Waschsalon

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petrasmiles

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Waschsalon, überarbeitete Version 3

Reinlichkeit erfordert manchmal logistischen Aufwand, vor allem dann, wenn man nicht zu den Glücklichen zählt, die eine eigene Waschmaschine besitzen. Dann hat man seine liebe Not, den Akt der Manierlichkeit aufrecht zu erhalten. Unmöglich ist es nicht.

Es gibt Waschsalons, in Großstädten. Ich nehme an, auf dem Land hat man dafür mehr Familie in der Nähe.
Ich gehe lieber in den Waschsalon. Aber nicht in jeden. Das muss man organisieren. Das ist alles eine Frage der Priorisierungen.

Um zum Waschsalon zu kommen, muss man das Haus verlassen, eine Menge Gegenstände mit sich führen und Kleingeld dabei haben. Auch hier greifen die Dinge ineinander und schon die geringste Missachtung bedeutsamer Umstände macht aus einem alltäglichen Akt ein Ärgernis.

Ich habe kein Auto. Ich benutze gerne Straßenbahnen; Busse nicht so sehr, schon gar nicht mit einer Menge Gepäck. Nicht auszudenken, wenn ein Henkel reißen würde, oder eine Tasche bei holpriger Fahrt umfällt und Intimes offenbart. Nicht, dass die Menschen durch den Anblick von ein bisschen Schmutzwäsche aus dem Gleichgewicht zu bringen wären, aber mir wäre es peinlich.

Dem Waschsalon verdanke ich die Erkenntnis, dass eine Gruppe von Menschen, auch solche, die sich nicht kennen, instinktiv ein Vakuum erkennen und mit ihren Rollen füllen.
Jeder benutzt den freien Raum zum Selbstausdruck. Wie er gerne gesehen würde.
Am schlimmsten sind die kommunikativen Einsamen. Aus jeder Bewegung machen sie einen Gesprächsanknüpfungspunkt, so banal, dass wirklich jedem etwas dazu einfallen würde. Manche der Angesprochenen stürzen sich wie Geier auf diese Gelegenheit der Selbstdarstellung. Ich bin wahrgenommen worden, jubelt ihre Stimme.
Die sich anbahnende Unterhaltung ist dann ihrer Lautstärke nach für alle bestimmt. Endlich fragt sie mal jemand nach ihrer Meinung. Und davon haben sie viel, negativ reziprok zu den Gelegenheiten, sie zu äußern.

Wenn ein kommunikativer Nicht-Einsamer so unvorsichtig war, eine harmlose Bemerkung zu machen, so in der Richtung ‚Hallo Mensch, ich bin auch ein Mensch’, dann kommt angesichts der Antwortlawine meist ein gehetzter, erschrockener Ausdruck in seine Augen. Das passiert aber nur Waschsalon-Ungeübten.
Ich lächle meistens nur. Nur ja keine Wörter anbieten, aber höflich bleiben. Meist komm ich ungeschoren davon.
Ich habe die Gelegenheiten durchprobiert; nie kam etwas dabei raus, das ich nur annähernd als Unterhaltung bezeichnen würde. Und man wird nie, aber auch wirklich nie, von den Leuten angesprochen, von denen man gerne angesprochen werden würde.
Da sind mir meine Gedanken doch lieber.

Einmal saß ich der Wäsche wegen wartend an einer Haltestelle.
Am anderen Ende der Sitzreihe hocken zwei junge Schwarze, schwätzend, lachend.
Sie sind nicht besonders gepflegt, spucken auf die Straße.
Eine alte, sauber gekleidete Frau nähert sich uns. Ich bin in ein Buch vertieft, höre ihre Geschichte von der Cola an, die sie sich kaufen möchte, und ob sie dafür 50 ct. haben könnte. Ich schau immer weg; zuviel geschäftsmäßige Bettler unterwegs. Sie spürt meine Haltung und verschont mich; sie wendet sich an die jungen Männer, die ihr aufmerksam zuhören, aber offensichtlich kein Wort verstehen.
Einer von ihnen fragt mich, ob ich englisch oder französisch spreche, um zu übersetzen. ‚She is begging’, sag ich. ‘She is begging?, fragt er ungläubig. Ich nicke.
Beide Jungs stehen auf wie beim Militärappell, greifen nach ihren Portemonnaies in ihren Gesäßtaschen und kramen ein paar Münzen hervor.
Ich schäme mich. Aber ich weiß nicht so recht, wofür. Aber unbehaglich ist mir.
Ich glaube, die beiden haben mich für sehr kalt gehalten. Eine typische Vertreterin dieses kalten Landes. Wo der eine nicht für den anderen einsteht. Da steht eine alte Frau auf der Strasse und bettelt und diese reiche weiße Frau gibt ihr noch nicht einmal 50ct. Ich sehe gut aus. Was wissen sie schon von Kontoständen und Arbeitslosigkeit und Verzweiflung ... ich sehe mich mit ihren Augen, und es gefällt mir nicht, was ich sehe.

Ich schaue möglichst nie direkt hin. Ich könnte es nicht ertragen, in wissende, urteilende Augen zu blicken. Nicht, dass das wahrscheinlich wäre, aber ich möchte kein Risiko eingehen. Meist blicke ich verstohlen hin, wenn ich mich unbeachtet weiß.
Ich nehme die Geschichte mit nach Hause und sinne nach. So verschaffe ich mir Überblick über alles. Über den Schwung einer Augenbraue, Bartstoppeln, Falten, abgelaufene Absätze erkenne ich den Zustand der Seelen und der Welt.

An der Mangel stand einmal ein sportlicher Endvierziger oder gut erhaltener Fünfziger und plättet und faltet mit Hingabe und Geschick seine saubere Wäsche. Er steht mit dem Rücken zu allen, und gerade einmal eine Feuersbrunst könnte die Kette seiner sinnvollen Bewegungen unterbrechen. Er will mit niemandem etwas zu tun haben.
Die Erleichterung, als er alles gefaltet und verstaut hat und diesen unwirtlichen Ort verlassen kann, merkt man ihm deutlich an. Es macht ihn sympathischer. So geht es mir auch immer.

Manchmal bin ich erstaunt über die Bandbreite an Menschen, die den Waschsalon aufsuchen. Eine Frau in mittleren Jahren stürmte herein, stopfte große unhandliche Stücke in eine Jumbomaschine, und ihre Miene verriet deutlich die Botschaft ‚Ich gehöre nicht zu Euch. Ich habe eine eigene Waschmaschine’. Sie hastet wieder hinaus wie andere aus dem Leihhaus. Sie wollen möglichst viel Distanz zwischen sich und diesen Ort der Scham bringen. Dabei tragen sie sie doch mit sich herum.
Manchmal, wenn sie auf die Maschine warten, sind sie diejenigen, die gerne eine Gespräch anfangen, nur um dann geschickt einfließen lassen zu können, dass sie ja nur wegen der großen Teile kämen.

Sehr überrascht war ich, dass bei den Männern viele jüngere anzutreffen sind; manche erinnern von den Klamotten her eher an einen Yuppie mit Designerküche. Keine Waschmaschine? Vielleicht investiert er sein Geld lieber in seine Hobbies, sein Auto, seine Klamotten.
Es gibt hier auch ethnische Vielfalt.
Menschen mit Verständigungsproblemen gegenüber bin ich nachsichtiger. Da helfe ich aus, erkläre, kümmere mich. Manchmal muss ich aufpassen, nicht zu sehr vereinnahmt zu werden. Aber ich habe Übung darin, auch nonverbal rüberzubekommen, dass es jetzt genug ist, und ich meine Ruhe haben möchte.

Ich hoffe, es ist jetzt nicht der Eindruck entstanden, als würde ich die Menschen nicht mögen. Ganz im Gegenteil. Ich fühle mit ihnen, ich nehme sie wahr, erkenne sie an, indem ich sie erkenne, aber ich möchte nicht in etwas verwickelt werden, das ich dann nicht mehr entwirren kann.

Ich versuche immer, einen Ausgleich zwischen meinen Prioritäten herzustellen. Wenn ich zu diesem Waschsalon hier gehe, dann muss ich drei Stationen mit der Bahn fahren. Nur, wenn die Bahn älter ist – was auf dieser Strecke meistens der Fall ist - und zum Einstieg mehrere Stufen erklommen werden müssen, wird das ganze schwierig, erst recht auf dem Rückweg.
Und wenn es dann auch noch regnet, dann komme ich mit zwei Händen nicht hin.
Darum warte ich oft auf regenfreies Wetter und muss den Wäschestapel und die saubere Wäsche im Auge behalten. Ich muss immer feststellen können, was jetzt wichtiger ist.
Ich habe mich auch schon einmal bei Regen aufmachen müssen, weil ich zuvor keine Lust gehabt hatte. Das kommt natürlich auch vor. Manchmal muss ich abwägen zwischen den 5o Cent Ersparnis und der aufgewendeten Zeit und Mühe. Meistens muss ich dann doch los. Ich habe mehr Zeit als Geld.

Einmal habe ich es erlebt, dass ein gepflegter und auffällig flott gekleideter, vielleicht 6ojähriger Mann, wie ein Tiger im Käfig den Salon durchschritt, immer mal wieder in meine Nähe kam, wie zur Aufforderung ‚sprich mich an’.
In einer anderen Umgebung würde er mich ansprechen. Das ist wirklich auffällig: Dies hier ist das Territorium von Frauen. Männerregeln gelten hier nicht. Sie halten sich alle zurück. Ohne Einladung macht hier keiner den Mund auf. Drucksen herum wie unfreiwillige Eindringlinge, nicht ohne Sorge, bei Fehlverhalten vom Platz gestellt zu werden.
Vielleicht wollte er auch nur loswerden, was einer wie er hier zu suchen habe.
Ich finde das rührend, wie manche Männerseelen darunter zu leiden scheinen, niemanden für ihre Wäsche zu haben.
Später kam dann noch eine ältere Frau herein, die mit der gelassenen Müdigkeit ihrer Jahre seine Not erkannte und ihm eine passende Bemerkung als Vorlage anbot, sein Herz auszuschütten. Ich habe nicht hingehört, aber ich habe mich für ihn gefreut.

Manchmal sind die Menscheleien im Salon spannender als mein Buch, aber manchmal
muss ich mir erlauben, einen Krimi von einer meiner Lieblingsautorinnen zu lesen, die ich ab und an in der Stadtbücherei ergattern kann.
Ich bin sehr streng zu mir, und ich lasse mir nicht alles durchgehen, aber ich weiß auch, wann ich nachgeben muss. Krimis darf ich sonst nur als Feierabendspaß lesen.
Ich habe zwar keine Arbeit, aber das heißt ja nicht, dass ich keine Arbeit habe.
Ich würde mir auch nie gestatten, tagsüber den Fernseher anzumachen.

Gott sei Dank laufen die Maschinen nicht sehr lang hier; daher wasche ich hier auch nur Buntwäsche. Für meine Körperwäsche gehe ich in einen anderen Salon bei mir um die Ecke; der ist teurer und die Trommeln sind kleiner, aber sie waschen länger, und damit fühle ich mich wohler.
Es kommt ja immer darauf an, was man sich dabei denkt.
 
B

bonanza

Gast
für waschsalons, wartezimmer und supermärkte braucht man
geduld und humor. du beweist beides, petrasmiles.
leider braucht der leser deines textes auch geduld.
ich würde ihn nochmals (sehr heiß) waschen und durch
die mangel drehen - vielleicht schrumpft er auf eine
angenehme größe und bekommt mehr farbe.
(mache das besser per handwäsche.)

bon.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber bon,

danke fürs Lesen und Kommentieren!
Ja, ich finde ihn auch lang. Aber irgendwie will diese Frau so wahrgenommen werden, die Summe all dieser Eindrücke geben ihr Bild, zeigen ihr Leben. Sie scheint genau durch diese üppige Wahrnehmung in diese Überlängen selbst zu geraten, die sie daran hindern, am Leben teilzunehmen. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?
Im Moment bin ich noch überfordert, zu lokalisieren, wo ich was weglassen könnte. Ich glaube, das geht am Anfang immer so, oder? Ich denke mal über kürzere Sätze nach.

Liebe Grüße
Petra
 
B

bonanza

Gast
ja, das ist normal - das ist ähnlich wie beim ausmisten
des kleiderschranks. wenn man dann aber mal angefangen
hat, ist man oft überrascht, wieviel man aussortieren
kann - und vielleicht mit spaß etwas neues einfügen.

bon.
 

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Mitglied
Schön, dass das hier von dir wieder ausgegraben wurde, liebe Petra.

Ich bin hier gerne in mir völlig unbekannte Welten eingetaucht - eine Innere und eine Äußere - und so, wie sie sich hier vor mir entfalten, entstehen glaubhafte Bilder. Die Länge des Textes hat mich nicht gestört - im Gegenteil: ich finde sie angemessen, da ja das Waschen im Waschsalon auch mit einer sicherlich als "Länge" empfundenen Wartezeit verbunden ist. Die Form trägt den Inhalt also mit und das ergibt auf jeden Fall Sinn.

Auch habe ich genossen, wie die Protagonistin genau das tut, was sie laut eigener Angaben möglichst zu meiden versucht: sie gibt eine detaillierte und ausufernde Ausführung ihres Alltags und all dessen, was sie so umtreibt und beschäftigt. Wir sind also doch alle gleich in unserem Bedürfnis :
Ich bin wahrgenommen worden,
Ich lese hier mit Vergnügen von gerade noch nicht überquellenden Säcken voller (hauptsächlich eigener) schmutziger Wäsche, die hier von der Protagonistin gewaschen wird. Das aber mit einer gewissen Würde. Denn die kann einem keiner nehmen, außer man selbst.
Eine wirklich schöne Metapher und Gesellschaftsstudie!

LG,
fee
 



 
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