Weihnachten unter Freunden

guelle

Mitglied
Anfang Dezember kam der erste Schnee. Es war so kalt, dass selbst der Schneemann im Garten mit den Zähnen klapperte und eine Erkältung bekam. Er schniefte und nieste. Dann fiel ihm plumpsdiwumms die Karottennase in den Schnee. Wenn er nicht schnell genug war, stibitzten ihm die Feldkaninchen, die sich unter dem Buchsbaum versteckt hatten, die Mohrrübe weg. He, ihr Halunken! Wisst ihr denn nicht, dass der arme Kerl ohne Nase weder schniefen noch niesen kann? Den Kaninchen war das egal.
Es half alles nichts. Steffi oder ich mussten jedes mal eine neue Karotte aus dem Keller holen. Der Schneemann tat uns wirklich leid. Etwas musste geschehen. Auf dem Speicher fand ich eine Wolljacke, Schal und Mütze. Die zogen wir ihm an. Der Schneemann war glücklich. Die Kaninchen allerdings
schauten traurig auf seine Nase.
Jetzt fingen die Vorbereitungen für Weihnachten an. Der Duft von Weihnachtsplätzchen und Kerzenwachs machte sich im Haus breit. Abends saßen wir auf dem Sofa vor dem Kamin, tranken Früchtepunsch und strickten. Ehe wir uns versahen, stand das Weihnachtsfest vor der Tür. Als Heiligabend war, schmückten wir morgens den Tannenbaum. Da wir keine Weihnachtskugeln hatten, hängten wir Zierkürbisse auf und statt Lametta gab es saure Fruchtgummischnüre. Auf die Spitze kam ein Gartenzwerg mit Flügeln aus Stroh. Wir waren gerade dabei die Lichterkette auszupacken, als es laut an die Tür klopfte. Draußen stand unser Nachbar Otto. Er raufte sich die Haare und rief:. „Was für ein Unglück!“ „Was für ein großes Ünglück!“, rief er wieder. „Ich komme gerade von meinen Mietern, den Feen!“ "Stellt euch vor, was bei denen passiert ist!“ Er stampfte mit dem linken Fuß so fest auf, dass der Schnee in alle Richtungen flog. „Denen ist die Zentralheizung ausgefallen. Ausgerechnet jetzt, bei diesen Temperaturen! In ihrer Baumhöhle in der Eiche ist es nicht zum Aushalten und die haben die Wohnung voller Gäste. So ein Elend! Ersatzteile über die Feiertage zu bekommen ist aussichtslos“, rief er und ließ die Schulter hängen. „Ich würde sie ja zu mir bitten“, murmelte er, „aber ich habe selbst Besuch und zu wenig Platz für alle. So ein Elend! Was soll ich jetzt nur machen? Habt ihr eine Idee?“ „Beruhige dich erst einmal, Otto!“, sagte ich zu ihm. Ich sah Steffi fest in die Augen. Manchmal reicht so ein Blick unter Freunden. Da muss man nicht lange quatschen oder diskutieren. Das Für und das Wider bis ins kleinste Detail durchgehen. Ein zwinkern mit dem Auge, ein Nicken mit dem Kopf und die Sache ist klar. Steffi zog sich Stiefel, Schal und Mütze an und hast du nicht gesehen, flitzte sie durch die Hintertür in den dunklen Garten. „Komm Otto, hilf mir mal!“ sagte ich. „Du legst noch Holz im Kamin nach und ich gehe noch mehr Teller aus der Küche holen!“ Es dauerte nicht lange, da hörten wir aufgeregtes Stimmengewirr. Die Hintertür wurde geöffnet und einer nach dem anderen kam herein. Alle hatten steife Gesichter und rote Nasen. Selbst der Sandsteintroll hatte blaue Lippen von der Kälte. Otto und ich schoben schnell das Sofa dichter vor den Kamin. Dazu drei Ohrensessel und die hölzerne Eckbank aus der Küche. Alle fanden einen Platz zum Aufwärmen. Steffi schenkte heißen Tee aus und verteilte Walnussplätzchen und Zimtsterne. Die Feen bedankten sich herzlich für die Einladung. Die anderen Gäste nickten nur zustimmend, weil sie noch immer nicht in der Lage waren zu reden. Als sich alle wieder wohlfühlten, ging Otto beruhigt nach Hause. Draußen begann es wieder zu schneien. „Jetzt muss ich mich aber beeilen!“, sagte er, froh darüber, dass alles so ein gutes Ende genommen hatte.“
Die Waldelfen hatten es sich mittlerweile im Tannenbaum gemütlich gemacht. Sie entzündeten ihre kleinen Lampen und spielten Fangen in den Ästen. Die Kobolde halfen Steffi in der Küche. Die ganze Zeit hörte man lautes Lachen. Hatten sie wieder neue Witze gelernt? Die Knoblauchgnome machten sich ebenfalls nützlich. Sie saßen auf der Fensterbank und hauchten Eisblumen, die nach Pfefferkuchen dufteten, an die Fensterscheibe. Die Feen zauberten mit ihrem Feenstaub Misteln an die Decke und brachten die weißen Beeren daran zum Glühen. Es hatte noch nie so toll zu Weihnachten geleuchtet und gerochen. Nach dem Essen gab es Bescherung. Für alle lagen Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Die Feen bekamen Möbelpolitur für ihre Feenstäbe und eine Hausnummer aus Walnüssen. Das Feenkind Laura bekam eine blaue Rosenschere . Die Knoblauchgnome bekamen Veilchenpastillen gegen Mundgeruch und der Sandsteintroll eine Bürste, um die Moosflechten auf seinem Rücken zu entfernen. Die Kobolde bekamen jeder eine Mütze. Statt einer Bommel hatten sie allerdings Wackelhände. Wenn sie jetzt Witze erzählten und mit dem Kopf nickten, klatschten die Wackelhände Applaus. Steffi schenkte ich eine kleine rote Gießkanne mit gelben Sternblumen und Erdbeeren darauf. Für mich gab es einen neuen Nussknacker. Er trug einen Bauhelm mit einer Kopflampe. Jetzt konnte ich auch im Dunkeln Nüsse knacken. Nach der Bescherung setzten sich alle wieder vor den Kamin. Dann begann der Sandsteintroll zu singen. Das Lied erzählte die Geschichte von den Felsenwürmern in den weit entfernten Eisenbergen und den Zwergen, die in den Tropfsteinhöhlen nach Mondscheinfischen angelten. Danach kamen die Elfen an die Reihe. Sie sangen das Lied von den Kalksteinhasen in den Edelsteinwiesen und dem alten Bergadler, der sein Fernglas verloren hatte. Nach den Elfen machten die Feen weiter. Ihr Lied handelte von den Einhörnern, die in den wundersamen Wattebauschfeldern grasten und dem Strohballenwald, wo das scheue Diamanthörnchen mit den Entenfüßen lebte. Als die Kobolde ihr Lied über den Maulwurf, der in die Schneegans verliebt war, beendet hatten, waren alle müde. Steffi und ich verteilten Decken und Kissen. Dann löschten wir das Licht. Es dauerte nicht lange und man hörte nur noch tiefes Atmen. Die Gäste blieben über die ganzen Feiertage. Als Otto die nötigen Ersatzteile eingebaut hatte, zog die Gesellschaft wieder in die Höhle um. Das war ein Weihnachtsfest, von dem wir uns noch viele Jahre danach erzählten.
 



 
Oben Unten