Weihnachtsmann

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Lyan Nethil

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Der Weihnachtsmann

Da stand er, der Weihnachtsmann, auf einer hölzernen Treppe vor einem alten Haus - eingehüllt in seinen dicken roten Mantel, die Wangen winterlich gerötet und ein strahlendes Lächeln in den Augen. In der linken Hand trug er eine etwas kümmerlich aussehende kleine grüne Tanne mit roten Schleifen, in der rechten den fast leeren braunen Sack mit Geschenken und die Taschen seines Mantels waren voller Geld.
Naja, voller Geld war übertrieben, aber genug Geld für einen Aushilfsstudenten in der Weihnachtszeit. Denn genau das war Mike der Weihnachtsmann.
Gerade hatte er seinen letzten Job erledigt, hatte kleine Kinder mit kleinen Geschenken glücklich gemacht und noch kleineren Kinder mit seinem Auftritt einen großen Schrecken eingejagt, ... ho, ho, ho.

Mike machte das jetzt schon ein paar Jahre bei derselben Zeitarbeits-Firma, sie zahlten gut und es machte Spaß den Nikolaus zu spielen, oder wie heute am Heiligabend den Weihnachtsmann. Der letzte Auftrag hatte besonders viel Geld gebracht, denn es war schon spät am Weihnachtsabend und die meisten Bescherungen waren schon vorbei, umso mehr freute sich Mike nun auch zu seiner Familie zu kommen.
Seine Mutter hatte wieder einen leckeren goldglänzenden Gänsebraten gemacht und seine Nichten und Neffen warteten bestimmt schon sehnsüchtig, dass Mike endlich erschien, damit auch sie ihre Geschenke bekommen konnte – das machte der Weihnachtsmann nämlich nur, wenn die ganze Familie anwesend war...
Also packte Mike der Weihnachtsmann den Sack mit den Überbleibseln der Bescherungen und den Geschenken für seine Familie auf seine Schulter, hob die kleine grüne Tanne hoch, die so einsam und traurig in der Ecke der Firma gestanden hatte, und nun ihr Gnadenbrot in seiner Wohnung erhalten sollte, und stiefelte die Straße entlang.

Natürlich war es mal wieder keine weiße Weihnacht, dafür begann es langsam feucht und ungemütlich zu werden, aber Mike beschloss einfach, sich nicht die Stimmung verderben zu lassen und schaute stattdessen lieber in die hell erleuchteten Wohnungen, um sich hier und da ein paar Gedankenenten und Fantasiebratäpfel von den Weihnachtstafeln zu klauen und sich Appetit für das Festessen bei seiner Mutter zu holen.
Mike fühlte sich gut, ja richtig glücklich, nach all den fröhlichen Kindergesichtern und den festlich geschmückten Häusern war er voll und ganz auf Weihnachten eingestellt. Gleich würde sein eigenes warmes, leckeres Weihnachten beginnen und die Welt war schön.
Die nassen Straßen funkelten und glitzerten unter den Hunderten von Lämpchen an den Fenstern, Bäumen und Häusern .
Mit einem warmen vorfreudigen Gefühl im Bauch schlenderte er weiter, blies Atemwolken und versuchte im Takt von ‚Jingle Bells’ zu laufen, das er leise summte. Vorbei an den bunt geschmückten Läden, den alten blättrigen Häusern und den vertraut ächzenden Bäumen.

An einer kleinen Seitengasse blieb Mike stehen und genoss den Anblick des silbernen Mondes zwischen den Hauswänden. Wie eine riesige leuchtende Weihnachtskugel stand er über ihm und tauchte den feuchten Beton in gleißendes Licht. Es standen ein paar Tonnen und altes Gerümpel in der Gasse, die bizarre Schatten auf den Asphalt warfen. Hinter den Häusern erstreckte sich ein weites Feld durchbrochen von spielzeugkleinen Eisenbahnschienen auf denen gerade ein Zug vorbeidonnerte.
Fasziniert ging Mike die Gasse entlang und starrte den riesigen schwebenden Mond an. Seine Schritte hallten zwischen den Hauswänden und die Geräusche der Straße wurden immer leiser. Als er am Ende der Gasse angekommen war eröffnete ihm sich ein atemberaubendes Nachtbild.
Stromleitungen teilten den tief blauschwarzen Himmel wie silberne Fäden, Strommasten ragten wie spitze düstere Berge zu den Sternen, die nur kleine blinkende Punkte neben dem großen weißen Trabanten waren. Die Felder schimmerten in verschiednen Grautönen und dünne kaum sichtbare Nebelwolken wirkten, angestrahlt von dem weißen Licht, wie silberne Schleier die in die Luft geweht worden waren. Ab und zu huschte einer von ihnen vor den Mond und wurde zur Strafe für einen kurzen Augenblick schwarz um dann sofort für immer zu verschwinden.
Direkt vor Mike stand der Mond, als könne man mit einem kurzen Fußmarsch zu ihm rüber hüpfen, eingerahmt in tiefblauen Himmel, unter ihm die Stromleitungen, die nach rechts und links den Schienen immer näher kommend sich im dunklen Nichts verloren.
Beeindruckt und fröstelnd sah er sich das Schauspiel an.
Langsam kroch die Kälte an seinen Beinen hoch, der Regen hatte wieder aufgehört und nur dumpfe Platscher von vereinzelten Tropfen waren zu hören und ein leises Knistern.

„Na...?! Heimweh?!“
Was? Irritiert sah Mike sich um. Obwohl die Stimme warm und kehlig brummend gewesen war traf sie ihn wie ein eiskalter Schlag. Hinter ihm lag die Gasse, in ihr lag sein eigener dunkler Weihnachtsmannschatten, das Haus neben ihm war alt und heruntergekommen und erstrahlte hell im Mondlicht. Auf einer kleinen Treppe, kaum zwei Schritte neben ihm hockte eine Gestalt, fast verdeckt von einer Tonne aus der das Knistern kam. Ein Feuer das langsam zu Ende ging.
„... oder reicht das an Kälte, ... um sich Zuhause zu fühlen?!“, fragte die Stimme. Verwirrt überlegte Mike, ob er Angst haben müsse. In dieser Gegend, an diesem Ort würde ihm bestimmt niemand helfen oder gar hören. Er entschied, dass die Gestalt, die eindeutig männlich und verwahrlost zu sein schien, genug Zeit und Möglichkeit gehabt hätte, ohne weiteren Aufhebens, ihn nieder zu schlagen und auszurauben. Dies war anscheinend nicht seine Absicht, also konnte er aufhören verwirrt zu sein und besser darüber nachdenken, was diese dunkle Schattenmann mit seinen mysteriösen Aussagen wollte, vorausgesetzt, dass er nicht völlig alkoholisiert und unzurechnungsfähig wäre.
„Was?“, das Bitte hatte Mike doch verschluckt auf den Schreck.
„Na, du bist doch der Weihnachtsmann...!?“, Mike verstand, ob Alkohol oder nicht, er musste ein lustiges Bild abgeben in seinem Weihnachtsmannkostüm mit Rauschebart, Sack und Tannenbaum, den Mond anstarrend am heiligen Abend. Er lächelte.
„Wäre ich der Weihnachtsmann, würden mich jetzt wohl mein Schlitten zum wohlverdienten Feierabend abholen!“
„Scheint so, als hätten deine Rentiere Verspätung“, brummte der Mann, der zusammengekauert in einem dunklen Türschatten saß und dessen Gesicht Mike noch immer nicht erkennen konnte.
„Wenn du willst, darfst du hier warten,“ sagte er und rutschte ein wenig auf seiner Stufe zur Seite und bot ihm einen Platz auf einer Pappe an, die zum Schutz vor dem kalten nassen Stein diente.
Mike schaute wieder auf das faszinierend kühl glänzende Schauspiel, dachte an den leckeren goldbraunen Gänsebraten und seine Familie, die auf ihn wartete. In dieser Kälte bei einem Fremden in dieser Gegend auf einen Schlitten zu warten, war nun wirklich nicht das, was er sich als Weihnachtsüberraschung vorgestellt hatte. Aber,...nun ja, vielleicht hatte er noch ein paar Lebkuchen in seinem Sack, die er dem Mann geben konnte. Also setzte er sich - wenigstens für ein paar Minuten - den Geschenkesack und den Tannenbaum stellte er neben sich.

Es roch nach verbrannten Zeitungen und obwohl das Feuer in der Tonne fast erloschen war, strahlte sie noch genug Hitze ab um die Füße anzuwärmen. Mike musterte den Mann neben sich. Ein dünner Lichtstrahl fiel nun an der Tonne vorbei auf sein dreckiges Gesicht mit tiefen Falten, müden Augen und krausem ungepflegtem Bart. Er trug mehrer löchrige Pullis übereinander und eine zerfetze dünne Sommerjacke, beide Hände und ein Fuß waren mit Tüchern umwickelt – ein dürftiger Schutz gegen die Kälte, an dem anderen Fuß hatte er einen Schuh, der noch recht neu zu sein schien. Für einen Obdachlosen hatte es diesen Mann wohl besonders übel getroffen. Mike nahm seinen Sack und wühlte in den Geschenken herum, irgendwo musste noch ein Päckchen Lebkuchen oder Printen sein und in der Thermoskanne waren bestimmt auch noch ein paar Tropfen warmer Tee. Die Thermoskanne war schnell gefunden und die Plätzchen fand er unter dem weichen Packet mit dem Pulli für seinen Vater und neben dem Karton mit der Barbie für seine Nichte. Er schüttete den noch dampfenden Tee in eine Tasse, nahm einen Lebkuchen und reichte beides dem Mann hinüber. Skeptisch blickte der Fremde zu Mike, lächelte und nahm dann dankbar beides entgegen.
„Danke Weihnachtsmann!“
Den Lebkuchen steckte er in seine Jackentasche, dann umschloss er mit beiden Händen die Tasse, um die Wärme aufzunehmen und schlürfte Schluck für Schluck den wohlig warmen Inhalt. Mike nahm die Tüte mit den Lebkuchen und stellte sie neben den Mann, dann suchte er noch die letzten kleinen Päckchen mit Keksen und Schokolade zusammen, die er in seinem Sack hatte und platzierte sie daneben.

Eine Weile schauten beide in den Himmel. Wenn man ganz still saß, war es gar nicht mehr so kalt und die Türschwelle auf der die beiden saßen gab ein wenig Schutz vor dem schwachen aber beißend kalten Wind der über die Felder zu ihnen herüber wehte. Keine Mensch, kein Tier zerriss das Bild aus Silber und Schwarz, dass sich in aller ehrfürchtigen Stille ihnen darbot. Kaum merklich zog der Mond seine Bahn und legte neue silbergraue Farben auf die Felder und Wiesen.
Die Tonne und ihre erlöschende Glut kühlte merklich aus und Mike fröstelte nun stärker. Er sah sich um, nach etwas um das Feuer erneut zu entfachen, dann fiel sein Blick auf die kleine kümmerliche Tanne. Einen Moment zögerte er. Irgendwie sah sie mit ihren roten Schleifen so traurig aus, dann nahm er sich ein Herz und die Tanne und stellte sie in die Tonne. Die Glut reichte noch aus, um den trockenen Stamm zu entzünden und bald knackte und prasselte es wieder lebendig in der Tonne. Es wurde wärmer und ein neues Licht entflammte in der Tiefe. Bald flogen Funken von brennenden Tannenadeln umher und erfüllten die Luft mit weihnachtlichem Geruch. Mike lächelte. Er fühlte sich plötzlich sehr wohl und behaglich. Was ein kleines Feuer in einer kalten Nacht doch alles bewirken konnte. Schweigend genossen die beiden die Wärme und Einigkeit.
Die Zeit war plötzlich egal und Mike empfand nichts befremdliches mehr dabei, hier bei einem Fremden zu sitzen mitten in der Nacht und die Welt zu genießen.

„Waren die Kinder lieb dieses Jahr?“, fragte der Fremde nach einer Weile
Mike grinste,“ die kleinen schon... .“
„Ja, so war das schon immer.“, brummte er nachdenklich, „Wenn sie größer werden glauben sie nicht mehr an den Weihnachtsmann und seine Mühen. Dann treten sie ihm sogar noch vors Schienbein, wenn es die falsche Farbe vom Auto ist.“ Mike zog eine Grimasse, diese Erfahrung hatte er auch schon gemacht, aber dieses Jahr war er verschont geblieben und hatte dankbare und glückliche Kinder zurückgelassen.
„Sie werden größer und sind enttäuscht, dass man sie belogen hat und es den Weihnachtsmann gar nicht gibt,“ überlegte Mike, „Dann verlieren sie den Respekt und glauben nur noch an das Geld und wie viel Liebe die Eltern damit bei ihnen erkaufen wollen.“
„Geld,“, schnaufte der Mann verächtlich, „ was nutzt ihnen die Liebe in Banknotenzahlen, wenn sie den Glauben verloren haben?.... Glauben sie dir denn auch nicht?“
Wie hatte er das gemeint? Mike dachte nach. Sein Kostüm war gut, der Bart wirkte echt, der Mantel auch und die kleinen Kinder waren überzeugt, dass der Weihnachtsmann bei ihnen war. Wenn er dann in ihre Augen schaute, war er für einen Moment wirklich der Weihnachtsmann - groß und freundlich, liebevoll und gütig, das war ein wunderbares Gefühl. Etwas geben zu können und das schönste Geschenk der Welt dafür zu bekommen, das man mit Geld nicht bezahlen und mit Gold nicht wiegen konnte – ein Lächeln und tiefes dankbares Vertrauen an die Liebe.
Aber es war ja nur eine Geschichte und jedes Märchen war einmal zuende.
„Nein!“, antwortete er betrübt, „Irgendwann hören sie einfach damit auf und man kann nichts dagegen tun.“
„Traurig!“
,Ja`, dachte Mike, ,traurig` und sah den wundervollen glühenden Tannennadelfunken nach die die kümmerliche Tanne so gütig verteilte.
 

poppins

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Hallo,

der Text ist flüssig und in lebendigem Stil geschrieben – ich habe ihn mit Freude gelesen. Ich würde empfehlen, die sehr ausführliche Beschreibung des Nachthimmels auf dem Heimweg Mikes’ zu kürzen – (in der Szene kann ich mir auch ehrlich nicht recht vorstellen, dass Mike bei so ungemütlichem Wetter lange am Platz verharrt, um den Mond anzugucken. Und schließlich wartet doch auch noch seine Familie!)

„Wäre ich der Weihnachtsmann, würden mich jetzt wohl mein Schlitten zum wohlverdienten Feierabend abholen!“
Da würde ich etwas ergänzen „Wäre ich der ECHTE Weihnachtsmann ...“ Ist sonst ein Stolperer, da Mike ja noch kostümiert ist.

„Aber,...nun ja, vielleicht hatte er noch ein paar Lebkuchen in seinem Sack, die er dem Mann geben konnte. Also setzte er sich - wenigstens für ein paar Minuten - den Geschenkesack und den Tannenbaum stellte er neben sich.“ ...
Hm, DAS kann ich mir nicht recht vorstellen – dass Mike dem Mann schnell ein paar Lebkuchen gibt, vielleicht etwas Geld, auch, aber sich dazusetzen? ... in dem Schmuddelwetter... Familie und Gänsebraten warten lässt ...?? Hm.

Also mein kurzes Fazit: Du kannst sehr schön erzählen, aber die Geschichte überzeugt mich so irgendwie nicht – mein Hauptproblem ist, wie ich oben schon geschrieben habe, dass ich nicht recht glauben kann, dass sich jemand bei schmuddeligem Wetter, wenn die Familie zuhause wartet, neben einen Unbekannten verwahrlosten Menschen in die Kälte setzt ;) ...
Für mich würde die Geschichte VIEL plausibler, wenn Mike alleinstehend wäre (er also in eine leere Wohnung zurückkehrte) und das Wetter besser wäre :D. Eine schöne, frostklare Nacht ...
Dann kann ich an den guten, warmherzigen Menschen Mike glauben. :)
 

Lyan Nethil

Mitglied
Danke poppins...

...also die Beschreibung vom Nachthimmel kürzen, wo ich mir doch solche Mühe gegeben habe ;) - nein ehrlich, das was dir unrealistisch erscheint, sollte es auch sein ;) - allerdings eher etwas magisch/hypnotisach/anziehend/aus der Realität herausbringendes ;) - so in etwa - ich werds noch mal überarbeiten...

Und der Satz mit dem "echten" Weihnachtsmann ist bewusst so gesetzt - wer oder was Mike und der Obdachlose nun sind wirklich sind ???... ;).....

Naja, das ganze sollte magischer rüber kommen, dass alles so stimmig ist, dass es klar ist, das Mike sich genau da zu dem Zeitpunkt "richtig" fühlt.... wenn jemand einen Tipp hat, wie man das hinbekommt - her damit.

Aber ich nehme es mir für dieses Jahr zu Herzen, dass ich schön erzählen kann :)

Merci
 



 
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