgendwo versteckten, noch die Touristen, weil die Legende angeblich ein streng gehütetes Geheimnis war. Toriban hatte uns nicht verraten wollen, woher er die Geschichte kannte.
„Der Kailas, Toriban! Ich sehe den Nokianischen Kailas!“, brüllte ein Rehidur-Pak durch seine Atemmaske. Ich schaute skeptisch über die Reling und sah nur Wellen, ich konnte nicht erkennen, was den Rehidur-Pak in derartige Begeisterung versetzte.
„Toriban?“, hörte ich einen anderen Rehidur-Pak. „Sollen wir wirklich näher heran?“
Ich spürte, wie das Segelboot beschleunigte, dann schaute ich am Bugspriet vorbei. Nur ein paar hundert Meter entfernt ragte etwas aus dem Wasser. Auf den ersten Blick wirkte es wie das Skelett eines riesigen Meerungeheuers. Ich griff unwillkürlich nach meiner Laserpistole. Doch das Skelett blieb weiterhin bewegungslos. Der Kalias war nur ein weiteres Korallenriff. Mic’ahele hatte Martin Korten und Eduard Möller allein gelassen und sich fast lautlos an meine Seite geschlichen.
„Llhan’de Tik, hier muss es sein“, keuchte sie. „Das kann nur der Nokianische Kailas sein.“
„Da kannst Du drauf wetten“, meinte ich sie behutsam. „Hier gibt es sehr viele Korallenriffe und ...“
Ihre blauen Augen funkelten abenteuerlustig, und ihr entzückender Mund klappte erstaunt auf, als wir uns dem Kailas weiter näherten. Die drei Monde beleuchteten die feuchten Gipfel, die jetzt ein paar Meter über den Wasserspiegel emporragten. Zwischen den Felsen gab es tiefe Einschnitte mit dunklen Schatten. Und in diesen schattigen Einschnitten vermutlich Höhlen. Die größte der Höhlen war fast kreisrund, und befand sich weiter oben. Die kleinsten dagegen lagen knapp über der Wasseroberfläche. Toriban ließ die Segel reffen und erklärte hastig, dass er das Segelboot nicht in Gefahr bringen wollte, damit wir nicht genauso endeten wie das Segelschiff der Menschen.
„Die Legende vom Nokianischen Kailas“, sagte Martin Korten und pfiff leise. „Die Legende ist auch ihr Grund, warum sie soweit von der Küste unterwegs waren, nicht wahr?“, fragte Mic’ahele ihn.
Der Mensch nickte. „Ja, touristische Attraktionen, genauso wie bei Ihnen.“
„Was wir wohl finden werden?“, überlegte sie.
Ich schüttelte den Kopf. „Es ist der Felsgrat eines Unterwassergebirges, mehr nicht. Mit ein paar Höhlen.“
„Der Schatz des Schmugglers befindet sich in einer dieser Höhlen“, sagte Mic’ahele mit der Inbrunst des Überzeugung. „Ba-iik-Kristalle die so groß wie meine Faust sind, heißt es in der nokschen Legende.“
„Wenn es das richtige Riff ist, und wenn die Legende über den Schmuggler wahr ist“, gab ich zu bedenken. „ Wenn es den Schatz überhaupt gegeben hat und wenn es nicht doch noch einige wenn’s mehr gäbe. Möglicherweise ist der Schatz auch schon gar nicht mehr da. Martin Korten Lind Eduard Möller sind der lebende Beweis, dass wir nicht die einzigen Schatzsucher auf Nok sind. Und vergiss eines nicht, seither vergingen viele Jahre. Mach dir also keine zu großen Hoffnungen, Mic’ahele.“ Weder meine Worte noch meine Gesten konnten ihren Enthusiasmus dämpfen.
„Lass uns mit dem Ruderboot so nahe heranfahren wie es geht“, sagte Toriban. „Was immer sie finden, tun sie es in diese Beutel. Versuchen Sie nicht, irgendetwas vor mir zu verstecken. Wir werden alles fifty-fifty teilen.“
„Und wir"?“, mischte sich Eduard Möller ein.
„Sie sind mit dem Leben davongekommen“, sagte Mic’ahele mit einem drohenden Unterton. „Halbe-halbe bedeutet zwei Anteile, einer für Llhan’de Tik und mich und einer für die Rehidur-Pak.“
Ihre Gesten unterstrichen die Drohung, auch wenn der Mensch sie möglicherweise nicht verstehen konnten.
„Ich bitte Sie!“, sagte der Rehidur-Pak und schnalzte tadelnd mit seiner Zunge. „Vielleicht geben wir ihnen etwas ab, wenn sie uns helfen. Vorausgesetzt, wir finden tatsächlich Ba-iik-Kristalle.“
Ich nahm mir eine Taschenlampe und bestieg mit Mic’ahele das Ruderboot. Sie war neugierig wie eine Trumankatze. Ich konnte sie nicht überzeugen, an Bord des Segelschiff zu bleiben, während ich mich umsehen wollte. Martin Korten kam ebenfalls mit. Eduard Möller hingegen konnte es nicht erwarten und sprang ins Wasser und schwamm hinüber. Mutig, denn auch hier konnten Savich lauern.
„Was wir wohl finden werden?“, überlegte Mic’ahele laut, während ich unser Gefährt steuerte. „Was wir wohl finden werden?“
„Vielleicht nichts“, erwiderte ich zum wiederholten mal, während ich das Ruderboot um einen Felsen herumruderte und an einer größeren Felsspitze festmachte. Eduard Möller war bereits an Land und in die große Höhle gestiegen. Ich hatte nichts dagegen, sie ihm zu überlassen. Würde ich einen Schatz verstecken ich entschied mich bestimmt nicht für die offenkundigste Stelle. Für mich war das ein Felsspalt ein wenig abseits der großen Höhle. Es würde eng werden, wenn ich mich hineinzwängte. Die meisten anderen Höhlen waren viel zu klein und hatten immer noch irgendwelche Unterwasserbewohner, um in Betracht zu kommen. Dafür war es sehr viel wahrscheinlicher unter Wasser weitere Höhlen zu finden. Mic’ahele drängte mich zu gehen. Ich hasse enge Räume. Und ich mochte keine Schatzjagd. Ein Bündel Verträge mit Piraten, Spionen und gescheiterten Schmugglern wäre mir lieber gewesen. Auf diese Weise wurde man viel schneller reich.
Mic’ahele reichte Martin Korten eine weitere Taschenlampe. Er machte immer noch einen bemitleidenswerten Eindruck, aber seine Augen funkelten bei der Aussicht auf Reichtum genauso wie ihre. Ich glaubte, ich war der Einzige, der die Angelegenheit realistisch betrachtete. Ich wollte jedoch alles tun, um Mic’ahele bei Laune zu halten. Ich spürte, wie ihre Finger meine Schulter streiften. Sie stand genau hinter mir. Zuerst ging es problemlos voran. Nur wenig spitze Felskanten, die sich in unsere Stiefel schnitten. Die vielen Jahre unter Wasser hatten die Felsoberflächen glatt geschliffen.
„Was wir wohl finden werden?“, flüsterte sie erneut.
Ich zuckte mit meinen Schultern und quetschte mich in den Spalt. Der war sehr eng und äußerst ungemütlich. Die Taschenlampe, die Mic’ahele über mir hochhielt, warf unwirkliche Schatten über die feuchten Wände. Wenn wir in den Lichtkreis gerieten, wirkten unsere Silhouetten auf den Felsen unheimlich und verstärkten mein unangenehmes Gefühl. Wir folgten dem Einschnitt weiter und folgten damit dem natürlichen Schacht nach unten. Ich blieb ich stehen, als ich spürte wie etwas unter meinem Stiefel zerbrach. Ich leuchtete nach unten und sah auf den steinernen Boden. Knochen. Von Menschen, wie es schien. Sie waren vor Alter spröde und weiß. Wahrscheinlich hatten die Savich sie von allem anderen gesäubert.
„Llhan’de Tik ?“ In Mic’aheles Stimme schwang ganz leise Nervosität und Furcht mit.
„Was haben sie gefunden?“, rief Martin Korten. Ohne es zu merken hatte er sich uns angeschlossen, ganz gegen meinen Willen. Er konnte nicht an Mic’aheles entzückendem Rücken vorbeischauen.
„Wahrscheinlich die Überreste von ehemaligen Schatzjägern“, rief ich über die Schulter zurück. Vielleicht hatten sie den Spalt vor Jahrzehnten an einem Tag der drei Monde gefunden und sich zu lange darin aufgehalten. Als die Mondkonstellation vorbei war und der Wasserpegel wieder anstieg blieben sie gefangen. Möglicherweise war ihnen auch etwas anderes zugestoßen. Ich wünschte mir, wir hätten daran gedacht, Atemgeräte mitzunehmen. Dazu war es nun zu spät. Wir befanden uns zweifellos schon einige Meter unterhalb des jetzigen Meeresspiegels. Der Gang wurde noch enger und ich trat in den Vertiefungen des Bodens in Pfützen mit Salzwasser. Kein Wunder, dass sich die Rehidur-Pak nicht hertrauten. Das Wasser hatte einen so hohen Salzgehalt, dass sogar meine Haut brannte. Zudem bekam ich Platzangst und fühlte mich wie ein eingesperrtes Tier im Käfig. Ich war fast soweit, das Zeichen zur Umkehr zu geben, doch dann sah ich vor mir auf dem Boden etwas funkeln. Mein Herz schlug schneller und meine Zweifel an dem Schmugglerschatz waren wie weggeblasen. Ich zwängte mich zwischen den Felswänden hindurch und zerriss mir dabei mein Hemd. Ich spürte, wie die Felswand über meinen Rücken schrammte und meine Haut aufriss, so dass warmes Blut über meinen Rücken lief. Die Schrammen würde verheilen, dafür sorgte Mic’ahele, aber nicht das Hemd. Es war ein teures Stück, das sie mir an unserem ersten Abend auf Nok geschenkt hatte.
„Wie weit geht es noch?“, rief Martin Korten.
Woher sollte ich das wissen, also antwortete ich auch nicht. Immer weiter drang ich in den Felsenschlund nach unten vor. Die Wände waren nass und glitschig, und ich vermutete, dass ich lediglich eine Spiegelung der Taschenlampe in einer der vielen Pfützen gesehen hatte.
„Hier werden wir nichts finden“, sagte ich zu Mic’ahele. „Am Besten wir kehren um und hoffen, in einer anderen Felshöhle etwas zu finden, oder dass Eduard Möller erfolgreicher war.“ Ich sah ihre niedergeschlagene Miene und verstand ihre tiefe Enttäuschung. Aber dann hellte sich ihre Stimmung urplötzlich auf. Sie sah über meine Schulter an mir vorbei. Ich folgte ihrem Blick und dann sah ich es ebenfalls. Rote Kristalle. Dieser Anblick genügte, um meine Klaustrophobie zu vergessen und mich weiter vorwärts zu drängen.
„Wir haben etwas gefunden!“, sagte Mic’ahele zu Martin Korten. Er stieß einen Jubelschrei aus, während meine Stiefel weitere Knochen zertraten. Vorsichtig näherte ich mich der Nische mit den Ba-iik-Kristallen. Dahinter öffnete sich ein Schacht der weiter in die Tiefe führte. Ich musste einen ziemlich einfältigen Eindruck abgegeben haben, als sich mein Mund ebenso weit öffnete. Tausende von Steinen, die in unterschiedlichsten Farben funkelten, bedeckten den Boden der Höhle. Im Schein der Taschenlampe tanzten die Reflexe wie ein Leuchtkäferschwarm. Einige Kristalle steckten in den Wänden, andere schimmerten unter der Oberfläche kleiner Pfützen, so dass ich unmöglich sagen konnte, oder gar erahnen, wie tief der Schatz im Boden steckte. Aber nicht nur die Steine fanden unsere Aufmerksamkeit. Schalen, Vasen, Edelmetallbarren, gehämmerte Metallbildnisse und vieles andere erregte insbesondere Mic’aheles Aufmerksamkeit. Mir stach eine große Holzkiste ins Auge, die mitten zwischen den Schätzen stand. Zum Teil mit Wasserpflanzen überwuchert, sah sie sehr morsch und halb zerfallen aus. Ich stieß Mic’ahele an und watete hinüber. Meine Stiefel traten überall auf Kristalle, doch störte ich mich nicht daran. Ich ging vor der alten Kiste in die Knie. Das Holz stank nicht nur vermodert, sondern zerfiel mir in der Hand, als ich danach griff.
„Reich, wir sind reich!“, rief Mic’ahele. „Llhan’de Tik, ich wusste es, die Legende besitzt einen wahren Kern. Ich wusste es! Und Toriban hatte Recht!“
Ich blickte mich zu ihr um. Sie hatte die Taschenlampe abgelegt, griff sich eine Handvoll Kristalle und ließ sie wieder durch ihre Finger auf den Boden regnen. Martin Korten achtete darauf, den Salzwassertümpeln auszuweichen, dann entrollte er die Plastiksäcke, die Toriban uns mitgegeben hatte.
„Wir haben für den Rest unseres Lebens ausgesorgt.“ Überall lagen verrottete Lederstücke herum, offenbar die Überreste von Säcken, in denen die Kristalle sich einst befunden hatten. Mic’ahele schob die Lederfetzen zur Seite und ließ die Kristalle in ihren mitgebrachten Beutel fallen. „Damit können wir uns einen eigenen Raumfrachter kaufen, eine ganze Flotte, oder vielleicht einen kleinen Mond.“
Ich wandte mich wieder der Kiste zu. Sie verfügte über ein großes primitives Schloss, das genauso verrostet war wie die eisernen Bänder, die das geschwärzte Holz zusammenhielten. Als ich danach griff zerfiel das Holz jedoch und gab den Inhalt frei. Die auf dem Deckel befindliche Metallplakette mit einer Inschrift, die ich jedoch nicht entziffern konnte, fiel mir praktisch in den Schoss. Ein Blick auf den mir entgegenquellenden Inhalt ließ mir den Atem stocken.
„Llhan’de Tik , was siehst du?“
„Edelsteine, Schmuck, den Schatz eines Schmugglers, Mic’ahele“, antwortete ich benommen. Meine Kehle war plötzlich völlig ausgetrocknet. „Ba-iik-Kristalle, nicht ganz so groß wie eine Faust. Wir werden sehr reich sein.“
Sie schrie vor Entzücken und klatschte aufgeregt in ihre Hände. Dann reichte sie mir einen Beutel. Ich streckte meine Hand aus, meine Finger schlossen sich um die Kristalle, und ich zog sie heraus. Zwischendrin hielt ich eine mit Juwelen besetzte Kette. Das Licht der Taschenlampe funkelte auf den Facetten, und für einen kurzen Moment genoss ich den Anblick, bevor ich sie in den Beutel füllte. Ich arbeitete immer schneller, ich griff immer wieder hinein und hielt unvorstellbare Schätze in der Hand. Juwelen so schwarz wie die Mitternacht, rote Ba-iik-Kristalle, blaue Edelsteine in Tränenform, orangerote, jadegrüne oder wasserklare, die in meiner warmen Hand heller wurden, und viele mehr. Ich legte Mic’ahele eine grüne Kristallkette um den Hals, dann füllte ich wieder meinen Beutel. Eine Anstecknadel mit einem Diamanten steckte ich mir in die Hemdtasche, um sie mir später genauer ansehen zu können, ein paar andere Edelsteine wanderten dabei in meine Hosentasche.
Ich konnte nicht sagen, wie viel Zeit verging, konnte, nicht einmal schätzen, da das Licht in der Höhle durch die Taschenlampen immer gleich blieb. Zudem erschien mir die Frage völlig unwichtig. Überall warteten neue Schätze auf ihre Entdeckung. Aber ich wusste, ich hatte genügend Zeit, um meinen Beutel zu füllen.
„Der Beutel ist so schwer, ich kann den Beutel kaum tragen“, keuchte Mic’ahele. Sie war eine kräftig gebaute Lünokk, vielleicht sogar stärker als ich, und ihr Beutel drohten zu platzen. „Wenn dieser Planet etwas zivilisierter wäre, hätten wir Roboter mieten können, die uns beim Transport helfen.“
„Auf Nok gibt es nicht viele Roboter“, warf Martin Korten ein. Er war offensichtlich sehr kräftig, da er sich zwei pralle Säcke über die Schultern geworfen hatte. „Es ist sogar so, dass ...“
Er verstummte, als ich die Hand hob. Ich lauschte. Wasser.
„Hier stimmt etwas nicht“, sagte ich. Also schulterte ich meinen Sack, nahm die Taschenlampe und schob mich an Martin Korten vorbei in den Tunnel.
Nach wenigen Metern, ich hatte eben den engsten Abschnitt des Spalts erreicht, erkannte ich den Grund für meine Unruhe. Wasser floss mir entgegen. Das war also die Ursache für das Geräusch. Zuerst war es kaum mehr als ein Rinnsal, doch während ich darauf starrte, wurde der Bach breiter und schneller. Das Wasser strömte in die Pfützen und Tümpel der Höhle und ließ sie bald überfließen.
„Mic’ahele! Wir müssen hier raus, sofort! Schnapp dir, was du hast, und komm schnell! Ich glaube, die Flut kehrt zurück!“
Hinter mir hörte ich, wie Mic’ahele über die Kristalle stapfte. Nur Korten hörte ich nicht. Ich blickte über die Schulter zurück und erkannte, dass er wie angewurzelt dastand und sich nicht vom Anblick des zurückbleibenden Schatzes losreißen konnte.
„Mic’ahele!“, rief ich und deutete auf unseren Begleiter.
Sie trat ihm beherzt in den Allerwertesten und als das nicht fruchtete, gab sie ihm einen heftigen Stoß, der ihn in die Wirklichkeit zurückkehren ließ. Er liess Mic’ahele vorangehen und bildete die Nachhut unserer kleinen Prozession. Dabei schien er sich sichtlich überhaupt nicht mit seinen Säcken abmühen zu müssen, obwohl es diesmal bergauf ging. Der Boden war rutschig und durch das zurückkehrende Wasser noch unbegehbarer. Als wir uns dem Ausgang näherten kam uns auch ein Savich entgegen. Seinem aufschnappenden Maul entkam ich nur, weil ich die Taschenlampe auf seinen Schädel hieb. Je näher wir dem Ausgang kamen, desto stärker und schneller rauschte das Wasser herein. Zuerst umspülte es unsere Knie, stieg dann schnell bis an unsere Schenkel. Nur wenig später schob ich meinen Kopf ins Freie und blinzelte in den hellen Tag. Ich musste aufpassen, dass ich nicht ausrutschte und vom Felsgrat ins Meer stürzte. Mittlerweile stand mir das Wasser inzwischen bis zur Hüfte. Würde ich jetzt stürzen, würde der Sack mit dem Schatz auf nimmer wiedersehen im Meer verschwinden. Ich ließ meine nun nutzlose Taschenlampe fallen. Der Tageshimmel schien mir deutlich heller als zuvor. Die Mondkonstellationen ging zu Ende, und die Flut hatte eingesetzt. Ich kletterte auf das kleine Stück Felsen, das noch aus dem Wasser ragte, und winkte Mic’ahele, mir zu folgen. Eduard Möller kehrte gerade zum Segelschiff zurück, auf dem sich die Rehidur-Paks drängten. Unser Ruderboot war nicht mehr zu gebrauchen. Ein tiefer Riss klaffte im Rumpf. Die Ruder waren hinüber. Das Ruderboot schwamm noch, aber eher wie ein primitives Floss und nicht wie ein Boot.
Das Wasser stand mir inzwischen bis zur Brust. Eine Welle schwappte an mir hoch und hätte mich beinahe mitgerissen. Das Meer stieg jetzt noch schneller an, und in kürzester Zeit würden wir Wasser treten müssen, oder ertrinken, wenn wir unsere Schätze nicht loslassen wollten.
„Wenn das Meer noch ein Stück angestiegen ist, komme ich mit dem Segelschiff!“, rief Toriban herüber. Er sagte noch etwas mehr, aber seine Worte wurden von einer großen Welle übertönt, die in diesem Moment gegen die Felsen schlug. Nach ein paar unendlich erscheinenden Minuten stand uns das Wasser bis zu den Schultern. Wir konnten nur untätig beobachten, wie Eduard Möller am Segelschiff anlangte und einstieg. Das Ruderboot, natürlich. Unser Ruderboot! Ich sah mich suchend um und entdeckte die beschädigten Resttrümmer. Es trieb langsam von uns fort. Damit würden wir uns eine zeitlang über Wasser halten können.
„Los, schnell Mic’ahele“, rief ich und deutete auf das Ruderboot, in der Ferne hatte ich ein paar Savichköpfe gesichtet. Und ich wollte früher auf dem Trümmerboot sein, als die selbstverständlich in unsere Richtung schwimmende Savich. Auf dem Rücken, den ich mir in der Höhle aufgeschrammt hatte, spürte ich das Brennen des Salzwassers. Ich war mir sicher, der Blutgeruch würde die Savich zielsicher zu uns locken.
„Wo steckt Korten?“, fragte Mic’ahele, die sich mit mir zu den Trümmern schleppte, den Beutel noch in den Händen haltend. Irgendwie gelang es ihr, das Ruderboot zu erreichen und ihren Beutel auf die Ladefläche zu werfen. Gleich darauf zog sie sich selbst hinauf und paddelte mit den Händen, um das beschädigte Gefährt in meine Richtung zu lenken. Inzwischen stand mir das Wasser jetzt bis zum Kinn, und ich musste in den heller werdenden Himmel starren, damit es mir nicht in den Mund lief.
„Ich sehe ihn nicht mehr!“, antwortete ich. „Vielleicht ist er in der Höhle geblieben und ertrunken!“
Endlich erreichte sie mich und zog mich und meinen Beutel auf das Ruderboot. Ich schaute zum Segelschiff hinüber, wo Eduard Möller an der Reling stand. Dann klappte mir der Unterkiefer herunter, als ich sah, wie Martin Korten das Schiff bestieg. Und er trug immer noch beide Säcke über den Schultern! Es war unmöglich, dass er diese Strecke mit diesem zusätzlichen Gewicht geschwommen war. Ich schaute genauer hin und erkannte ich, dass er einen Antigravgürtel um die Hüften trug.
„Dieser erbärmliche Schleimbeutel ...! „
Der Rest meiner Worte ging im Wasser einer herangespülten Welle unter, die mir über den Bootsrand hinweg ins Gesicht schlug. Ich sah, wie das Segelboot Kurs nahm und in unsere Richtung schwamm.
„Werfen Sie uns eine Leine zu“, brüllte ich.
„Zuerst die Kristalle!“, rief Martin Korten zurück, der sich mit einem Seil in der Hand über die Reling beugte.
„Nein“, antworteten Mic’ahele und ich gleichzeitig. Toriban stand neben Martin Korten und zielte mit einem Blastergewehr auf Mic’aheles wunderschönes Gesicht. Seine Stimme drang dumpf aus der Atemmaske. „Wir werden sämtliche Kristalle bekommen, so oder so.“
Das Segelboot war inzwischen ganz heran. Mic’ahele wollte nach ihrer Laserpistole greifen. „Wie war das mit dem Halbe-halbe?“
„Das Salzwasser“, flüsterte ich ihr zu. „Unsere Laserpistolen funktionieren nicht mehr.“
Ich legte meinen Arm um ihre Schulter, und sie gab jeden Widerstand auf. Wir mussten hilflos mit ansehen, wie unsere Beutel voller Schmuck und Kristalle in das Segelschiff der verräterischen Rehidur-Paks und den Menschen gehievt wurden.
„Verraten sie mir nur Eines“, rief ich Toriban zu. „Gehörten die Mensch zu Ihrem Plan? Waren sie von Anfang an Ihre Komplizen?“
„Natürlich. Wir sind Partner. Halbe-halbe“, antwortete der Rehidur-Pak, als sich das Segelschiff langsam von unserem Ruderboot entfernte.
„Ich empfing ihren Notruf. Also mussten wir sie bergen, bevor wir nach der Schatzhöhle suchen konnten. Wir alle haben nach dem Nokianischen Kailas gesucht. Mit zwei Schiffen vergrößerten wir unsere Chancen wesentlich. Sie sind wirklich am Korallenriff gestrandet, wodurch wir einige unserer Kameraden verloren haben.“
„Aber das dürfte ihn besänftigen“, sagte Korten kichernd und hielt einen großen Kristall hoch.
„Und wozu benötigten sie uns?“, fragte ich verächtlich.
„Als Versicherung für den Fall, dass wir den Kailas nicht finden“, lautete die knappe Antwort des Rehidur-Pak. „Oder falls ich keinen meiner menschlichen Freunde hätte retten können. Sie wissen ja, dass ich mich nicht ins Salzwasser wagen darf. Außerdem waren sie zwei erstklassige Helfer. Tut mir Leid, dass wir sie hier zurücklassen müssen. Sie haben gute Arbeit geleistet. Und sogar die Miete für das Segelschiff bezahlt. Aber wir können nicht zulassen, dass sie uns an die Behörden verpfeifen, bevor wir von diesem Planeten verschwunden sind.“
Ein Rehidur-Pak nickte meinte auf einmal. „Unser Schiff. Wir müssen uns beeilen. Der Raumschiffkapitän wartet schon auf uns.“
Während die Monde langsam ihre Konstellation aufgaben, schrumpfte das Segelschiff zu einem winzigen Punkt am Horizont. Die Mondkonstellationen war vorbei, und unser kleines Ruderboot schaukelte in der Nähe des Riffs auf dem Wasser. Es schwamm noch und schützte uns vor den Savich, aber wie lange noch?
„Wir werden sterben“, sagte Mic’ahele. Ich hatte sie noch nie so traurig und niedergeschlagen erlebt.
„Wir sind nicht allzu weit von der Küste entfernt. Andere Schiffe werden noch vor Sonnenuntergang vorbeikommen. Irgendjemand wird uns retten,“
„Uns wurde alles genommen“, jammerte sie weiter. „All unsere Schätze. All die ...“ Sie unterbrach sich abrupt und legte eine Hand an ihren Hals, wo sie immer noch die Kette aus grünen Kristallen trug.
Ich griff in meine Tasche und holte eine Hand voll Juwelen hervor. „Meine Taschen sind voll davon“, sagte ich, „mehr als genug für uns und um unsere Retter zu entlohnen. Vielleicht können wir uns sogar einen kleinen Frachter kaufen.“
„Und wir sind noch am Leben“, sagte sie mit neuer Hoffnung.
„Wir werden noch lange leben“, fügte ich hinzu. Sie bemerkte das Glitzern in meinen Augen.
„Vielleicht können wir in ein paar Jahrzehnten zurückkehren, zur nächsten Mondkonstellation. Um zu holen, was wir am Nokianischen Kailas zurückgelassen haben.“
Ich zog sie an mich und drückte meine Nase an ihren noch feuchten Hals. Sie roch betörend nach Meer und nach Sommer. Mic’ahele erwiderte meine Umarmung.
„Woran denkst du?“, flüsterte sie nach einer Weile.
„An einen Rehidur-Pak und zwei Menschen? Es dürfte nicht allzu schwer sein, sie wieder zu finden.“
„Erst recht für die zwei besten Kopfgeldjäger dieses Sternensektors“, setzte sie hinzu. „Ich glaube, ich höre bereits, ein Segelschiff dass sich mit unseren Rettern nähert.“
„Also gut, ich fahre mit.“
„Ich auch!“, rief Mic’ahele begeistert, bevor ich noch einen Einwand erheben konnte. Ihre Art verriet mir, dass sie wirklich begierig darauf war, helfen zu können. Wir bestiegen das Ruderboot, ließen es mit einer Seilwinde ein Stück sinken und stiegen ein. Das kleine Gefährt kam etwa einen halben Meter über dem Wasser zur Ruhe. Ich blickte zu Toriban zurück, der gerade das Boot überprüfte. Unser Rehidur-Pak steuerte das Ruderboot kurz darauf durch die Trümmer, während ich wie wild ruderte und Mic’ahele im Bug die Richtung angab. Anhand der treibenden Stücke und des gebrochenen Masts schätzte ich, dass der Segler etwa die halbe Größe unseres Segelbootes hatte. Die zusätzlichen Maschinen im Boot waren anscheinend nicht stark genug gewesen, um ihn über die Korallenspitzen hinwegtragen zu lassen. So war der Segler mit einer zusammengestoßen und zerstört worden. Der Leichengeruch war noch nicht sehr intensiv, was darauf hinwies, dass die Männer vermutlich gegen Sonnenaufgang gestorben waren. Doch es genügte, um Runzeln um Mic’aheles niedliche Nase entstehen zu lassen. Sie zeigte auf die zwei Männer, die der Rehidur-Pak entdeckt hatte. Es waren Menschen aus der Sternenlicht Vereinigung, keine Rehidur-Pak entgegen den meisten Leichen, die mit dem Gesicht im Wasser schwammen. Die beiden klammerten sich verzweifelt an einige Trümmerstücke, die auf der anderen Seite des Riffs schwammen. So konnten sie sich vom Wrack und von den Savich fern halten, aber ihre Zuflucht war alles andere als sicher. Die Männer winkten hektisch und riefen uns. Das Ruderboot schrammte über eine Korallenbank, die ein winziges Stück aus dem Wasser ragte, als wir uns ihnen näherten. Ich blickte zur Seite und sah im dreifachen Mondlicht das seichte Riff. Ich hätte es mit ausgestrecktem Arm berühren können. Hätten wir versucht, diese Männer mit dem Segelschiff zu retten, wir wären wahrscheinlich ebenfalls auf Grund gelaufen und zu Savich-Futter geworden. Wir gingen mit dem Boot längsseits der Bootstrümmer. Ich half den blasshäutigen Überlebenden aufs Ruderboot. Ihre Züge ließen vermuten, dass es sich um Terraner handelte, fernab der Heimat. Möglicherweise waren sie vielleicht unsere Fahrkarte, mit der wir diesen Planeten verlassen konnten. Freie Passage gegen Lebensrettung. Der ältere Mensch schien in schlechterer Verfassung zu sein. Seine Lippen waren aufgeplatzt, und eine tiefe Beinwunde, hatte sich offenbar entzündet. Er sah aus, als hätte ihn ein Savich angefallen. Der primitive Enterhaken, den er am Gürtel trug, war blutverschmiert. Ich fragte mich, ob es ihm gelungen war, sich damit erfolgreich zur Wehr zu setzen.
„Gott sei Dank, dass jemand uns gesehen hat“, sagte der jüngere Mann. „Wären sie nicht vorbeigekommen, wir hätten garantiert nicht bis zum Abend durchgehalten. „
„Ist sonst noch jemand am Leben?“, fragte Mic’ahele.
Die beiden schüttelten unisono den Kopf und suchten sich eine Stelle in der Mitte des Ruderbootes, wo sie sich erschöpft fallen ließen.
„Sie sind die Mahlzeit der Savich“, sagte der Ältere. Er reichte mir eine Hand, und ich schüttelte sie. Sie fühlte sich schrecklich kalt an. Er war schon eine ganze Weile im Wasser gewesen. Er stellte sich als Eduard Möller vor und seinen jüngeren Begleiter als Martin Korten.
„Was ist passiert?“, fragte ich.
„Ein Korallenriff und ein ungewöhnlich tiefer Wasserstand wegen der Mondkonstellationen“, sagte Eduard Möller. „Es passierte gestern Nacht. Der Rumpf unseres gemieteten Segelbootes riss auf, und der Zusatzmotor wurde zerstört. Es war ein gutes Schiff, doch der Kapitän war zu nervös und wollte heimkehren, bevor der Tag der drei Monde beginnt. Als der Zusammenstoß erfolgte, geschah alles so schnell, dass wir das Segelboot nicht mehr retten konnten.“
„Was suchten sie so weit von der Küste entfernt?“, wunderte sich Mic’ahele.
Martin Korten zuckte mit den Schultern. „Wir sind Touristen. Die üblichen Sehenswürdigkeiten besichtigen, eine Spritztour, was man so macht.“
Der Rehidur-Pak steuerte das Ruderboot zum Segelboot zurück, während Eduard Möller und Martin Korten berichteten, wie sie es nur mit Mühe geschafft hatten, die Bootstrümmer zusammenzubinden und sich daran festzuhalten, um nicht zum Festschmaus für die Savich zu werden. Die beiden waren aufrichtig dankbar weil wir sie retteten. Daher erklärten sie sich gerne bereit, für unsere Passage aufzukommen. Kaum waren wir wieder an Bord, kümmerte sich Mic’ahele um die Verletzungen der Menschen. Sie versteht sich hervorragend auf Erste Hilfe mit Salben und Verbänden. Ich kann gar nicht zählen, wie oft sie mich schon verarzten musste, wenn ich auf die falsche Seite einer Kneipenschlägerei geriet.
„Was machen sie noch so spät hier draußen, wenn ich fragen darf?“, fragte Martin Korten uns. Die Frage war berechtigt, schließlich hatten wir ihm die gleiche Frage gestellt.
„Wir sind Touristen. Die üblichen Sehenswürdigkeiten“, antwortete Mic’ahele. „Wir sind in den Flitterwochen“, flüsterte ich ihr so leise wie möglich zu, damit er es nicht hören konnte. Ich lächelte und wandte den Blick ab. Ich wusste, dass Mic’ahele den Menschen nicht den wahren Grund unseres hierseins verraten würde. Wir sind auf der Suche nach einem Schatz, der Toriban zufolge im Nokianischen Kailas verborgen sein sollte. Hinter mir vernahm ich, wie Toriban ein Besatzungsmitglied aufforderte, den Menschen etwas zu essen zu machen und vorher noch etwas heißes zu Trinken zu geben. Als Eduard Möller und Martin Korten ihre Mahlzeit verzehrten, hörte ich ihrem Geplauder zu. Toriban erzählte ihnen, wir wären auf dem Weg nach Süden unterwegs, um den Seylas-Inseln einen Besuch abzustatten, wo sich die exotischeren Touristenzentren befanden. Der Rehidur-Pak klang sehr überzeugend.
Na prima, dachte ich, schon im Restaurant versuchte er, die anwesenden Rehidur-Pak zu überzeugen, ihn auf dieser wahnwitzigen Schatzsuche zu begleiten. Wegen der Mondkonstellation wollten sie sich jedoch nicht darauf einlassen. Als nächstes setzte er seinen Charme mit mehr Erfolg bei Mic’ahele ein. Für eine Schatzsuche ist sie jederzeit zu begeistern. Über mir hörte ich das Knattern der Segel, die sich über mir blähten. Es wurde Zeit, dass wir unsere Reise fortsetzten.
Toriban hatte uns gesagt, dass er selbst nicht nach dem Schatz suchen konnte, er hat ein Salzwasserproblem. Toriban konnte es nicht atmen er stammte von Süßwasserreptilien ab, und wenn er im Meer eintauchte, würde seine Haut Blasen werfen. Zudem konnte man während der Schatzsuche sehr leicht nass werden. Aus diesem Grund benötigte er jemanden, der ihm half. Er sagte, dass wir alles, was wir fanden, fifty-fifty teilen würden. Ich spürte, wie das Segelboot nach steuerbord ausscherte, um einem weiteren gefährlichen Korallenriff auszuweichen. Toriban behauptete, dass den nokianischen Legenden zufolge während der Mondkonstellation die Gezeiten ihren tiefsten Stand erreichten. Dann ragten mehrere Kilometer vor der Küste des Nordkontinents die Spitzen eines unterseeischen Gebirgszuges aus dem Meer. Der Nokianische Kailas. Angeblich verbarg sich in einer Höhle ein immenser Reichtum, ein Schatz, der einst einem Schmuggler gehört hatte. Nach der Legende war vor fast einhundertfünfzig Jahren das Raumschiff des Schmugglers während einer anderen seltenen Mondkonstellation in das Schwerkraftfeld von Nok geraten. Das Schmugglerschiff wurde in die Atmosphäre gezogen und stürzte im Kailas ab. Der Schmuggler überlebte und lies seine Männer den Schatz in einer Höhle zu verstecken. Lok’em’thra, so der Name des Schmugglers, wollte aus den Resten seines zerstörten Schiffes ein Boot bauen. Er beabsichtigte in einen Hafen zu segeln, ein Schiff kaufen und im Anschluss daran, den Schatz bergen und den Planeten so schnell wie möglich wieder verlassen. Die Legende berichtete, dass Lok’em’thra ertrank, bevor er die sichere Küste erreichte. Höchstwahrscheinlich wurde er von den Savich gefressen. Seither hatte niemand den Schatz des Schmugglers gefunden und schon gar nicht geborgen. Weder die Rehidur-Pak, da sie sich zur Zeit der drei Monde lieber irgendwo versteckten, noch die Touristen, weil die Legende angeblich ein streng gehütetes Geheimnis war. Toriban hatte uns nicht verraten wollen, woher er die Geschichte kannte.
„Der Kailas, Toriban! Ich sehe den Nokianischen Kailas!“, brüllte ein Rehidur-Pak durch seine Atemmaske. Ich schaute skeptisch über die Reling und sah nur Wellen, ich konnte nicht erkennen, was den Rehidur-Pak in derartige Begeisterung versetzte.
„Toriban?“, hörte ich einen anderen Rehidur-Pak. „Sollen wir wirklich näher heran?“
Ich spürte, wie das Segelboot beschleunigte, dann schaute ich am Bugspriet vorbei. Nur ein paar hundert Meter entfernt ragte etwas aus dem Wasser. Auf den ersten Blick wirkte es wie das Skelett eines riesigen Meerungeheuers. Ich griff unwillkürlich nach meiner Laserpistole. Doch das Skelett blieb weiterhin bewegungslos. Der Kalias war nur ein weiteres Korallenriff. Mic’ahele hatte Martin Korten und Eduard Möller allein gelassen und sich fast lautlos an meine Seite geschlichen.
„Llhan’de Tik, hier muss es sein“, keuchte sie. „Das kann nur der Nokianische Kailas sein.“
„Da kannst Du drauf wetten“, meinte ich sie behutsam. „Hier gibt es sehr viele Korallenriffe und ...“
Ihre blauen Augen funkelten abenteuerlustig, und ihr entzückender Mund klappte erstaunt auf, als wir uns dem Kailas weiter näherten. Die drei Monde beleuchteten die feuchten Gipfel, die jetzt ein paar Meter über den Wasserspiegel emporragten. Zwischen den Felsen gab es tiefe Einschnitte mit dunklen Schatten. Und in diesen schattigen Einschnitten vermutlich Höhlen. Die größte der Höhlen war fast kreisrund, und befand sich weiter oben. Die kleinsten dagegen lagen knapp über der Wasseroberfläche. Toriban ließ die Segel reffen und erklärte hastig, dass er das Segelboot nicht in Gefahr bringen wollte, damit wir nicht genauso endeten wie das Segelschiff der Menschen.
„Die Legende vom Nokianischen Kailas“, sagte Martin Korten und pfiff leise. „Die Legende ist auch ihr Grund, warum sie soweit von der Küste unterwegs waren, nicht wahr?“, fragte Mic’ahele ihn.
Der Mensch nickte. „Ja, touristische Attraktionen, genauso wie bei Ihnen.“
„Was wir wohl finden werden?“, überlegte sie.
Ich schüttelte den Kopf. „Es ist der Felsgrat eines Unterwassergebirges, mehr nicht. Mit ein paar Höhlen.“
„Der Schatz des Schmugglers befindet sich in einer dieser Höhlen“, sagte Mic’ahele mit der Inbrunst des Überzeugung. „Ba-iik-Kristalle die so groß wie meine Faust sind, heißt es in der nokschen Legende.“
„Wenn es das richtige Riff ist, und wenn die Legende über den Schmuggler wahr ist“, gab ich zu bedenken. „ Wenn es den Schatz überhaupt gegeben hat und wenn es nicht doch noch einige wenn’s mehr gäbe. Möglicherweise ist der Schatz auch schon gar nicht mehr da. Martin Korten Lind Eduard Möller sind der lebende Beweis, dass wir nicht die einzigen Schatzsucher auf Nok sind. Und vergiss eines nicht, seither vergingen viele Jahre. Mach dir also keine zu großen Hoffnungen, Mic’ahele.“ Weder meine Worte noch meine Gesten konnten ihren Enthusiasmus dämpfen.
„Lass uns mit dem Ruderboot so nahe heranfahren wie es geht“, sagte Toriban. „Was immer sie finden, tun sie es in diese Beutel. Versuchen Sie nicht, irgendetwas vor mir zu verstecken. Wir werden alles fifty-fifty teilen.“
„Und wir"?“, mischte sich Eduard Möller ein.
„Sie sind mit dem Leben davongekommen“, sagte Mic’ahele mit einem drohenden Unterton. „Halbe-halbe bedeutet zwei Anteile, einer für Llhan’de Tik und mich und einer für die Rehidur-Pak.“
Ihre Gesten unterstrichen die Drohung, auch wenn der Mensch sie möglicherweise nicht verstehen konnten.
„Ich bitte Sie!“, sagte der Rehidur-Pak und schnalzte tadelnd mit seiner Zunge. „Vielleicht geben wir ihnen etwas ab, wenn sie uns helfen. Vorausgesetzt, wir finden tatsächlich Ba-iik-Kristalle.“
Ich nahm mir eine Taschenlampe und bestieg mit Mic’ahele das Ruderboot. Sie war neugierig wie eine Trumankatze. Ich konnte sie nicht überzeugen, an Bord des Segelschiff zu bleiben, während ich mich umsehen wollte. Martin Korten kam ebenfalls mit. Eduard Möller hingegen konnte es nicht erwarten und sprang ins Wasser und schwamm hinüber. Mutig, denn auch hier konnten Savich lauern.
„Was wir wohl finden werden?“, überlegte Mic’ahele laut, während ich unser Gefährt steuerte. „Was wir wohl finden werden?“
„Vielleicht nichts“, erwiderte ich zum wiederholten mal, während ich das Ruderboot um einen Felsen herumruderte und an einer größeren Felsspitze festmachte. Eduard Möller war bereits an Land und in die große Höhle gestiegen. Ich hatte nichts dagegen, sie ihm zu überlassen. Würde ich einen Schatz verstecken ich entschied mich bestimmt nicht für die offenkundigste Stelle. Für mich war das ein Felsspalt ein wenig abseits der großen Höhle. Es würde eng werden, wenn ich mich hineinzwängte. Die meisten anderen Höhlen waren viel zu klein und hatten immer noch irgendwelche Unterwasserbewohner, um in Betracht zu kommen. Dafür war es sehr viel wahrscheinlicher unter Wasser weitere Höhlen zu finden. Mic’ahele drängte mich zu gehen. Ich hasse enge Räume. Und ich mochte keine Schatzjagd. Ein Bündel Verträge mit Piraten, Spionen und gescheiterten Schmugglern wäre mir lieber gewesen. Auf diese Weise wurde man viel schneller reich.
Mic’ahele reichte Martin Korten eine weitere Taschenlampe. Er machte immer noch einen bemitleidenswerten Eindruck, aber seine Augen funkelten bei der Aussicht auf Reichtum genauso wie ihre. Ich glaubte, ich war der Einzige, der die Angelegenheit realistisch betrachtete. Ich wollte jedoch alles tun, um Mic’ahele bei Laune zu halten. Ich spürte, wie ihre Finger meine Schulter streiften. Sie stand genau hinter mir. Zuerst ging es problemlos voran. Nur wenig spitze Felskanten, die sich in unsere Stiefel schnitten. Die vielen Jahre unter Wasser hatten die Felsoberflächen glatt geschliffen.
„Was wir wohl finden werden?“, flüsterte sie erneut.
Ich zuckte mit meinen Schultern und quetschte mich in den Spalt. Der war sehr eng und äußerst ungemütlich. Die Taschenlampe, die Mic’ahele über mir hochhielt, warf unwirkliche Schatten über die feuchten Wände. Wenn wir in den Lichtkreis gerieten, wirkten unsere Silhouetten auf den Felsen unheimlich und verstärkten mein unangenehmes Gefühl. Wir folgten dem Einschnitt weiter und folgten damit dem natürlichen Schacht nach unten. Ich blieb ich stehen, als ich spürte wie etwas unter meinem Stiefel zerbrach. Ich leuchtete nach unten und sah auf den steinernen Boden. Knochen. Von Menschen, wie es schien. Sie waren vor Alter spröde und weiß. Wahrscheinlich hatten die Savich sie von allem anderen gesäubert.
„Llhan’de Tik ?“ In Mic’aheles Stimme schwang ganz leise Nervosität und Furcht mit.
„Was haben sie gefunden?“, rief Martin Korten. Ohne es zu merken hatte er sich uns angeschlossen, ganz gegen meinen Willen. Er konnte nicht an Mic’aheles entzückendem Rücken vorbeischauen.
„Wahrscheinlich die Überreste von ehemaligen Schatzjägern“, rief ich über die Schulter zurück. Vielleicht hatten sie den Spalt vor Jahrzehnten an einem Tag der drei Monde gefunden und sich zu lange darin aufgehalten. Als die Mondkonstellation vorbei war und der Wasserpegel wieder anstieg blieben sie gefangen. Möglicherweise war ihnen auch etwas anderes zugestoßen. Ich wünschte mir, wir hätten daran gedacht, Atemgeräte mitzunehmen. Dazu war es nun zu spät. Wir befanden uns zweifellos schon einige Meter unterhalb des jetzigen Meeresspiegels. Der Gang wurde noch enger und ich trat in den Vertiefungen des Bodens in Pfützen mit Salzwasser. Kein Wunder, dass sich die Rehidur-Pak nicht hertrauten. Das Wasser hatte einen so hohen Salzgehalt, dass sogar meine Haut brannte. Zudem bekam ich Platzangst und fühlte mich wie ein eingesperrtes Tier im Käfig. Ich war fast soweit, das Zeichen zur Umkehr zu geben, doch dann sah ich vor mir auf dem Boden etwas funkeln. Mein Herz schlug schneller und meine Zweifel an dem Schmugglerschatz waren wie weggeblasen. Ich zwängte mich zwischen den Felswänden hindurch und zerriss mir dabei mein Hemd. Ich spürte, wie die Felswand über meinen Rücken schrammte und meine Haut aufriss, so dass warmes Blut über meinen Rücken lief. Die Schrammen würde verheilen, dafür sorgte Mic’ahele, aber nicht das Hemd. Es war ein teures Stück, das sie mir an unserem ersten Abend auf Nok geschenkt hatte.
„Wie weit geht es noch?“, rief Martin Korten.
Woher sollte ich das wissen, also antwortete ich auch nicht. Immer weiter drang ich in den Felsenschlund nach unten vor. Die Wände waren nass und glitschig, und ich vermutete, dass ich lediglich eine Spiegelung der Taschenlampe in einer der vielen Pfützen gesehen hatte.
„Hier werden wir nichts finden“, sagte ich zu Mic’ahele. „Am Besten wir kehren um und hoffen, in einer anderen Felshöhle etwas zu finden, oder dass Eduard Möller erfolgreicher war.“ Ich sah ihre niedergeschlagene Miene und verstand ihre tiefe Enttäuschung. Aber dann hellte sich ihre Stimmung urplötzlich auf. Sie sah über meine Schulter an mir vorbei. Ich folgte ihrem Blick und dann sah ich es ebenfalls. Rote Kristalle. Dieser Anblick genügte, um meine Klaustrophobie zu vergessen und mich weiter vorwärts zu drängen.
„Wir haben etwas gefunden!“, sagte Mic’ahele zu Martin Korten. Er stieß einen Jubelschrei aus, während meine Stiefel weitere Knochen zertraten. Vorsichtig näherte ich mich der Nische mit den Ba-iik-Kristallen. Dahinter öffnete sich ein Schacht der weiter in die Tiefe führte. Ich musste einen ziemlich einfältigen Eindruck abgegeben haben, als sich mein Mund ebenso weit öffnete. Tausende von Steinen, die in unterschiedlichsten Farben funkelten, bedeckten den Boden der Höhle. Im Schein der Taschenlampe tanzten die Reflexe wie ein Leuchtkäferschwarm. Einige Kristalle steckten in den Wänden, andere schimmerten unter der Oberfläche kleiner Pfützen, so dass ich unmöglich sagen konnte, oder gar erahnen, wie tief der Schatz im Boden steckte. Aber nicht nur die Steine fanden unsere Aufmerksamkeit. Schalen, Vasen, Edelmetallbarren, gehämmerte Metallbildnisse und vieles andere erregte insbesondere Mic’aheles Aufmerksamkeit. Mir stach eine große Holzkiste ins Auge, die mitten zwischen den Schätzen stand. Zum Teil mit Wasserpflanzen überwuchert, sah sie sehr morsch und halb zerfallen aus. Ich stieß Mic’ahele an und watete hinüber. Meine Stiefel traten überall auf Kristalle, doch störte ich mich nicht daran. Ich ging vor der alten Kiste in die Knie. Das Holz stank nicht nur vermodert, sondern zerfiel mir in der Hand, als ich danach griff.
„Reich, wir sind reich!“, rief Mic’ahele. „Llhan’de Tik, ich wusste es, die Legende besitzt einen wahren Kern. Ich wusste es! Und Toriban hatte Recht!“
Ich blickte mich zu ihr um. Sie hatte die Taschenlampe abgelegt, griff sich eine Handvoll Kristalle und ließ sie wieder durch ihre Finger auf den Boden regnen. Martin Korten achtete darauf, den Salzwassertümpeln auszuweichen, dann entrollte er die Plastiksäcke, die Toriban uns mitgegeben hatte.
„Wir haben für den Rest unseres Lebens ausgesorgt.“ Überall lagen verrottete Lederstücke herum, offenbar die Überreste von Säcken, in denen die Kristalle sich einst befunden hatten. Mic’ahele schob die Lederfetzen zur Seite und ließ die Kristalle in ihren mitgebrachten Beutel fallen. „Damit können wir uns einen eigenen Raumfrachter kaufen, eine ganze Flotte, oder vielleicht einen kleinen Mond.“
Ich wandte mich wieder der Kiste zu. Sie verfügte über ein großes primitives Schloss, das genauso verrostet war wie die eisernen Bänder, die das geschwärzte Holz zusammenhielten. Als ich danach griff zerfiel das Holz jedoch und gab den Inhalt frei. Die auf dem Deckel befindliche Metallplakette mit einer Inschrift, die ich jedoch nicht entziffern konnte, fiel mir praktisch in den Schoss. Ein Blick auf den mir entgegenquellenden Inhalt ließ mir den Atem stocken.
„Llhan’de Tik , was siehst du?“
„Edelsteine, Schmuck, den Schatz eines Schmugglers, Mic’ahele“, antwortete ich benommen. Meine Kehle war plötzlich völlig ausgetrocknet. „Ba-iik-Kristalle, nicht ganz so groß wie eine Faust. Wir werden sehr reich sein.“
Sie schrie vor Entzücken und klatschte aufgeregt in ihre Hände. Dann reichte sie mir einen Beutel. Ich streckte meine Hand aus, meine Finger schlossen sich um die Kristalle, und ich zog sie heraus. Zwischendrin hielt ich eine mit Juwelen besetzte Kette. Das Licht der Taschenlampe funkelte auf den Facetten, und für einen kurzen Moment genoss ich den Anblick, bevor ich sie in den Beutel füllte. Ich arbeitete immer schneller, ich griff immer wieder hinein und hielt unvorstellbare Schätze in der Hand. Juwelen so schwarz wie die Mitternacht, rote Ba-iik-Kristalle, blaue Edelsteine in Tränenform, orangerote, jadegrüne oder wasserklare, die in meiner warmen Hand heller wurden, und viele mehr. Ich legte Mic’ahele eine grüne Kristallkette um den Hals, dann füllte ich wieder meinen Beutel. Eine Anstecknadel mit einem Diamanten steckte ich mir in die Hemdtasche, um sie mir später genauer ansehen zu können, ein paar andere Edelsteine wanderten dabei in meine Hosentasche.
Ich konnte nicht sagen, wie viel Zeit verging, konnte, nicht einmal schätzen, da das Licht in der Höhle durch die Taschenlampen immer gleich blieb. Zudem erschien mir die Frage völlig unwichtig. Überall warteten neue Schätze auf ihre Entdeckung. Aber ich wusste, ich hatte genügend Zeit, um meinen Beutel zu füllen.
„Der Beutel ist so schwer, ich kann den Beutel kaum tragen“, keuchte Mic’ahele. Sie war eine kräftig gebaute Lünokk, vielleicht sogar stärker als ich, und ihr Beutel drohten zu platzen. „Wenn dieser Planet etwas zivilisierter wäre, hätten wir Roboter mieten können, die uns beim Transport helfen.“
„Auf Nok gibt es nicht viele Roboter“, warf Martin Korten ein. Er war offensichtlich sehr kräftig, da er sich zwei pralle Säcke über die Schultern geworfen hatte. „Es ist sogar so, dass ...“
Er verstummte, als ich die Hand hob. Ich lauschte. Wasser.
„Hier stimmt etwas nicht“, sagte ich. Also schulterte ich meinen Sack, nahm die Taschenlampe und schob mich an Martin Korten vorbei in den Tunnel.
Nach wenigen Metern, ich hatte eben den engsten Abschnitt des Spalts erreicht, erkannte ich den Grund für meine Unruhe. Wasser floss mir entgegen. Das war also die Ursache für das Geräusch. Zuerst war es kaum mehr als ein Rinnsal, doch während ich darauf starrte, wurde der Bach breiter und schneller. Das Wasser strömte in die Pfützen und Tümpel der Höhle und ließ sie bald überfließen.
„Mic’ahele! Wir müssen hier raus, sofort! Schnapp dir, was du hast, und komm schnell! Ich glaube, die Flut kehrt zurück!“
Hinter mir hörte ich, wie Mic’ahele über die Kristalle stapfte. Nur Korten hörte ich nicht. Ich blickte über die Schulter zurück und erkannte, dass er wie angewurzelt dastand und sich nicht vom Anblick des zurückbleibenden Schatzes losreißen konnte.
„Mic’ahele!“, rief ich und deutete auf unseren Begleiter.
Sie trat ihm beherzt in den Allerwertesten und als das nicht fruchtete, gab sie ihm einen heftigen Stoß, der ihn in die Wirklichkeit zurückkehren ließ. Er liess Mic’ahele vorangehen und bildete die Nachhut unserer kleinen Prozession. Dabei schien er sich sichtlich überhaupt nicht mit seinen Säcken abmühen zu müssen, obwohl es diesmal bergauf ging. Der Boden war rutschig und durch das zurückkehrende Wasser noch unbegehbarer. Als wir uns dem Ausgang näherten kam uns auch ein Savich entgegen. Seinem aufschnappenden Maul entkam ich nur, weil ich die Taschenlampe auf seinen Schädel hieb. Je näher wir dem Ausgang kamen, desto stärker und schneller rauschte das Wasser herein. Zuerst umspülte es unsere Knie, stieg dann schnell bis an unsere Schenkel. Nur wenig später schob ich meinen Kopf ins Freie und blinzelte in den hellen Tag. Ich musste aufpassen, dass ich nicht ausrutschte und vom Felsgrat ins Meer stürzte. Mittlerweile stand mir das Wasser inzwischen bis zur Hüfte. Würde ich jetzt stürzen, würde der Sack mit dem Schatz auf nimmer wiedersehen im Meer verschwinden. Ich ließ meine nun nutzlose Taschenlampe fallen. Der Tageshimmel schien mir deutlich heller als zuvor. Die Mondkonstellationen ging zu Ende, und die Flut hatte eingesetzt. Ich kletterte auf das kleine Stück Felsen, das noch aus dem Wasser ragte, und winkte Mic’ahele, mir zu folgen. Eduard Möller kehrte gerade zum Segelschiff zurück, auf dem sich die Rehidur-Paks drängten. Unser Ruderboot war nicht mehr zu gebrauchen. Ein tiefer Riss klaffte im Rumpf. Die Ruder waren hinüber. Das Ruderboot schwamm noch, aber eher wie ein primitives Floss und nicht wie ein Boot.
Das Wasser stand mir inzwischen bis zur Brust. Eine Welle schwappte an mir hoch und hätte mich beinahe mitgerissen. Das Meer stieg jetzt noch schneller an, und in kürzester Zeit würden wir Wasser treten müssen, oder ertrinken, wenn wir unsere Schätze nicht loslassen wollten.
„Wenn das Meer noch ein Stück angestiegen ist, komme ich mit dem Segelschiff!“, rief Toriban herüber. Er sagte noch etwas mehr, aber seine Worte wurden von einer großen Welle übertönt, die in diesem Moment gegen die Felsen schlug. Nach ein paar unendlich erscheinenden Minuten stand uns das Wasser bis zu den Schultern. Wir konnten nur untätig beobachten, wie Eduard Möller am Segelschiff anlangte und einstieg. Das Ruderboot, natürlich. Unser Ruderboot! Ich sah mich suchend um und entdeckte die beschädigten Resttrümmer. Es trieb langsam von uns fort. Damit würden wir uns eine zeitlang über Wasser halten können.
„Los, schnell Mic’ahele“, rief ich und deutete auf das Ruderboot, in der Ferne hatte ich ein paar Savichköpfe gesichtet. Und ich wollte früher auf dem Trümmerboot sein, als die selbstverständlich in unsere Richtung schwimmende Savich. Auf dem Rücken, den ich mir in der Höhle aufgeschrammt hatte, spürte ich das Brennen des Salzwassers. Ich war mir sicher, der Blutgeruch würde die Savich zielsicher zu uns locken.
„Wo steckt Korten?“, fragte Mic’ahele, die sich mit mir zu den Trümmern schleppte, den Beutel noch in den Händen haltend. Irgendwie gelang es ihr, das Ruderboot zu erreichen und ihren Beutel auf die Ladefläche zu werfen. Gleich darauf zog sie sich selbst hinauf und paddelte mit den Händen, um das beschädigte Gefährt in meine Richtung zu lenken. Inzwischen stand mir das Wasser jetzt bis zum Kinn, und ich musste in den heller werdenden Himmel starren, damit es mir nicht in den Mund lief.
„Ich sehe ihn nicht mehr!“, antwortete ich. „Vielleicht ist er in der Höhle geblieben und ertrunken!“
Endlich erreichte sie mich und zog mich und meinen Beutel auf das Ruderboot. Ich schaute zum Segelschiff hinüber, wo Eduard Möller an der Reling stand. Dann klappte mir der Unterkiefer herunter, als ich sah, wie Martin Korten das Schiff bestieg. Und er trug immer noch beide Säcke über den Schultern! Es war unmöglich, dass er diese Strecke mit diesem zusätzlichen Gewicht geschwommen war. Ich schaute genauer hin und erkannte ich, dass er einen Antigravgürtel um die Hüften trug.
„Dieser erbärmliche Schleimbeutel ...! „
Der Rest meiner Worte ging im Wasser einer herangespülten Welle unter, die mir über den Bootsrand hinweg ins Gesicht schlug. Ich sah, wie das Segelboot Kurs nahm und in unsere Richtung schwamm.
„Werfen Sie uns eine Leine zu“, brüllte ich.
„Zuerst die Kristalle!“, rief Martin Korten zurück, der sich mit einem Seil in der Hand über die Reling beugte.
„Nein“, antworteten Mic’ahele und ich gleichzeitig. Toriban stand neben Martin Korten und zielte mit einem Blastergewehr auf Mic’aheles wunderschönes Gesicht. Seine Stimme drang dumpf aus der Atemmaske. „Wir werden sämtliche Kristalle bekommen, so oder so.“
Das Segelboot war inzwischen ganz heran. Mic’ahele wollte nach ihrer Laserpistole greifen. „Wie war das mit dem Halbe-halbe?“
„Das Salzwasser“, flüsterte ich ihr zu. „Unsere Laserpistolen funktionieren nicht mehr.“
Ich legte meinen Arm um ihre Schulter, und sie gab jeden Widerstand auf. Wir mussten hilflos mit ansehen, wie unsere Beutel voller Schmuck und Kristalle in das Segelschiff der verräterischen Rehidur-Paks und den Menschen gehievt wurden.
„Verraten sie mir nur Eines“, rief ich Toriban zu. „Gehörten die Mensch zu Ihrem Plan? Waren sie von Anfang an Ihre Komplizen?“
„Natürlich. Wir sind Partner. Halbe-halbe“, antwortete der Rehidur-Pak, als sich das Segelschiff langsam von unserem Ruderboot entfernte.
„Ich empfing ihren Notruf. Also mussten wir sie bergen, bevor wir nach der Schatzhöhle suchen konnten. Wir alle haben nach dem Nokianischen Kailas gesucht. Mit zwei Schiffen vergrößerten wir unsere Chancen wesentlich. Sie sind wirklich am Korallenriff gestrandet, wodurch wir einige unserer Kameraden verloren haben.“
„Aber das dürfte ihn besänftigen“, sagte Korten kichernd und hielt einen großen Kristall hoch.
„Und wozu benötigten sie uns?“, fragte ich verächtlich.
„Als Versicherung für den Fall, dass wir den Kailas nicht finden“, lautete die knappe Antwort des Rehidur-Pak. „Oder falls ich keinen meiner menschlichen Freunde hätte retten können. Sie wissen ja, dass ich mich nicht ins Salzwasser wagen darf. Außerdem waren sie zwei erstklassige Helfer. Tut mir Leid, dass wir sie hier zurücklassen müssen. Sie haben gute Arbeit geleistet. Und sogar die Miete für das Segelschiff bezahlt. Aber wir können nicht zulassen, dass sie uns an die Behörden verpfeifen, bevor wir von diesem Planeten verschwunden sind.“
Ein Rehidur-Pak nickte meinte auf einmal. „Unser Schiff. Wir müssen uns beeilen. Der Raumschiffkapitän wartet schon auf uns.“
Während die Monde langsam ihre Konstellation aufgaben, schrumpfte das Segelschiff zu einem winzigen Punkt am Horizont. Die Mondkonstellationen war vorbei, und unser kleines Ruderboot schaukelte in der Nähe des Riffs auf dem Wasser. Es schwamm noch und schützte uns vor den Savich, aber wie lange noch?
„Wir werden sterben“, sagte Mic’ahele. Ich hatte sie noch nie so traurig und niedergeschlagen erlebt.
„Wir sind nicht allzu weit von der Küste entfernt. Andere Schiffe werden noch vor Sonnenuntergang vorbeikommen. Irgendjemand wird uns retten,“
„Uns wurde alles genommen“, jammerte sie weiter. „All unsere Schätze. All die ...“ Sie unterbrach sich abrupt und legte eine Hand an ihren Hals, wo sie immer noch die Kette aus grünen Kristallen trug.
Ich griff in meine Tasche und holte eine Hand voll Juwelen hervor. „Meine Taschen sind voll davon“, sagte ich, „mehr als genug für uns und um unsere Retter zu entlohnen. Vielleicht können wir uns sogar einen kleinen Frachter kaufen.“
„Und wir sind noch am Leben“, sagte sie mit neuer Hoffnung.
„Wir werden noch lange leben“, fügte ich hinzu. Sie bemerkte das Glitzern in meinen Augen.
„Vielleicht können wir in ein paar Jahrzehnten zurückkehren, zur nächsten Mondkonstellation. Um zu holen, was wir am Nokianischen Kailas zurückgelassen haben.“
Ich zog sie an mich und drückte meine Nase an ihren noch feuchten Hals. Sie roch betörend nach Meer und nach Sommer. Mic’ahele erwiderte meine Umarmung.
„Woran denkst du?“, flüsterte sie nach einer Weile.
„An einen Rehidur-Pak und zwei Menschen? Es dürfte nicht allzu schwer sein, sie wieder zu finden.“
„Erst recht für die zwei besten Kopfgeldjäger dieses Sternensektors“, setzte sie hinzu. „Ich glaube, ich höre bereits, ein Segelschiff dass sich mit unseren Rettern nähert.“